"Preußen ist heute sehr wenig; ich habe der Mittel genug es zu unter- werfen."
Der König hatte mit richtigem Blicke die unerläßlichen Voraussetzun- gen bezeichnet, von denen Preußens Kriegserklärung abhing; bald genug mußte er erfahren, daß keine einzige dieser Bedingungen sich erfüllte. Noch vor Ausbruch des Krieges schrieb er inständig drängend an den Czaren und bat um die bestimmte Zusage, daß Rußland ihn unterstützen oder doch nicht angreifen werde, wenn er sich mit Oesterreich verbinde. Alexander antwortete: erfülle Preußen seine Verpflichtungen gegen Frank- reich nicht, so könne er deßhalb sich mit Napoleon nicht überwerfen. Am 12. Mai schrieb der König nochmals: eine unglückliche Schilderhebung würde leicht zur Vernichtung Preußens führen, er müsse mindestens die Sicherheit haben, daß Rußland den Untergang dieses Staates nicht dulden werde. Auch diesmal lautete die Antwort des Czaren abschlägig; sein Brief enthielt unter schwungvollen Worten und brünstigen Freund- schaftsbetheuerungen nur diesen greifbaren Inhalt: Rußland könne sich für jetzt nicht rühren, auch wenn der preußische Staat von der Landkarte verschwände. Es stand nicht anders: der russische Freund wollte das preußische Schwert in der Scheide zurückhalten bis er sich selbst des Er- werbes der heißersehnten Donauprovinzen versichert hatte. Und es war ihm Ernst damit. Die Hilfsarmee, welche der Czar seinem französischen Verbündeten zugesagt, rückte wirklich durch Warschau gegen Galizien vor. Wenngleich sie den Krieg mit äußerster Schonung, fast nur zum Scheine führte und die aufständischen Polen in Galizien weit mehr zu fürchten schien als die Oesterreicher selber, so bewirkte sie doch, daß ein Theil des österreichischen Heeres von den Entscheidungsschlachten an der Donau fern gehalten wurde. Ein russisches Armeecorps hielt dicht an der ostpreußischen Grenze, konnte in jeder Stunde einmarschiren sobald Preußen Miene machte sich zu regen. Diese Haltung Rußlands ward entscheidend für das Verfahren des Königs.
Aber auch von England geschah monatelang gar nichts was dem preußischen Hofe die Erhebung erleichtern konnte. Die Hofburg endlich konnte von dem alten Hochmuth der Ferdinande nicht lassen. Ihr Be- vollmächtigter Steigentesch trat in Preußen mit herausfordernder Keckheit auf, er hatte Befehl den König "zu compromittiren" wenn der sich nicht füge, und verrieth die vertraulichen Aeußerungen des Königsberger Hofes an den westphälischen Gesandten Linden, der Alles getreulich dem Impe- rator meldete. War doch in Preußen selbst die Erbitterung gegen den königlichen Zauderer so stark, daß einige Patrioten alles Ernstes riethen, die österreichischen Truppen in Polen sollten durch Schlesien marschiren, damit der Hof gezwungen werde sich zu erklären! Eine einfache Militär- convention und allenfalls noch eine Bürgschaft für den gegenwärtigen Besitzstand, das war Alles was Kaiser Franz dem preußischen Staate in
Alexander verhindert den allgemeinen Krieg.
„Preußen iſt heute ſehr wenig; ich habe der Mittel genug es zu unter- werfen.“
Der König hatte mit richtigem Blicke die unerläßlichen Vorausſetzun- gen bezeichnet, von denen Preußens Kriegserklärung abhing; bald genug mußte er erfahren, daß keine einzige dieſer Bedingungen ſich erfüllte. Noch vor Ausbruch des Krieges ſchrieb er inſtändig drängend an den Czaren und bat um die beſtimmte Zuſage, daß Rußland ihn unterſtützen oder doch nicht angreifen werde, wenn er ſich mit Oeſterreich verbinde. Alexander antwortete: erfülle Preußen ſeine Verpflichtungen gegen Frank- reich nicht, ſo könne er deßhalb ſich mit Napoleon nicht überwerfen. Am 12. Mai ſchrieb der König nochmals: eine unglückliche Schilderhebung würde leicht zur Vernichtung Preußens führen, er müſſe mindeſtens die Sicherheit haben, daß Rußland den Untergang dieſes Staates nicht dulden werde. Auch diesmal lautete die Antwort des Czaren abſchlägig; ſein Brief enthielt unter ſchwungvollen Worten und brünſtigen Freund- ſchaftsbetheuerungen nur dieſen greifbaren Inhalt: Rußland könne ſich für jetzt nicht rühren, auch wenn der preußiſche Staat von der Landkarte verſchwände. Es ſtand nicht anders: der ruſſiſche Freund wollte das preußiſche Schwert in der Scheide zurückhalten bis er ſich ſelbſt des Er- werbes der heißerſehnten Donauprovinzen verſichert hatte. Und es war ihm Ernſt damit. Die Hilfsarmee, welche der Czar ſeinem franzöſiſchen Verbündeten zugeſagt, rückte wirklich durch Warſchau gegen Galizien vor. Wenngleich ſie den Krieg mit äußerſter Schonung, faſt nur zum Scheine führte und die aufſtändiſchen Polen in Galizien weit mehr zu fürchten ſchien als die Oeſterreicher ſelber, ſo bewirkte ſie doch, daß ein Theil des öſterreichiſchen Heeres von den Entſcheidungsſchlachten an der Donau fern gehalten wurde. Ein ruſſiſches Armeecorps hielt dicht an der oſtpreußiſchen Grenze, konnte in jeder Stunde einmarſchiren ſobald Preußen Miene machte ſich zu regen. Dieſe Haltung Rußlands ward entſcheidend für das Verfahren des Königs.
Aber auch von England geſchah monatelang gar nichts was dem preußiſchen Hofe die Erhebung erleichtern konnte. Die Hofburg endlich konnte von dem alten Hochmuth der Ferdinande nicht laſſen. Ihr Be- vollmächtigter Steigenteſch trat in Preußen mit herausfordernder Keckheit auf, er hatte Befehl den König „zu compromittiren“ wenn der ſich nicht füge, und verrieth die vertraulichen Aeußerungen des Königsberger Hofes an den weſtphäliſchen Geſandten Linden, der Alles getreulich dem Impe- rator meldete. War doch in Preußen ſelbſt die Erbitterung gegen den königlichen Zauderer ſo ſtark, daß einige Patrioten alles Ernſtes riethen, die öſterreichiſchen Truppen in Polen ſollten durch Schleſien marſchiren, damit der Hof gezwungen werde ſich zu erklären! Eine einfache Militär- convention und allenfalls noch eine Bürgſchaft für den gegenwärtigen Beſitzſtand, das war Alles was Kaiſer Franz dem preußiſchen Staate in
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Alexander verhindert den allgemeinen Krieg.
„Preußen iſt heute ſehr wenig; ich habe der Mittel genug es zu unter-
werfen.“
Der König hatte mit richtigem Blicke die unerläßlichen Vorausſetzun-
gen bezeichnet, von denen Preußens Kriegserklärung abhing; bald genug
mußte er erfahren, daß keine einzige dieſer Bedingungen ſich erfüllte.
Noch vor Ausbruch des Krieges ſchrieb er inſtändig drängend an den
Czaren und bat um die beſtimmte Zuſage, daß Rußland ihn unterſtützen
oder doch nicht angreifen werde, wenn er ſich mit Oeſterreich verbinde.
Alexander antwortete: erfülle Preußen ſeine Verpflichtungen gegen Frank-
reich nicht, ſo könne er deßhalb ſich mit Napoleon nicht überwerfen. Am
12. Mai ſchrieb der König nochmals: eine unglückliche Schilderhebung
würde leicht zur Vernichtung Preußens führen, er müſſe mindeſtens die
Sicherheit haben, daß Rußland den Untergang dieſes Staates nicht
dulden werde. Auch diesmal lautete die Antwort des Czaren abſchlägig;
ſein Brief enthielt unter ſchwungvollen Worten und brünſtigen Freund-
ſchaftsbetheuerungen nur dieſen greifbaren Inhalt: Rußland könne ſich
für jetzt nicht rühren, auch wenn der preußiſche Staat von der Landkarte
verſchwände. Es ſtand nicht anders: der ruſſiſche Freund wollte das
preußiſche Schwert in der Scheide zurückhalten bis er ſich ſelbſt des Er-
werbes der heißerſehnten Donauprovinzen verſichert hatte. Und es war
ihm Ernſt damit. Die Hilfsarmee, welche der Czar ſeinem franzöſiſchen
Verbündeten zugeſagt, rückte wirklich durch Warſchau gegen Galizien
vor. Wenngleich ſie den Krieg mit äußerſter Schonung, faſt nur zum
Scheine führte und die aufſtändiſchen Polen in Galizien weit mehr zu
fürchten ſchien als die Oeſterreicher ſelber, ſo bewirkte ſie doch, daß ein
Theil des öſterreichiſchen Heeres von den Entſcheidungsſchlachten an der
Donau fern gehalten wurde. Ein ruſſiſches Armeecorps hielt dicht an
der oſtpreußiſchen Grenze, konnte in jeder Stunde einmarſchiren ſobald
Preußen Miene machte ſich zu regen. Dieſe Haltung Rußlands ward
entſcheidend für das Verfahren des Königs.
Aber auch von England geſchah monatelang gar nichts was dem
preußiſchen Hofe die Erhebung erleichtern konnte. Die Hofburg endlich
konnte von dem alten Hochmuth der Ferdinande nicht laſſen. Ihr Be-
vollmächtigter Steigenteſch trat in Preußen mit herausfordernder Keckheit
auf, er hatte Befehl den König „zu compromittiren“ wenn der ſich nicht
füge, und verrieth die vertraulichen Aeußerungen des Königsberger Hofes
an den weſtphäliſchen Geſandten Linden, der Alles getreulich dem Impe-
rator meldete. War doch in Preußen ſelbſt die Erbitterung gegen den
königlichen Zauderer ſo ſtark, daß einige Patrioten alles Ernſtes riethen,
die öſterreichiſchen Truppen in Polen ſollten durch Schleſien marſchiren,
damit der Hof gezwungen werde ſich zu erklären! Eine einfache Militär-
convention und allenfalls noch eine Bürgſchaft für den gegenwärtigen
Beſitzſtand, das war Alles was Kaiſer Franz dem preußiſchen Staate in
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/361>, abgerufen am 22.11.2024.
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