bieten. Alexander antwortete durch einen Ukas, der die Einfuhr franzö- sischer Fabrikate hart traf. Ein gereizter Briefwechsel gab der Erbitterung der beiden Kaiser lebhaften Ausdruck. Ew. Majestät hat keine Freund- schaft mehr für mich -- so schrieb Napoleon im Februar 1811 -- unsere Allianz besteht nicht mehr in den Augen Englands und Europas.
Unterdessen betrieb er mit gewohnter Umsicht die Rüstungen für einen Kampf ohne Gleichen. Schon seit dem Frühjahr 1810 ließ er un- geheure Waffenvorräthe im Warschauischen aufhäufen und die Festungen des Herzogthums für den Krieg vorbereiten -- das Alles "aus bloßer Vorsicht", wie er an Friedrich August von Sachsen schrieb. Im April 1811 erhielten die Fürsten des Rheinbundes den Befehl ihre Truppen marschbereit zu halten; Magdeburg war von den Franzosen besetzt, die Garnisonen in Danzig und den Oderfestungen wurden verdoppelt, an der unteren Elbe sammelte sich ein Heer von 200,000 Mann. Es lag vor Augen: Preußen sollte durch einen plötzlichen Einbruch vernichtet oder durch Drohungen zum Anschluß an Frankreich gezwungen werden; dann begann der russische Feldzug sogleich von Warschau aus. Am 15. August 1811 überschüttete Napoleon in öffentlicher Versammlung den russischen Gesandten Kurakin mit gehässigen Scheltworten, und die Welt wußte bereits: durch solche Scenen pflegte der Imperator seine Kriege einzuleiten.
Wollte Alexander den ungleichen Kampf bestehen, so war unerläßlich, daß er seine gesammte Macht bereit hielt und sich mit den deutschen Großmächten verständigte. Von den beiden goldenen Früchten, die er sich von dem Tilsiter Bündniß versprochen, war die eine bereits glücklich einge- heimst. Das besiegte Schweden hatte Finnland den Russen abgetreten, und auch in den Donauprovinzen behaupteten sich Alexanders Truppen. Aber die Pforte widerstand noch immer hartnäckig, und Napoleon er- muthigte sie insgeheim, denn er sah voraus, daß der Kampf um die Donaumündungen jede Versöhnung zwischen Rußland und Oesterreich vereiteln mußte. Die Hofburg grollte dem Czaren, sie schrieb ihm vor Allen das Mißlingen des letzten Krieges zu. Trotzdem unternahm Kaiser Franz schon im December 1809 den Versuch einer geheimen An- näherung, da er der französischen Freundschaft wenig traute. Alexander schlug freudig ein in die dargebotene Hand; er glaubte in jenem Augen- blicke noch an die Fortdauer des Tilsiter Bündnisses und spielte mit dem Plane eines Dreikaiserbundes, der die Theilung der Türkei herbeiführen solle. Indeß die Wiener Nüchternheit blieb für solche Träume unempfäng- lich. Erzherzog Karl vornehmlich zeigte wie immer ein offenes Verständniß für die orientalischen Interessen der Monarchie, er verwarf jede Verstän- digung mit Rußland, so lange die untere Donau in der Hand des Czaren sei, und Metternich erklärte endlich dem russischen Gesandten: "macht ein Ende mit der Türkei, dann erst können wir mit Euch verhandeln!"
I. 3. Preußens Erhebung.
bieten. Alexander antwortete durch einen Ukas, der die Einfuhr franzö- ſiſcher Fabrikate hart traf. Ein gereizter Briefwechſel gab der Erbitterung der beiden Kaiſer lebhaften Ausdruck. Ew. Majeſtät hat keine Freund- ſchaft mehr für mich — ſo ſchrieb Napoleon im Februar 1811 — unſere Allianz beſteht nicht mehr in den Augen Englands und Europas.
Unterdeſſen betrieb er mit gewohnter Umſicht die Rüſtungen für einen Kampf ohne Gleichen. Schon ſeit dem Frühjahr 1810 ließ er un- geheure Waffenvorräthe im Warſchauiſchen aufhäufen und die Feſtungen des Herzogthums für den Krieg vorbereiten — das Alles „aus bloßer Vorſicht“, wie er an Friedrich Auguſt von Sachſen ſchrieb. Im April 1811 erhielten die Fürſten des Rheinbundes den Befehl ihre Truppen marſchbereit zu halten; Magdeburg war von den Franzoſen beſetzt, die Garniſonen in Danzig und den Oderfeſtungen wurden verdoppelt, an der unteren Elbe ſammelte ſich ein Heer von 200,000 Mann. Es lag vor Augen: Preußen ſollte durch einen plötzlichen Einbruch vernichtet oder durch Drohungen zum Anſchluß an Frankreich gezwungen werden; dann begann der ruſſiſche Feldzug ſogleich von Warſchau aus. Am 15. Auguſt 1811 überſchüttete Napoleon in öffentlicher Verſammlung den ruſſiſchen Geſandten Kurakin mit gehäſſigen Scheltworten, und die Welt wußte bereits: durch ſolche Scenen pflegte der Imperator ſeine Kriege einzuleiten.
Wollte Alexander den ungleichen Kampf beſtehen, ſo war unerläßlich, daß er ſeine geſammte Macht bereit hielt und ſich mit den deutſchen Großmächten verſtändigte. Von den beiden goldenen Früchten, die er ſich von dem Tilſiter Bündniß verſprochen, war die eine bereits glücklich einge- heimſt. Das beſiegte Schweden hatte Finnland den Ruſſen abgetreten, und auch in den Donauprovinzen behaupteten ſich Alexanders Truppen. Aber die Pforte widerſtand noch immer hartnäckig, und Napoleon er- muthigte ſie insgeheim, denn er ſah voraus, daß der Kampf um die Donaumündungen jede Verſöhnung zwiſchen Rußland und Oeſterreich vereiteln mußte. Die Hofburg grollte dem Czaren, ſie ſchrieb ihm vor Allen das Mißlingen des letzten Krieges zu. Trotzdem unternahm Kaiſer Franz ſchon im December 1809 den Verſuch einer geheimen An- näherung, da er der franzöſiſchen Freundſchaft wenig traute. Alexander ſchlug freudig ein in die dargebotene Hand; er glaubte in jenem Augen- blicke noch an die Fortdauer des Tilſiter Bündniſſes und ſpielte mit dem Plane eines Dreikaiſerbundes, der die Theilung der Türkei herbeiführen ſolle. Indeß die Wiener Nüchternheit blieb für ſolche Träume unempfäng- lich. Erzherzog Karl vornehmlich zeigte wie immer ein offenes Verſtändniß für die orientaliſchen Intereſſen der Monarchie, er verwarf jede Verſtän- digung mit Rußland, ſo lange die untere Donau in der Hand des Czaren ſei, und Metternich erklärte endlich dem ruſſiſchen Geſandten: „macht ein Ende mit der Türkei, dann erſt können wir mit Euch verhandeln!“
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I. 3. Preußens Erhebung.
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ſiſcher Fabrikate hart traf. Ein gereizter Briefwechſel gab der Erbitterung
der beiden Kaiſer lebhaften Ausdruck. Ew. Majeſtät hat keine Freund-
ſchaft mehr für mich — ſo ſchrieb Napoleon im Februar 1811 —
unſere Allianz beſteht nicht mehr in den Augen Englands und Europas.
Unterdeſſen betrieb er mit gewohnter Umſicht die Rüſtungen für
einen Kampf ohne Gleichen. Schon ſeit dem Frühjahr 1810 ließ er un-
geheure Waffenvorräthe im Warſchauiſchen aufhäufen und die Feſtungen
des Herzogthums für den Krieg vorbereiten — das Alles „aus bloßer
Vorſicht“, wie er an Friedrich Auguſt von Sachſen ſchrieb. Im April
1811 erhielten die Fürſten des Rheinbundes den Befehl ihre Truppen
marſchbereit zu halten; Magdeburg war von den Franzoſen beſetzt, die
Garniſonen in Danzig und den Oderfeſtungen wurden verdoppelt, an
der unteren Elbe ſammelte ſich ein Heer von 200,000 Mann. Es lag
vor Augen: Preußen ſollte durch einen plötzlichen Einbruch vernichtet
oder durch Drohungen zum Anſchluß an Frankreich gezwungen werden;
dann begann der ruſſiſche Feldzug ſogleich von Warſchau aus. Am
15. Auguſt 1811 überſchüttete Napoleon in öffentlicher Verſammlung den
ruſſiſchen Geſandten Kurakin mit gehäſſigen Scheltworten, und die Welt
wußte bereits: durch ſolche Scenen pflegte der Imperator ſeine Kriege
einzuleiten.
Wollte Alexander den ungleichen Kampf beſtehen, ſo war unerläßlich,
daß er ſeine geſammte Macht bereit hielt und ſich mit den deutſchen
Großmächten verſtändigte. Von den beiden goldenen Früchten, die er ſich
von dem Tilſiter Bündniß verſprochen, war die eine bereits glücklich einge-
heimſt. Das beſiegte Schweden hatte Finnland den Ruſſen abgetreten,
und auch in den Donauprovinzen behaupteten ſich Alexanders Truppen.
Aber die Pforte widerſtand noch immer hartnäckig, und Napoleon er-
muthigte ſie insgeheim, denn er ſah voraus, daß der Kampf um die
Donaumündungen jede Verſöhnung zwiſchen Rußland und Oeſterreich
vereiteln mußte. Die Hofburg grollte dem Czaren, ſie ſchrieb ihm vor
Allen das Mißlingen des letzten Krieges zu. Trotzdem unternahm
Kaiſer Franz ſchon im December 1809 den Verſuch einer geheimen An-
näherung, da er der franzöſiſchen Freundſchaft wenig traute. Alexander
ſchlug freudig ein in die dargebotene Hand; er glaubte in jenem Augen-
blicke noch an die Fortdauer des Tilſiter Bündniſſes und ſpielte mit dem
Plane eines Dreikaiſerbundes, der die Theilung der Türkei herbeiführen
ſolle. Indeß die Wiener Nüchternheit blieb für ſolche Träume unempfäng-
lich. Erzherzog Karl vornehmlich zeigte wie immer ein offenes Verſtändniß
für die orientaliſchen Intereſſen der Monarchie, er verwarf jede Verſtän-
digung mit Rußland, ſo lange die untere Donau in der Hand des Czaren
ſei, und Metternich erklärte endlich dem ruſſiſchen Geſandten: „macht
ein Ende mit der Türkei, dann erſt können wir mit Euch verhandeln!“
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/400>, abgerufen am 22.11.2024.
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