Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.Die Nordarmee. verächtlich, ob das die Männer seien, die den großen Napoleon schlagensollten. Von den abgerissenen, elend verpflegten preußischen Truppen, die sich mit fünferlei verschiedenen Gewehren und schlechten eisernen Ka- nonen behelfen mußten, erwartete er nichts; von ihren Gesinnungen wußte er so wenig, daß er ihnen die Großthaten der Franzosen von 1792 als leuchtendes Beispiel vorhielt. Ein vorsichtiger Feldherr war er immer gewesen und jetzt am Wenigsten wollte er Großes wagen, da eine Nieder- lage seinem Hause leicht den noch ungesicherten schwedischen Thron rauben konnte. Gewichtige politische Gründe geboten ihm seine Schweden ängst- lich zu schonen; der Krieg war in Schweden nicht beliebt, der feine Plan Norwegen in Deutschland zu erobern blieb dem Volke unverständlich, und woher sollte das menschenarme Land Ersatz schaffen für ein verlorenes Heer? An den Preußen war es -- so sagte er unverhohlen -- ihre Haupt- stadt mit ihrem Blute zu vertheidigen. Da er in seiner Eitelkeit sich selber für den gefährlichsten Gegner Napoleons hielt, so erwartete er sicher, der Imperator werde seine beste Kraft gegen ihn wenden, und erklärte einen Vormarsch gegen Obersachsen hin für hochbedenklich; die Stellung der Nordarmee südlich von Berlin war allerdings schwierig, sie konnte im Rücken von Hamburg aus, von Magdeburg her in der Flanke bedroht werden und hatte vor sich die Festungen Wittenberg und Torgau. Noch andere tiefgeheime politische Pläne nöthigten Karl Johann zur Vorsicht. Der schlaue Bearner hatte schon in Frankreich die Rolle des freisinnigen Oppositionsmannes gespielt und stand jetzt wieder in vertraulichem Ver- kehre mit Lafayette und anderen französischen Unzufriedenen; unmöglich schien es ihm nicht, daß der Wille der Franzosen und die Gunst der großen Mächte ihn selber auf den Thron Frankreichs beriefen wenn sein persönlicher Feind Napoleon fiel. Wollte er aber den Stolz seiner ohne- hin gegen den Abtrünnigen erbitterten alten Landsleute nicht tödlich ver- letzen, so durfte er die entscheidenden Schläge des Krieges nicht selber führen.*) Den preußischen Offizieren gefiel anfangs die gewinnende Liebens- *) Ich kann nicht finden, daß G. Swederus (in seinem galligen Buche: Schwedens
Politik und Kriege in d. J. 1808--14) etwas Wesentliches zu Gunsten seines Helden Karl Johann erwiesen hätte. Die Nordarmee. verächtlich, ob das die Männer ſeien, die den großen Napoleon ſchlagenſollten. Von den abgeriſſenen, elend verpflegten preußiſchen Truppen, die ſich mit fünferlei verſchiedenen Gewehren und ſchlechten eiſernen Ka- nonen behelfen mußten, erwartete er nichts; von ihren Geſinnungen wußte er ſo wenig, daß er ihnen die Großthaten der Franzoſen von 1792 als leuchtendes Beiſpiel vorhielt. Ein vorſichtiger Feldherr war er immer geweſen und jetzt am Wenigſten wollte er Großes wagen, da eine Nieder- lage ſeinem Hauſe leicht den noch ungeſicherten ſchwediſchen Thron rauben konnte. Gewichtige politiſche Gründe geboten ihm ſeine Schweden ängſt- lich zu ſchonen; der Krieg war in Schweden nicht beliebt, der feine Plan Norwegen in Deutſchland zu erobern blieb dem Volke unverſtändlich, und woher ſollte das menſchenarme Land Erſatz ſchaffen für ein verlorenes Heer? An den Preußen war es — ſo ſagte er unverhohlen — ihre Haupt- ſtadt mit ihrem Blute zu vertheidigen. Da er in ſeiner Eitelkeit ſich ſelber für den gefährlichſten Gegner Napoleons hielt, ſo erwartete er ſicher, der Imperator werde ſeine beſte Kraft gegen ihn wenden, und erklärte einen Vormarſch gegen Oberſachſen hin für hochbedenklich; die Stellung der Nordarmee ſüdlich von Berlin war allerdings ſchwierig, ſie konnte im Rücken von Hamburg aus, von Magdeburg her in der Flanke bedroht werden und hatte vor ſich die Feſtungen Wittenberg und Torgau. Noch andere tiefgeheime politiſche Pläne nöthigten Karl Johann zur Vorſicht. Der ſchlaue Bearner hatte ſchon in Frankreich die Rolle des freiſinnigen Oppoſitionsmannes geſpielt und ſtand jetzt wieder in vertraulichem Ver- kehre mit Lafayette und anderen franzöſiſchen Unzufriedenen; unmöglich ſchien es ihm nicht, daß der Wille der Franzoſen und die Gunſt der großen Mächte ihn ſelber auf den Thron Frankreichs beriefen wenn ſein perſönlicher Feind Napoleon fiel. Wollte er aber den Stolz ſeiner ohne- hin gegen den Abtrünnigen erbitterten alten Landsleute nicht tödlich ver- letzen, ſo durfte er die entſcheidenden Schläge des Krieges nicht ſelber führen.*) Den preußiſchen Offizieren gefiel anfangs die gewinnende Liebens- *) Ich kann nicht finden, daß G. Swederus (in ſeinem galligen Buche: Schwedens
Politik und Kriege in d. J. 1808—14) etwas Weſentliches zu Gunſten ſeines Helden Karl Johann erwieſen hätte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0493" n="477"/><fw place="top" type="header">Die Nordarmee.</fw><lb/> verächtlich, ob das die Männer ſeien, die den großen Napoleon ſchlagen<lb/> ſollten. Von den abgeriſſenen, elend verpflegten preußiſchen Truppen,<lb/> die ſich mit fünferlei verſchiedenen Gewehren und ſchlechten eiſernen Ka-<lb/> nonen behelfen mußten, erwartete er nichts; von ihren Geſinnungen wußte<lb/> er ſo wenig, daß er ihnen die Großthaten der Franzoſen von 1792 als<lb/> leuchtendes Beiſpiel vorhielt. Ein vorſichtiger Feldherr war er immer<lb/> geweſen und jetzt am Wenigſten wollte er Großes wagen, da eine Nieder-<lb/> lage ſeinem Hauſe leicht den noch ungeſicherten ſchwediſchen Thron rauben<lb/> konnte. Gewichtige politiſche Gründe geboten ihm ſeine Schweden ängſt-<lb/> lich zu ſchonen; der Krieg war in Schweden nicht beliebt, der feine Plan<lb/> Norwegen in Deutſchland zu erobern blieb dem Volke unverſtändlich, und<lb/> woher ſollte das menſchenarme Land Erſatz ſchaffen für ein verlorenes<lb/> Heer? An den Preußen war es — ſo ſagte er unverhohlen — ihre Haupt-<lb/> ſtadt mit ihrem Blute zu vertheidigen. Da er in ſeiner Eitelkeit ſich<lb/> ſelber für den gefährlichſten Gegner Napoleons hielt, ſo erwartete er ſicher,<lb/> der Imperator werde ſeine beſte Kraft gegen ihn wenden, und erklärte<lb/> einen Vormarſch gegen Oberſachſen hin für hochbedenklich; die Stellung<lb/> der Nordarmee ſüdlich von Berlin war allerdings ſchwierig, ſie konnte im<lb/> Rücken von Hamburg aus, von Magdeburg her in der Flanke bedroht<lb/> werden und hatte vor ſich die Feſtungen Wittenberg und Torgau. Noch<lb/> andere tiefgeheime politiſche Pläne nöthigten Karl Johann zur Vorſicht.<lb/> Der ſchlaue Bearner hatte ſchon in Frankreich die Rolle des freiſinnigen<lb/> Oppoſitionsmannes geſpielt und ſtand jetzt wieder in vertraulichem Ver-<lb/> kehre mit Lafayette und anderen franzöſiſchen Unzufriedenen; unmöglich<lb/> ſchien es ihm nicht, daß der Wille der Franzoſen und die Gunſt der<lb/> großen Mächte ihn ſelber auf den Thron Frankreichs beriefen wenn ſein<lb/> perſönlicher Feind Napoleon fiel. Wollte er aber den Stolz ſeiner ohne-<lb/> hin gegen den Abtrünnigen erbitterten alten Landsleute nicht tödlich ver-<lb/> letzen, ſo durfte er die entſcheidenden Schläge des Krieges nicht ſelber<lb/> führen.<note place="foot" n="*)">Ich kann nicht finden, daß G. Swederus (in ſeinem galligen Buche: Schwedens<lb/> Politik und Kriege in d. J. 1808—14) etwas Weſentliches zu Gunſten ſeines Helden<lb/> Karl Johann erwieſen hätte.</note></p><lb/> <p>Den preußiſchen Offizieren gefiel anfangs die gewinnende Liebens-<lb/> würdigkeit des geiſtreichen, redſeligen Südländers, doch bald wurden ſie<lb/> mit Befremden gewahr, daß ihr Feldherr auch jetzt noch, an der Spitze<lb/> einer großen Armee, ebenſo zaudernd und bedachtſam verfuhr wie im<lb/> Frühjahr, als er Hamburg in die Hände des Feindes fallen ließ. Ein<lb/> widerwärtiger Streit brach aus. Die Generale Bülow und Borſtell,<lb/> Beide unter den preußiſchen Kameraden bekannt als unbequeme Unter-<lb/> gebene von ſtarkem Eigenſinn, fühlten ſich in ihrem Gewiſſen gedrungen,<lb/> mit Rathſchlägen und Vorſtellungen dem Commandirenden entgegenzu-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [477/0493]
Die Nordarmee.
verächtlich, ob das die Männer ſeien, die den großen Napoleon ſchlagen
ſollten. Von den abgeriſſenen, elend verpflegten preußiſchen Truppen,
die ſich mit fünferlei verſchiedenen Gewehren und ſchlechten eiſernen Ka-
nonen behelfen mußten, erwartete er nichts; von ihren Geſinnungen wußte
er ſo wenig, daß er ihnen die Großthaten der Franzoſen von 1792 als
leuchtendes Beiſpiel vorhielt. Ein vorſichtiger Feldherr war er immer
geweſen und jetzt am Wenigſten wollte er Großes wagen, da eine Nieder-
lage ſeinem Hauſe leicht den noch ungeſicherten ſchwediſchen Thron rauben
konnte. Gewichtige politiſche Gründe geboten ihm ſeine Schweden ängſt-
lich zu ſchonen; der Krieg war in Schweden nicht beliebt, der feine Plan
Norwegen in Deutſchland zu erobern blieb dem Volke unverſtändlich, und
woher ſollte das menſchenarme Land Erſatz ſchaffen für ein verlorenes
Heer? An den Preußen war es — ſo ſagte er unverhohlen — ihre Haupt-
ſtadt mit ihrem Blute zu vertheidigen. Da er in ſeiner Eitelkeit ſich
ſelber für den gefährlichſten Gegner Napoleons hielt, ſo erwartete er ſicher,
der Imperator werde ſeine beſte Kraft gegen ihn wenden, und erklärte
einen Vormarſch gegen Oberſachſen hin für hochbedenklich; die Stellung
der Nordarmee ſüdlich von Berlin war allerdings ſchwierig, ſie konnte im
Rücken von Hamburg aus, von Magdeburg her in der Flanke bedroht
werden und hatte vor ſich die Feſtungen Wittenberg und Torgau. Noch
andere tiefgeheime politiſche Pläne nöthigten Karl Johann zur Vorſicht.
Der ſchlaue Bearner hatte ſchon in Frankreich die Rolle des freiſinnigen
Oppoſitionsmannes geſpielt und ſtand jetzt wieder in vertraulichem Ver-
kehre mit Lafayette und anderen franzöſiſchen Unzufriedenen; unmöglich
ſchien es ihm nicht, daß der Wille der Franzoſen und die Gunſt der
großen Mächte ihn ſelber auf den Thron Frankreichs beriefen wenn ſein
perſönlicher Feind Napoleon fiel. Wollte er aber den Stolz ſeiner ohne-
hin gegen den Abtrünnigen erbitterten alten Landsleute nicht tödlich ver-
letzen, ſo durfte er die entſcheidenden Schläge des Krieges nicht ſelber
führen. *)
Den preußiſchen Offizieren gefiel anfangs die gewinnende Liebens-
würdigkeit des geiſtreichen, redſeligen Südländers, doch bald wurden ſie
mit Befremden gewahr, daß ihr Feldherr auch jetzt noch, an der Spitze
einer großen Armee, ebenſo zaudernd und bedachtſam verfuhr wie im
Frühjahr, als er Hamburg in die Hände des Feindes fallen ließ. Ein
widerwärtiger Streit brach aus. Die Generale Bülow und Borſtell,
Beide unter den preußiſchen Kameraden bekannt als unbequeme Unter-
gebene von ſtarkem Eigenſinn, fühlten ſich in ihrem Gewiſſen gedrungen,
mit Rathſchlägen und Vorſtellungen dem Commandirenden entgegenzu-
*) Ich kann nicht finden, daß G. Swederus (in ſeinem galligen Buche: Schwedens
Politik und Kriege in d. J. 1808—14) etwas Weſentliches zu Gunſten ſeines Helden
Karl Johann erwieſen hätte.
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