Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Schill.
fliegende Corps, das der Heißsporn Karl von Nostitz durch Franken gegen
die Flanke des Feindes führte; die Nürnberger Reichsstädter rissen jubelnd
die bairischen Wappen von den Thoren als die Freischaar nahte. Von
Böhmen aus begann der Sohn des unglücklichen Feldherrn von Auer-
städt, Herzog Friedrich Wilhelm von Braunschweig, den Parteigängerkrieg
gegen die sächsischen Lande -- ein echter Welf, tapfer, hart und herrisch;
Viele der Besten aus der norddeutschen Jugend drängten sich zu den
Fahnen seiner schwarzen Schaar. Im Königreich Westphalen wurde zwei-
mal, von den kurhessischen Offizieren Dörnberg und Emmerich, eine
Schilderhebung gewagt und blutig niedergeschlagen; gegen das feste Magde-
burg versuchte der preußische Leutnant Katt vergeblich eine Ueberrum-
pelung.

Unter den Patrioten im preußischen Heere und Beamtenthum war
nur eine Stimme; Alle dachten wie der alte Blücher: warum die Preußen
es nicht den Tyrolern und den Spaniern gleich thun sollten? -- "trage
Fesseln wer will, ich nicht." Manche der entlassenen Offiziere fochten
bereits in den Reihen der österreichischen Armee. Die Stimmung der
preußischen Truppen war so offenkundig, daß Napoleon gar nicht wagte
den König an die Stellung des versprochenen Hilfscorps zu erinnern;
ihm graute vor solchen Bundesgenossen. So stürmisch flammte die Unge-
duld, daß jetzt zum ersten male in der ehrenreichen Geschichte des preußi-
schen Heeres ein Treubruch möglich wurde -- ein Treubruch freilich, der
nur den edlen Zweck verfolgte "dem geliebten Könige sein letztes Dorf
zurückzugeben". Major Schill, der Held von Colberg, wie ihn der große
Haufe nannte, war von dem Könige für seine wackere Haltung während
des letzten Krieges dadurch belohnt worden, daß er zuerst nach dem Ab-
zuge der Franzosen in die befreite Hauptstadt einrücken durfte. Seine
Soldaten hingen an ihm mit unbegrenztem Vertrauen; die Berliner Bür-
ger trugen ihn auf den Händen, und da die Masse an Ideen erst glaubt
wenn sie in einem Manne Fleisch und Blut gewinnen, so galt der tapfere
Husar bald als der leibhaftige Vertreter des alten kriegerischen Preußen-
thums. Unzählige hofften von ihm die Wiederkehr der alten Größe; man
rauchte Schill-Kanaster, in jedem Bauernhause der Marken prangte das
Bild mit dem martialischen Schnurrbart und Fouques Versen darunter.
Die Volksgunst stieg dem ehrlichen Haudegen zu Kopfe; der Bescheidene
wähnte sich jetzt auserkoren zu wunderbaren Dingen, und kaum war der
Krieg im Süden ausgebrochen, so führte er seine kleine Truppe, wenige
hundert Mann, von dem Berliner Exercirplatze hinweg zum Angriff gegen
das Königreich Westphalen. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken
ohne Ende! -- rief er den unglücklichen Verführten zu. Die treuen
Männer folgten ihm nur weil er im Auftrag der Krone zu handeln
vorgab und sich vermaß, die alte Größe Preußens wiederherzustellen.
Bald nach dem Ausmarsch ereilte ihn die Nachricht von den Niederlagen

Schill.
fliegende Corps, das der Heißſporn Karl von Noſtitz durch Franken gegen
die Flanke des Feindes führte; die Nürnberger Reichsſtädter riſſen jubelnd
die bairiſchen Wappen von den Thoren als die Freiſchaar nahte. Von
Böhmen aus begann der Sohn des unglücklichen Feldherrn von Auer-
ſtädt, Herzog Friedrich Wilhelm von Braunſchweig, den Parteigängerkrieg
gegen die ſächſiſchen Lande — ein echter Welf, tapfer, hart und herriſch;
Viele der Beſten aus der norddeutſchen Jugend drängten ſich zu den
Fahnen ſeiner ſchwarzen Schaar. Im Königreich Weſtphalen wurde zwei-
mal, von den kurheſſiſchen Offizieren Dörnberg und Emmerich, eine
Schilderhebung gewagt und blutig niedergeſchlagen; gegen das feſte Magde-
burg verſuchte der preußiſche Leutnant Katt vergeblich eine Ueberrum-
pelung.

Unter den Patrioten im preußiſchen Heere und Beamtenthum war
nur eine Stimme; Alle dachten wie der alte Blücher: warum die Preußen
es nicht den Tyrolern und den Spaniern gleich thun ſollten? — „trage
Feſſeln wer will, ich nicht.“ Manche der entlaſſenen Offiziere fochten
bereits in den Reihen der öſterreichiſchen Armee. Die Stimmung der
preußiſchen Truppen war ſo offenkundig, daß Napoleon gar nicht wagte
den König an die Stellung des verſprochenen Hilfscorps zu erinnern;
ihm graute vor ſolchen Bundesgenoſſen. So ſtürmiſch flammte die Unge-
duld, daß jetzt zum erſten male in der ehrenreichen Geſchichte des preußi-
ſchen Heeres ein Treubruch möglich wurde — ein Treubruch freilich, der
nur den edlen Zweck verfolgte „dem geliebten Könige ſein letztes Dorf
zurückzugeben“. Major Schill, der Held von Colberg, wie ihn der große
Haufe nannte, war von dem Könige für ſeine wackere Haltung während
des letzten Krieges dadurch belohnt worden, daß er zuerſt nach dem Ab-
zuge der Franzoſen in die befreite Hauptſtadt einrücken durfte. Seine
Soldaten hingen an ihm mit unbegrenztem Vertrauen; die Berliner Bür-
ger trugen ihn auf den Händen, und da die Maſſe an Ideen erſt glaubt
wenn ſie in einem Manne Fleiſch und Blut gewinnen, ſo galt der tapfere
Huſar bald als der leibhaftige Vertreter des alten kriegeriſchen Preußen-
thums. Unzählige hofften von ihm die Wiederkehr der alten Größe; man
rauchte Schill-Kanaſter, in jedem Bauernhauſe der Marken prangte das
Bild mit dem martialiſchen Schnurrbart und Fouqués Verſen darunter.
Die Volksgunſt ſtieg dem ehrlichen Haudegen zu Kopfe; der Beſcheidene
wähnte ſich jetzt auserkoren zu wunderbaren Dingen, und kaum war der
Krieg im Süden ausgebrochen, ſo führte er ſeine kleine Truppe, wenige
hundert Mann, von dem Berliner Exercirplatze hinweg zum Angriff gegen
das Königreich Weſtphalen. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken
ohne Ende! — rief er den unglücklichen Verführten zu. Die treuen
Männer folgten ihm nur weil er im Auftrag der Krone zu handeln
vorgab und ſich vermaß, die alte Größe Preußens wiederherzuſtellen.
Bald nach dem Ausmarſch ereilte ihn die Nachricht von den Niederlagen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0359" n="343"/><fw place="top" type="header">Schill.</fw><lb/>
fliegende Corps, das der Heiß&#x017F;porn Karl von No&#x017F;titz durch Franken gegen<lb/>
die Flanke des Feindes führte; die Nürnberger Reichs&#x017F;tädter ri&#x017F;&#x017F;en jubelnd<lb/>
die bairi&#x017F;chen Wappen von den Thoren als die Frei&#x017F;chaar nahte. Von<lb/>
Böhmen aus begann der Sohn des unglücklichen Feldherrn von Auer-<lb/>
&#x017F;tädt, Herzog Friedrich Wilhelm von Braun&#x017F;chweig, den Parteigängerkrieg<lb/>
gegen die &#x017F;äch&#x017F;i&#x017F;chen Lande &#x2014; ein echter Welf, tapfer, hart und herri&#x017F;ch;<lb/>
Viele der Be&#x017F;ten aus der norddeut&#x017F;chen Jugend drängten &#x017F;ich zu den<lb/>
Fahnen &#x017F;einer &#x017F;chwarzen Schaar. Im Königreich We&#x017F;tphalen wurde zwei-<lb/>
mal, von den kurhe&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Offizieren Dörnberg und Emmerich, eine<lb/>
Schilderhebung gewagt und blutig niederge&#x017F;chlagen; gegen das fe&#x017F;te Magde-<lb/>
burg ver&#x017F;uchte der preußi&#x017F;che Leutnant Katt vergeblich eine Ueberrum-<lb/>
pelung.</p><lb/>
            <p>Unter den Patrioten im preußi&#x017F;chen Heere und Beamtenthum war<lb/>
nur eine Stimme; Alle dachten wie der alte Blücher: warum die Preußen<lb/>
es nicht den Tyrolern und den Spaniern gleich thun &#x017F;ollten? &#x2014; &#x201E;trage<lb/>
Fe&#x017F;&#x017F;eln wer will, ich nicht.&#x201C; Manche der entla&#x017F;&#x017F;enen Offiziere fochten<lb/>
bereits in den Reihen der ö&#x017F;terreichi&#x017F;chen Armee. Die Stimmung der<lb/>
preußi&#x017F;chen Truppen war &#x017F;o offenkundig, daß Napoleon gar nicht wagte<lb/>
den König an die Stellung des ver&#x017F;prochenen Hilfscorps zu erinnern;<lb/>
ihm graute vor &#x017F;olchen Bundesgeno&#x017F;&#x017F;en. So &#x017F;türmi&#x017F;ch flammte die Unge-<lb/>
duld, daß jetzt zum er&#x017F;ten male in der ehrenreichen Ge&#x017F;chichte des preußi-<lb/>
&#x017F;chen Heeres ein Treubruch möglich wurde &#x2014; ein Treubruch freilich, der<lb/>
nur den edlen Zweck verfolgte &#x201E;dem geliebten Könige &#x017F;ein letztes Dorf<lb/>
zurückzugeben&#x201C;. Major Schill, der Held von Colberg, wie ihn der große<lb/>
Haufe nannte, war von dem Könige für &#x017F;eine wackere Haltung während<lb/>
des letzten Krieges dadurch belohnt worden, daß er zuer&#x017F;t nach dem Ab-<lb/>
zuge der Franzo&#x017F;en in die befreite Haupt&#x017F;tadt einrücken durfte. Seine<lb/>
Soldaten hingen an ihm mit unbegrenztem Vertrauen; die Berliner Bür-<lb/>
ger trugen ihn auf den Händen, und da die Ma&#x017F;&#x017F;e an Ideen er&#x017F;t glaubt<lb/>
wenn &#x017F;ie in einem Manne Flei&#x017F;ch und Blut gewinnen, &#x017F;o galt der tapfere<lb/>
Hu&#x017F;ar bald als der leibhaftige Vertreter des alten kriegeri&#x017F;chen Preußen-<lb/>
thums. Unzählige hofften von ihm die Wiederkehr der alten Größe; man<lb/>
rauchte Schill-Kana&#x017F;ter, in jedem Bauernhau&#x017F;e der Marken prangte das<lb/>
Bild mit dem martiali&#x017F;chen Schnurrbart und Fouqu<hi rendition="#aq">é</hi>s Ver&#x017F;en darunter.<lb/>
Die Volksgun&#x017F;t &#x017F;tieg dem ehrlichen Haudegen zu Kopfe; der Be&#x017F;cheidene<lb/>
wähnte &#x017F;ich jetzt auserkoren zu wunderbaren Dingen, und kaum war der<lb/>
Krieg im Süden ausgebrochen, &#x017F;o führte er &#x017F;eine kleine Truppe, wenige<lb/>
hundert Mann, von dem Berliner Exercirplatze hinweg zum Angriff gegen<lb/>
das Königreich We&#x017F;tphalen. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken<lb/>
ohne Ende! &#x2014; rief er den unglücklichen Verführten zu. Die treuen<lb/>
Männer folgten ihm nur weil er im Auftrag der Krone zu handeln<lb/>
vorgab und &#x017F;ich vermaß, die alte Größe Preußens wiederherzu&#x017F;tellen.<lb/>
Bald nach dem Ausmar&#x017F;ch ereilte ihn die Nachricht von den Niederlagen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[343/0359] Schill. fliegende Corps, das der Heißſporn Karl von Noſtitz durch Franken gegen die Flanke des Feindes führte; die Nürnberger Reichsſtädter riſſen jubelnd die bairiſchen Wappen von den Thoren als die Freiſchaar nahte. Von Böhmen aus begann der Sohn des unglücklichen Feldherrn von Auer- ſtädt, Herzog Friedrich Wilhelm von Braunſchweig, den Parteigängerkrieg gegen die ſächſiſchen Lande — ein echter Welf, tapfer, hart und herriſch; Viele der Beſten aus der norddeutſchen Jugend drängten ſich zu den Fahnen ſeiner ſchwarzen Schaar. Im Königreich Weſtphalen wurde zwei- mal, von den kurheſſiſchen Offizieren Dörnberg und Emmerich, eine Schilderhebung gewagt und blutig niedergeſchlagen; gegen das feſte Magde- burg verſuchte der preußiſche Leutnant Katt vergeblich eine Ueberrum- pelung. Unter den Patrioten im preußiſchen Heere und Beamtenthum war nur eine Stimme; Alle dachten wie der alte Blücher: warum die Preußen es nicht den Tyrolern und den Spaniern gleich thun ſollten? — „trage Feſſeln wer will, ich nicht.“ Manche der entlaſſenen Offiziere fochten bereits in den Reihen der öſterreichiſchen Armee. Die Stimmung der preußiſchen Truppen war ſo offenkundig, daß Napoleon gar nicht wagte den König an die Stellung des verſprochenen Hilfscorps zu erinnern; ihm graute vor ſolchen Bundesgenoſſen. So ſtürmiſch flammte die Unge- duld, daß jetzt zum erſten male in der ehrenreichen Geſchichte des preußi- ſchen Heeres ein Treubruch möglich wurde — ein Treubruch freilich, der nur den edlen Zweck verfolgte „dem geliebten Könige ſein letztes Dorf zurückzugeben“. Major Schill, der Held von Colberg, wie ihn der große Haufe nannte, war von dem Könige für ſeine wackere Haltung während des letzten Krieges dadurch belohnt worden, daß er zuerſt nach dem Ab- zuge der Franzoſen in die befreite Hauptſtadt einrücken durfte. Seine Soldaten hingen an ihm mit unbegrenztem Vertrauen; die Berliner Bür- ger trugen ihn auf den Händen, und da die Maſſe an Ideen erſt glaubt wenn ſie in einem Manne Fleiſch und Blut gewinnen, ſo galt der tapfere Huſar bald als der leibhaftige Vertreter des alten kriegeriſchen Preußen- thums. Unzählige hofften von ihm die Wiederkehr der alten Größe; man rauchte Schill-Kanaſter, in jedem Bauernhauſe der Marken prangte das Bild mit dem martialiſchen Schnurrbart und Fouqués Verſen darunter. Die Volksgunſt ſtieg dem ehrlichen Haudegen zu Kopfe; der Beſcheidene wähnte ſich jetzt auserkoren zu wunderbaren Dingen, und kaum war der Krieg im Süden ausgebrochen, ſo führte er ſeine kleine Truppe, wenige hundert Mann, von dem Berliner Exercirplatze hinweg zum Angriff gegen das Königreich Weſtphalen. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende! — rief er den unglücklichen Verführten zu. Die treuen Männer folgten ihm nur weil er im Auftrag der Krone zu handeln vorgab und ſich vermaß, die alte Größe Preußens wiederherzuſtellen. Bald nach dem Ausmarſch ereilte ihn die Nachricht von den Niederlagen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/359
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/359>, abgerufen am 09.11.2024.