ken und Rücken des Heeres; nur die deutschen und die polnischen Regi- menter hielten gut zusammen. Die früher so treffliche Armeeverwaltung zeigte sich durchweg unredlich und nachlässig, der größte Theil der unge- heuren Vorräthe ging schon auf dem Hinwege zu Grunde. Als Napoleon in die altrussischen Lande eindrang, da ließ er, wie einst Karl XII. auf dem Zuge nach Pultawa, das von Parteien zerrissene Polen und das gründlich verwüstete Litthauen in seinem Rücken.
Scharnhorst hatte dem Czaren gerathen, den Krieg nach Partherweise zu führen, den unendlichen Raum als Waffe zu benutzen und den Feind tief in das öde Innere des weiten Reiches zu locken. Der russische Stolz verschmähte den weisen Rath, dem auch Gneisenau und alle be- deutenden preußischen Offiziere beistimmten. Der Czar hoffte vielmehr, der Feind werde sich an dem festen Lager von Drissa die Hörner ein- stoßen; das glänzende Beispiel von Torres Vedras blendete noch die Augen aller Welt. Nur das Gefühl der eigenen Schwäche nöthigte die russische Heerführung, wider ihren Plan und Willen, zu beständigem Rück- zuge. Indessen begannen die Bauern auf eigene Faust den Partherkrieg; sie erwarteten alles Gräßliche von dem heidnischen Feinde, flüchteten ihre Heerden und Vorräthe in die Wälder, gaben die werthlosen leeren Holz- hütten preis, und wo ein Versprengter in ihre Hände fiel schlugen sie ihn nieder wie einen tollen Hund. Der Grimm des gläubigen Volkes wuchs noch als die heilige Stadt Smolensk mit ihren Kirchen und Gna- denbildern nach blutigen Gefechten von den Feinden besetzt wurde. Weiter und weiter ging der Zug des Eroberers in das menschenleere Land hinein; mit jedem neuen Tage lichteten sich die Reihen seines Heeres. Die Leiden- schaft der Massen zwang endlich den russischen Oberfeldherrn Kutusow, bei Borodino eine Schlacht um den Besitz von Moskau zu wagen; die Uebermacht und die Tapferkeit der Truppen, vor Allen der sächsischen Reiterei, schenkten dem Imperator den Sieg, den blutigsten, den er noch erfochten. Nochmals hoffte er, wie so oft schon, in der eroberten Haupt- stadt den Frieden zu diktiren und vergeudete, nachdem der Feldzug ohnehin allzu spät im Jahre begonnen worden, noch fünf unschätzbare Wochen durch fruchtlose Friedensverhandlungen. Währenddem that der altrussische Fanatismus sein Aergstes; der Brand von Moskau zeigte der Welt, wessen ein in seinen heiligsten Gefühlen beleidigtes halbbarbarisches Volk fähig ist. Bei der gräßlichen Plünderung der unglücklichen Stadt verlor das Heer seinen letzten sittlichen Halt. Der Eroberer sollte an seinen eigenen Truppen die Wahrheit seines oft wiederholten Ausspruchs erfahren, daß Tapferkeit nur die zweite, Mannszucht und Ausdauer die erste Tugend des Soldaten ist.
Als der Rückzug aus der verödeten Stadt unvermeidlich wurde, konnte sich Napoleons Hochmuth -- er selber nannte es seine Seelen- größe -- nicht entschließen, die offene nördliche Straße einzuschlagen; so
I. 3. Preußens Erhebung.
ken und Rücken des Heeres; nur die deutſchen und die polniſchen Regi- menter hielten gut zuſammen. Die früher ſo treffliche Armeeverwaltung zeigte ſich durchweg unredlich und nachläſſig, der größte Theil der unge- heuren Vorräthe ging ſchon auf dem Hinwege zu Grunde. Als Napoleon in die altruſſiſchen Lande eindrang, da ließ er, wie einſt Karl XII. auf dem Zuge nach Pultawa, das von Parteien zerriſſene Polen und das gründlich verwüſtete Litthauen in ſeinem Rücken.
Scharnhorſt hatte dem Czaren gerathen, den Krieg nach Partherweiſe zu führen, den unendlichen Raum als Waffe zu benutzen und den Feind tief in das öde Innere des weiten Reiches zu locken. Der ruſſiſche Stolz verſchmähte den weiſen Rath, dem auch Gneiſenau und alle be- deutenden preußiſchen Offiziere beiſtimmten. Der Czar hoffte vielmehr, der Feind werde ſich an dem feſten Lager von Driſſa die Hörner ein- ſtoßen; das glänzende Beiſpiel von Torres Vedras blendete noch die Augen aller Welt. Nur das Gefühl der eigenen Schwäche nöthigte die ruſſiſche Heerführung, wider ihren Plan und Willen, zu beſtändigem Rück- zuge. Indeſſen begannen die Bauern auf eigene Fauſt den Partherkrieg; ſie erwarteten alles Gräßliche von dem heidniſchen Feinde, flüchteten ihre Heerden und Vorräthe in die Wälder, gaben die werthloſen leeren Holz- hütten preis, und wo ein Verſprengter in ihre Hände fiel ſchlugen ſie ihn nieder wie einen tollen Hund. Der Grimm des gläubigen Volkes wuchs noch als die heilige Stadt Smolensk mit ihren Kirchen und Gna- denbildern nach blutigen Gefechten von den Feinden beſetzt wurde. Weiter und weiter ging der Zug des Eroberers in das menſchenleere Land hinein; mit jedem neuen Tage lichteten ſich die Reihen ſeines Heeres. Die Leiden- ſchaft der Maſſen zwang endlich den ruſſiſchen Oberfeldherrn Kutuſow, bei Borodino eine Schlacht um den Beſitz von Moskau zu wagen; die Uebermacht und die Tapferkeit der Truppen, vor Allen der ſächſiſchen Reiterei, ſchenkten dem Imperator den Sieg, den blutigſten, den er noch erfochten. Nochmals hoffte er, wie ſo oft ſchon, in der eroberten Haupt- ſtadt den Frieden zu diktiren und vergeudete, nachdem der Feldzug ohnehin allzu ſpät im Jahre begonnen worden, noch fünf unſchätzbare Wochen durch fruchtloſe Friedensverhandlungen. Währenddem that der altruſſiſche Fanatismus ſein Aergſtes; der Brand von Moskau zeigte der Welt, weſſen ein in ſeinen heiligſten Gefühlen beleidigtes halbbarbariſches Volk fähig iſt. Bei der gräßlichen Plünderung der unglücklichen Stadt verlor das Heer ſeinen letzten ſittlichen Halt. Der Eroberer ſollte an ſeinen eigenen Truppen die Wahrheit ſeines oft wiederholten Ausſpruchs erfahren, daß Tapferkeit nur die zweite, Mannszucht und Ausdauer die erſte Tugend des Soldaten iſt.
Als der Rückzug aus der verödeten Stadt unvermeidlich wurde, konnte ſich Napoleons Hochmuth — er ſelber nannte es ſeine Seelen- größe — nicht entſchließen, die offene nördliche Straße einzuſchlagen; ſo
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I. 3. Preußens Erhebung.
ken und Rücken des Heeres; nur die deutſchen und die polniſchen Regi-
menter hielten gut zuſammen. Die früher ſo treffliche Armeeverwaltung
zeigte ſich durchweg unredlich und nachläſſig, der größte Theil der unge-
heuren Vorräthe ging ſchon auf dem Hinwege zu Grunde. Als Napoleon
in die altruſſiſchen Lande eindrang, da ließ er, wie einſt Karl XII. auf
dem Zuge nach Pultawa, das von Parteien zerriſſene Polen und das
gründlich verwüſtete Litthauen in ſeinem Rücken.
Scharnhorſt hatte dem Czaren gerathen, den Krieg nach Partherweiſe
zu führen, den unendlichen Raum als Waffe zu benutzen und den Feind
tief in das öde Innere des weiten Reiches zu locken. Der ruſſiſche
Stolz verſchmähte den weiſen Rath, dem auch Gneiſenau und alle be-
deutenden preußiſchen Offiziere beiſtimmten. Der Czar hoffte vielmehr,
der Feind werde ſich an dem feſten Lager von Driſſa die Hörner ein-
ſtoßen; das glänzende Beiſpiel von Torres Vedras blendete noch die
Augen aller Welt. Nur das Gefühl der eigenen Schwäche nöthigte die
ruſſiſche Heerführung, wider ihren Plan und Willen, zu beſtändigem Rück-
zuge. Indeſſen begannen die Bauern auf eigene Fauſt den Partherkrieg;
ſie erwarteten alles Gräßliche von dem heidniſchen Feinde, flüchteten ihre
Heerden und Vorräthe in die Wälder, gaben die werthloſen leeren Holz-
hütten preis, und wo ein Verſprengter in ihre Hände fiel ſchlugen ſie
ihn nieder wie einen tollen Hund. Der Grimm des gläubigen Volkes
wuchs noch als die heilige Stadt Smolensk mit ihren Kirchen und Gna-
denbildern nach blutigen Gefechten von den Feinden beſetzt wurde. Weiter
und weiter ging der Zug des Eroberers in das menſchenleere Land hinein;
mit jedem neuen Tage lichteten ſich die Reihen ſeines Heeres. Die Leiden-
ſchaft der Maſſen zwang endlich den ruſſiſchen Oberfeldherrn Kutuſow,
bei Borodino eine Schlacht um den Beſitz von Moskau zu wagen; die
Uebermacht und die Tapferkeit der Truppen, vor Allen der ſächſiſchen
Reiterei, ſchenkten dem Imperator den Sieg, den blutigſten, den er noch
erfochten. Nochmals hoffte er, wie ſo oft ſchon, in der eroberten Haupt-
ſtadt den Frieden zu diktiren und vergeudete, nachdem der Feldzug ohnehin
allzu ſpät im Jahre begonnen worden, noch fünf unſchätzbare Wochen
durch fruchtloſe Friedensverhandlungen. Währenddem that der altruſſiſche
Fanatismus ſein Aergſtes; der Brand von Moskau zeigte der Welt, weſſen
ein in ſeinen heiligſten Gefühlen beleidigtes halbbarbariſches Volk fähig
iſt. Bei der gräßlichen Plünderung der unglücklichen Stadt verlor das
Heer ſeinen letzten ſittlichen Halt. Der Eroberer ſollte an ſeinen eigenen
Truppen die Wahrheit ſeines oft wiederholten Ausſpruchs erfahren, daß
Tapferkeit nur die zweite, Mannszucht und Ausdauer die erſte Tugend
des Soldaten iſt.
Als der Rückzug aus der verödeten Stadt unvermeidlich wurde,
konnte ſich Napoleons Hochmuth — er ſelber nannte es ſeine Seelen-
größe — nicht entſchließen, die offene nördliche Straße einzuſchlagen; ſo
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/412>, abgerufen am 22.11.2024.
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