lutionäre Frankreich erst in zwei Jahren durchlaufen hätte -- ein Lob, das nachher in alle Geschichtswerke der Schlosser'schen Schule überge- gangen ist.
In Wahrheit war gerade die wichtigste der in Aussicht gestellten Re- formen, die gleichmäßige Besteuerung aller Stände, vorläufig nur ver- heißen, nicht erfüllt. Aber schon diese Verheißung genügte um die ganze feudale Partei in Aufruhr zu bringen. Der kurmärkische Adel hatte die Ernennung des Staatskanzlers Anfangs mit Freuden begrüßt, da man von Hardenberg erwartete, er werde die Uebereilungen Steins rückgängig machen. Sobald der neue Regent sein wahres Gesicht zeigte, brauste ein Sturm der Entrüstung durch die Kreise des Landadels, und Hardenberg wurde bald noch leidenschaftlicher angefeindet als vordem Stein. Eine Fluth von Beschwerden und Bitten wälzte sich an den Thron; "es giebt bei uns keine Hypotheken, es giebt bei uns kein Eigenthum mehr," klagte der Ostpreuße von Domhardt unter heftigen Verwünschungen gegen die neuen Nivelleurs und Jacobiner.*)
Das classische Land des alten Ständewesens blieb Brandenburg. Nirgends waren die ständischen Institutionen verrotteter, nirgends den Ständen theuerer. In den Augen dieses stolzen tapferen Adels galt der Pommer und der Schlesier noch als Ausländer. Noch einmal erhob sich der altständische Particularismus zu offener Fehde gegen die Rechtsgleichheit und Staatseinheit der Monarchie. Als sein Wortführer trat, so prall und patzig wie einst Konrad von Burgsdorff wider den großen Kurfürsten, der Freiherr von der Marwitz auf den Plan -- das Urbild des brandenburgischen Junkers, einer der tapfersten Offiziere und der tollste Reiter der Armee, grob, schroff und knorrig, ein grunddeutscher Mann von scharfem Ver- stande und unbändigem Freimuth, voll feuriger Vaterlandsliebe aber auch voll harter Vorurtheile, so naiv in seinem Standesstolze, daß er an die rechtliche Meinung eines Gegners kaum je zu glauben vermochte. Seit Langem schon lag er in heftigem Streite mit der Potsdamer Regierung, weil diese dem brandenburgischen Landtage einen Theil seiner ständischen Verwaltung, namentlich das verwahrloste Landarmenwesen abnehmen wollte; man mußte endlich die Landarmenkasse gewaltsam aufbrechen und nach Potsdam entführen, der trotzige Mann gab die Schlüssel nicht heraus. Die neuen Steuerpläne erschienen ihm als ein frevelhafter Bruch des alten Landesrechts, das in dem kurbrandenburgischen Landtags-Receß von 1653 verbrieft und versiegelt war. Unablässig bestürmten die Ritter den Staatskanzler mit Protesten und Rechtsverwahrungen, bald Einzelne allein, bald ganze Landschaften, doch Niemand häufiger und lauter als die Stände der Lande Lebus, Beeskow und Storkow, wo Marwitz hauste. Auch der
*) Eingabe v. 4. Dec. 1810. Aehnliche Eingaben aus Altpreußen von v. Hülsen, v. Brederlow u. A.
I. 3. Preußens Erhebung.
lutionäre Frankreich erſt in zwei Jahren durchlaufen hätte — ein Lob, das nachher in alle Geſchichtswerke der Schloſſer’ſchen Schule überge- gangen iſt.
In Wahrheit war gerade die wichtigſte der in Ausſicht geſtellten Re- formen, die gleichmäßige Beſteuerung aller Stände, vorläufig nur ver- heißen, nicht erfüllt. Aber ſchon dieſe Verheißung genügte um die ganze feudale Partei in Aufruhr zu bringen. Der kurmärkiſche Adel hatte die Ernennung des Staatskanzlers Anfangs mit Freuden begrüßt, da man von Hardenberg erwartete, er werde die Uebereilungen Steins rückgängig machen. Sobald der neue Regent ſein wahres Geſicht zeigte, brauſte ein Sturm der Entrüſtung durch die Kreiſe des Landadels, und Hardenberg wurde bald noch leidenſchaftlicher angefeindet als vordem Stein. Eine Fluth von Beſchwerden und Bitten wälzte ſich an den Thron; „es giebt bei uns keine Hypotheken, es giebt bei uns kein Eigenthum mehr,“ klagte der Oſtpreuße von Domhardt unter heftigen Verwünſchungen gegen die neuen Nivelleurs und Jacobiner.*)
Das claſſiſche Land des alten Ständeweſens blieb Brandenburg. Nirgends waren die ſtändiſchen Inſtitutionen verrotteter, nirgends den Ständen theuerer. In den Augen dieſes ſtolzen tapferen Adels galt der Pommer und der Schleſier noch als Ausländer. Noch einmal erhob ſich der altſtändiſche Particularismus zu offener Fehde gegen die Rechtsgleichheit und Staatseinheit der Monarchie. Als ſein Wortführer trat, ſo prall und patzig wie einſt Konrad von Burgsdorff wider den großen Kurfürſten, der Freiherr von der Marwitz auf den Plan — das Urbild des brandenburgiſchen Junkers, einer der tapferſten Offiziere und der tollſte Reiter der Armee, grob, ſchroff und knorrig, ein grunddeutſcher Mann von ſcharfem Ver- ſtande und unbändigem Freimuth, voll feuriger Vaterlandsliebe aber auch voll harter Vorurtheile, ſo naiv in ſeinem Standesſtolze, daß er an die rechtliche Meinung eines Gegners kaum je zu glauben vermochte. Seit Langem ſchon lag er in heftigem Streite mit der Potsdamer Regierung, weil dieſe dem brandenburgiſchen Landtage einen Theil ſeiner ſtändiſchen Verwaltung, namentlich das verwahrloſte Landarmenweſen abnehmen wollte; man mußte endlich die Landarmenkaſſe gewaltſam aufbrechen und nach Potsdam entführen, der trotzige Mann gab die Schlüſſel nicht heraus. Die neuen Steuerpläne erſchienen ihm als ein frevelhafter Bruch des alten Landesrechts, das in dem kurbrandenburgiſchen Landtags-Receß von 1653 verbrieft und verſiegelt war. Unabläſſig beſtürmten die Ritter den Staatskanzler mit Proteſten und Rechtsverwahrungen, bald Einzelne allein, bald ganze Landſchaften, doch Niemand häufiger und lauter als die Stände der Lande Lebus, Beeskow und Storkow, wo Marwitz hauſte. Auch der
*) Eingabe v. 4. Dec. 1810. Aehnliche Eingaben aus Altpreußen von v. Hülſen, v. Brederlow u. A.
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I. 3. Preußens Erhebung.
lutionäre Frankreich erſt in zwei Jahren durchlaufen hätte — ein Lob,
das nachher in alle Geſchichtswerke der Schloſſer’ſchen Schule überge-
gangen iſt.
In Wahrheit war gerade die wichtigſte der in Ausſicht geſtellten Re-
formen, die gleichmäßige Beſteuerung aller Stände, vorläufig nur ver-
heißen, nicht erfüllt. Aber ſchon dieſe Verheißung genügte um die ganze
feudale Partei in Aufruhr zu bringen. Der kurmärkiſche Adel hatte die
Ernennung des Staatskanzlers Anfangs mit Freuden begrüßt, da man
von Hardenberg erwartete, er werde die Uebereilungen Steins rückgängig
machen. Sobald der neue Regent ſein wahres Geſicht zeigte, brauſte ein
Sturm der Entrüſtung durch die Kreiſe des Landadels, und Hardenberg
wurde bald noch leidenſchaftlicher angefeindet als vordem Stein. Eine
Fluth von Beſchwerden und Bitten wälzte ſich an den Thron; „es giebt
bei uns keine Hypotheken, es giebt bei uns kein Eigenthum mehr,“ klagte
der Oſtpreuße von Domhardt unter heftigen Verwünſchungen gegen die
neuen Nivelleurs und Jacobiner. *)
Das claſſiſche Land des alten Ständeweſens blieb Brandenburg.
Nirgends waren die ſtändiſchen Inſtitutionen verrotteter, nirgends den
Ständen theuerer. In den Augen dieſes ſtolzen tapferen Adels galt der
Pommer und der Schleſier noch als Ausländer. Noch einmal erhob ſich der
altſtändiſche Particularismus zu offener Fehde gegen die Rechtsgleichheit und
Staatseinheit der Monarchie. Als ſein Wortführer trat, ſo prall und patzig
wie einſt Konrad von Burgsdorff wider den großen Kurfürſten, der Freiherr
von der Marwitz auf den Plan — das Urbild des brandenburgiſchen
Junkers, einer der tapferſten Offiziere und der tollſte Reiter der Armee,
grob, ſchroff und knorrig, ein grunddeutſcher Mann von ſcharfem Ver-
ſtande und unbändigem Freimuth, voll feuriger Vaterlandsliebe aber auch
voll harter Vorurtheile, ſo naiv in ſeinem Standesſtolze, daß er an die
rechtliche Meinung eines Gegners kaum je zu glauben vermochte. Seit
Langem ſchon lag er in heftigem Streite mit der Potsdamer Regierung,
weil dieſe dem brandenburgiſchen Landtage einen Theil ſeiner ſtändiſchen
Verwaltung, namentlich das verwahrloſte Landarmenweſen abnehmen
wollte; man mußte endlich die Landarmenkaſſe gewaltſam aufbrechen und
nach Potsdam entführen, der trotzige Mann gab die Schlüſſel nicht heraus.
Die neuen Steuerpläne erſchienen ihm als ein frevelhafter Bruch des
alten Landesrechts, das in dem kurbrandenburgiſchen Landtags-Receß von
1653 verbrieft und verſiegelt war. Unabläſſig beſtürmten die Ritter den
Staatskanzler mit Proteſten und Rechtsverwahrungen, bald Einzelne allein,
bald ganze Landſchaften, doch Niemand häufiger und lauter als die Stände
der Lande Lebus, Beeskow und Storkow, wo Marwitz hauſte. Auch der
*) Eingabe v. 4. Dec. 1810. Aehnliche Eingaben aus Altpreußen von v. Hülſen,
v. Brederlow u. A.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/388>, abgerufen am 22.11.2024.
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