Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.Friedrich Wilhelm in Petersburg. Räthe zurück, die in seinem Sinne weiter wirkten, namentlich der mildefeinsinnige Süvern. Die großen Grundsätze für die Leitung des höheren Unterrichts standen fest seit den Verhandlungen über die Berliner Uni- versität; man brauchte sie nur anzuwenden als man jetzt daran ging auch die katholischen Bildungsanstalten zu verjüngen. Die alte Jesuiten- akademie zu Breslau wurde mit der strengprotestantischen Frankfurter Viadrina vereinigt und aus beiden die neue Breslauer Universität ge- bildet (1811). Auch diese Neugründung war ein Markstein in der Ge- schichte unseres geistigen Lebens. Wie viele schwere Kämpfe hatte der Gedanke der Parität an den deutschen Hochschulen bestehen müssen seit Pfalzgraf Karl Ludwig in seinem Heidelberg zuerst den alten starren Grundsatz der Glaubenseinheit beseitigte. Jetzt war die Duldsamkeit der neuen Philosophie tief in die Anschauungen der gebildeten Klassen einge- drungen. Jedermann fand es in der Ordnung, daß allen Confessionen der Zutritt zu den weltlichen Facultäten der Berliner Hochschule freige- stellt wurde. In Breslau ging der Staat schon einen Schritt weiter und stiftete zwei theologische Facultäten, für die Katholiken und die Pro- testanten. So entstand die erste paritätische Universität -- eine charak- teristische, dem Auslande kaum begreifliche Eigenthümlichkeit des deutschen Lebens. -- Welch ein Verhängniß nun, daß gerade in dieser Zeit, da Preußen 22*
Friedrich Wilhelm in Petersburg. Räthe zurück, die in ſeinem Sinne weiter wirkten, namentlich der mildefeinſinnige Süvern. Die großen Grundſätze für die Leitung des höheren Unterrichts ſtanden feſt ſeit den Verhandlungen über die Berliner Uni- verſität; man brauchte ſie nur anzuwenden als man jetzt daran ging auch die katholiſchen Bildungsanſtalten zu verjüngen. Die alte Jeſuiten- akademie zu Breslau wurde mit der ſtrengproteſtantiſchen Frankfurter Viadrina vereinigt und aus beiden die neue Breslauer Univerſität ge- bildet (1811). Auch dieſe Neugründung war ein Markſtein in der Ge- ſchichte unſeres geiſtigen Lebens. Wie viele ſchwere Kämpfe hatte der Gedanke der Parität an den deutſchen Hochſchulen beſtehen müſſen ſeit Pfalzgraf Karl Ludwig in ſeinem Heidelberg zuerſt den alten ſtarren Grundſatz der Glaubenseinheit beſeitigte. Jetzt war die Duldſamkeit der neuen Philoſophie tief in die Anſchauungen der gebildeten Klaſſen einge- drungen. Jedermann fand es in der Ordnung, daß allen Confeſſionen der Zutritt zu den weltlichen Facultäten der Berliner Hochſchule freige- ſtellt wurde. In Breslau ging der Staat ſchon einen Schritt weiter und ſtiftete zwei theologiſche Facultäten, für die Katholiken und die Pro- teſtanten. So entſtand die erſte paritätiſche Univerſität — eine charak- teriſtiſche, dem Auslande kaum begreifliche Eigenthümlichkeit des deutſchen Lebens. — Welch ein Verhängniß nun, daß gerade in dieſer Zeit, da Preußen 22*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0355" n="339"/><fw place="top" type="header">Friedrich Wilhelm in Petersburg.</fw><lb/> Räthe zurück, die in ſeinem Sinne weiter wirkten, namentlich der milde<lb/> feinſinnige Süvern. Die großen Grundſätze für die Leitung des höheren<lb/> Unterrichts ſtanden feſt ſeit den Verhandlungen über die Berliner Uni-<lb/> verſität; man brauchte ſie nur anzuwenden als man jetzt daran ging<lb/> auch die katholiſchen Bildungsanſtalten zu verjüngen. Die alte Jeſuiten-<lb/> akademie zu Breslau wurde mit der ſtrengproteſtantiſchen Frankfurter<lb/> Viadrina vereinigt und aus beiden die neue Breslauer Univerſität ge-<lb/> bildet (1811). Auch dieſe Neugründung war ein Markſtein in der Ge-<lb/> ſchichte unſeres geiſtigen Lebens. Wie viele ſchwere Kämpfe hatte der<lb/> Gedanke der Parität an den deutſchen Hochſchulen beſtehen müſſen ſeit<lb/> Pfalzgraf Karl Ludwig in ſeinem Heidelberg zuerſt den alten ſtarren<lb/> Grundſatz der Glaubenseinheit beſeitigte. Jetzt war die Duldſamkeit der<lb/> neuen Philoſophie tief in die Anſchauungen der gebildeten Klaſſen einge-<lb/> drungen. Jedermann fand es in der Ordnung, daß allen Confeſſionen<lb/> der Zutritt zu den weltlichen Facultäten der Berliner Hochſchule freige-<lb/> ſtellt wurde. In Breslau ging der Staat ſchon einen Schritt weiter<lb/> und ſtiftete zwei theologiſche Facultäten, für die Katholiken und die Pro-<lb/> teſtanten. So entſtand die erſte paritätiſche Univerſität — eine charak-<lb/> teriſtiſche, dem Auslande kaum begreifliche Eigenthümlichkeit des deutſchen<lb/> Lebens. —</p><lb/> <p>Welch ein Verhängniß nun, daß gerade in dieſer Zeit, da Preußen<lb/> ſeinen erſten Staatsmann verbannen mußte, ein neues Kriegswetter über<lb/> Oeſterreich heraufzog. Um Neujahr 1809 folgte das preußiſche Königs-<lb/> paar einer dringenden Einladung Alexanders nach Petersburg. Mit bei-<lb/> ſpielloſem Glanze empfing der Czar ſeine Gäſte, als ob er ſie entſchädigen<lb/> wollte für die Untreue von Tilſit; auch der Hofadel ſuchte durch über-<lb/> ſchwängliche Ehrenbezeigungen ſeinen Franzoſenhaß zu bekunden. Seit-<lb/> dem verband die beiden Höfe ein Verhältniß perſönlicher Vertraulichkeit,<lb/> wie es noch niemals zwiſchen Großmächten beſtanden hatte; der preußiſche<lb/> Geſandte wurde fortan in Petersburg ſtets wie ein Angehöriger der kaiſer-<lb/> lichen Familie behandelt. Das politiſche Ergebniß der Reiſe war gleich-<lb/> wohl nur ein großer Mißerfolg. Der Czar hatte den Krieg mit Schweden<lb/> noch nicht beendet, er war an der kaukaſiſchen Grenze mit Perſien in<lb/> Händel gerathen und ſtand im Begriff die Türkei mit Krieg zu über-<lb/> ziehen. So lange dieſe drei Kriege nicht abgewickelt, Finnland und die<lb/> Donauprovinzen noch nicht in ſeinen Händen waren, wollte er ſich von<lb/> Napoleon nicht trennen. Er geſtand ſeinem Freunde, daß er ſich ver-<lb/> pflichtet habe Frankreich in einem Kriege gegen Oeſterreich mit den Waffen<lb/> zu unterſtützen und rieth dem Könige dringend, die gleiche Politik zu er-<lb/> greifen, durch die Rückkehr nach Berlin dem Imperator einen Beweis<lb/> vertrauensvoller Freundſchaft zu geben. Friedrich Wilhelm kehrte heim,<lb/> tief niedergeſchlagen, doch keineswegs überzeugt; nimmermehr wollte er<lb/> an dem Feldzuge gegen Oeſterreich theilnehmen, vielmehr befahl er<lb/> <fw place="bottom" type="sig">22*</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [339/0355]
Friedrich Wilhelm in Petersburg.
Räthe zurück, die in ſeinem Sinne weiter wirkten, namentlich der milde
feinſinnige Süvern. Die großen Grundſätze für die Leitung des höheren
Unterrichts ſtanden feſt ſeit den Verhandlungen über die Berliner Uni-
verſität; man brauchte ſie nur anzuwenden als man jetzt daran ging
auch die katholiſchen Bildungsanſtalten zu verjüngen. Die alte Jeſuiten-
akademie zu Breslau wurde mit der ſtrengproteſtantiſchen Frankfurter
Viadrina vereinigt und aus beiden die neue Breslauer Univerſität ge-
bildet (1811). Auch dieſe Neugründung war ein Markſtein in der Ge-
ſchichte unſeres geiſtigen Lebens. Wie viele ſchwere Kämpfe hatte der
Gedanke der Parität an den deutſchen Hochſchulen beſtehen müſſen ſeit
Pfalzgraf Karl Ludwig in ſeinem Heidelberg zuerſt den alten ſtarren
Grundſatz der Glaubenseinheit beſeitigte. Jetzt war die Duldſamkeit der
neuen Philoſophie tief in die Anſchauungen der gebildeten Klaſſen einge-
drungen. Jedermann fand es in der Ordnung, daß allen Confeſſionen
der Zutritt zu den weltlichen Facultäten der Berliner Hochſchule freige-
ſtellt wurde. In Breslau ging der Staat ſchon einen Schritt weiter
und ſtiftete zwei theologiſche Facultäten, für die Katholiken und die Pro-
teſtanten. So entſtand die erſte paritätiſche Univerſität — eine charak-
teriſtiſche, dem Auslande kaum begreifliche Eigenthümlichkeit des deutſchen
Lebens. —
Welch ein Verhängniß nun, daß gerade in dieſer Zeit, da Preußen
ſeinen erſten Staatsmann verbannen mußte, ein neues Kriegswetter über
Oeſterreich heraufzog. Um Neujahr 1809 folgte das preußiſche Königs-
paar einer dringenden Einladung Alexanders nach Petersburg. Mit bei-
ſpielloſem Glanze empfing der Czar ſeine Gäſte, als ob er ſie entſchädigen
wollte für die Untreue von Tilſit; auch der Hofadel ſuchte durch über-
ſchwängliche Ehrenbezeigungen ſeinen Franzoſenhaß zu bekunden. Seit-
dem verband die beiden Höfe ein Verhältniß perſönlicher Vertraulichkeit,
wie es noch niemals zwiſchen Großmächten beſtanden hatte; der preußiſche
Geſandte wurde fortan in Petersburg ſtets wie ein Angehöriger der kaiſer-
lichen Familie behandelt. Das politiſche Ergebniß der Reiſe war gleich-
wohl nur ein großer Mißerfolg. Der Czar hatte den Krieg mit Schweden
noch nicht beendet, er war an der kaukaſiſchen Grenze mit Perſien in
Händel gerathen und ſtand im Begriff die Türkei mit Krieg zu über-
ziehen. So lange dieſe drei Kriege nicht abgewickelt, Finnland und die
Donauprovinzen noch nicht in ſeinen Händen waren, wollte er ſich von
Napoleon nicht trennen. Er geſtand ſeinem Freunde, daß er ſich ver-
pflichtet habe Frankreich in einem Kriege gegen Oeſterreich mit den Waffen
zu unterſtützen und rieth dem Könige dringend, die gleiche Politik zu er-
greifen, durch die Rückkehr nach Berlin dem Imperator einen Beweis
vertrauensvoller Freundſchaft zu geben. Friedrich Wilhelm kehrte heim,
tief niedergeſchlagen, doch keineswegs überzeugt; nimmermehr wollte er
an dem Feldzuge gegen Oeſterreich theilnehmen, vielmehr befahl er
22*
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |