niß im Herzen bewahrte und nachher durch den Ausbau des Zollvereins das Werk des Befreiungskrieges zu vollenden strebte. Es war wie ein Mikro- kosmos des neuen Deutschlands: fast alle die Parteien der Politik und Lite- ratur, welche in den folgenden Jahrzehnten das deutsche Leben erfüllten, fanden hier ihre Vertreter. Keine Spur mehr von dem rohen Bildungshasse der alten Armee; an müßigen Abenden lasen die Offiziere zuweilen Shake- speare'sche Dramen mit vertheilten Rollen. Mit rücksichtsloser Offenheit sagte Jeder seine Meinung grade heraus wie Blücher selber; nirgends wurde die Felonie der deutschen Fürsten schärfer verurtheilt, die Ver- nichtung der rheinbündischen Souveränität und die Verstärkung der preu- ßischen Macht stürmischer gefordert als in der Umgebung des preußischen Feldherrn. "Geht es nach mir, sagte General Hünerbein zu dem Kur- prinzen von Hessen, so bekommt Ihr Vater nicht so viel Land zurück als ich Schmutz unter meinen Nägeln habe!"
Welch ein Gegensatz zu dem Hauptquartiere Napoleons! Wie war es doch so unheimlich still geworden um den neuen Caesar seit das Glück ihn mied; finster brütend saß er am Wachefeuer, um ihn in weitem Kreise scheu flüsternd das Gefolge, bis er dann plötzlich mit barschem Ruf den Befehl zum Aufbruch gab und unter einer Fluth grober Schimpfwörter, die vom Marschall bis zum Stallknechte herniederregnete, der Zug sich wieder in Bewegung setzte. Den Diplomaten und gelehrten Strategen im Hauptquartiere der drei Monarchen erschien die schlesische Armee wie eine geschlossene politische Partei. Mit Entsetzen hörten Metternich und Langenau von der freudigen Kampflust und dem lauten Freimuth, von dem preußischen Stolze und der nationalen Leidenschaft des Blücher'schen Lagers. Auch in der Umgebung König Friedrich Wilhelms wurden schon ängstliche Stimmen laut, die vor den gefährlichen Plänen der schlesischen Heißsporne warnten; in Flüsterworten und Zwischenträgereien kündigte sich bereits ein Parteikampf an, der auf Jahre hinaus für Preußen ver- hängnißvoll werden sollte. Nur Stein stand unentwegt auf Blüchers Seite und legte bei dem Czaren sein Fürwort ein für jeden Vorschlag des alten Helden. Von dem schlesischen Heere gingen alle großen Ent- schließungen der Allianz aus, und mit vollem Rechte sagte Gneisenau, die Nachwelt werde staunen, wenn sie dereinst die geheime Geschichte dieses Krieges erfahre.
Inzwischen war auch Napoleons dritte Unternehmung gegen Berlin gescheitert. Die natürliche Schwerfälligkeit und Zwietracht aller Coali- tionsheere zeigte sich nirgends so grell wie in der Nordarmee. Was hatte auch dieser napoleonische Marschall Bernadotte gemein mit dem heiligen Zorne des deutschen Volkes? Sein Vaterland hatte er aufgegeben, doch nicht das französische Selbstgefühl. Vor sieben Jahren war er denselben preußischen Generalen, die sich nun seinen Befehlen fügen sollten, als Sieger gegenübergetreten; er dachte klein von ihrer Begabung und fragte
I. 4. Der Befreiungskrieg.
niß im Herzen bewahrte und nachher durch den Ausbau des Zollvereins das Werk des Befreiungskrieges zu vollenden ſtrebte. Es war wie ein Mikro- kosmos des neuen Deutſchlands: faſt alle die Parteien der Politik und Lite- ratur, welche in den folgenden Jahrzehnten das deutſche Leben erfüllten, fanden hier ihre Vertreter. Keine Spur mehr von dem rohen Bildungshaſſe der alten Armee; an müßigen Abenden laſen die Offiziere zuweilen Shake- ſpeare’ſche Dramen mit vertheilten Rollen. Mit rückſichtsloſer Offenheit ſagte Jeder ſeine Meinung grade heraus wie Blücher ſelber; nirgends wurde die Felonie der deutſchen Fürſten ſchärfer verurtheilt, die Ver- nichtung der rheinbündiſchen Souveränität und die Verſtärkung der preu- ßiſchen Macht ſtürmiſcher gefordert als in der Umgebung des preußiſchen Feldherrn. „Geht es nach mir, ſagte General Hünerbein zu dem Kur- prinzen von Heſſen, ſo bekommt Ihr Vater nicht ſo viel Land zurück als ich Schmutz unter meinen Nägeln habe!“
Welch ein Gegenſatz zu dem Hauptquartiere Napoleons! Wie war es doch ſo unheimlich ſtill geworden um den neuen Caeſar ſeit das Glück ihn mied; finſter brütend ſaß er am Wachefeuer, um ihn in weitem Kreiſe ſcheu flüſternd das Gefolge, bis er dann plötzlich mit barſchem Ruf den Befehl zum Aufbruch gab und unter einer Fluth grober Schimpfwörter, die vom Marſchall bis zum Stallknechte herniederregnete, der Zug ſich wieder in Bewegung ſetzte. Den Diplomaten und gelehrten Strategen im Hauptquartiere der drei Monarchen erſchien die ſchleſiſche Armee wie eine geſchloſſene politiſche Partei. Mit Entſetzen hörten Metternich und Langenau von der freudigen Kampfluſt und dem lauten Freimuth, von dem preußiſchen Stolze und der nationalen Leidenſchaft des Blücher’ſchen Lagers. Auch in der Umgebung König Friedrich Wilhelms wurden ſchon ängſtliche Stimmen laut, die vor den gefährlichen Plänen der ſchleſiſchen Heißſporne warnten; in Flüſterworten und Zwiſchenträgereien kündigte ſich bereits ein Parteikampf an, der auf Jahre hinaus für Preußen ver- hängnißvoll werden ſollte. Nur Stein ſtand unentwegt auf Blüchers Seite und legte bei dem Czaren ſein Fürwort ein für jeden Vorſchlag des alten Helden. Von dem ſchleſiſchen Heere gingen alle großen Ent- ſchließungen der Allianz aus, und mit vollem Rechte ſagte Gneiſenau, die Nachwelt werde ſtaunen, wenn ſie dereinſt die geheime Geſchichte dieſes Krieges erfahre.
Inzwiſchen war auch Napoleons dritte Unternehmung gegen Berlin geſcheitert. Die natürliche Schwerfälligkeit und Zwietracht aller Coali- tionsheere zeigte ſich nirgends ſo grell wie in der Nordarmee. Was hatte auch dieſer napoleoniſche Marſchall Bernadotte gemein mit dem heiligen Zorne des deutſchen Volkes? Sein Vaterland hatte er aufgegeben, doch nicht das franzöſiſche Selbſtgefühl. Vor ſieben Jahren war er denſelben preußiſchen Generalen, die ſich nun ſeinen Befehlen fügen ſollten, als Sieger gegenübergetreten; er dachte klein von ihrer Begabung und fragte
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I. 4. Der Befreiungskrieg.
niß im Herzen bewahrte und nachher durch den Ausbau des Zollvereins
das Werk des Befreiungskrieges zu vollenden ſtrebte. Es war wie ein Mikro-
kosmos des neuen Deutſchlands: faſt alle die Parteien der Politik und Lite-
ratur, welche in den folgenden Jahrzehnten das deutſche Leben erfüllten,
fanden hier ihre Vertreter. Keine Spur mehr von dem rohen Bildungshaſſe
der alten Armee; an müßigen Abenden laſen die Offiziere zuweilen Shake-
ſpeare’ſche Dramen mit vertheilten Rollen. Mit rückſichtsloſer Offenheit
ſagte Jeder ſeine Meinung grade heraus wie Blücher ſelber; nirgends
wurde die Felonie der deutſchen Fürſten ſchärfer verurtheilt, die Ver-
nichtung der rheinbündiſchen Souveränität und die Verſtärkung der preu-
ßiſchen Macht ſtürmiſcher gefordert als in der Umgebung des preußiſchen
Feldherrn. „Geht es nach mir, ſagte General Hünerbein zu dem Kur-
prinzen von Heſſen, ſo bekommt Ihr Vater nicht ſo viel Land zurück als
ich Schmutz unter meinen Nägeln habe!“
Welch ein Gegenſatz zu dem Hauptquartiere Napoleons! Wie war
es doch ſo unheimlich ſtill geworden um den neuen Caeſar ſeit das Glück
ihn mied; finſter brütend ſaß er am Wachefeuer, um ihn in weitem Kreiſe
ſcheu flüſternd das Gefolge, bis er dann plötzlich mit barſchem Ruf den
Befehl zum Aufbruch gab und unter einer Fluth grober Schimpfwörter,
die vom Marſchall bis zum Stallknechte herniederregnete, der Zug ſich
wieder in Bewegung ſetzte. Den Diplomaten und gelehrten Strategen
im Hauptquartiere der drei Monarchen erſchien die ſchleſiſche Armee wie
eine geſchloſſene politiſche Partei. Mit Entſetzen hörten Metternich und
Langenau von der freudigen Kampfluſt und dem lauten Freimuth, von
dem preußiſchen Stolze und der nationalen Leidenſchaft des Blücher’ſchen
Lagers. Auch in der Umgebung König Friedrich Wilhelms wurden ſchon
ängſtliche Stimmen laut, die vor den gefährlichen Plänen der ſchleſiſchen
Heißſporne warnten; in Flüſterworten und Zwiſchenträgereien kündigte
ſich bereits ein Parteikampf an, der auf Jahre hinaus für Preußen ver-
hängnißvoll werden ſollte. Nur Stein ſtand unentwegt auf Blüchers
Seite und legte bei dem Czaren ſein Fürwort ein für jeden Vorſchlag
des alten Helden. Von dem ſchleſiſchen Heere gingen alle großen Ent-
ſchließungen der Allianz aus, und mit vollem Rechte ſagte Gneiſenau,
die Nachwelt werde ſtaunen, wenn ſie dereinſt die geheime Geſchichte dieſes
Krieges erfahre.
Inzwiſchen war auch Napoleons dritte Unternehmung gegen Berlin
geſcheitert. Die natürliche Schwerfälligkeit und Zwietracht aller Coali-
tionsheere zeigte ſich nirgends ſo grell wie in der Nordarmee. Was hatte
auch dieſer napoleoniſche Marſchall Bernadotte gemein mit dem heiligen
Zorne des deutſchen Volkes? Sein Vaterland hatte er aufgegeben, doch
nicht das franzöſiſche Selbſtgefühl. Vor ſieben Jahren war er denſelben
preußiſchen Generalen, die ſich nun ſeinen Befehlen fügen ſollten, als
Sieger gegenübergetreten; er dachte klein von ihrer Begabung und fragte
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/492>, abgerufen am 22.11.2024.
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