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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 4. Der Befreiungskrieg.
Gensdarm unter den Augen des Königs von Neapel von preußischen
Rekruten todtgeschlagen; zwei französische Offiziere, die sich einmischen
wollten, mußten mit zerbrochenen Degen vor den Preußen fliehen, und
Murat wagte nicht die Schuldigen zu bestrafen.

Am 2. Januar erhielt Knesebeck seine Instruction für die geheime
Sendung an den Wiener Hof. Friedrich Wilhelm erklärte sich bereit
Frankreich zu bekämpfen, aber auch Rußlands Herrschaft in Deutschland
nicht zu dulden; darum solle Oesterreich als bewaffneter Vermittler auf-
treten, die Unabhängigkeit Deutschlands bis zum Rheine, die Vernichtung
des Rheinbundes fordern und im Falle der Weigerung die Waffen gegen
Napoleon ergreifen; der König selbst denke demnächst nach Schlesien zu
gehen, wo er in Freiheit seine Entschlüsse fassen könne. Das befreite
Deutschland müsse die einst in Bartenstein verabredete Verfassung erhal-
ten: preußische Hegemonie im Norden, österreichische im Süden; ein Auf-
ruf an die Italiener und die Neuordnung der Verhältnisse der Halbinsel
blieben dem freien Ermessen der Hofburg überlassen. Zugleich wurde
Scharnhorst, der seit seiner Entlassung in Schlesien lebte, über Alles
was im Werke war unterrichtet. Am nämlichen Tage traf die Nachricht
von der Tauroggener Convention in Potsdam ein. Sie war willkommen,
weil man nunmehr das York'sche Corps aus der Gewalt der Franzosen
befreit wußte, doch setzte sie zugleich den Staatskanzler in Verlegenheit,
da York allzufrüh "dem Fasse den Boden ausgeschlagen" hatte. Der
König beschloß den kühnen Schritt des Generals öffentlich zu mißbilligen,
insgeheim zu genehmigen.

Fast noch wichtiger als die Nachricht von der Convention selber er-
schien jenes Schreiben des Czaren an Paulucci vom 18. December, wel-
ches York dem Könige mittheilen ließ. Man war in Potsdam bisher
über Alexanders Absichten, über den Vormarsch der Russen wie über
die polnischen Verhältnisse ganz im Unklaren geblieben. Jetzt endlich
erfuhr der König, daß sein Freund in der That den Krieg auf deut-
schem Boden fortzusetzen bereit sei, und sofort gab er der Instruction
für Knesebeck den Zusatz: er werde sich für Rußland erklären, falls die
Russen die Weichsel überschritten. Dann wurde der Flügeladjutant
Major Natzmer zu Murat entsendet um die Absetzung des eigenmächtigen
Generals anzuzeigen und von da insgeheim zum Czaren zu reisen.
Währenddem lebte Hardenberg mit den französischen Generalen und
Diplomaten auf dem freundlichsten Fuße, gab Diner auf Diner, betheuerte
inbrünstig seine Entrüstung über Yorks unerhörte That, wich mit ver-
bindlichen Worten aus als Graf Narbonne ihm eröffnete, der Impe-
rator werde sich freuen, wenn der Kronprinz von Preußen mit einer
Murat oder Beauharnais sich verheirathe.*) Der Gesandte Krusemark

*) Hardenbergs Journal 7. Januar 1813.

I. 4. Der Befreiungskrieg.
Gensdarm unter den Augen des Königs von Neapel von preußiſchen
Rekruten todtgeſchlagen; zwei franzöſiſche Offiziere, die ſich einmiſchen
wollten, mußten mit zerbrochenen Degen vor den Preußen fliehen, und
Murat wagte nicht die Schuldigen zu beſtrafen.

Am 2. Januar erhielt Kneſebeck ſeine Inſtruction für die geheime
Sendung an den Wiener Hof. Friedrich Wilhelm erklärte ſich bereit
Frankreich zu bekämpfen, aber auch Rußlands Herrſchaft in Deutſchland
nicht zu dulden; darum ſolle Oeſterreich als bewaffneter Vermittler auf-
treten, die Unabhängigkeit Deutſchlands bis zum Rheine, die Vernichtung
des Rheinbundes fordern und im Falle der Weigerung die Waffen gegen
Napoleon ergreifen; der König ſelbſt denke demnächſt nach Schleſien zu
gehen, wo er in Freiheit ſeine Entſchlüſſe faſſen könne. Das befreite
Deutſchland müſſe die einſt in Bartenſtein verabredete Verfaſſung erhal-
ten: preußiſche Hegemonie im Norden, öſterreichiſche im Süden; ein Auf-
ruf an die Italiener und die Neuordnung der Verhältniſſe der Halbinſel
blieben dem freien Ermeſſen der Hofburg überlaſſen. Zugleich wurde
Scharnhorſt, der ſeit ſeiner Entlaſſung in Schleſien lebte, über Alles
was im Werke war unterrichtet. Am nämlichen Tage traf die Nachricht
von der Tauroggener Convention in Potsdam ein. Sie war willkommen,
weil man nunmehr das York’ſche Corps aus der Gewalt der Franzoſen
befreit wußte, doch ſetzte ſie zugleich den Staatskanzler in Verlegenheit,
da York allzufrüh „dem Faſſe den Boden ausgeſchlagen“ hatte. Der
König beſchloß den kühnen Schritt des Generals öffentlich zu mißbilligen,
insgeheim zu genehmigen.

Faſt noch wichtiger als die Nachricht von der Convention ſelber er-
ſchien jenes Schreiben des Czaren an Paulucci vom 18. December, wel-
ches York dem Könige mittheilen ließ. Man war in Potsdam bisher
über Alexanders Abſichten, über den Vormarſch der Ruſſen wie über
die polniſchen Verhältniſſe ganz im Unklaren geblieben. Jetzt endlich
erfuhr der König, daß ſein Freund in der That den Krieg auf deut-
ſchem Boden fortzuſetzen bereit ſei, und ſofort gab er der Inſtruction
für Kneſebeck den Zuſatz: er werde ſich für Rußland erklären, falls die
Ruſſen die Weichſel überſchritten. Dann wurde der Flügeladjutant
Major Natzmer zu Murat entſendet um die Abſetzung des eigenmächtigen
Generals anzuzeigen und von da insgeheim zum Czaren zu reiſen.
Währenddem lebte Hardenberg mit den franzöſiſchen Generalen und
Diplomaten auf dem freundlichſten Fuße, gab Diner auf Diner, betheuerte
inbrünſtig ſeine Entrüſtung über Yorks unerhörte That, wich mit ver-
bindlichen Worten aus als Graf Narbonne ihm eröffnete, der Impe-
rator werde ſich freuen, wenn der Kronprinz von Preußen mit einer
Murat oder Beauharnais ſich verheirathe.*) Der Geſandte Kruſemark

*) Hardenbergs Journal 7. Januar 1813.
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[408/0424] I. 4. Der Befreiungskrieg. Gensdarm unter den Augen des Königs von Neapel von preußiſchen Rekruten todtgeſchlagen; zwei franzöſiſche Offiziere, die ſich einmiſchen wollten, mußten mit zerbrochenen Degen vor den Preußen fliehen, und Murat wagte nicht die Schuldigen zu beſtrafen. Am 2. Januar erhielt Kneſebeck ſeine Inſtruction für die geheime Sendung an den Wiener Hof. Friedrich Wilhelm erklärte ſich bereit Frankreich zu bekämpfen, aber auch Rußlands Herrſchaft in Deutſchland nicht zu dulden; darum ſolle Oeſterreich als bewaffneter Vermittler auf- treten, die Unabhängigkeit Deutſchlands bis zum Rheine, die Vernichtung des Rheinbundes fordern und im Falle der Weigerung die Waffen gegen Napoleon ergreifen; der König ſelbſt denke demnächſt nach Schleſien zu gehen, wo er in Freiheit ſeine Entſchlüſſe faſſen könne. Das befreite Deutſchland müſſe die einſt in Bartenſtein verabredete Verfaſſung erhal- ten: preußiſche Hegemonie im Norden, öſterreichiſche im Süden; ein Auf- ruf an die Italiener und die Neuordnung der Verhältniſſe der Halbinſel blieben dem freien Ermeſſen der Hofburg überlaſſen. Zugleich wurde Scharnhorſt, der ſeit ſeiner Entlaſſung in Schleſien lebte, über Alles was im Werke war unterrichtet. Am nämlichen Tage traf die Nachricht von der Tauroggener Convention in Potsdam ein. Sie war willkommen, weil man nunmehr das York’ſche Corps aus der Gewalt der Franzoſen befreit wußte, doch ſetzte ſie zugleich den Staatskanzler in Verlegenheit, da York allzufrüh „dem Faſſe den Boden ausgeſchlagen“ hatte. Der König beſchloß den kühnen Schritt des Generals öffentlich zu mißbilligen, insgeheim zu genehmigen. Faſt noch wichtiger als die Nachricht von der Convention ſelber er- ſchien jenes Schreiben des Czaren an Paulucci vom 18. December, wel- ches York dem Könige mittheilen ließ. Man war in Potsdam bisher über Alexanders Abſichten, über den Vormarſch der Ruſſen wie über die polniſchen Verhältniſſe ganz im Unklaren geblieben. Jetzt endlich erfuhr der König, daß ſein Freund in der That den Krieg auf deut- ſchem Boden fortzuſetzen bereit ſei, und ſofort gab er der Inſtruction für Kneſebeck den Zuſatz: er werde ſich für Rußland erklären, falls die Ruſſen die Weichſel überſchritten. Dann wurde der Flügeladjutant Major Natzmer zu Murat entſendet um die Abſetzung des eigenmächtigen Generals anzuzeigen und von da insgeheim zum Czaren zu reiſen. Währenddem lebte Hardenberg mit den franzöſiſchen Generalen und Diplomaten auf dem freundlichſten Fuße, gab Diner auf Diner, betheuerte inbrünſtig ſeine Entrüſtung über Yorks unerhörte That, wich mit ver- bindlichen Worten aus als Graf Narbonne ihm eröffnete, der Impe- rator werde ſich freuen, wenn der Kronprinz von Preußen mit einer Murat oder Beauharnais ſich verheirathe. *) Der Geſandte Kruſemark *) Hardenbergs Journal 7. Januar 1813.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/424>, abgerufen am 22.11.2024.