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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Der Königsberger Landtag.

Ueberhaupt war Scharnhorsts Ansicht, daß die Armee das Volk in
Waffen, eine regelmäßige Schule der Nation sein solle, noch durchaus
nicht in die öffentliche Meinung eingedrungen. In diesen Krieg, aber
auch nur in diesen sollten alle Wehrfähigen hinausziehen, denn er war
heilig, er galt allen höchsten Gütern des Lebens; nach dem Siege jedoch
-- das war die natürliche Hoffnung jenes an endlosen Kriegen verekelten
Geschlechtes -- mußte die Nation durch eine wesentliche Verringerung
des Heeres für ihre Opfer belohnt werden. Selbst Arndt, der soeben
im Auftrage Steins seine feurige Schrift: "Was bedeutet Landwehr und
Landsturm?" herausgab, erhob sich nicht über die allgemeine Ansicht.
Er schilderte zwar mit beredten Worten, wie in einer Zeit der Entartung
der Bauer wehrscheu geworden sei und nun endlich wieder der alte ger-
manische Glaube obenauf komme, "daß ein ganzes Volk waffengerüstet
und waffengeübt sein müsse, wenn es nicht Freiheit, Ehre, Glück, Gut
und Muth verlieren wolle." Doch zugleich verwahrte er sich dawider, daß
man die Landwehr als eine Art Conscription ansehe: "es ist blos eine
Einrichtung für den Krieg," und sie wird ermöglichen, daß späterhin viel-
leicht zwei Drittel der stehenden Heere aufgehoben werden.

Immerhin blieben die Opfer, welche das ausgesogene, menschenarme
Land brachte, staunenswerth. Diese eine Provinz von einer Million Ein-
wohnern stellte außer 13,000 Mann Reserve für das York'sche Corps
noch 20,000 Mann Landwehr, ein trefflich berittenes National-Cavallerie-
regiment und 700 Freiwillige als Stamm für das Offizierscorps. Am
8. Februar, sobald der Landtag die Landwehrordnung angenommen hatte,
eilte Stein zu dem Czaren zurück; er sah, daß Alles in guten Händen
lag und wollte nicht einmal den Schein erregen, als ob diese preußische
Erhebung ein Werk der Russen sei.

Das alte Ordensland aber hallte wieder vom Klange der Waffen,
wie vor Zeiten, wenn das Kriegsgeschrei der deutschen Herren die Grenzer
zur Heidenjagd aufbot. Was nur den Säbel schwingen konnte, eilte
herbei; da galt kein Unterschied des Standes noch des Alters. Alexander
Dohna war der Erste, der als Gemeiner in die Landwehr eintrat. Die Uni-
versität stand leer, die oberen Klassen der Gymnasien wurden geschlossen.
Welch ein Eindruck, als der ehrwürdige Rector Delbrück in Königsberg seinen
Primanern, die zu Felde zogen, zum Abschied Klopstocks Ode von Herman
und Thusnelda vortrug. Wie oft hatte dies gefühlsselige Geschlecht mit
thränenden Augen die überschwänglichen Verse von der alten Schlachten-
größe der Germanen gehört; jetzt trat es leibhaftig vor Aller Augen, das
neue Deutschland, hehrer und herrlicher als des Dichters Traumbild,
aber auch streng und furchtbar, das Höchste heischend von seinen Söhnen,
über tausende junger Leiber sollte sein Siegeswagen dahingehen. Das
Alles aber geschah unter ausdrücklichem Vorbehalt der Genehmigung des
Königs. Nach Abschluß der Berathungen schrieben die Stände dem Mo-

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Der Königsberger Landtag.

Ueberhaupt war Scharnhorſts Anſicht, daß die Armee das Volk in
Waffen, eine regelmäßige Schule der Nation ſein ſolle, noch durchaus
nicht in die öffentliche Meinung eingedrungen. In dieſen Krieg, aber
auch nur in dieſen ſollten alle Wehrfähigen hinausziehen, denn er war
heilig, er galt allen höchſten Gütern des Lebens; nach dem Siege jedoch
— das war die natürliche Hoffnung jenes an endloſen Kriegen verekelten
Geſchlechtes — mußte die Nation durch eine weſentliche Verringerung
des Heeres für ihre Opfer belohnt werden. Selbſt Arndt, der ſoeben
im Auftrage Steins ſeine feurige Schrift: „Was bedeutet Landwehr und
Landſturm?“ herausgab, erhob ſich nicht über die allgemeine Anſicht.
Er ſchilderte zwar mit beredten Worten, wie in einer Zeit der Entartung
der Bauer wehrſcheu geworden ſei und nun endlich wieder der alte ger-
maniſche Glaube obenauf komme, „daß ein ganzes Volk waffengerüſtet
und waffengeübt ſein müſſe, wenn es nicht Freiheit, Ehre, Glück, Gut
und Muth verlieren wolle.“ Doch zugleich verwahrte er ſich dawider, daß
man die Landwehr als eine Art Conſcription anſehe: „es iſt blos eine
Einrichtung für den Krieg,“ und ſie wird ermöglichen, daß ſpäterhin viel-
leicht zwei Drittel der ſtehenden Heere aufgehoben werden.

Immerhin blieben die Opfer, welche das ausgeſogene, menſchenarme
Land brachte, ſtaunenswerth. Dieſe eine Provinz von einer Million Ein-
wohnern ſtellte außer 13,000 Mann Reſerve für das York’ſche Corps
noch 20,000 Mann Landwehr, ein trefflich berittenes National-Cavallerie-
regiment und 700 Freiwillige als Stamm für das Offizierscorps. Am
8. Februar, ſobald der Landtag die Landwehrordnung angenommen hatte,
eilte Stein zu dem Czaren zurück; er ſah, daß Alles in guten Händen
lag und wollte nicht einmal den Schein erregen, als ob dieſe preußiſche
Erhebung ein Werk der Ruſſen ſei.

Das alte Ordensland aber hallte wieder vom Klange der Waffen,
wie vor Zeiten, wenn das Kriegsgeſchrei der deutſchen Herren die Grenzer
zur Heidenjagd aufbot. Was nur den Säbel ſchwingen konnte, eilte
herbei; da galt kein Unterſchied des Standes noch des Alters. Alexander
Dohna war der Erſte, der als Gemeiner in die Landwehr eintrat. Die Uni-
verſität ſtand leer, die oberen Klaſſen der Gymnaſien wurden geſchloſſen.
Welch ein Eindruck, als der ehrwürdige Rector Delbrück in Königsberg ſeinen
Primanern, die zu Felde zogen, zum Abſchied Klopſtocks Ode von Herman
und Thusnelda vortrug. Wie oft hatte dies gefühlsſelige Geſchlecht mit
thränenden Augen die überſchwänglichen Verſe von der alten Schlachten-
größe der Germanen gehört; jetzt trat es leibhaftig vor Aller Augen, das
neue Deutſchland, hehrer und herrlicher als des Dichters Traumbild,
aber auch ſtreng und furchtbar, das Höchſte heiſchend von ſeinen Söhnen,
über tauſende junger Leiber ſollte ſein Siegeswagen dahingehen. Das
Alles aber geſchah unter ausdrücklichem Vorbehalt der Genehmigung des
Königs. Nach Abſchluß der Berathungen ſchrieben die Stände dem Mo-

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[419/0435] Der Königsberger Landtag. Ueberhaupt war Scharnhorſts Anſicht, daß die Armee das Volk in Waffen, eine regelmäßige Schule der Nation ſein ſolle, noch durchaus nicht in die öffentliche Meinung eingedrungen. In dieſen Krieg, aber auch nur in dieſen ſollten alle Wehrfähigen hinausziehen, denn er war heilig, er galt allen höchſten Gütern des Lebens; nach dem Siege jedoch — das war die natürliche Hoffnung jenes an endloſen Kriegen verekelten Geſchlechtes — mußte die Nation durch eine weſentliche Verringerung des Heeres für ihre Opfer belohnt werden. Selbſt Arndt, der ſoeben im Auftrage Steins ſeine feurige Schrift: „Was bedeutet Landwehr und Landſturm?“ herausgab, erhob ſich nicht über die allgemeine Anſicht. Er ſchilderte zwar mit beredten Worten, wie in einer Zeit der Entartung der Bauer wehrſcheu geworden ſei und nun endlich wieder der alte ger- maniſche Glaube obenauf komme, „daß ein ganzes Volk waffengerüſtet und waffengeübt ſein müſſe, wenn es nicht Freiheit, Ehre, Glück, Gut und Muth verlieren wolle.“ Doch zugleich verwahrte er ſich dawider, daß man die Landwehr als eine Art Conſcription anſehe: „es iſt blos eine Einrichtung für den Krieg,“ und ſie wird ermöglichen, daß ſpäterhin viel- leicht zwei Drittel der ſtehenden Heere aufgehoben werden. Immerhin blieben die Opfer, welche das ausgeſogene, menſchenarme Land brachte, ſtaunenswerth. Dieſe eine Provinz von einer Million Ein- wohnern ſtellte außer 13,000 Mann Reſerve für das York’ſche Corps noch 20,000 Mann Landwehr, ein trefflich berittenes National-Cavallerie- regiment und 700 Freiwillige als Stamm für das Offizierscorps. Am 8. Februar, ſobald der Landtag die Landwehrordnung angenommen hatte, eilte Stein zu dem Czaren zurück; er ſah, daß Alles in guten Händen lag und wollte nicht einmal den Schein erregen, als ob dieſe preußiſche Erhebung ein Werk der Ruſſen ſei. Das alte Ordensland aber hallte wieder vom Klange der Waffen, wie vor Zeiten, wenn das Kriegsgeſchrei der deutſchen Herren die Grenzer zur Heidenjagd aufbot. Was nur den Säbel ſchwingen konnte, eilte herbei; da galt kein Unterſchied des Standes noch des Alters. Alexander Dohna war der Erſte, der als Gemeiner in die Landwehr eintrat. Die Uni- verſität ſtand leer, die oberen Klaſſen der Gymnaſien wurden geſchloſſen. Welch ein Eindruck, als der ehrwürdige Rector Delbrück in Königsberg ſeinen Primanern, die zu Felde zogen, zum Abſchied Klopſtocks Ode von Herman und Thusnelda vortrug. Wie oft hatte dies gefühlsſelige Geſchlecht mit thränenden Augen die überſchwänglichen Verſe von der alten Schlachten- größe der Germanen gehört; jetzt trat es leibhaftig vor Aller Augen, das neue Deutſchland, hehrer und herrlicher als des Dichters Traumbild, aber auch ſtreng und furchtbar, das Höchſte heiſchend von ſeinen Söhnen, über tauſende junger Leiber ſollte ſein Siegeswagen dahingehen. Das Alles aber geſchah unter ausdrücklichem Vorbehalt der Genehmigung des Königs. Nach Abſchluß der Berathungen ſchrieben die Stände dem Mo- 27*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/435>, abgerufen am 22.11.2024.