lands. Der partikularistische Dünkel, die Ueberhebung des Nachbarn über den nachbarlichen Stammgenossen trat nirgends trotziger auf als in den deutschen Provinzen ausländischer Fürsten. Mit Stolz pries der Holste seinen Danebrog; der Stralsunder freute sich des Schlachtenruhmes der drei Kronen und bemitleidete den brandenburgischen Pommern, dessen Landesherr nur einen deutschen Kurhut trug; die Nachkommen der Er- oberer des Weichsellandes, die stolzen Geschlechter der Hutten, Oppen, Rosenberg nahmen polnische Namen an und spotteten, froh der sarmatischen Adelsfreiheit, über den märkischen Despotismus im Herzogthum Preußen.
Dabei lebt in dem thatenfrohen Volke unversieglich die alte abenteuernde Wanderlust. Ungezählte Schaaren deutscher Reisläufer strömen in alle Lande, drei volle Jahrhunderte hindurch, solange das Söldnerwesen blüht. Deutsche Hiebe klingen auf jedem Schlachtfelde Europas, vor den Mauern von Athen wie auf Irlands grüner Insel. Die Fahnen Frankreichs, Schwedens, Hollands und der kaum minder undeutsche kaiserliche Dienst gelten für adlicher als das öde Einerlei des heimischen Garnisonlebens; auf dem Sterbebette ermahnt der alte deutsche Degenknopf seine Söhne, dem Wappenschilde des Hauses Ruhm und Reichthum zu erwerben im Dienste fremder Kronen. Die deutschen Regimenter Bernhards von Weimar bildeten den Kern jener unüberwind- lichen Heere, welche Turenne und Conde zum Siege führten; nur in deutscher Schule lernten die Nachbarn uns zu schlagen. Und dazu die lange Reihe deutscher Staatsmänner, Aerzte, Gelehrten und Kaufleute in der Fremde: kraftvolle Wildlinge vom deutschen Stamme und allesammt ver- loren für das Vaterland. Ein unheimlich großartiger Anblick: diese titanische Ueberkraft eines von den Fremden getretenen Volkes. Jede Darstellung unserer Geschichte bleibt Stückwerk, wenn sie dies über die weite Welt verzweigte Wirken deutschen Geistes und deutscher Waffen nicht würdigt. Um dieselbe Zeit, da Frankreich die Westmarken des heiligen Reiches eroberte, schuf Peter der Große durch deutsche Kräfte den neuen russischen Staat. Auch die Fürstenhäuser wurden von dem nationalen Wandertriebe ergriffen; jeder ehrgeizige deutsche Hof trachtete nach fremden Thronen, und das Kaiserhaus begünstigte dies Bestreben um lästige Nebenbuhler aus dem Reiche zu entfernen. Endlich fielen alle Kronen Europas, allein Piemont und die bourbonischen Staaten aus- genommen, in die Hände deutscher Fürstengeschlechter; aber diese glänzende Herrenstellung unseres hohen Adels verstärkte nur das Gewicht der cen- trifugalen Kräfte im Reiche, kettete den deutschen Staat nur um so fester an den Willen des Auslands.
Ueber diesem verrotteten Gemeinwesen lag der Zauber einer tausend- jährigen Geschichte. Eine niemals unterbrochene Ueberlieferung verband das Heute mit dem Gestern. Der Kenner der Reichsgeschichte war zugleich ein kundiger Rath für die Rechtshändel der Gegenwart; wenn der junge
Deutſches Weltbürgerthum.
lands. Der partikulariſtiſche Dünkel, die Ueberhebung des Nachbarn über den nachbarlichen Stammgenoſſen trat nirgends trotziger auf als in den deutſchen Provinzen ausländiſcher Fürſten. Mit Stolz pries der Holſte ſeinen Danebrog; der Stralſunder freute ſich des Schlachtenruhmes der drei Kronen und bemitleidete den brandenburgiſchen Pommern, deſſen Landesherr nur einen deutſchen Kurhut trug; die Nachkommen der Er- oberer des Weichſellandes, die ſtolzen Geſchlechter der Hutten, Oppen, Roſenberg nahmen polniſche Namen an und ſpotteten, froh der ſarmatiſchen Adelsfreiheit, über den märkiſchen Despotismus im Herzogthum Preußen.
Dabei lebt in dem thatenfrohen Volke unverſieglich die alte abenteuernde Wanderluſt. Ungezählte Schaaren deutſcher Reisläufer ſtrömen in alle Lande, drei volle Jahrhunderte hindurch, ſolange das Söldnerweſen blüht. Deutſche Hiebe klingen auf jedem Schlachtfelde Europas, vor den Mauern von Athen wie auf Irlands grüner Inſel. Die Fahnen Frankreichs, Schwedens, Hollands und der kaum minder undeutſche kaiſerliche Dienſt gelten für adlicher als das öde Einerlei des heimiſchen Garniſonlebens; auf dem Sterbebette ermahnt der alte deutſche Degenknopf ſeine Söhne, dem Wappenſchilde des Hauſes Ruhm und Reichthum zu erwerben im Dienſte fremder Kronen. Die deutſchen Regimenter Bernhards von Weimar bildeten den Kern jener unüberwind- lichen Heere, welche Turenne und Condé zum Siege führten; nur in deutſcher Schule lernten die Nachbarn uns zu ſchlagen. Und dazu die lange Reihe deutſcher Staatsmänner, Aerzte, Gelehrten und Kaufleute in der Fremde: kraftvolle Wildlinge vom deutſchen Stamme und alleſammt ver- loren für das Vaterland. Ein unheimlich großartiger Anblick: dieſe titaniſche Ueberkraft eines von den Fremden getretenen Volkes. Jede Darſtellung unſerer Geſchichte bleibt Stückwerk, wenn ſie dies über die weite Welt verzweigte Wirken deutſchen Geiſtes und deutſcher Waffen nicht würdigt. Um dieſelbe Zeit, da Frankreich die Weſtmarken des heiligen Reiches eroberte, ſchuf Peter der Große durch deutſche Kräfte den neuen ruſſiſchen Staat. Auch die Fürſtenhäuſer wurden von dem nationalen Wandertriebe ergriffen; jeder ehrgeizige deutſche Hof trachtete nach fremden Thronen, und das Kaiſerhaus begünſtigte dies Beſtreben um läſtige Nebenbuhler aus dem Reiche zu entfernen. Endlich fielen alle Kronen Europas, allein Piemont und die bourboniſchen Staaten aus- genommen, in die Hände deutſcher Fürſtengeſchlechter; aber dieſe glänzende Herrenſtellung unſeres hohen Adels verſtärkte nur das Gewicht der cen- trifugalen Kräfte im Reiche, kettete den deutſchen Staat nur um ſo feſter an den Willen des Auslands.
Ueber dieſem verrotteten Gemeinweſen lag der Zauber einer tauſend- jährigen Geſchichte. Eine niemals unterbrochene Ueberlieferung verband das Heute mit dem Geſtern. Der Kenner der Reichsgeſchichte war zugleich ein kundiger Rath für die Rechtshändel der Gegenwart; wenn der junge
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Deutſches Weltbürgerthum.
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den nachbarlichen Stammgenoſſen trat nirgends trotziger auf als in den
deutſchen Provinzen ausländiſcher Fürſten. Mit Stolz pries der Holſte
ſeinen Danebrog; der Stralſunder freute ſich des Schlachtenruhmes der
drei Kronen und bemitleidete den brandenburgiſchen Pommern, deſſen
Landesherr nur einen deutſchen Kurhut trug; die Nachkommen der Er-
oberer des Weichſellandes, die ſtolzen Geſchlechter der Hutten, Oppen,
Roſenberg nahmen polniſche Namen an und ſpotteten, froh der ſarmatiſchen
Adelsfreiheit, über den märkiſchen Despotismus im Herzogthum Preußen.
Dabei lebt in dem thatenfrohen Volke unverſieglich die alte
abenteuernde Wanderluſt. Ungezählte Schaaren deutſcher Reisläufer
ſtrömen in alle Lande, drei volle Jahrhunderte hindurch, ſolange das
Söldnerweſen blüht. Deutſche Hiebe klingen auf jedem Schlachtfelde
Europas, vor den Mauern von Athen wie auf Irlands grüner Inſel.
Die Fahnen Frankreichs, Schwedens, Hollands und der kaum minder
undeutſche kaiſerliche Dienſt gelten für adlicher als das öde Einerlei des
heimiſchen Garniſonlebens; auf dem Sterbebette ermahnt der alte deutſche
Degenknopf ſeine Söhne, dem Wappenſchilde des Hauſes Ruhm und
Reichthum zu erwerben im Dienſte fremder Kronen. Die deutſchen
Regimenter Bernhards von Weimar bildeten den Kern jener unüberwind-
lichen Heere, welche Turenne und Condé zum Siege führten; nur in
deutſcher Schule lernten die Nachbarn uns zu ſchlagen. Und dazu die lange
Reihe deutſcher Staatsmänner, Aerzte, Gelehrten und Kaufleute in der
Fremde: kraftvolle Wildlinge vom deutſchen Stamme und alleſammt ver-
loren für das Vaterland. Ein unheimlich großartiger Anblick: dieſe
titaniſche Ueberkraft eines von den Fremden getretenen Volkes. Jede
Darſtellung unſerer Geſchichte bleibt Stückwerk, wenn ſie dies über die
weite Welt verzweigte Wirken deutſchen Geiſtes und deutſcher Waffen
nicht würdigt. Um dieſelbe Zeit, da Frankreich die Weſtmarken des
heiligen Reiches eroberte, ſchuf Peter der Große durch deutſche Kräfte
den neuen ruſſiſchen Staat. Auch die Fürſtenhäuſer wurden von dem
nationalen Wandertriebe ergriffen; jeder ehrgeizige deutſche Hof trachtete
nach fremden Thronen, und das Kaiſerhaus begünſtigte dies Beſtreben
um läſtige Nebenbuhler aus dem Reiche zu entfernen. Endlich fielen
alle Kronen Europas, allein Piemont und die bourboniſchen Staaten aus-
genommen, in die Hände deutſcher Fürſtengeſchlechter; aber dieſe glänzende
Herrenſtellung unſeres hohen Adels verſtärkte nur das Gewicht der cen-
trifugalen Kräfte im Reiche, kettete den deutſchen Staat nur um ſo feſter
an den Willen des Auslands.
Ueber dieſem verrotteten Gemeinweſen lag der Zauber einer tauſend-
jährigen Geſchichte. Eine niemals unterbrochene Ueberlieferung verband
das Heute mit dem Geſtern. Der Kenner der Reichsgeſchichte war zugleich
ein kundiger Rath für die Rechtshändel der Gegenwart; wenn der junge
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/39>, abgerufen am 21.11.2024.
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