Monarchen ein erschütternder Schlag: Königin Luise starb gebrochenen Herzens, sie schwand dahin wie die Blume, die des Lichts entbehrt. Ihre letzten Sorgen noch hatten dem Vaterlande gegolten, Hardenbergs Rück- kehr war zum guten Theile ihr Werk. Dem Wittwer blieb eine namen- lose Wehmuth im Herzen zurück; niemals konnte er der Entschlafenen vergessen, niemals hat er das volle freudige Gefühl der Lebenslust wiederge- funden. Das treue Volk trauerte mit ihm. So viel Raub, Hohn und Schmach hatte man ertragen; und nun war sie auch noch hingegangen, zu Tode gequält von dem rohen Sieger, die Holdeste und Edelste der deutschen Frauen! Die alte fromme Ehrfurcht der Germanen vor der Würde des Weibes ward wieder rege; mit schwärmerischer Andacht schaute dies romantische Geschlecht zu dem Bilde der Verklärten empor, und zu all den zornigen Gedanken, die der preußischen Jugend das Herz bewegten, gesellte sich jetzt noch der Entschluß den Schatten dieser hohen Frau zu rächen. Auf Aller Lippen war das stolze Wort, das sie einst in den Tagen der höchsten Noth gesprochen: "wir gehen unter mit Ehren, ge- achtet von Nationen, und werden ewig Freunde haben weil wir sie ver- dienen!"
Hardenberg hatte das sechzigste Lebensjahr bereits vollendet; er brachte freilich nicht die ungebrochene Lebenskraft, doch den zuversichtlichen Muth eines Jünglings mit in sein schweres Amt. Ein vornehmer Herr aus altem reichem Hause, wie Stein, war er von diesem durch Charakter, Lebensansicht, Bildungsgang weit geschieden. Die Schwächen des Einen lagen genau da wo der Andere seine Stärke zeigte, und nicht zufällig entstand allmählich zwischen den beiden Reformern jene Abneigung, die zuerst von Stein mit leidenschaftlicher Heftigkeit ausgesprochen, nachher von Hardenberg etwas gutmüthiger erwidert wurde. Weniger gründlich, aber vielseitiger gebildet als der Reichsritter hatte Hardenberg schon in seinen lockeren Studenten- und Reisejahren die Welt von allen Seiten her kennen gelernt, mit Menschen jeden Schlages, auch mit dem jungen Goethe, munter und geistreich verkehrt. Die Aufklärungsphilosophie des alten Jahrhunderts ergriff ihn weit stärker als jenen gläubigen Urgerma- nen; sein religiöses Gefühl blieb immer schwach, seine Duldsamkeit ehrlich und ohne Grenzen. Er sah das Leben an wie ein lustiger, feingebildeter Marquis der guten alten bourbonischen Zeit. Das Geld wollte zwischen seinen Fingern niemals haften; ein großes Vermögen war rasch durch- gebracht. Bis in das höchste Alter verfolgten ihn ärgerliche häusliche Händel und frivole Abenteuer mit schlechten Weibern. In seinem Auf- treten lag gar nichts von der überwältigenden Kraft und Großheit Steins; doch er war noch immer ein schöner Mann mit hellen, gütigen blauen Augen, mit einem herzgewinnenden Lächeln um den geistreichen Mund -- eine Erscheinung verführerisch für jede Frau, anmuthig und gewandt in allen Bewegungen, dabei immer heiter und harmlos witzig, ein Meister
Einverleibung der Nordſeeküſte.
Monarchen ein erſchütternder Schlag: Königin Luiſe ſtarb gebrochenen Herzens, ſie ſchwand dahin wie die Blume, die des Lichts entbehrt. Ihre letzten Sorgen noch hatten dem Vaterlande gegolten, Hardenbergs Rück- kehr war zum guten Theile ihr Werk. Dem Wittwer blieb eine namen- loſe Wehmuth im Herzen zurück; niemals konnte er der Entſchlafenen vergeſſen, niemals hat er das volle freudige Gefühl der Lebensluſt wiederge- funden. Das treue Volk trauerte mit ihm. So viel Raub, Hohn und Schmach hatte man ertragen; und nun war ſie auch noch hingegangen, zu Tode gequält von dem rohen Sieger, die Holdeſte und Edelſte der deutſchen Frauen! Die alte fromme Ehrfurcht der Germanen vor der Würde des Weibes ward wieder rege; mit ſchwärmeriſcher Andacht ſchaute dies romantiſche Geſchlecht zu dem Bilde der Verklärten empor, und zu all den zornigen Gedanken, die der preußiſchen Jugend das Herz bewegten, geſellte ſich jetzt noch der Entſchluß den Schatten dieſer hohen Frau zu rächen. Auf Aller Lippen war das ſtolze Wort, das ſie einſt in den Tagen der höchſten Noth geſprochen: „wir gehen unter mit Ehren, ge- achtet von Nationen, und werden ewig Freunde haben weil wir ſie ver- dienen!“
Hardenberg hatte das ſechzigſte Lebensjahr bereits vollendet; er brachte freilich nicht die ungebrochene Lebenskraft, doch den zuverſichtlichen Muth eines Jünglings mit in ſein ſchweres Amt. Ein vornehmer Herr aus altem reichem Hauſe, wie Stein, war er von dieſem durch Charakter, Lebensanſicht, Bildungsgang weit geſchieden. Die Schwächen des Einen lagen genau da wo der Andere ſeine Stärke zeigte, und nicht zufällig entſtand allmählich zwiſchen den beiden Reformern jene Abneigung, die zuerſt von Stein mit leidenſchaftlicher Heftigkeit ausgeſprochen, nachher von Hardenberg etwas gutmüthiger erwidert wurde. Weniger gründlich, aber vielſeitiger gebildet als der Reichsritter hatte Hardenberg ſchon in ſeinen lockeren Studenten- und Reiſejahren die Welt von allen Seiten her kennen gelernt, mit Menſchen jeden Schlages, auch mit dem jungen Goethe, munter und geiſtreich verkehrt. Die Aufklärungsphiloſophie des alten Jahrhunderts ergriff ihn weit ſtärker als jenen gläubigen Urgerma- nen; ſein religiöſes Gefühl blieb immer ſchwach, ſeine Duldſamkeit ehrlich und ohne Grenzen. Er ſah das Leben an wie ein luſtiger, feingebildeter Marquis der guten alten bourboniſchen Zeit. Das Geld wollte zwiſchen ſeinen Fingern niemals haften; ein großes Vermögen war raſch durch- gebracht. Bis in das höchſte Alter verfolgten ihn ärgerliche häusliche Händel und frivole Abenteuer mit ſchlechten Weibern. In ſeinem Auf- treten lag gar nichts von der überwältigenden Kraft und Großheit Steins; doch er war noch immer ein ſchöner Mann mit hellen, gütigen blauen Augen, mit einem herzgewinnenden Lächeln um den geiſtreichen Mund — eine Erſcheinung verführeriſch für jede Frau, anmuthig und gewandt in allen Bewegungen, dabei immer heiter und harmlos witzig, ein Meiſter
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Einverleibung der Nordſeeküſte.
Monarchen ein erſchütternder Schlag: Königin Luiſe ſtarb gebrochenen
Herzens, ſie ſchwand dahin wie die Blume, die des Lichts entbehrt. Ihre
letzten Sorgen noch hatten dem Vaterlande gegolten, Hardenbergs Rück-
kehr war zum guten Theile ihr Werk. Dem Wittwer blieb eine namen-
loſe Wehmuth im Herzen zurück; niemals konnte er der Entſchlafenen
vergeſſen, niemals hat er das volle freudige Gefühl der Lebensluſt wiederge-
funden. Das treue Volk trauerte mit ihm. So viel Raub, Hohn und
Schmach hatte man ertragen; und nun war ſie auch noch hingegangen,
zu Tode gequält von dem rohen Sieger, die Holdeſte und Edelſte der
deutſchen Frauen! Die alte fromme Ehrfurcht der Germanen vor der
Würde des Weibes ward wieder rege; mit ſchwärmeriſcher Andacht ſchaute
dies romantiſche Geſchlecht zu dem Bilde der Verklärten empor, und zu
all den zornigen Gedanken, die der preußiſchen Jugend das Herz bewegten,
geſellte ſich jetzt noch der Entſchluß den Schatten dieſer hohen Frau zu
rächen. Auf Aller Lippen war das ſtolze Wort, das ſie einſt in den
Tagen der höchſten Noth geſprochen: „wir gehen unter mit Ehren, ge-
achtet von Nationen, und werden ewig Freunde haben weil wir ſie ver-
dienen!“
Hardenberg hatte das ſechzigſte Lebensjahr bereits vollendet; er brachte
freilich nicht die ungebrochene Lebenskraft, doch den zuverſichtlichen Muth
eines Jünglings mit in ſein ſchweres Amt. Ein vornehmer Herr aus
altem reichem Hauſe, wie Stein, war er von dieſem durch Charakter,
Lebensanſicht, Bildungsgang weit geſchieden. Die Schwächen des Einen
lagen genau da wo der Andere ſeine Stärke zeigte, und nicht zufällig
entſtand allmählich zwiſchen den beiden Reformern jene Abneigung, die
zuerſt von Stein mit leidenſchaftlicher Heftigkeit ausgeſprochen, nachher
von Hardenberg etwas gutmüthiger erwidert wurde. Weniger gründlich,
aber vielſeitiger gebildet als der Reichsritter hatte Hardenberg ſchon in
ſeinen lockeren Studenten- und Reiſejahren die Welt von allen Seiten
her kennen gelernt, mit Menſchen jeden Schlages, auch mit dem jungen
Goethe, munter und geiſtreich verkehrt. Die Aufklärungsphiloſophie des
alten Jahrhunderts ergriff ihn weit ſtärker als jenen gläubigen Urgerma-
nen; ſein religiöſes Gefühl blieb immer ſchwach, ſeine Duldſamkeit ehrlich
und ohne Grenzen. Er ſah das Leben an wie ein luſtiger, feingebildeter
Marquis der guten alten bourboniſchen Zeit. Das Geld wollte zwiſchen
ſeinen Fingern niemals haften; ein großes Vermögen war raſch durch-
gebracht. Bis in das höchſte Alter verfolgten ihn ärgerliche häusliche
Händel und frivole Abenteuer mit ſchlechten Weibern. In ſeinem Auf-
treten lag gar nichts von der überwältigenden Kraft und Großheit Steins;
doch er war noch immer ein ſchöner Mann mit hellen, gütigen blauen
Augen, mit einem herzgewinnenden Lächeln um den geiſtreichen Mund —
eine Erſcheinung verführeriſch für jede Frau, anmuthig und gewandt in
allen Bewegungen, dabei immer heiter und harmlos witzig, ein Meiſter
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/381>, abgerufen am 22.11.2024.
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