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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Schlacht von Wartenburg.
König Friedrich vor den Ansbach-Baireuth-Dragonern. Blücher aber
rief, als Abends im Wartenburger Schlosse der Becher kreiste, den Sohn
Scharnhorsts an seine Seite, gedachte des Vaters in bewegten Worten,
nannte sich selber bescheiden einen Handwerker, der nur ausführe was
jener Unvergeßliche geplant.

Die Elbe war überschritten. In einer persönlichen Unterredung be-
wog Blücher den schwedischen Kronprinzen, seinem Zuge zu folgen; der-
weil Bernadotte in den süßesten Artigkeiten sich erging, rief der Alte seinem
Dolmetscher zu: sagen Sie dem Kerl, der Teufel soll ihn holen wenn er
nicht will! Schon am 8. October stand die schlesische Armee in der Nähe
von Düben, wenige Meilen nördlich von Leipzig, hinter ihr bei Dessau
das Nordheer. Blüchers Vormarsch brachte Alles in Bewegung. Während
das böhmische Heer sich endlich anschickte auf Leipzig zu marschiren, nahm
Napoleon seine Truppen vom rechten Elbufer zurück, mit dem Befehle vorher
Alles bis auf den letzten Obstbaum zu zerstören, sicherte Dresden durch
eine starke Garnison und eilte selber nordwestwärts, den beiden vereinigten
Armeen entgegen. Doch Blücher wich abermals aus, zog sich westlich
über die Saale, so daß ihm der Weg nach Leipzig offen blieb, und der
diplomatischen Kunst Rühle von Liliensterns gelang es auch den Kron-
prinzen, der schon über die Elbe zurückweichen wollte, zu dem Marsche
über die Saale zu bewegen. Napoleon erkannte zu spät, daß er in die
Luft gestoßen hatte. Jetzt, in der höchsten Bedrängniß, kam er nochmals
auf seinen Lieblingsplan zurück und dachte an einen fünften Zug gegen
Berlin: so leidenschaftlich war sein Verlangen den Heerd der deutschen
Volksbewegung zu züchtigen. Seine Vortruppen drangen bereits über die
Elbe, Tauentzien trat mit seinem Corps einen übereilten Rückzug an, und
am 13. October befürchtete die preußische Hauptstadt noch einmal einen
feindlichen Angriff. Doch inzwischen hatte der Imperator seinen Entschluß
wieder geändert und wendete sich nach Leipzig zurück. Sein Stolz ver-
schmähte die offene Rückzugsstraße nach dem Rheine; er hoffte dicht vor
den Mauern Leipzigs der von Süden heranrückenden böhmischen Armee
die Schlacht anzubieten, bevor die beiden anderen Heere eintrafen. Das
edle Wild war gestellt; das gewaltige Kesseltreiben dieses Herbstes näherte
sich dem Ende.

Gneisenaus Augen leuchteten, als er am Morgen des 16. Octobers
das ungeheure Schlachtfeld überblickte, wie vom Nordwesten und Norden,
vom Südosten und Süden her die Heersäulen der Verbündeten im weiten
Halbkreise gegen Leipzig heranzogen. Er wußte, die Stunde der Erfül-
lung hatte geschlagen, und wie er empfand das Volk. Wie oft hatten
sich die Deutschen erfreut an den Schilderungen der Kaufleute von dem
vielsprachigen Völkergewimmel, das von Zeit zu Zeit marktend und
schachernd die hochgiebligen Straßen der alten Meßstadt erfüllte; jetzt
strömten wieder alle Völker des Welttheils vom Ebro bis zur Wolga in

Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 32

Schlacht von Wartenburg.
König Friedrich vor den Ansbach-Baireuth-Dragonern. Blücher aber
rief, als Abends im Wartenburger Schloſſe der Becher kreiſte, den Sohn
Scharnhorſts an ſeine Seite, gedachte des Vaters in bewegten Worten,
nannte ſich ſelber beſcheiden einen Handwerker, der nur ausführe was
jener Unvergeßliche geplant.

Die Elbe war überſchritten. In einer perſönlichen Unterredung be-
wog Blücher den ſchwediſchen Kronprinzen, ſeinem Zuge zu folgen; der-
weil Bernadotte in den ſüßeſten Artigkeiten ſich erging, rief der Alte ſeinem
Dolmetſcher zu: ſagen Sie dem Kerl, der Teufel ſoll ihn holen wenn er
nicht will! Schon am 8. October ſtand die ſchleſiſche Armee in der Nähe
von Düben, wenige Meilen nördlich von Leipzig, hinter ihr bei Deſſau
das Nordheer. Blüchers Vormarſch brachte Alles in Bewegung. Während
das böhmiſche Heer ſich endlich anſchickte auf Leipzig zu marſchiren, nahm
Napoleon ſeine Truppen vom rechten Elbufer zurück, mit dem Befehle vorher
Alles bis auf den letzten Obſtbaum zu zerſtören, ſicherte Dresden durch
eine ſtarke Garniſon und eilte ſelber nordweſtwärts, den beiden vereinigten
Armeen entgegen. Doch Blücher wich abermals aus, zog ſich weſtlich
über die Saale, ſo daß ihm der Weg nach Leipzig offen blieb, und der
diplomatiſchen Kunſt Rühle von Lilienſterns gelang es auch den Kron-
prinzen, der ſchon über die Elbe zurückweichen wollte, zu dem Marſche
über die Saale zu bewegen. Napoleon erkannte zu ſpät, daß er in die
Luft geſtoßen hatte. Jetzt, in der höchſten Bedrängniß, kam er nochmals
auf ſeinen Lieblingsplan zurück und dachte an einen fünften Zug gegen
Berlin: ſo leidenſchaftlich war ſein Verlangen den Heerd der deutſchen
Volksbewegung zu züchtigen. Seine Vortruppen drangen bereits über die
Elbe, Tauentzien trat mit ſeinem Corps einen übereilten Rückzug an, und
am 13. October befürchtete die preußiſche Hauptſtadt noch einmal einen
feindlichen Angriff. Doch inzwiſchen hatte der Imperator ſeinen Entſchluß
wieder geändert und wendete ſich nach Leipzig zurück. Sein Stolz ver-
ſchmähte die offene Rückzugsſtraße nach dem Rheine; er hoffte dicht vor
den Mauern Leipzigs der von Süden heranrückenden böhmiſchen Armee
die Schlacht anzubieten, bevor die beiden anderen Heere eintrafen. Das
edle Wild war geſtellt; das gewaltige Keſſeltreiben dieſes Herbſtes näherte
ſich dem Ende.

Gneiſenaus Augen leuchteten, als er am Morgen des 16. Octobers
das ungeheure Schlachtfeld überblickte, wie vom Nordweſten und Norden,
vom Südoſten und Süden her die Heerſäulen der Verbündeten im weiten
Halbkreiſe gegen Leipzig heranzogen. Er wußte, die Stunde der Erfül-
lung hatte geſchlagen, und wie er empfand das Volk. Wie oft hatten
ſich die Deutſchen erfreut an den Schilderungen der Kaufleute von dem
vielſprachigen Völkergewimmel, das von Zeit zu Zeit marktend und
ſchachernd die hochgiebligen Straßen der alten Meßſtadt erfüllte; jetzt
ſtrömten wieder alle Völker des Welttheils vom Ebro bis zur Wolga in

Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 32
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[497/0513] Schlacht von Wartenburg. König Friedrich vor den Ansbach-Baireuth-Dragonern. Blücher aber rief, als Abends im Wartenburger Schloſſe der Becher kreiſte, den Sohn Scharnhorſts an ſeine Seite, gedachte des Vaters in bewegten Worten, nannte ſich ſelber beſcheiden einen Handwerker, der nur ausführe was jener Unvergeßliche geplant. Die Elbe war überſchritten. In einer perſönlichen Unterredung be- wog Blücher den ſchwediſchen Kronprinzen, ſeinem Zuge zu folgen; der- weil Bernadotte in den ſüßeſten Artigkeiten ſich erging, rief der Alte ſeinem Dolmetſcher zu: ſagen Sie dem Kerl, der Teufel ſoll ihn holen wenn er nicht will! Schon am 8. October ſtand die ſchleſiſche Armee in der Nähe von Düben, wenige Meilen nördlich von Leipzig, hinter ihr bei Deſſau das Nordheer. Blüchers Vormarſch brachte Alles in Bewegung. Während das böhmiſche Heer ſich endlich anſchickte auf Leipzig zu marſchiren, nahm Napoleon ſeine Truppen vom rechten Elbufer zurück, mit dem Befehle vorher Alles bis auf den letzten Obſtbaum zu zerſtören, ſicherte Dresden durch eine ſtarke Garniſon und eilte ſelber nordweſtwärts, den beiden vereinigten Armeen entgegen. Doch Blücher wich abermals aus, zog ſich weſtlich über die Saale, ſo daß ihm der Weg nach Leipzig offen blieb, und der diplomatiſchen Kunſt Rühle von Lilienſterns gelang es auch den Kron- prinzen, der ſchon über die Elbe zurückweichen wollte, zu dem Marſche über die Saale zu bewegen. Napoleon erkannte zu ſpät, daß er in die Luft geſtoßen hatte. Jetzt, in der höchſten Bedrängniß, kam er nochmals auf ſeinen Lieblingsplan zurück und dachte an einen fünften Zug gegen Berlin: ſo leidenſchaftlich war ſein Verlangen den Heerd der deutſchen Volksbewegung zu züchtigen. Seine Vortruppen drangen bereits über die Elbe, Tauentzien trat mit ſeinem Corps einen übereilten Rückzug an, und am 13. October befürchtete die preußiſche Hauptſtadt noch einmal einen feindlichen Angriff. Doch inzwiſchen hatte der Imperator ſeinen Entſchluß wieder geändert und wendete ſich nach Leipzig zurück. Sein Stolz ver- ſchmähte die offene Rückzugsſtraße nach dem Rheine; er hoffte dicht vor den Mauern Leipzigs der von Süden heranrückenden böhmiſchen Armee die Schlacht anzubieten, bevor die beiden anderen Heere eintrafen. Das edle Wild war geſtellt; das gewaltige Keſſeltreiben dieſes Herbſtes näherte ſich dem Ende. Gneiſenaus Augen leuchteten, als er am Morgen des 16. Octobers das ungeheure Schlachtfeld überblickte, wie vom Nordweſten und Norden, vom Südoſten und Süden her die Heerſäulen der Verbündeten im weiten Halbkreiſe gegen Leipzig heranzogen. Er wußte, die Stunde der Erfül- lung hatte geſchlagen, und wie er empfand das Volk. Wie oft hatten ſich die Deutſchen erfreut an den Schilderungen der Kaufleute von dem vielſprachigen Völkergewimmel, das von Zeit zu Zeit marktend und ſchachernd die hochgiebligen Straßen der alten Meßſtadt erfüllte; jetzt ſtrömten wieder alle Völker des Welttheils vom Ebro bis zur Wolga in Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 32

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/513>, abgerufen am 22.11.2024.