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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 4. Der Befreiungskrieg.
narchen: "Nur was unser allgeliebter Landesvater will, wollen wir, nur
unter seiner erhabenen Leitung Preußens und Deutschlands Schmach
rächen, für die Selbständigkeit unseres theuren Vaterlandes kriegend siegen
oder sterben." Dann beschworen sie ihn nochmals, der Begeisterung seines
treuen Volkes freien Lauf zu lassen: "In dem großen Plane der Vor-
sehung kann die Vernichtung des preußischen Staates nicht liegen. Dieser
Staat ist der Welt und der wahren Aufklärung nöthig." Mit diesen
Beschlüssen der Altpreußen traf Graf Ludwig Dohna am 21. Februar
in Breslau ein. --

Dort harrte man unterdessen in höchster Spannung auf günstige Nach-
richten von Knesebeck, der in Kalisch mit dem Czaren über das Kriegs-
bündniß verhandelte. Die Absicht Preußens ging, wie natürlich, auf die
Wiedererlangung seiner alten Machtstellung, auf die Aufhebung des Rhein-
bundes und die Befreiung Deutschlands bis zum Rheine. Da trat jene
unselige polnische Frage, die so oft schon das gemeinsame Handeln der
drei Ostmächte verhindert hatte, trennend zwischen die Freunde. Der Czar
war zu Allem bereit, nur über das Schicksal des Warschauer Landes
wollte er vor dem siegreichen Ende des Krieges sich nicht aussprechen; er
deutete an, sein Verbündeter könne für den polnischen Besitz reiche Ent-
schädigung finden in den norddeutschen Rheinbundsstaaten, etwa in Sachsen,
wenn dessen König dem französischen Bunde treu bliebe.

Alexander stand längst wieder in geheimem Verkehre mit Czartoryski.
Kaum waren die napoleonischen Träume des vielgewandten Polen in den
Flammen von Moskau zu nichte geworden, so drängte er sich abermals
an seinen kaiserlichen Freund heran, mit jener glücklichen Unbefangenheit,
die in der langen Schule jesuitischer Erziehung den Helden sarmatischer
Freiheit zur andern Natur geworden ist, und einigte sich endlich mit dem
Czaren über die Aufrichtung eines selbständigen constitutionellen Polen-
reichs unter dem Scepter des russischen Selbstherrschers. Der Czar hoffte
eine Zeit lang, die Polen würden auf seinen Ruf sich ihm freiwillig an-
schließen. Aber keine Hand im Lande rührte sich. Die Masse des Volks
hatte in dem rasenden Schicksalswechsel der jüngsten Jahre jeden Willen,
jede Hoffnung verloren. Die deutschen Einwanderer, die Juden und wer
von den Polen in ruhigem Gewerbfleiße thätig war sehnten sich zurück
nach der Ordnung und Rechtssicherheit des preußischen Regiments. Der
größte Theil des Adels blieb im französischen Lager, gleich ihm sein Her-
zog, der König von Sachsen. Dem russischen Erbfeinde traute Niemand,
ja man erfuhr bald, daß eine große Verschwörung gegen die Moskowiter
im Werke sei. So fiel denn das Herzogthum Warschau, nach einem
kurzen Kampfe gegen die napoleonische Süd-Armee, als erobertes Feindes-
land in Alexanders Hände.

Die Russen betrachteten die Beute bereits als eine neugewonnene
Provinz; Niemand unter ihnen hätte auch nur für möglich gehalten, daß

I. 4. Der Befreiungskrieg.
narchen: „Nur was unſer allgeliebter Landesvater will, wollen wir, nur
unter ſeiner erhabenen Leitung Preußens und Deutſchlands Schmach
rächen, für die Selbſtändigkeit unſeres theuren Vaterlandes kriegend ſiegen
oder ſterben.“ Dann beſchworen ſie ihn nochmals, der Begeiſterung ſeines
treuen Volkes freien Lauf zu laſſen: „In dem großen Plane der Vor-
ſehung kann die Vernichtung des preußiſchen Staates nicht liegen. Dieſer
Staat iſt der Welt und der wahren Aufklärung nöthig.“ Mit dieſen
Beſchlüſſen der Altpreußen traf Graf Ludwig Dohna am 21. Februar
in Breslau ein. —

Dort harrte man unterdeſſen in höchſter Spannung auf günſtige Nach-
richten von Kneſebeck, der in Kaliſch mit dem Czaren über das Kriegs-
bündniß verhandelte. Die Abſicht Preußens ging, wie natürlich, auf die
Wiedererlangung ſeiner alten Machtſtellung, auf die Aufhebung des Rhein-
bundes und die Befreiung Deutſchlands bis zum Rheine. Da trat jene
unſelige polniſche Frage, die ſo oft ſchon das gemeinſame Handeln der
drei Oſtmächte verhindert hatte, trennend zwiſchen die Freunde. Der Czar
war zu Allem bereit, nur über das Schickſal des Warſchauer Landes
wollte er vor dem ſiegreichen Ende des Krieges ſich nicht ausſprechen; er
deutete an, ſein Verbündeter könne für den polniſchen Beſitz reiche Ent-
ſchädigung finden in den norddeutſchen Rheinbundsſtaaten, etwa in Sachſen,
wenn deſſen König dem franzöſiſchen Bunde treu bliebe.

Alexander ſtand längſt wieder in geheimem Verkehre mit Czartoryski.
Kaum waren die napoleoniſchen Träume des vielgewandten Polen in den
Flammen von Moskau zu nichte geworden, ſo drängte er ſich abermals
an ſeinen kaiſerlichen Freund heran, mit jener glücklichen Unbefangenheit,
die in der langen Schule jeſuitiſcher Erziehung den Helden ſarmatiſcher
Freiheit zur andern Natur geworden iſt, und einigte ſich endlich mit dem
Czaren über die Aufrichtung eines ſelbſtändigen conſtitutionellen Polen-
reichs unter dem Scepter des ruſſiſchen Selbſtherrſchers. Der Czar hoffte
eine Zeit lang, die Polen würden auf ſeinen Ruf ſich ihm freiwillig an-
ſchließen. Aber keine Hand im Lande rührte ſich. Die Maſſe des Volks
hatte in dem raſenden Schickſalswechſel der jüngſten Jahre jeden Willen,
jede Hoffnung verloren. Die deutſchen Einwanderer, die Juden und wer
von den Polen in ruhigem Gewerbfleiße thätig war ſehnten ſich zurück
nach der Ordnung und Rechtsſicherheit des preußiſchen Regiments. Der
größte Theil des Adels blieb im franzöſiſchen Lager, gleich ihm ſein Her-
zog, der König von Sachſen. Dem ruſſiſchen Erbfeinde traute Niemand,
ja man erfuhr bald, daß eine große Verſchwörung gegen die Moskowiter
im Werke ſei. So fiel denn das Herzogthum Warſchau, nach einem
kurzen Kampfe gegen die napoleoniſche Süd-Armee, als erobertes Feindes-
land in Alexanders Hände.

Die Ruſſen betrachteten die Beute bereits als eine neugewonnene
Provinz; Niemand unter ihnen hätte auch nur für möglich gehalten, daß

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[420/0436] I. 4. Der Befreiungskrieg. narchen: „Nur was unſer allgeliebter Landesvater will, wollen wir, nur unter ſeiner erhabenen Leitung Preußens und Deutſchlands Schmach rächen, für die Selbſtändigkeit unſeres theuren Vaterlandes kriegend ſiegen oder ſterben.“ Dann beſchworen ſie ihn nochmals, der Begeiſterung ſeines treuen Volkes freien Lauf zu laſſen: „In dem großen Plane der Vor- ſehung kann die Vernichtung des preußiſchen Staates nicht liegen. Dieſer Staat iſt der Welt und der wahren Aufklärung nöthig.“ Mit dieſen Beſchlüſſen der Altpreußen traf Graf Ludwig Dohna am 21. Februar in Breslau ein. — Dort harrte man unterdeſſen in höchſter Spannung auf günſtige Nach- richten von Kneſebeck, der in Kaliſch mit dem Czaren über das Kriegs- bündniß verhandelte. Die Abſicht Preußens ging, wie natürlich, auf die Wiedererlangung ſeiner alten Machtſtellung, auf die Aufhebung des Rhein- bundes und die Befreiung Deutſchlands bis zum Rheine. Da trat jene unſelige polniſche Frage, die ſo oft ſchon das gemeinſame Handeln der drei Oſtmächte verhindert hatte, trennend zwiſchen die Freunde. Der Czar war zu Allem bereit, nur über das Schickſal des Warſchauer Landes wollte er vor dem ſiegreichen Ende des Krieges ſich nicht ausſprechen; er deutete an, ſein Verbündeter könne für den polniſchen Beſitz reiche Ent- ſchädigung finden in den norddeutſchen Rheinbundsſtaaten, etwa in Sachſen, wenn deſſen König dem franzöſiſchen Bunde treu bliebe. Alexander ſtand längſt wieder in geheimem Verkehre mit Czartoryski. Kaum waren die napoleoniſchen Träume des vielgewandten Polen in den Flammen von Moskau zu nichte geworden, ſo drängte er ſich abermals an ſeinen kaiſerlichen Freund heran, mit jener glücklichen Unbefangenheit, die in der langen Schule jeſuitiſcher Erziehung den Helden ſarmatiſcher Freiheit zur andern Natur geworden iſt, und einigte ſich endlich mit dem Czaren über die Aufrichtung eines ſelbſtändigen conſtitutionellen Polen- reichs unter dem Scepter des ruſſiſchen Selbſtherrſchers. Der Czar hoffte eine Zeit lang, die Polen würden auf ſeinen Ruf ſich ihm freiwillig an- ſchließen. Aber keine Hand im Lande rührte ſich. Die Maſſe des Volks hatte in dem raſenden Schickſalswechſel der jüngſten Jahre jeden Willen, jede Hoffnung verloren. Die deutſchen Einwanderer, die Juden und wer von den Polen in ruhigem Gewerbfleiße thätig war ſehnten ſich zurück nach der Ordnung und Rechtsſicherheit des preußiſchen Regiments. Der größte Theil des Adels blieb im franzöſiſchen Lager, gleich ihm ſein Her- zog, der König von Sachſen. Dem ruſſiſchen Erbfeinde traute Niemand, ja man erfuhr bald, daß eine große Verſchwörung gegen die Moskowiter im Werke ſei. So fiel denn das Herzogthum Warſchau, nach einem kurzen Kampfe gegen die napoleoniſche Süd-Armee, als erobertes Feindes- land in Alexanders Hände. Die Ruſſen betrachteten die Beute bereits als eine neugewonnene Provinz; Niemand unter ihnen hätte auch nur für möglich gehalten, daß

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/436>, abgerufen am 22.11.2024.