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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 5. Ende der Kriegszeit.
Schwert gezogen hatte, die Befreiung Deutschlands bis zum Rheine, war
erreicht; seine langsame Natur bedurfte einer geraumen Weile, um sich
in die gänzlich veränderte Lage zu finden und einzusehen, daß alles bisher
Errungene nur durch die Vernichtung der französischen Uebermacht ge-
sichert werden konnte. Am Lebhaftesten aber wünschte der Wiener Hof
die schleunige Beendigung des unbequemen Krieges.

Schon zu Anfang Novembers hatte Metternich, gegen Sinn und
Wortlaut des Teplitzer Vertrags, einseitig Verhandlungen angeknüpft mit
dem gefangenen französischen Diplomaten St. Aignan und ihm zuge-
sichert, Niemand denke an Napoleons Entthronung; wenn der Imperator
die Unabhängigkeit von Spanien, Italien und Holland anerkenne, so
möge Frankreich innerhalb seiner natürlichen Grenzen, zwischen Rhein,
Alpen und Pyrenäen, seine alte Machtstellung behaupten und über die
kleinen deutschen Staaten, ohne förmliche Oberherrlichkeit, jenen Einfluß
ausüben, welcher jedem großen Staate den minder mächtigen gegenüber
nothwendig zustehe. Gelang dann noch eine Verständigung über die
Grenzen des österreichischen Machtgebietes in Italien, so war in der
That Alles erfüllt, was Metternich wünschte. Die Befreiung des linken
Rheinufers lag gänzlich außerhalb seines Gesichtskreises; seine Anschau-
ungen gingen über die mechanische Gleichgewichtslehre der alten Barrieren-
politik nicht hinaus. Ihm genügte vollauf, wenn eine Handvoll will-
kürlich gebildeter Kleinstaaten zwischen das streitlustige Frankreich und
die Ostmächte eingeschoben und also die Reibung der großen politischen
Massen durch einige Polsterkissen abgeschwächt wurde; war doch sein Haus
Oesterreich der natürliche Feind jeder kräftigen nationalen Staatsbildung.
Der englische Bevollmächtigte im Hauptquartiere, Lord Aberdeen, folgte
in allen continentalen Fragen blindlings der Ansicht Metternichs und
meinte, dem englischen Interesse sei genug geschehen, wenn nur Hannover
und die Niederlande wiederhergestellt würden. Zum Glück hatte er keine
genügende Vollmacht. Daher wurde Pozzo di Borgo nach London ge-
sendet, um die Zustimmung des Prinzregenten einzuholen, während
St. Aignan in Paris seinem Kaiser die Friedensvorschläge Metternichs
unterbreiten sollte.

Indessen kam Stein nach Frankfurt, den die österreichischen Staats-
männer bisher in Leipzig zurückgehalten hatten, und trat alsbald mit
flammendem Eifer für die Fortsetzung des Krieges ein. Es gelang, den
Czaren, dann auch den König zu gewinnen. Napoleons Stolz konnte
sich nicht entschließen, sofort auf die übergünstigen Vorschläge Oester-
reichs einzugehen. Als er sich endlich zu den Friedensverhandlungen
bereit erklärte -- freilich unter dem Vorbehalte, daß die Kleinstaaten
Deutschlands und Italiens keiner Oberherrlichkeit irgend welcher Art
unterworfen werden sollten -- da war im Hauptquartier bereits der
Entschluß gefaßt, zwar die Unterhandlungen nicht abzubrechen, doch

I. 5. Ende der Kriegszeit.
Schwert gezogen hatte, die Befreiung Deutſchlands bis zum Rheine, war
erreicht; ſeine langſame Natur bedurfte einer geraumen Weile, um ſich
in die gänzlich veränderte Lage zu finden und einzuſehen, daß alles bisher
Errungene nur durch die Vernichtung der franzöſiſchen Uebermacht ge-
ſichert werden konnte. Am Lebhafteſten aber wünſchte der Wiener Hof
die ſchleunige Beendigung des unbequemen Krieges.

Schon zu Anfang Novembers hatte Metternich, gegen Sinn und
Wortlaut des Teplitzer Vertrags, einſeitig Verhandlungen angeknüpft mit
dem gefangenen franzöſiſchen Diplomaten St. Aignan und ihm zuge-
ſichert, Niemand denke an Napoleons Entthronung; wenn der Imperator
die Unabhängigkeit von Spanien, Italien und Holland anerkenne, ſo
möge Frankreich innerhalb ſeiner natürlichen Grenzen, zwiſchen Rhein,
Alpen und Pyrenäen, ſeine alte Machtſtellung behaupten und über die
kleinen deutſchen Staaten, ohne förmliche Oberherrlichkeit, jenen Einfluß
ausüben, welcher jedem großen Staate den minder mächtigen gegenüber
nothwendig zuſtehe. Gelang dann noch eine Verſtändigung über die
Grenzen des öſterreichiſchen Machtgebietes in Italien, ſo war in der
That Alles erfüllt, was Metternich wünſchte. Die Befreiung des linken
Rheinufers lag gänzlich außerhalb ſeines Geſichtskreiſes; ſeine Anſchau-
ungen gingen über die mechaniſche Gleichgewichtslehre der alten Barrieren-
politik nicht hinaus. Ihm genügte vollauf, wenn eine Handvoll will-
kürlich gebildeter Kleinſtaaten zwiſchen das ſtreitluſtige Frankreich und
die Oſtmächte eingeſchoben und alſo die Reibung der großen politiſchen
Maſſen durch einige Polſterkiſſen abgeſchwächt wurde; war doch ſein Haus
Oeſterreich der natürliche Feind jeder kräftigen nationalen Staatsbildung.
Der engliſche Bevollmächtigte im Hauptquartiere, Lord Aberdeen, folgte
in allen continentalen Fragen blindlings der Anſicht Metternichs und
meinte, dem engliſchen Intereſſe ſei genug geſchehen, wenn nur Hannover
und die Niederlande wiederhergeſtellt würden. Zum Glück hatte er keine
genügende Vollmacht. Daher wurde Pozzo di Borgo nach London ge-
ſendet, um die Zuſtimmung des Prinzregenten einzuholen, während
St. Aignan in Paris ſeinem Kaiſer die Friedensvorſchläge Metternichs
unterbreiten ſollte.

Indeſſen kam Stein nach Frankfurt, den die öſterreichiſchen Staats-
männer bisher in Leipzig zurückgehalten hatten, und trat alsbald mit
flammendem Eifer für die Fortſetzung des Krieges ein. Es gelang, den
Czaren, dann auch den König zu gewinnen. Napoleons Stolz konnte
ſich nicht entſchließen, ſofort auf die übergünſtigen Vorſchläge Oeſter-
reichs einzugehen. Als er ſich endlich zu den Friedensverhandlungen
bereit erklärte — freilich unter dem Vorbehalte, daß die Kleinſtaaten
Deutſchlands und Italiens keiner Oberherrlichkeit irgend welcher Art
unterworfen werden ſollten — da war im Hauptquartier bereits der
Entſchluß gefaßt, zwar die Unterhandlungen nicht abzubrechen, doch

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[522/0538] I. 5. Ende der Kriegszeit. Schwert gezogen hatte, die Befreiung Deutſchlands bis zum Rheine, war erreicht; ſeine langſame Natur bedurfte einer geraumen Weile, um ſich in die gänzlich veränderte Lage zu finden und einzuſehen, daß alles bisher Errungene nur durch die Vernichtung der franzöſiſchen Uebermacht ge- ſichert werden konnte. Am Lebhafteſten aber wünſchte der Wiener Hof die ſchleunige Beendigung des unbequemen Krieges. Schon zu Anfang Novembers hatte Metternich, gegen Sinn und Wortlaut des Teplitzer Vertrags, einſeitig Verhandlungen angeknüpft mit dem gefangenen franzöſiſchen Diplomaten St. Aignan und ihm zuge- ſichert, Niemand denke an Napoleons Entthronung; wenn der Imperator die Unabhängigkeit von Spanien, Italien und Holland anerkenne, ſo möge Frankreich innerhalb ſeiner natürlichen Grenzen, zwiſchen Rhein, Alpen und Pyrenäen, ſeine alte Machtſtellung behaupten und über die kleinen deutſchen Staaten, ohne förmliche Oberherrlichkeit, jenen Einfluß ausüben, welcher jedem großen Staate den minder mächtigen gegenüber nothwendig zuſtehe. Gelang dann noch eine Verſtändigung über die Grenzen des öſterreichiſchen Machtgebietes in Italien, ſo war in der That Alles erfüllt, was Metternich wünſchte. Die Befreiung des linken Rheinufers lag gänzlich außerhalb ſeines Geſichtskreiſes; ſeine Anſchau- ungen gingen über die mechaniſche Gleichgewichtslehre der alten Barrieren- politik nicht hinaus. Ihm genügte vollauf, wenn eine Handvoll will- kürlich gebildeter Kleinſtaaten zwiſchen das ſtreitluſtige Frankreich und die Oſtmächte eingeſchoben und alſo die Reibung der großen politiſchen Maſſen durch einige Polſterkiſſen abgeſchwächt wurde; war doch ſein Haus Oeſterreich der natürliche Feind jeder kräftigen nationalen Staatsbildung. Der engliſche Bevollmächtigte im Hauptquartiere, Lord Aberdeen, folgte in allen continentalen Fragen blindlings der Anſicht Metternichs und meinte, dem engliſchen Intereſſe ſei genug geſchehen, wenn nur Hannover und die Niederlande wiederhergeſtellt würden. Zum Glück hatte er keine genügende Vollmacht. Daher wurde Pozzo di Borgo nach London ge- ſendet, um die Zuſtimmung des Prinzregenten einzuholen, während St. Aignan in Paris ſeinem Kaiſer die Friedensvorſchläge Metternichs unterbreiten ſollte. Indeſſen kam Stein nach Frankfurt, den die öſterreichiſchen Staats- männer bisher in Leipzig zurückgehalten hatten, und trat alsbald mit flammendem Eifer für die Fortſetzung des Krieges ein. Es gelang, den Czaren, dann auch den König zu gewinnen. Napoleons Stolz konnte ſich nicht entſchließen, ſofort auf die übergünſtigen Vorſchläge Oeſter- reichs einzugehen. Als er ſich endlich zu den Friedensverhandlungen bereit erklärte — freilich unter dem Vorbehalte, daß die Kleinſtaaten Deutſchlands und Italiens keiner Oberherrlichkeit irgend welcher Art unterworfen werden ſollten — da war im Hauptquartier bereits der Entſchluß gefaßt, zwar die Unterhandlungen nicht abzubrechen, doch

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 522. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/538>, abgerufen am 22.11.2024.