auch die Gesetze, welche Hardenberg den Landesdeputirten vorlegte, waren zum Theil schon vollendete Thatsachen.
Der Staatskanzler versammelte die Deputirten in seiner Wohnung und begrüßte sie sogleich in der väterlichen Weise des alten Absolutismus: wie ein guter Vater von seinen Kindern so verlange der König von seinem geliebten Volke nicht blinden Gehorsam, sondern freie Zustimmung zu seinen wohlthätigen Befehlen. Darauf wurden vier Abtheilungen ge- bildet, unter dem Vorsitze der vier anwesenden Regierungspräsidenten; jede berieth für sich, schickte ihre Protokolle an Hardenberg, der dann nach Belieben noch einzelne Mitglieder zu sich berief und endlich dem Monarchen Bericht erstattete. Die Verhandlungen erschienen wie eine vertrauliche Besprechung mit der Person des höchsten Beamten, und doch wurden sie dem Staatskanzler bald sehr unbequem. Eine ganze Welt von bedrohten wirthschaftlichen und örtlichen Interessen erhob sich aufge- scheucht; gerechte und ungerechte Klagen schwirrten hin und her; keine Spur einer Parteibildung, nur ein krauses Durcheinander von Lands- mannschaften und ständischen Gruppen. Ueber die Härte der neuen Mahl- steuer waren die Vertreter des flachen Landes einig; die beabsichtigte Con- solidation der Kriegsschulden rief stürmischen Widerspruch hervor, da die Kurmark tief verschuldet war, während Altpreußen einen großen Theil seiner Kriegslasten durch Steuern gedeckt hatte.
Am Lautesten lärmten die Vertreter der Ritterschaft; sie waren ver- traut mit der neuen englischen Theorie, wornach die Grundsteuer den Charakter einer Rente trug, behaupteten steif und fest, die geplante Aus- gleichung der Grundsteuer sei offenbarer Raub. Neben dem ehrlichen Rechtsgefühle spielte auch die nackte Selbstsucht mit; dieselbe kurmärkische Landschaft, deren Redner so zäh an dem Rechtsboden ihrer alten Frei- heitsbriefe festhielten, stellte dem Staatskanzler unbedenklich die Zumu- thung: es sollten die Klagen ihrer Gläubiger durch einen königlichen Machtbefehl vorläufig eingestellt werden!*) Währenddem rückten die un- aufhaltsamen Stände von Lebus, Beeskow und Storkow mit einer neuen Verwahrung ihrer "vertragsmäßigen Exemtionen und Freiheiten" heran. Mit groben, unziemlichen Worten betheuerten sie, durch die neuen Ge- setze werde das Grundgesetz des Staates vernichtet, und fragten, ob man das alte ehrliche brandenburgische Preußen in einen neumodischen Juden- staat verwandeln wolle. Unter den Unterzeichnern stand Marwitz natür- lich obenan; neben ihm der alte Graf Finkenstein, einer jener pflichtge- treuen Richter, welche bei dem Processe des Müllers Arnold die unverdiente Ungnade König Friedrichs erfahren hatten. Dem Staatskanzler riß jetzt die Geduld; er ließ die beiden ersten Unterzeichner ohne Urtheil und Recht nach Spandau auf die Festung bringen. Am 16. September schloß
*) Eingabe der kurmärkischen Landschaft v. 10. Oct. 1810.
I. 3. Preußens Erhebung.
auch die Geſetze, welche Hardenberg den Landesdeputirten vorlegte, waren zum Theil ſchon vollendete Thatſachen.
Der Staatskanzler verſammelte die Deputirten in ſeiner Wohnung und begrüßte ſie ſogleich in der väterlichen Weiſe des alten Abſolutismus: wie ein guter Vater von ſeinen Kindern ſo verlange der König von ſeinem geliebten Volke nicht blinden Gehorſam, ſondern freie Zuſtimmung zu ſeinen wohlthätigen Befehlen. Darauf wurden vier Abtheilungen ge- bildet, unter dem Vorſitze der vier anweſenden Regierungspräſidenten; jede berieth für ſich, ſchickte ihre Protokolle an Hardenberg, der dann nach Belieben noch einzelne Mitglieder zu ſich berief und endlich dem Monarchen Bericht erſtattete. Die Verhandlungen erſchienen wie eine vertrauliche Beſprechung mit der Perſon des höchſten Beamten, und doch wurden ſie dem Staatskanzler bald ſehr unbequem. Eine ganze Welt von bedrohten wirthſchaftlichen und örtlichen Intereſſen erhob ſich aufge- ſcheucht; gerechte und ungerechte Klagen ſchwirrten hin und her; keine Spur einer Parteibildung, nur ein krauſes Durcheinander von Lands- mannſchaften und ſtändiſchen Gruppen. Ueber die Härte der neuen Mahl- ſteuer waren die Vertreter des flachen Landes einig; die beabſichtigte Con- ſolidation der Kriegsſchulden rief ſtürmiſchen Widerſpruch hervor, da die Kurmark tief verſchuldet war, während Altpreußen einen großen Theil ſeiner Kriegslaſten durch Steuern gedeckt hatte.
Am Lauteſten lärmten die Vertreter der Ritterſchaft; ſie waren ver- traut mit der neuen engliſchen Theorie, wornach die Grundſteuer den Charakter einer Rente trug, behaupteten ſteif und feſt, die geplante Aus- gleichung der Grundſteuer ſei offenbarer Raub. Neben dem ehrlichen Rechtsgefühle ſpielte auch die nackte Selbſtſucht mit; dieſelbe kurmärkiſche Landſchaft, deren Redner ſo zäh an dem Rechtsboden ihrer alten Frei- heitsbriefe feſthielten, ſtellte dem Staatskanzler unbedenklich die Zumu- thung: es ſollten die Klagen ihrer Gläubiger durch einen königlichen Machtbefehl vorläufig eingeſtellt werden!*) Währenddem rückten die un- aufhaltſamen Stände von Lebus, Beeskow und Storkow mit einer neuen Verwahrung ihrer „vertragsmäßigen Exemtionen und Freiheiten“ heran. Mit groben, unziemlichen Worten betheuerten ſie, durch die neuen Ge- ſetze werde das Grundgeſetz des Staates vernichtet, und fragten, ob man das alte ehrliche brandenburgiſche Preußen in einen neumodiſchen Juden- ſtaat verwandeln wolle. Unter den Unterzeichnern ſtand Marwitz natür- lich obenan; neben ihm der alte Graf Finkenſtein, einer jener pflichtge- treuen Richter, welche bei dem Proceſſe des Müllers Arnold die unverdiente Ungnade König Friedrichs erfahren hatten. Dem Staatskanzler riß jetzt die Geduld; er ließ die beiden erſten Unterzeichner ohne Urtheil und Recht nach Spandau auf die Feſtung bringen. Am 16. September ſchloß
*) Eingabe der kurmärkiſchen Landſchaft v. 10. Oct. 1810.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0390"n="374"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">I.</hi> 3. Preußens Erhebung.</fw><lb/>
auch die Geſetze, welche Hardenberg den Landesdeputirten vorlegte, waren<lb/>
zum Theil ſchon vollendete Thatſachen.</p><lb/><p>Der Staatskanzler verſammelte die Deputirten in ſeiner Wohnung<lb/>
und begrüßte ſie ſogleich in der väterlichen Weiſe des alten Abſolutismus:<lb/>
wie ein guter Vater von ſeinen Kindern ſo verlange der König von ſeinem<lb/>
geliebten Volke nicht blinden Gehorſam, ſondern freie Zuſtimmung zu<lb/>ſeinen wohlthätigen Befehlen. Darauf wurden vier Abtheilungen ge-<lb/>
bildet, unter dem Vorſitze der vier anweſenden Regierungspräſidenten;<lb/>
jede berieth für ſich, ſchickte ihre Protokolle an Hardenberg, der dann<lb/>
nach Belieben noch einzelne Mitglieder zu ſich berief und endlich dem<lb/>
Monarchen Bericht erſtattete. Die Verhandlungen erſchienen wie eine<lb/>
vertrauliche Beſprechung mit der Perſon des höchſten Beamten, und doch<lb/>
wurden ſie dem Staatskanzler bald ſehr unbequem. Eine ganze Welt<lb/>
von bedrohten wirthſchaftlichen und örtlichen Intereſſen erhob ſich aufge-<lb/>ſcheucht; gerechte und ungerechte Klagen ſchwirrten hin und her; keine<lb/>
Spur einer Parteibildung, nur ein krauſes Durcheinander von Lands-<lb/>
mannſchaften und ſtändiſchen Gruppen. Ueber die Härte der neuen Mahl-<lb/>ſteuer waren die Vertreter des flachen Landes einig; die beabſichtigte Con-<lb/>ſolidation der Kriegsſchulden rief ſtürmiſchen Widerſpruch hervor, da die<lb/>
Kurmark tief verſchuldet war, während Altpreußen einen großen Theil<lb/>ſeiner Kriegslaſten durch Steuern gedeckt hatte.</p><lb/><p>Am Lauteſten lärmten die Vertreter der Ritterſchaft; ſie waren ver-<lb/>
traut mit der neuen engliſchen Theorie, wornach die Grundſteuer den<lb/>
Charakter einer Rente trug, behaupteten ſteif und feſt, die geplante Aus-<lb/>
gleichung der Grundſteuer ſei offenbarer Raub. Neben dem ehrlichen<lb/>
Rechtsgefühle ſpielte auch die nackte Selbſtſucht mit; dieſelbe kurmärkiſche<lb/>
Landſchaft, deren Redner ſo zäh an dem Rechtsboden ihrer alten Frei-<lb/>
heitsbriefe feſthielten, ſtellte dem Staatskanzler unbedenklich die Zumu-<lb/>
thung: es ſollten die Klagen ihrer Gläubiger durch einen königlichen<lb/>
Machtbefehl vorläufig eingeſtellt werden!<noteplace="foot"n="*)">Eingabe der kurmärkiſchen Landſchaft v. 10. Oct. 1810.</note> Währenddem rückten die un-<lb/>
aufhaltſamen Stände von Lebus, Beeskow und Storkow mit einer neuen<lb/>
Verwahrung ihrer „vertragsmäßigen Exemtionen und Freiheiten“ heran.<lb/>
Mit groben, unziemlichen Worten betheuerten ſie, durch die neuen Ge-<lb/>ſetze werde das Grundgeſetz des Staates vernichtet, und fragten, ob man<lb/>
das alte ehrliche brandenburgiſche Preußen in einen neumodiſchen Juden-<lb/>ſtaat verwandeln wolle. Unter den Unterzeichnern ſtand Marwitz natür-<lb/>
lich obenan; neben ihm der alte Graf Finkenſtein, einer jener pflichtge-<lb/>
treuen Richter, welche bei dem Proceſſe des Müllers Arnold die unverdiente<lb/>
Ungnade König Friedrichs erfahren hatten. Dem Staatskanzler riß<lb/>
jetzt die Geduld; er ließ die beiden erſten Unterzeichner ohne Urtheil und<lb/>
Recht nach Spandau auf die Feſtung bringen. Am 16. September ſchloß<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[374/0390]
I. 3. Preußens Erhebung.
auch die Geſetze, welche Hardenberg den Landesdeputirten vorlegte, waren
zum Theil ſchon vollendete Thatſachen.
Der Staatskanzler verſammelte die Deputirten in ſeiner Wohnung
und begrüßte ſie ſogleich in der väterlichen Weiſe des alten Abſolutismus:
wie ein guter Vater von ſeinen Kindern ſo verlange der König von ſeinem
geliebten Volke nicht blinden Gehorſam, ſondern freie Zuſtimmung zu
ſeinen wohlthätigen Befehlen. Darauf wurden vier Abtheilungen ge-
bildet, unter dem Vorſitze der vier anweſenden Regierungspräſidenten;
jede berieth für ſich, ſchickte ihre Protokolle an Hardenberg, der dann
nach Belieben noch einzelne Mitglieder zu ſich berief und endlich dem
Monarchen Bericht erſtattete. Die Verhandlungen erſchienen wie eine
vertrauliche Beſprechung mit der Perſon des höchſten Beamten, und doch
wurden ſie dem Staatskanzler bald ſehr unbequem. Eine ganze Welt
von bedrohten wirthſchaftlichen und örtlichen Intereſſen erhob ſich aufge-
ſcheucht; gerechte und ungerechte Klagen ſchwirrten hin und her; keine
Spur einer Parteibildung, nur ein krauſes Durcheinander von Lands-
mannſchaften und ſtändiſchen Gruppen. Ueber die Härte der neuen Mahl-
ſteuer waren die Vertreter des flachen Landes einig; die beabſichtigte Con-
ſolidation der Kriegsſchulden rief ſtürmiſchen Widerſpruch hervor, da die
Kurmark tief verſchuldet war, während Altpreußen einen großen Theil
ſeiner Kriegslaſten durch Steuern gedeckt hatte.
Am Lauteſten lärmten die Vertreter der Ritterſchaft; ſie waren ver-
traut mit der neuen engliſchen Theorie, wornach die Grundſteuer den
Charakter einer Rente trug, behaupteten ſteif und feſt, die geplante Aus-
gleichung der Grundſteuer ſei offenbarer Raub. Neben dem ehrlichen
Rechtsgefühle ſpielte auch die nackte Selbſtſucht mit; dieſelbe kurmärkiſche
Landſchaft, deren Redner ſo zäh an dem Rechtsboden ihrer alten Frei-
heitsbriefe feſthielten, ſtellte dem Staatskanzler unbedenklich die Zumu-
thung: es ſollten die Klagen ihrer Gläubiger durch einen königlichen
Machtbefehl vorläufig eingeſtellt werden! *) Währenddem rückten die un-
aufhaltſamen Stände von Lebus, Beeskow und Storkow mit einer neuen
Verwahrung ihrer „vertragsmäßigen Exemtionen und Freiheiten“ heran.
Mit groben, unziemlichen Worten betheuerten ſie, durch die neuen Ge-
ſetze werde das Grundgeſetz des Staates vernichtet, und fragten, ob man
das alte ehrliche brandenburgiſche Preußen in einen neumodiſchen Juden-
ſtaat verwandeln wolle. Unter den Unterzeichnern ſtand Marwitz natür-
lich obenan; neben ihm der alte Graf Finkenſtein, einer jener pflichtge-
treuen Richter, welche bei dem Proceſſe des Müllers Arnold die unverdiente
Ungnade König Friedrichs erfahren hatten. Dem Staatskanzler riß
jetzt die Geduld; er ließ die beiden erſten Unterzeichner ohne Urtheil und
Recht nach Spandau auf die Feſtung bringen. Am 16. September ſchloß
*) Eingabe der kurmärkiſchen Landſchaft v. 10. Oct. 1810.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/390>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.