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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 3. Preußens Erhebung.
in der Kunst die Menschen zu behandeln. Und diese bestrickende Liebens-
würdigkeit kam wirklich aus einem guten, menschenfreundlichen Herzen.
Durchaus wahr schildert er einmal sich selber in seinem Tagebuche: "ich
seufze über meine Schwächen, aber wenn sie Tadel verdienen, so tröste
und erhebe ich mich an dem Gefühle des Wohlwollens, das den Grund
meines Charakters bildet."*) Einen Jeden nahm er von der besten Seite,
dem Könige trat er mit einer ehrfurchtsvollen Zartheit entgegen, die dem
gebeugten Monarchen in tiefster Seele wohl that, und auch als mit den
Jahren seine unglückliche Taubheit zunahm blieb sein freundliches Herz
ganz frei von dem natürlichen Fehler der Schwerhörigen, dem Mißtrauen.
Wirklichen Haß hat er vielleicht nur gegen einen Menschen gehegt, gegen
Wilhelm Humboldt; der blieb ihm verdächtig, "falsch wie Galgenholz",
und niemals wollte er diesen sonderbaren Argwohn aufgeben, der irgend-
welche bisher unbekannte persönliche Gründe gehabt haben muß.

Die aristokratischen Vorurtheile seines hannoverschen Heimathlandes
berührten ihn wenig. Seinen Platz auf den Höhen der Gesellschaft nahm
er als ein selbstverständliches Recht in Anspruch, doch im täglichen Ver-
kehre liebte er eine plebejische Umgebung, worunter einzelne Talente, wie
Rother, aber noch mehr unwürdige Gesellen, die seine offene Hand miß-
brauchten; hier war er der Herr und konnte sich gehen lassen. Auch in
seinen politischen Ueberzeugungen verleugnete Hardenberg die Schule der
französischen Aufklärung nicht. Eine Nacht des vierten August für Preußen,
nicht durch die stürmischen Leidenschaften der Nation, sondern von oben
her durch den besonnenen Willen der Krone herbeigeführt -- das war
von jeher sein Herzenswunsch. In dem neuen Königreich Westphalen
fand er sein Staatsideal nahezu verwirklicht, nur daß in Preußen Alles
gerechter und ehrlicher zugehen sollte. Der echt deutsche Grundgedanke
des Stein'schen Reformwerkes, die Idee der Selbstverwaltung ließ ihn
immer kalt; ja er faßte mit den Jahren fast eine Abneigung dawider,
da er den erbitterten Gegnern seiner socialen Reformen, den märkischen
Junkern, die Fähigkeit zur Verwaltung des flachen Landes nicht zutraute.
Eine wohlgeordnete Bureaukratie, beschränkt und berathen durch eine nicht
allzu mächtige reichsständische Versammlung, sollte das freie Spiel der
entfesselten socialen Kräfte in Ordnung halten.

Hardenberg hatte zuerst im welfischen Staatsdienste, nachher in Fran-
ken jahrelang eine schwierige Landesverwaltung geleitet; sobald es ihm be-
hagte sich um die Geschäfte zu bekümmern, fand er sich rasch auf den
entlegensten Gebieten zurecht. Er arbeitete erstaunlich leicht; seine Ent-
scheidungen, die er mit klaren, eleganten Schriftzügen, in gewandtem, durch-
aus modernem Deutsch an den Rand der Akten schrieb, trafen immer den
Nagel auf den Kopf. Doch jene liebevolle Freude am Detail, die den großen

*) Journal de Hardenberg, zum Jahresanfang 1810.

I. 3. Preußens Erhebung.
in der Kunſt die Menſchen zu behandeln. Und dieſe beſtrickende Liebens-
würdigkeit kam wirklich aus einem guten, menſchenfreundlichen Herzen.
Durchaus wahr ſchildert er einmal ſich ſelber in ſeinem Tagebuche: „ich
ſeufze über meine Schwächen, aber wenn ſie Tadel verdienen, ſo tröſte
und erhebe ich mich an dem Gefühle des Wohlwollens, das den Grund
meines Charakters bildet.“*) Einen Jeden nahm er von der beſten Seite,
dem Könige trat er mit einer ehrfurchtsvollen Zartheit entgegen, die dem
gebeugten Monarchen in tiefſter Seele wohl that, und auch als mit den
Jahren ſeine unglückliche Taubheit zunahm blieb ſein freundliches Herz
ganz frei von dem natürlichen Fehler der Schwerhörigen, dem Mißtrauen.
Wirklichen Haß hat er vielleicht nur gegen einen Menſchen gehegt, gegen
Wilhelm Humboldt; der blieb ihm verdächtig, „falſch wie Galgenholz“,
und niemals wollte er dieſen ſonderbaren Argwohn aufgeben, der irgend-
welche bisher unbekannte perſönliche Gründe gehabt haben muß.

Die ariſtokratiſchen Vorurtheile ſeines hannoverſchen Heimathlandes
berührten ihn wenig. Seinen Platz auf den Höhen der Geſellſchaft nahm
er als ein ſelbſtverſtändliches Recht in Anſpruch, doch im täglichen Ver-
kehre liebte er eine plebejiſche Umgebung, worunter einzelne Talente, wie
Rother, aber noch mehr unwürdige Geſellen, die ſeine offene Hand miß-
brauchten; hier war er der Herr und konnte ſich gehen laſſen. Auch in
ſeinen politiſchen Ueberzeugungen verleugnete Hardenberg die Schule der
franzöſiſchen Aufklärung nicht. Eine Nacht des vierten Auguſt für Preußen,
nicht durch die ſtürmiſchen Leidenſchaften der Nation, ſondern von oben
her durch den beſonnenen Willen der Krone herbeigeführt — das war
von jeher ſein Herzenswunſch. In dem neuen Königreich Weſtphalen
fand er ſein Staatsideal nahezu verwirklicht, nur daß in Preußen Alles
gerechter und ehrlicher zugehen ſollte. Der echt deutſche Grundgedanke
des Stein’ſchen Reformwerkes, die Idee der Selbſtverwaltung ließ ihn
immer kalt; ja er faßte mit den Jahren faſt eine Abneigung dawider,
da er den erbitterten Gegnern ſeiner ſocialen Reformen, den märkiſchen
Junkern, die Fähigkeit zur Verwaltung des flachen Landes nicht zutraute.
Eine wohlgeordnete Bureaukratie, beſchränkt und berathen durch eine nicht
allzu mächtige reichsſtändiſche Verſammlung, ſollte das freie Spiel der
entfeſſelten ſocialen Kräfte in Ordnung halten.

Hardenberg hatte zuerſt im welfiſchen Staatsdienſte, nachher in Fran-
ken jahrelang eine ſchwierige Landesverwaltung geleitet; ſobald es ihm be-
hagte ſich um die Geſchäfte zu bekümmern, fand er ſich raſch auf den
entlegenſten Gebieten zurecht. Er arbeitete erſtaunlich leicht; ſeine Ent-
ſcheidungen, die er mit klaren, eleganten Schriftzügen, in gewandtem, durch-
aus modernem Deutſch an den Rand der Akten ſchrieb, trafen immer den
Nagel auf den Kopf. Doch jene liebevolle Freude am Detail, die den großen

*) Journal de Hardenberg, zum Jahresanfang 1810.
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[366/0382] I. 3. Preußens Erhebung. in der Kunſt die Menſchen zu behandeln. Und dieſe beſtrickende Liebens- würdigkeit kam wirklich aus einem guten, menſchenfreundlichen Herzen. Durchaus wahr ſchildert er einmal ſich ſelber in ſeinem Tagebuche: „ich ſeufze über meine Schwächen, aber wenn ſie Tadel verdienen, ſo tröſte und erhebe ich mich an dem Gefühle des Wohlwollens, das den Grund meines Charakters bildet.“ *) Einen Jeden nahm er von der beſten Seite, dem Könige trat er mit einer ehrfurchtsvollen Zartheit entgegen, die dem gebeugten Monarchen in tiefſter Seele wohl that, und auch als mit den Jahren ſeine unglückliche Taubheit zunahm blieb ſein freundliches Herz ganz frei von dem natürlichen Fehler der Schwerhörigen, dem Mißtrauen. Wirklichen Haß hat er vielleicht nur gegen einen Menſchen gehegt, gegen Wilhelm Humboldt; der blieb ihm verdächtig, „falſch wie Galgenholz“, und niemals wollte er dieſen ſonderbaren Argwohn aufgeben, der irgend- welche bisher unbekannte perſönliche Gründe gehabt haben muß. Die ariſtokratiſchen Vorurtheile ſeines hannoverſchen Heimathlandes berührten ihn wenig. Seinen Platz auf den Höhen der Geſellſchaft nahm er als ein ſelbſtverſtändliches Recht in Anſpruch, doch im täglichen Ver- kehre liebte er eine plebejiſche Umgebung, worunter einzelne Talente, wie Rother, aber noch mehr unwürdige Geſellen, die ſeine offene Hand miß- brauchten; hier war er der Herr und konnte ſich gehen laſſen. Auch in ſeinen politiſchen Ueberzeugungen verleugnete Hardenberg die Schule der franzöſiſchen Aufklärung nicht. Eine Nacht des vierten Auguſt für Preußen, nicht durch die ſtürmiſchen Leidenſchaften der Nation, ſondern von oben her durch den beſonnenen Willen der Krone herbeigeführt — das war von jeher ſein Herzenswunſch. In dem neuen Königreich Weſtphalen fand er ſein Staatsideal nahezu verwirklicht, nur daß in Preußen Alles gerechter und ehrlicher zugehen ſollte. Der echt deutſche Grundgedanke des Stein’ſchen Reformwerkes, die Idee der Selbſtverwaltung ließ ihn immer kalt; ja er faßte mit den Jahren faſt eine Abneigung dawider, da er den erbitterten Gegnern ſeiner ſocialen Reformen, den märkiſchen Junkern, die Fähigkeit zur Verwaltung des flachen Landes nicht zutraute. Eine wohlgeordnete Bureaukratie, beſchränkt und berathen durch eine nicht allzu mächtige reichsſtändiſche Verſammlung, ſollte das freie Spiel der entfeſſelten ſocialen Kräfte in Ordnung halten. Hardenberg hatte zuerſt im welfiſchen Staatsdienſte, nachher in Fran- ken jahrelang eine ſchwierige Landesverwaltung geleitet; ſobald es ihm be- hagte ſich um die Geſchäfte zu bekümmern, fand er ſich raſch auf den entlegenſten Gebieten zurecht. Er arbeitete erſtaunlich leicht; ſeine Ent- ſcheidungen, die er mit klaren, eleganten Schriftzügen, in gewandtem, durch- aus modernem Deutſch an den Rand der Akten ſchrieb, trafen immer den Nagel auf den Kopf. Doch jene liebevolle Freude am Detail, die den großen *) Journal de Hardenberg, zum Jahresanfang 1810.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/382>, abgerufen am 22.11.2024.