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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 5. Ende der Kriegszeit.
und erkannte nicht, daß Metternich keineswegs aus leichtsinniger Gut-
müthigkeit fehlte, sondern vielmehr geschickt und folgerecht das bereits in
Teplitz ausgesprochene Ziel der Selbständigkeit aller deutschen Fürsten
verfolgte.

Sechs Wochen nach der Entscheidungsschlacht waren die Fürsten-
revolutionen von 1803 und 1806 durch eine große Amnestie gesühnt,
Frankreichs deutsche Vasallen allesammt in die große Allianz aufgenommen.
Einzelne der kleinen norddeutschen Fürsten freuten sich ehrlich der Er-
lösung vom fremden Joche, keiner aufrichtiger als Herzog Karl August.
Der Weimarische Hof war auch während dieser argen Jahre eine Heim-
stätte deutschen Geistes geblieben; Napoleon selbst hatte die fürstliche Hal-
tung der Herzogin-Mutter bewundert, als sie ihm nach der Jenaer
Schlacht stolz und würdig entgegentrat. Ihr aber blieb ein tiefer Ab-
scheu gegen den Imperator; sie errieth, wie Luise von Preußen und Ka-
roline von Baiern, mit dem sicheren Instincte des edlen Weibes den Zug
der Gemeinheit in dem Wesen des großen Mannes. Wie sie empfand
ihr Sohn; die Franzosen wollten dem leichtlebigen, lustigen Herrn nichts
Arges zutrauen und ahnten nicht, daß er jahrelang mit den preußischen
Patrioten in geheimem Verkehre stand. Sobald er die Hände wieder
frei hatte trat er als russischer General in das Heer der Verbündeten
ein und sagte traurig über seinen noch immer hoffnungslos verstimmten
Freund Goethe: "Laßt ihn, er ist alt geworden!"

Ganz anders war die Stimmung der süddeutschen Höfe. Sie thaten
nur was sie nicht lassen und ließen nur was sie nicht thun durften. Unver-
hohlen sprach Montgelas seinen Groll aus wider "die fatale Deutschheit".
Der württembergische Despot verbot bei Festungsstrafe alle politischen Ge-
spräche, entließ sofort den bei Leipzig übergegangenen General und herrschte
einen seiner Landvögte, der sich im deutschen Sinne ausgesprochen hatte, mit
der Weisung an: "Es ist die Pflicht eines jeden guten Dieners, nur die
Sache, für welche sein Souverän sich erklärt hat, als die wahre gute
Sache anzusehen." Von seinem Besuche im Frankfurter Hauptquartier
kehrte er sehr unwirsch heim. Keinen Fetzen nachbarlichen Landes hatten
ihm die Verbündeten zum Lohne für den Fahnenwechsel gewährt, wie
viel einträglicher war doch der Dienst des Imperators gewesen! Sofort
trat er wieder in geheimen verrätherischen Verkehr mit dem freigebigen
Protector. Auch in Baden währte es eine geraume Weile, bis die
Carlsruher Staatszeitung statt des gewohnten "Seine Majestät der Kaiser"
erst "Napoleon" und endlich "der Feind" schrieb; als der Uebertritt un-
vermeidlich wurde, sprach Großherzog Karl dem Protector noch sein leb-
haftes Bedauern aus. Napoleon aber verstand seine Leute zu behandeln,
er schwor im Falle der Rückkehr ihre Länder zu verwüsten, wie einst Lud-
wig XIV. die Pfalz. Mit geballter Faust und einem grimmigen: "Du
sollst mirs bezahlen, mein Fürst!" schied sein Gesandter Vendeuil von

I. 5. Ende der Kriegszeit.
und erkannte nicht, daß Metternich keineswegs aus leichtſinniger Gut-
müthigkeit fehlte, ſondern vielmehr geſchickt und folgerecht das bereits in
Teplitz ausgeſprochene Ziel der Selbſtändigkeit aller deutſchen Fürſten
verfolgte.

Sechs Wochen nach der Entſcheidungsſchlacht waren die Fürſten-
revolutionen von 1803 und 1806 durch eine große Amneſtie geſühnt,
Frankreichs deutſche Vaſallen alleſammt in die große Allianz aufgenommen.
Einzelne der kleinen norddeutſchen Fürſten freuten ſich ehrlich der Er-
löſung vom fremden Joche, keiner aufrichtiger als Herzog Karl Auguſt.
Der Weimariſche Hof war auch während dieſer argen Jahre eine Heim-
ſtätte deutſchen Geiſtes geblieben; Napoleon ſelbſt hatte die fürſtliche Hal-
tung der Herzogin-Mutter bewundert, als ſie ihm nach der Jenaer
Schlacht ſtolz und würdig entgegentrat. Ihr aber blieb ein tiefer Ab-
ſcheu gegen den Imperator; ſie errieth, wie Luiſe von Preußen und Ka-
roline von Baiern, mit dem ſicheren Inſtincte des edlen Weibes den Zug
der Gemeinheit in dem Weſen des großen Mannes. Wie ſie empfand
ihr Sohn; die Franzoſen wollten dem leichtlebigen, luſtigen Herrn nichts
Arges zutrauen und ahnten nicht, daß er jahrelang mit den preußiſchen
Patrioten in geheimem Verkehre ſtand. Sobald er die Hände wieder
frei hatte trat er als ruſſiſcher General in das Heer der Verbündeten
ein und ſagte traurig über ſeinen noch immer hoffnungslos verſtimmten
Freund Goethe: „Laßt ihn, er iſt alt geworden!“

Ganz anders war die Stimmung der ſüddeutſchen Höfe. Sie thaten
nur was ſie nicht laſſen und ließen nur was ſie nicht thun durften. Unver-
hohlen ſprach Montgelas ſeinen Groll aus wider „die fatale Deutſchheit“.
Der württembergiſche Despot verbot bei Feſtungsſtrafe alle politiſchen Ge-
ſpräche, entließ ſofort den bei Leipzig übergegangenen General und herrſchte
einen ſeiner Landvögte, der ſich im deutſchen Sinne ausgeſprochen hatte, mit
der Weiſung an: „Es iſt die Pflicht eines jeden guten Dieners, nur die
Sache, für welche ſein Souverän ſich erklärt hat, als die wahre gute
Sache anzuſehen.“ Von ſeinem Beſuche im Frankfurter Hauptquartier
kehrte er ſehr unwirſch heim. Keinen Fetzen nachbarlichen Landes hatten
ihm die Verbündeten zum Lohne für den Fahnenwechſel gewährt, wie
viel einträglicher war doch der Dienſt des Imperators geweſen! Sofort
trat er wieder in geheimen verrätheriſchen Verkehr mit dem freigebigen
Protector. Auch in Baden währte es eine geraume Weile, bis die
Carlsruher Staatszeitung ſtatt des gewohnten „Seine Majeſtät der Kaiſer“
erſt „Napoleon“ und endlich „der Feind“ ſchrieb; als der Uebertritt un-
vermeidlich wurde, ſprach Großherzog Karl dem Protector noch ſein leb-
haftes Bedauern aus. Napoleon aber verſtand ſeine Leute zu behandeln,
er ſchwor im Falle der Rückkehr ihre Länder zu verwüſten, wie einſt Lud-
wig XIV. die Pfalz. Mit geballter Fauſt und einem grimmigen: „Du
ſollſt mirs bezahlen, mein Fürſt!“ ſchied ſein Geſandter Vendeuil von

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[518/0534] I. 5. Ende der Kriegszeit. und erkannte nicht, daß Metternich keineswegs aus leichtſinniger Gut- müthigkeit fehlte, ſondern vielmehr geſchickt und folgerecht das bereits in Teplitz ausgeſprochene Ziel der Selbſtändigkeit aller deutſchen Fürſten verfolgte. Sechs Wochen nach der Entſcheidungsſchlacht waren die Fürſten- revolutionen von 1803 und 1806 durch eine große Amneſtie geſühnt, Frankreichs deutſche Vaſallen alleſammt in die große Allianz aufgenommen. Einzelne der kleinen norddeutſchen Fürſten freuten ſich ehrlich der Er- löſung vom fremden Joche, keiner aufrichtiger als Herzog Karl Auguſt. Der Weimariſche Hof war auch während dieſer argen Jahre eine Heim- ſtätte deutſchen Geiſtes geblieben; Napoleon ſelbſt hatte die fürſtliche Hal- tung der Herzogin-Mutter bewundert, als ſie ihm nach der Jenaer Schlacht ſtolz und würdig entgegentrat. Ihr aber blieb ein tiefer Ab- ſcheu gegen den Imperator; ſie errieth, wie Luiſe von Preußen und Ka- roline von Baiern, mit dem ſicheren Inſtincte des edlen Weibes den Zug der Gemeinheit in dem Weſen des großen Mannes. Wie ſie empfand ihr Sohn; die Franzoſen wollten dem leichtlebigen, luſtigen Herrn nichts Arges zutrauen und ahnten nicht, daß er jahrelang mit den preußiſchen Patrioten in geheimem Verkehre ſtand. Sobald er die Hände wieder frei hatte trat er als ruſſiſcher General in das Heer der Verbündeten ein und ſagte traurig über ſeinen noch immer hoffnungslos verſtimmten Freund Goethe: „Laßt ihn, er iſt alt geworden!“ Ganz anders war die Stimmung der ſüddeutſchen Höfe. Sie thaten nur was ſie nicht laſſen und ließen nur was ſie nicht thun durften. Unver- hohlen ſprach Montgelas ſeinen Groll aus wider „die fatale Deutſchheit“. Der württembergiſche Despot verbot bei Feſtungsſtrafe alle politiſchen Ge- ſpräche, entließ ſofort den bei Leipzig übergegangenen General und herrſchte einen ſeiner Landvögte, der ſich im deutſchen Sinne ausgeſprochen hatte, mit der Weiſung an: „Es iſt die Pflicht eines jeden guten Dieners, nur die Sache, für welche ſein Souverän ſich erklärt hat, als die wahre gute Sache anzuſehen.“ Von ſeinem Beſuche im Frankfurter Hauptquartier kehrte er ſehr unwirſch heim. Keinen Fetzen nachbarlichen Landes hatten ihm die Verbündeten zum Lohne für den Fahnenwechſel gewährt, wie viel einträglicher war doch der Dienſt des Imperators geweſen! Sofort trat er wieder in geheimen verrätheriſchen Verkehr mit dem freigebigen Protector. Auch in Baden währte es eine geraume Weile, bis die Carlsruher Staatszeitung ſtatt des gewohnten „Seine Majeſtät der Kaiſer“ erſt „Napoleon“ und endlich „der Feind“ ſchrieb; als der Uebertritt un- vermeidlich wurde, ſprach Großherzog Karl dem Protector noch ſein leb- haftes Bedauern aus. Napoleon aber verſtand ſeine Leute zu behandeln, er ſchwor im Falle der Rückkehr ihre Länder zu verwüſten, wie einſt Lud- wig XIV. die Pfalz. Mit geballter Fauſt und einem grimmigen: „Du ſollſt mirs bezahlen, mein Fürſt!“ ſchied ſein Geſandter Vendeuil von

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/534>, abgerufen am 22.11.2024.