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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 4. Der Befreiungskrieg.
entschlossen sie sich eigenmächtig, nordwestwärts über die Elbe zu ziehen
und den Zauderer Bernadotte mit sich fortzureißen; gelang dies, so mußte
das große Hauptquartier endlich den Muth finden das Erzgebirge zu über-
schreiten, und etwa in der Gegend von Leipzig konnten die drei Armeen
sich vereinigen. Zog Napoleon mittlerweile nach Schlesien, um so besser für
die Verbündeten, dann verlegten sie ihm mit gesammelter Kraft den Rück-
zug; nicht die Sicherung einer Provinz, sondern das Lager des Feindes
war Gneisenaus Ziel. Wir also, schrieb er stolz, wollen die Scene eröffnen
und die Hauptrolle übernehmen, da die Andren es nicht wollen. Der König
war mit dem kühnen Entschlusse einverstanden, aber der russische Bevoll-
mächtigte im Blücher'schen Hauptquartier legte förmlich Verwahrung ein.

Am 26. September traf Bennigsen mit der russischen Reservearmee
aus Polen im Teplitzer Thale ein; Schwarzenberg gebot fortan über eine
gewaltige Uebermacht, wenn er sie nur zu vereinigen verstand. Am selben
Tage brach Blücher aus der Lausitz auf; es war die entscheidende Wen-
dung des Feldzugs. Am 3. October überschritt er die Elbe bei Warten-
burg, in jener sumpfigen Niederung, wo die Schwarze Elster sich mit dem
Strome vereinigt. Drüben auf dem linken Ufer stand das Corps Bertrands,
Franzosen, Italiener, Rheinbündner, zwischen Wartenburg und Bleddin,
den Augen der Preußen völlig entzogen, geschützt durch hohe Dämme und
durch die sumpfigen Altwasser der Elbe. Gegen diese fast unangreifbare
Stellung ließ Blücher das York'sche Corps vorgehen. York fluchte wieder
über die Tollheit der Pläne Gneisenaus, doch er übernahm das Wag-
niß, und nach wiederholtem vergeblichem Sturme gelang es wirklich dem
unvergleichlichen Muthe seiner Truppen die Dämme zu ersteigen, den
Feind zum Abzuge zu nöthigen. Abermals war ein glänzender Sieg
allein durch die Preußen erfochten, und abermals bekamen die unglücklichen
Württemberger die Schärfe des preußischen Schwertes zu kosten. Der
Kampf ward mit solcher Wuth geführt, daß die schwarzen Husaren einmal
gefangene italienische Kanoniere zwangen das Geschütz auf ihre eigenen
Kameraden zu richten. Glückselig focht General Oppen mitten im Ge-
tümmel; der war von der nahen Nordarmee herübergeritten und ließ sichs
nicht nehmen als gemeiner Reiter mit ins Feuer zu gehen. Ein grausiger
Anblick, wie die armen Leineweber von der schlesischen Landwehr schaaren-
weise mit durchschossener Brust auf dem nassen Boden lagen unter den
Obstbäumen an den Elbdeichen; vor der Schlacht hatten sie sich noch ge-
mächlich Pflaumen geschüttelt. Als Eichhorn diese kümmerlichen Leiber
betrachtete, in denen so viel Liebe und so viel Heldenmuth gewohnt, da
durchschauerte ihn heilige Andacht und er erkannte was es heiße, daß der
Herr auch in den Schwachen mächtig ist. Der höchste Preis gebührte
doch dem Kolbergischen Leibregimente, jener tapferen Schaar, die schon an
Gneisenaus Seite gestanden als das Gestirn des Helden zuerst aufging;
vor dieser Truppe entblößte der gestrenge York sein Haupt, wie einst

I. 4. Der Befreiungskrieg.
entſchloſſen ſie ſich eigenmächtig, nordweſtwärts über die Elbe zu ziehen
und den Zauderer Bernadotte mit ſich fortzureißen; gelang dies, ſo mußte
das große Hauptquartier endlich den Muth finden das Erzgebirge zu über-
ſchreiten, und etwa in der Gegend von Leipzig konnten die drei Armeen
ſich vereinigen. Zog Napoleon mittlerweile nach Schleſien, um ſo beſſer für
die Verbündeten, dann verlegten ſie ihm mit geſammelter Kraft den Rück-
zug; nicht die Sicherung einer Provinz, ſondern das Lager des Feindes
war Gneiſenaus Ziel. Wir alſo, ſchrieb er ſtolz, wollen die Scene eröffnen
und die Hauptrolle übernehmen, da die Andren es nicht wollen. Der König
war mit dem kühnen Entſchluſſe einverſtanden, aber der ruſſiſche Bevoll-
mächtigte im Blücher’ſchen Hauptquartier legte förmlich Verwahrung ein.

Am 26. September traf Bennigſen mit der ruſſiſchen Reſervearmee
aus Polen im Teplitzer Thale ein; Schwarzenberg gebot fortan über eine
gewaltige Uebermacht, wenn er ſie nur zu vereinigen verſtand. Am ſelben
Tage brach Blücher aus der Lauſitz auf; es war die entſcheidende Wen-
dung des Feldzugs. Am 3. October überſchritt er die Elbe bei Warten-
burg, in jener ſumpfigen Niederung, wo die Schwarze Elſter ſich mit dem
Strome vereinigt. Drüben auf dem linken Ufer ſtand das Corps Bertrands,
Franzoſen, Italiener, Rheinbündner, zwiſchen Wartenburg und Bleddin,
den Augen der Preußen völlig entzogen, geſchützt durch hohe Dämme und
durch die ſumpfigen Altwaſſer der Elbe. Gegen dieſe faſt unangreifbare
Stellung ließ Blücher das York’ſche Corps vorgehen. York fluchte wieder
über die Tollheit der Pläne Gneiſenaus, doch er übernahm das Wag-
niß, und nach wiederholtem vergeblichem Sturme gelang es wirklich dem
unvergleichlichen Muthe ſeiner Truppen die Dämme zu erſteigen, den
Feind zum Abzuge zu nöthigen. Abermals war ein glänzender Sieg
allein durch die Preußen erfochten, und abermals bekamen die unglücklichen
Württemberger die Schärfe des preußiſchen Schwertes zu koſten. Der
Kampf ward mit ſolcher Wuth geführt, daß die ſchwarzen Huſaren einmal
gefangene italieniſche Kanoniere zwangen das Geſchütz auf ihre eigenen
Kameraden zu richten. Glückſelig focht General Oppen mitten im Ge-
tümmel; der war von der nahen Nordarmee herübergeritten und ließ ſichs
nicht nehmen als gemeiner Reiter mit ins Feuer zu gehen. Ein grauſiger
Anblick, wie die armen Leineweber von der ſchleſiſchen Landwehr ſchaaren-
weiſe mit durchſchoſſener Bruſt auf dem naſſen Boden lagen unter den
Obſtbäumen an den Elbdeichen; vor der Schlacht hatten ſie ſich noch ge-
mächlich Pflaumen geſchüttelt. Als Eichhorn dieſe kümmerlichen Leiber
betrachtete, in denen ſo viel Liebe und ſo viel Heldenmuth gewohnt, da
durchſchauerte ihn heilige Andacht und er erkannte was es heiße, daß der
Herr auch in den Schwachen mächtig iſt. Der höchſte Preis gebührte
doch dem Kolbergiſchen Leibregimente, jener tapferen Schaar, die ſchon an
Gneiſenaus Seite geſtanden als das Geſtirn des Helden zuerſt aufging;
vor dieſer Truppe entblößte der geſtrenge York ſein Haupt, wie einſt

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[496/0512] I. 4. Der Befreiungskrieg. entſchloſſen ſie ſich eigenmächtig, nordweſtwärts über die Elbe zu ziehen und den Zauderer Bernadotte mit ſich fortzureißen; gelang dies, ſo mußte das große Hauptquartier endlich den Muth finden das Erzgebirge zu über- ſchreiten, und etwa in der Gegend von Leipzig konnten die drei Armeen ſich vereinigen. Zog Napoleon mittlerweile nach Schleſien, um ſo beſſer für die Verbündeten, dann verlegten ſie ihm mit geſammelter Kraft den Rück- zug; nicht die Sicherung einer Provinz, ſondern das Lager des Feindes war Gneiſenaus Ziel. Wir alſo, ſchrieb er ſtolz, wollen die Scene eröffnen und die Hauptrolle übernehmen, da die Andren es nicht wollen. Der König war mit dem kühnen Entſchluſſe einverſtanden, aber der ruſſiſche Bevoll- mächtigte im Blücher’ſchen Hauptquartier legte förmlich Verwahrung ein. Am 26. September traf Bennigſen mit der ruſſiſchen Reſervearmee aus Polen im Teplitzer Thale ein; Schwarzenberg gebot fortan über eine gewaltige Uebermacht, wenn er ſie nur zu vereinigen verſtand. Am ſelben Tage brach Blücher aus der Lauſitz auf; es war die entſcheidende Wen- dung des Feldzugs. Am 3. October überſchritt er die Elbe bei Warten- burg, in jener ſumpfigen Niederung, wo die Schwarze Elſter ſich mit dem Strome vereinigt. Drüben auf dem linken Ufer ſtand das Corps Bertrands, Franzoſen, Italiener, Rheinbündner, zwiſchen Wartenburg und Bleddin, den Augen der Preußen völlig entzogen, geſchützt durch hohe Dämme und durch die ſumpfigen Altwaſſer der Elbe. Gegen dieſe faſt unangreifbare Stellung ließ Blücher das York’ſche Corps vorgehen. York fluchte wieder über die Tollheit der Pläne Gneiſenaus, doch er übernahm das Wag- niß, und nach wiederholtem vergeblichem Sturme gelang es wirklich dem unvergleichlichen Muthe ſeiner Truppen die Dämme zu erſteigen, den Feind zum Abzuge zu nöthigen. Abermals war ein glänzender Sieg allein durch die Preußen erfochten, und abermals bekamen die unglücklichen Württemberger die Schärfe des preußiſchen Schwertes zu koſten. Der Kampf ward mit ſolcher Wuth geführt, daß die ſchwarzen Huſaren einmal gefangene italieniſche Kanoniere zwangen das Geſchütz auf ihre eigenen Kameraden zu richten. Glückſelig focht General Oppen mitten im Ge- tümmel; der war von der nahen Nordarmee herübergeritten und ließ ſichs nicht nehmen als gemeiner Reiter mit ins Feuer zu gehen. Ein grauſiger Anblick, wie die armen Leineweber von der ſchleſiſchen Landwehr ſchaaren- weiſe mit durchſchoſſener Bruſt auf dem naſſen Boden lagen unter den Obſtbäumen an den Elbdeichen; vor der Schlacht hatten ſie ſich noch ge- mächlich Pflaumen geſchüttelt. Als Eichhorn dieſe kümmerlichen Leiber betrachtete, in denen ſo viel Liebe und ſo viel Heldenmuth gewohnt, da durchſchauerte ihn heilige Andacht und er erkannte was es heiße, daß der Herr auch in den Schwachen mächtig iſt. Der höchſte Preis gebührte doch dem Kolbergiſchen Leibregimente, jener tapferen Schaar, die ſchon an Gneiſenaus Seite geſtanden als das Geſtirn des Helden zuerſt aufging; vor dieſer Truppe entblößte der geſtrenge York ſein Haupt, wie einſt

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/512>, abgerufen am 22.11.2024.