Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.I. 3. Preußens Erhebung. Aussicht stellte für einen Kampf der Verzweiflung! Friedrich Wilhelmaber verlangte, wie billig, einen förmlichen Staatsvertrag, der seiner Mo- narchie die Wiederherstellung ihrer alten Macht mit haltbaren Grenzen gewährleiste. Auch in allen anderen Fragen der deutschen Politik gingen die Absichten der beiden Mächte weit auseinander. Oesterreich zeigte sich geneigt, im Falle des Sieges Warschau wieder an die Krone Preußen zu- rückzugeben. Der König dagegen war seit dem großen Treubruch von 1806 von der Werthlosigkeit dieses Besitzes überzeugt und wünschte für seinen Staat nur soviel polnisches Gebiet als unentbehrlich war um die Verbindung zwischen Schlesien und Altpreußen zu sichern; aus dem übrigen Lande hätte er gern ein nationales polnisches Herzogthum unter dem gemeinsamen Schutze der drei Ostmächte gebildet, wenn Preußen dafür in Deutschland, etwa in Sachsen, entschädigt würde. Doch Kaiser Franz war keineswegs gesonnen irgend eine Verstärkung Preußens auf deutschem Boden zuzugeben; und als der preußische Unterhändler Knese- beck im Spätsommer, nach Oesterreichs Niederlagen, den alten Barten- steiner Plan einer zweifachen Hegemonie in Deutschland zur Sprache brachte, da begegnete er kalter Abweisung. Selbst das Unglück hatte den Dünkel des Hauses Lothringen nicht gebrochen. Der warme Freund Oesterreichs schrieb traurig heim: man könne sich nicht mehr darüber täuschen, die Hofburg wolle den preußischen Staat nicht als eine ebenbür- tige Macht anerkennen. Also thaten Oesterreichs Hochmuth, die Unfähigkeit der englischen Die Welt wußte längst, daß Napoleon einen Waffenstillstand nur I. 3. Preußens Erhebung. Ausſicht ſtellte für einen Kampf der Verzweiflung! Friedrich Wilhelmaber verlangte, wie billig, einen förmlichen Staatsvertrag, der ſeiner Mo- narchie die Wiederherſtellung ihrer alten Macht mit haltbaren Grenzen gewährleiſte. Auch in allen anderen Fragen der deutſchen Politik gingen die Abſichten der beiden Mächte weit auseinander. Oeſterreich zeigte ſich geneigt, im Falle des Sieges Warſchau wieder an die Krone Preußen zu- rückzugeben. Der König dagegen war ſeit dem großen Treubruch von 1806 von der Werthloſigkeit dieſes Beſitzes überzeugt und wünſchte für ſeinen Staat nur ſoviel polniſches Gebiet als unentbehrlich war um die Verbindung zwiſchen Schleſien und Altpreußen zu ſichern; aus dem übrigen Lande hätte er gern ein nationales polniſches Herzogthum unter dem gemeinſamen Schutze der drei Oſtmächte gebildet, wenn Preußen dafür in Deutſchland, etwa in Sachſen, entſchädigt würde. Doch Kaiſer Franz war keineswegs geſonnen irgend eine Verſtärkung Preußens auf deutſchem Boden zuzugeben; und als der preußiſche Unterhändler Kneſe- beck im Spätſommer, nach Oeſterreichs Niederlagen, den alten Barten- ſteiner Plan einer zweifachen Hegemonie in Deutſchland zur Sprache brachte, da begegnete er kalter Abweiſung. Selbſt das Unglück hatte den Dünkel des Hauſes Lothringen nicht gebrochen. Der warme Freund Oeſterreichs ſchrieb traurig heim: man könne ſich nicht mehr darüber täuſchen, die Hofburg wolle den preußiſchen Staat nicht als eine ebenbür- tige Macht anerkennen. Alſo thaten Oeſterreichs Hochmuth, die Unfähigkeit der engliſchen Die Welt wußte längſt, daß Napoleon einen Waffenſtillſtand nur <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0362" n="346"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> 3. Preußens Erhebung.</fw><lb/> Ausſicht ſtellte für einen Kampf der Verzweiflung! Friedrich Wilhelm<lb/> aber verlangte, wie billig, einen förmlichen Staatsvertrag, der ſeiner Mo-<lb/> narchie die Wiederherſtellung ihrer alten Macht mit haltbaren Grenzen<lb/> gewährleiſte. Auch in allen anderen Fragen der deutſchen Politik gingen<lb/> die Abſichten der beiden Mächte weit auseinander. Oeſterreich zeigte ſich<lb/> geneigt, im Falle des Sieges Warſchau wieder an die Krone Preußen zu-<lb/> rückzugeben. 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Erzherzog Karl<lb/> verſtand den Sieg ſeiner Soldaten nicht zu benutzen, blieb wochenlang<lb/> faſt unthätig auf dem Marchfelde ſtehen, während Napoleon raſtlos aus<lb/> allen Ecken ſeines weiten Reiches Verſtärkungen heranzog und ſelbſt die<lb/> Matroſen aus den Häfen des Canals herbeikommen ließ. Im Juli fühlte<lb/> ſich der Imperator ſtark genug zum zweiten male den Uebergang über<lb/> die Donau zu wagen; am 5. und 6. Juli wurde der Erzherzog bei<lb/> Wagram geſchlagen, weſentlich durch die Schuld ſeines Bruders Johann,<lb/> der mit den Truppen aus Ungarn nicht rechtzeitig zur Stelle kam. Und<lb/> wieder wie nach der Auſterlitzer Schlacht überwältigte der Kleinmuth den<lb/> kaiſerlichen Hof. Sechs Tage ſpäter ward der Waffenſtillſtand von<lb/> Znaym abgeſchloſſen, der Erzherzog legte mißmuthig das Commando<lb/> nieder.</p><lb/> <p>Die Welt wußte längſt, daß Napoleon einen Waffenſtillſtand nur<lb/> dann bewilligte, wenn er des Friedens ſicher war. 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I. 3. Preußens Erhebung.
Ausſicht ſtellte für einen Kampf der Verzweiflung! Friedrich Wilhelm
aber verlangte, wie billig, einen förmlichen Staatsvertrag, der ſeiner Mo-
narchie die Wiederherſtellung ihrer alten Macht mit haltbaren Grenzen
gewährleiſte. Auch in allen anderen Fragen der deutſchen Politik gingen
die Abſichten der beiden Mächte weit auseinander. Oeſterreich zeigte ſich
geneigt, im Falle des Sieges Warſchau wieder an die Krone Preußen zu-
rückzugeben. Der König dagegen war ſeit dem großen Treubruch von
1806 von der Werthloſigkeit dieſes Beſitzes überzeugt und wünſchte für
ſeinen Staat nur ſoviel polniſches Gebiet als unentbehrlich war um die
Verbindung zwiſchen Schleſien und Altpreußen zu ſichern; aus dem
übrigen Lande hätte er gern ein nationales polniſches Herzogthum unter
dem gemeinſamen Schutze der drei Oſtmächte gebildet, wenn Preußen
dafür in Deutſchland, etwa in Sachſen, entſchädigt würde. Doch Kaiſer
Franz war keineswegs geſonnen irgend eine Verſtärkung Preußens auf
deutſchem Boden zuzugeben; und als der preußiſche Unterhändler Kneſe-
beck im Spätſommer, nach Oeſterreichs Niederlagen, den alten Barten-
ſteiner Plan einer zweifachen Hegemonie in Deutſchland zur Sprache
brachte, da begegnete er kalter Abweiſung. Selbſt das Unglück hatte den
Dünkel des Hauſes Lothringen nicht gebrochen. Der warme Freund
Oeſterreichs ſchrieb traurig heim: man könne ſich nicht mehr darüber
täuſchen, die Hofburg wolle den preußiſchen Staat nicht als eine ebenbür-
tige Macht anerkennen.
Alſo thaten Oeſterreichs Hochmuth, die Unfähigkeit der engliſchen
Politik und die durchtriebene Berechnung des Czaren wetteifernd das Ihre
um der preußiſchen Krone den Eintritt in den Krieg unmöglich zu machen.
Des Königs ruhiger Soldatenblick beurtheilte auch den Gang der Kriegs-
ereigniſſe richtiger als ſeine aufgeregte Umgebung; er hielt die Schlacht
von Aspern nur für die rühmliche Abwehr eines Angriffs, nicht für einen
entſcheidenden Schlag, und der Erfolg gab ihm Recht. Erzherzog Karl
verſtand den Sieg ſeiner Soldaten nicht zu benutzen, blieb wochenlang
faſt unthätig auf dem Marchfelde ſtehen, während Napoleon raſtlos aus
allen Ecken ſeines weiten Reiches Verſtärkungen heranzog und ſelbſt die
Matroſen aus den Häfen des Canals herbeikommen ließ. Im Juli fühlte
ſich der Imperator ſtark genug zum zweiten male den Uebergang über
die Donau zu wagen; am 5. und 6. Juli wurde der Erzherzog bei
Wagram geſchlagen, weſentlich durch die Schuld ſeines Bruders Johann,
der mit den Truppen aus Ungarn nicht rechtzeitig zur Stelle kam. Und
wieder wie nach der Auſterlitzer Schlacht überwältigte der Kleinmuth den
kaiſerlichen Hof. Sechs Tage ſpäter ward der Waffenſtillſtand von
Znaym abgeſchloſſen, der Erzherzog legte mißmuthig das Commando
nieder.
Die Welt wußte längſt, daß Napoleon einen Waffenſtillſtand nur
dann bewilligte, wenn er des Friedens ſicher war. Gleichwohl hielt König
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