die habsburgische Fremdherrschaft an die Stelle der napoleonischen ge- treten.
Der Mann aber, der an der großen Enttäuschung die Hauptschuld trug, wurde schnell irr an der Klugheit seiner feinen Berechnungen. Ale- xander fürchtete nichts so sehr wie die Wiederherstellung Polens durch Na- poleon. Wenn Ihr daran denkt, sagte er zu Caulaincourt, dann ist die Welt nicht groß genug um einen Ausgleich zwischen uns zu erlauben; und wiederholt gab er dem französischen Gesandten zu vernehmen: Ga- lizien dürfe schlechterdings nur an Rußland fallen, wenn es nicht bei Oesterreich verbleibe. Nun mußte er erleben, daß Napoleon im Wiener Frieden eigenmächtig das ganze Neugalizien, an anderthalb Millionen Einwohner mit den wichtigen Plätzen Zamosc, Lublin und Krakau dem Herzogthum Warschau schenkte -- lauter Gebiete, welche Rußland so- eben erobert hatte und noch besetzt hielt. Dem Czaren selber wurde blos ein Brocken aus der Beute, der Landstrich um Tarnopol, zugeworfen -- nur der Schande halber, nur damit die Welt sehe, der Czar sei doch Frankreichs Verbündeter gewesen; nebenbei sollte dies Danaergeschenk den Petersburger Hof mit dem Wiener gründlich verfeinden. Die Wiederauf- richtung der alten polnischen Krone rückte bedrohlich nahe; das Verhältniß zwischen den Tilsiter Alliirten ward täglich kühler seit Napoleon den neuen Freundschaftsbund mit Oesterreich geschlossen hatte. Alexander fühlte, daß ihm selber ein Kampf um das Dasein bevorstehe.
Zunächst wurde Preußen strenge zur Rechenschaft gezogen für die kriegerischen Absichten des vergangenen Jahres. Nun der Imperator des Hauses Oesterreich sicher war, nahm er gar keine Rücksicht mehr. Er kannte die geheimsten Gedanken des königlichen Hofes, theils durch die Verrätherei der österreichischen Diplomaten, theils aus den Berichten seiner eigenen Spione, und er hatte Grund zur Beschwerde, da Preußen durch die Einstellung der Contributionszahlungen sich selber ins Unrecht gesetzt hatte. Wenn der König jetzt die schlesischen Güter des geächteten Braunschweigers confiscirte, so wußte Napoleon genau, daß dieser Diensteifer nur den Zweck verfolgte die Besitzungen des Welfen vor der französischen Raubgier zu retten. Mit polternder Ungeduld verlangte er die Zahlung der Rück- stände, berechnete Wucherzinsen für die Säumniß. Als der König die völlige Erschöpfung der Finanzen einwendete und erzählte, wie er bereits seine Juwelen und sein goldenes Tafelgeschirr zur Deckung der Staats- schulden dahingegeben, da hieß es höhnisch: "welche erbärmlichen Mittel, wenn man unnütze Lager hält, Pferde ankauft und zwecklose Ausgaben für das Heer macht!"
Um den Grollenden durch einen Beweis des Vertrauens zu beschwich- tigen verlegte der König auf Weihnachten 1809 sein Hoflager wieder nach Berlin, mitten zwischen die Garnisonen der Franzosen. Wie oft waren einst in den fridericianischen Zeiten die Victoria schmetternden Postillone
I. 3. Preußens Erhebung.
die habsburgiſche Fremdherrſchaft an die Stelle der napoleoniſchen ge- treten.
Der Mann aber, der an der großen Enttäuſchung die Hauptſchuld trug, wurde ſchnell irr an der Klugheit ſeiner feinen Berechnungen. Ale- xander fürchtete nichts ſo ſehr wie die Wiederherſtellung Polens durch Na- poleon. Wenn Ihr daran denkt, ſagte er zu Caulaincourt, dann iſt die Welt nicht groß genug um einen Ausgleich zwiſchen uns zu erlauben; und wiederholt gab er dem franzöſiſchen Geſandten zu vernehmen: Ga- lizien dürfe ſchlechterdings nur an Rußland fallen, wenn es nicht bei Oeſterreich verbleibe. Nun mußte er erleben, daß Napoleon im Wiener Frieden eigenmächtig das ganze Neugalizien, an anderthalb Millionen Einwohner mit den wichtigen Plätzen Zamosc, Lublin und Krakau dem Herzogthum Warſchau ſchenkte — lauter Gebiete, welche Rußland ſo- eben erobert hatte und noch beſetzt hielt. Dem Czaren ſelber wurde blos ein Brocken aus der Beute, der Landſtrich um Tarnopol, zugeworfen — nur der Schande halber, nur damit die Welt ſehe, der Czar ſei doch Frankreichs Verbündeter geweſen; nebenbei ſollte dies Danaergeſchenk den Petersburger Hof mit dem Wiener gründlich verfeinden. Die Wiederauf- richtung der alten polniſchen Krone rückte bedrohlich nahe; das Verhältniß zwiſchen den Tilſiter Alliirten ward täglich kühler ſeit Napoleon den neuen Freundſchaftsbund mit Oeſterreich geſchloſſen hatte. Alexander fühlte, daß ihm ſelber ein Kampf um das Daſein bevorſtehe.
Zunächſt wurde Preußen ſtrenge zur Rechenſchaft gezogen für die kriegeriſchen Abſichten des vergangenen Jahres. Nun der Imperator des Hauſes Oeſterreich ſicher war, nahm er gar keine Rückſicht mehr. Er kannte die geheimſten Gedanken des königlichen Hofes, theils durch die Verrätherei der öſterreichiſchen Diplomaten, theils aus den Berichten ſeiner eigenen Spione, und er hatte Grund zur Beſchwerde, da Preußen durch die Einſtellung der Contributionszahlungen ſich ſelber ins Unrecht geſetzt hatte. Wenn der König jetzt die ſchleſiſchen Güter des geächteten Braunſchweigers confiscirte, ſo wußte Napoleon genau, daß dieſer Dienſteifer nur den Zweck verfolgte die Beſitzungen des Welfen vor der franzöſiſchen Raubgier zu retten. Mit polternder Ungeduld verlangte er die Zahlung der Rück- ſtände, berechnete Wucherzinſen für die Säumniß. Als der König die völlige Erſchöpfung der Finanzen einwendete und erzählte, wie er bereits ſeine Juwelen und ſein goldenes Tafelgeſchirr zur Deckung der Staats- ſchulden dahingegeben, da hieß es höhniſch: „welche erbärmlichen Mittel, wenn man unnütze Lager hält, Pferde ankauft und zweckloſe Ausgaben für das Heer macht!“
Um den Grollenden durch einen Beweis des Vertrauens zu beſchwich- tigen verlegte der König auf Weihnachten 1809 ſein Hoflager wieder nach Berlin, mitten zwiſchen die Garniſonen der Franzoſen. Wie oft waren einſt in den fridericianiſchen Zeiten die Victoria ſchmetternden Poſtillone
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I. 3. Preußens Erhebung.
die habsburgiſche Fremdherrſchaft an die Stelle der napoleoniſchen ge-
treten.
Der Mann aber, der an der großen Enttäuſchung die Hauptſchuld
trug, wurde ſchnell irr an der Klugheit ſeiner feinen Berechnungen. Ale-
xander fürchtete nichts ſo ſehr wie die Wiederherſtellung Polens durch Na-
poleon. Wenn Ihr daran denkt, ſagte er zu Caulaincourt, dann iſt die
Welt nicht groß genug um einen Ausgleich zwiſchen uns zu erlauben;
und wiederholt gab er dem franzöſiſchen Geſandten zu vernehmen: Ga-
lizien dürfe ſchlechterdings nur an Rußland fallen, wenn es nicht bei
Oeſterreich verbleibe. Nun mußte er erleben, daß Napoleon im Wiener
Frieden eigenmächtig das ganze Neugalizien, an anderthalb Millionen
Einwohner mit den wichtigen Plätzen Zamosc, Lublin und Krakau dem
Herzogthum Warſchau ſchenkte — lauter Gebiete, welche Rußland ſo-
eben erobert hatte und noch beſetzt hielt. Dem Czaren ſelber wurde blos
ein Brocken aus der Beute, der Landſtrich um Tarnopol, zugeworfen —
nur der Schande halber, nur damit die Welt ſehe, der Czar ſei doch
Frankreichs Verbündeter geweſen; nebenbei ſollte dies Danaergeſchenk den
Petersburger Hof mit dem Wiener gründlich verfeinden. Die Wiederauf-
richtung der alten polniſchen Krone rückte bedrohlich nahe; das Verhältniß
zwiſchen den Tilſiter Alliirten ward täglich kühler ſeit Napoleon den neuen
Freundſchaftsbund mit Oeſterreich geſchloſſen hatte. Alexander fühlte, daß
ihm ſelber ein Kampf um das Daſein bevorſtehe.
Zunächſt wurde Preußen ſtrenge zur Rechenſchaft gezogen für die
kriegeriſchen Abſichten des vergangenen Jahres. Nun der Imperator des
Hauſes Oeſterreich ſicher war, nahm er gar keine Rückſicht mehr. Er
kannte die geheimſten Gedanken des königlichen Hofes, theils durch die
Verrätherei der öſterreichiſchen Diplomaten, theils aus den Berichten ſeiner
eigenen Spione, und er hatte Grund zur Beſchwerde, da Preußen durch die
Einſtellung der Contributionszahlungen ſich ſelber ins Unrecht geſetzt hatte.
Wenn der König jetzt die ſchleſiſchen Güter des geächteten Braunſchweigers
confiscirte, ſo wußte Napoleon genau, daß dieſer Dienſteifer nur den
Zweck verfolgte die Beſitzungen des Welfen vor der franzöſiſchen Raubgier
zu retten. Mit polternder Ungeduld verlangte er die Zahlung der Rück-
ſtände, berechnete Wucherzinſen für die Säumniß. Als der König die
völlige Erſchöpfung der Finanzen einwendete und erzählte, wie er bereits
ſeine Juwelen und ſein goldenes Tafelgeſchirr zur Deckung der Staats-
ſchulden dahingegeben, da hieß es höhniſch: „welche erbärmlichen Mittel,
wenn man unnütze Lager hält, Pferde ankauft und zweckloſe Ausgaben
für das Heer macht!“
Um den Grollenden durch einen Beweis des Vertrauens zu beſchwich-
tigen verlegte der König auf Weihnachten 1809 ſein Hoflager wieder nach
Berlin, mitten zwiſchen die Garniſonen der Franzoſen. Wie oft waren
einſt in den fridericianiſchen Zeiten die Victoria ſchmetternden Poſtillone
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/366>, abgerufen am 09.11.2024.
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