war den Deutschen auch jetzt noch nicht beschieden. Erst in weit späteren Tagen erregten die historische Wissenschaft und der endlich erwachte Ein- heitsdrang unter den Süddeutschen eine nachträgliche Begeisterung für den Befreiungskrieg, wie sie die Zeitgenossen in solchem Maaße nicht gehegt hatten.
Während die Mächte mit den süddeutschen Höfen verhandelten, be- riethen sie zugleich unter sich über die Fortführung des Krieges. Frank- reich lag wehrlos vor der Spitze ihres Schwertes; es stand wirklich so, wie Ney späterhin spottete: "Die Herren Alliirten konnten Marsch für Marsch ihre Nachtquartiere bis nach Paris im Voraus bestimmen." Radetzky wies in einer lichtvollen Denkschrift auf die entscheidende That- sache hin, daß Napoleon kein Heer mehr besitze und mithin der Winter- feldzug seine Schrecken verliere. Selbst Schwarzenberg war für den Ein- marsch in Frankreich, schon weil er nicht absah, wie er diese ungeheuren Heeresmassen in den ausgesogenen deutschen Landen verpflegen sollte; "meine Basis, meinte er zuversichtlich, ist Europa vom Eismeere bis zum Hellespont, für diese wird doch Paris das Operationsobject sein dürfen?" Noch weit nachdrücklicher mahnte Gneisenau seinen König zu raschem Vorgehen, bevor die lockere Coalition sich auflöse; wenn man sogleich von den Niederlanden und dem Mittelrheine her das französische Land an seiner verwundbarsten Stelle packe, so sei der gefürchtete drei- fache Festungsgürtel der Ostgrenze für Napoleon nicht ein Schutz, son- dern ein Nachtheil, da dem Imperator die Truppen zur Besetzung der festen Plätze fehlten. Blücher endlich war von Haus aus nicht darüber in Zweifel gewesen, daß dieser Krieg nur an der Seine enden dürfe: "der Tyrann hat alle Hauptstädte besucht, geplündert und bestohlen; wir wollen uns so was nicht schuldig machen, aber unsere Ehre fordert das Vergel- tungsrecht, ihn in seinem Neste zu besuchen."
Dem schlichten Verstande erschien die Lage so einfach, daß sogar Erzherzog Johann, ein keineswegs heroischer Geist, die Einnahme von Paris als sicher ansah. Aber in der diplomatischen Welt herrschte seit Jahrhunderten unerschütterlich wie ein Glaubenssatz die Meinung, Frankreich sei auf seinem eigenen Boden unbesiegbar. Hatten doch selbst Karl V. und Prinz Eugen, die allezeit Glücklichen, nichts ausgerichtet, als sie in das Innere des Landes einzudringen wagten; und wie kläg- lich war der Feldzug von 1792 verlaufen, obgleich Frankreich auch da- mals kein schlagfertiges Heer besaß. Die Franzosen Bernadotte und Jomini schilderten die Gefahren des vermessenen Unternehmens in den dunkelsten Farben. Knesebeck rieth besorglich die Götter nicht zu ver- suchen. York grollte über den elenden Zustand seines tapferen Corps und verlangte mindestens eine kurze Ruhe für die erschöpften Truppen. Auch König Friedrich Wilhelm unterlag für einige Zeit einem Anfalle seines Kleinmuths. Der Zweck, um dessentwillen er im Frühjahr das
Verhandlungen über den Kriegsplan.
war den Deutſchen auch jetzt noch nicht beſchieden. Erſt in weit ſpäteren Tagen erregten die hiſtoriſche Wiſſenſchaft und der endlich erwachte Ein- heitsdrang unter den Süddeutſchen eine nachträgliche Begeiſterung für den Befreiungskrieg, wie ſie die Zeitgenoſſen in ſolchem Maaße nicht gehegt hatten.
Während die Mächte mit den ſüddeutſchen Höfen verhandelten, be- riethen ſie zugleich unter ſich über die Fortführung des Krieges. Frank- reich lag wehrlos vor der Spitze ihres Schwertes; es ſtand wirklich ſo, wie Ney ſpäterhin ſpottete: „Die Herren Alliirten konnten Marſch für Marſch ihre Nachtquartiere bis nach Paris im Voraus beſtimmen.“ Radetzky wies in einer lichtvollen Denkſchrift auf die entſcheidende That- ſache hin, daß Napoleon kein Heer mehr beſitze und mithin der Winter- feldzug ſeine Schrecken verliere. Selbſt Schwarzenberg war für den Ein- marſch in Frankreich, ſchon weil er nicht abſah, wie er dieſe ungeheuren Heeresmaſſen in den ausgeſogenen deutſchen Landen verpflegen ſollte; „meine Baſis, meinte er zuverſichtlich, iſt Europa vom Eismeere bis zum Hellespont, für dieſe wird doch Paris das Operationsobject ſein dürfen?“ Noch weit nachdrücklicher mahnte Gneiſenau ſeinen König zu raſchem Vorgehen, bevor die lockere Coalition ſich auflöſe; wenn man ſogleich von den Niederlanden und dem Mittelrheine her das franzöſiſche Land an ſeiner verwundbarſten Stelle packe, ſo ſei der gefürchtete drei- fache Feſtungsgürtel der Oſtgrenze für Napoleon nicht ein Schutz, ſon- dern ein Nachtheil, da dem Imperator die Truppen zur Beſetzung der feſten Plätze fehlten. Blücher endlich war von Haus aus nicht darüber in Zweifel geweſen, daß dieſer Krieg nur an der Seine enden dürfe: „der Tyrann hat alle Hauptſtädte beſucht, geplündert und beſtohlen; wir wollen uns ſo was nicht ſchuldig machen, aber unſere Ehre fordert das Vergel- tungsrecht, ihn in ſeinem Neſte zu beſuchen.“
Dem ſchlichten Verſtande erſchien die Lage ſo einfach, daß ſogar Erzherzog Johann, ein keineswegs heroiſcher Geiſt, die Einnahme von Paris als ſicher anſah. Aber in der diplomatiſchen Welt herrſchte ſeit Jahrhunderten unerſchütterlich wie ein Glaubensſatz die Meinung, Frankreich ſei auf ſeinem eigenen Boden unbeſiegbar. Hatten doch ſelbſt Karl V. und Prinz Eugen, die allezeit Glücklichen, nichts ausgerichtet, als ſie in das Innere des Landes einzudringen wagten; und wie kläg- lich war der Feldzug von 1792 verlaufen, obgleich Frankreich auch da- mals kein ſchlagfertiges Heer beſaß. Die Franzoſen Bernadotte und Jomini ſchilderten die Gefahren des vermeſſenen Unternehmens in den dunkelſten Farben. Kneſebeck rieth beſorglich die Götter nicht zu ver- ſuchen. York grollte über den elenden Zuſtand ſeines tapferen Corps und verlangte mindeſtens eine kurze Ruhe für die erſchöpften Truppen. Auch König Friedrich Wilhelm unterlag für einige Zeit einem Anfalle ſeines Kleinmuths. Der Zweck, um deſſentwillen er im Frühjahr das
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Verhandlungen über den Kriegsplan.
war den Deutſchen auch jetzt noch nicht beſchieden. Erſt in weit ſpäteren
Tagen erregten die hiſtoriſche Wiſſenſchaft und der endlich erwachte Ein-
heitsdrang unter den Süddeutſchen eine nachträgliche Begeiſterung für den
Befreiungskrieg, wie ſie die Zeitgenoſſen in ſolchem Maaße nicht gehegt
hatten.
Während die Mächte mit den ſüddeutſchen Höfen verhandelten, be-
riethen ſie zugleich unter ſich über die Fortführung des Krieges. Frank-
reich lag wehrlos vor der Spitze ihres Schwertes; es ſtand wirklich ſo,
wie Ney ſpäterhin ſpottete: „Die Herren Alliirten konnten Marſch für
Marſch ihre Nachtquartiere bis nach Paris im Voraus beſtimmen.“
Radetzky wies in einer lichtvollen Denkſchrift auf die entſcheidende That-
ſache hin, daß Napoleon kein Heer mehr beſitze und mithin der Winter-
feldzug ſeine Schrecken verliere. Selbſt Schwarzenberg war für den Ein-
marſch in Frankreich, ſchon weil er nicht abſah, wie er dieſe ungeheuren
Heeresmaſſen in den ausgeſogenen deutſchen Landen verpflegen ſollte;
„meine Baſis, meinte er zuverſichtlich, iſt Europa vom Eismeere bis
zum Hellespont, für dieſe wird doch Paris das Operationsobject ſein
dürfen?“ Noch weit nachdrücklicher mahnte Gneiſenau ſeinen König zu
raſchem Vorgehen, bevor die lockere Coalition ſich auflöſe; wenn man
ſogleich von den Niederlanden und dem Mittelrheine her das franzöſiſche
Land an ſeiner verwundbarſten Stelle packe, ſo ſei der gefürchtete drei-
fache Feſtungsgürtel der Oſtgrenze für Napoleon nicht ein Schutz, ſon-
dern ein Nachtheil, da dem Imperator die Truppen zur Beſetzung der
feſten Plätze fehlten. Blücher endlich war von Haus aus nicht darüber in
Zweifel geweſen, daß dieſer Krieg nur an der Seine enden dürfe: „der
Tyrann hat alle Hauptſtädte beſucht, geplündert und beſtohlen; wir wollen
uns ſo was nicht ſchuldig machen, aber unſere Ehre fordert das Vergel-
tungsrecht, ihn in ſeinem Neſte zu beſuchen.“
Dem ſchlichten Verſtande erſchien die Lage ſo einfach, daß ſogar
Erzherzog Johann, ein keineswegs heroiſcher Geiſt, die Einnahme von
Paris als ſicher anſah. Aber in der diplomatiſchen Welt herrſchte
ſeit Jahrhunderten unerſchütterlich wie ein Glaubensſatz die Meinung,
Frankreich ſei auf ſeinem eigenen Boden unbeſiegbar. Hatten doch ſelbſt
Karl V. und Prinz Eugen, die allezeit Glücklichen, nichts ausgerichtet,
als ſie in das Innere des Landes einzudringen wagten; und wie kläg-
lich war der Feldzug von 1792 verlaufen, obgleich Frankreich auch da-
mals kein ſchlagfertiges Heer beſaß. Die Franzoſen Bernadotte und
Jomini ſchilderten die Gefahren des vermeſſenen Unternehmens in den
dunkelſten Farben. Kneſebeck rieth beſorglich die Götter nicht zu ver-
ſuchen. York grollte über den elenden Zuſtand ſeines tapferen Corps
und verlangte mindeſtens eine kurze Ruhe für die erſchöpften Truppen.
Auch König Friedrich Wilhelm unterlag für einige Zeit einem Anfalle
ſeines Kleinmuths. Der Zweck, um deſſentwillen er im Frühjahr das
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 521. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/537>, abgerufen am 22.11.2024.
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