Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.Congreß von Chatillon. schwerlichen Seerechtes vertreten; sie hofften jetzt diese Gedanken Friedrichsund Katharinas durch einen Beschluß des gesammten Europas anerkannt zu sehen. England aber fühlte sich dadurch in den Grundfesten seiner Macht bedroht. Lord Cathcart erklärte rund heraus: hätten wir je die Grundsätze der bewaffneten Neutralität anerkannt, so wäre der französische Handel nicht zerstört worden und Napoleon regierte noch heute über die Welt; niemals wird Großbritannien auf den Meeren ein anderes Gesetz an- erkennen als die allgemeinen Regeln des "Völkerrechts". Wie die Dinge standen, lagen andere Fragen für jetzt den drei Festlandsmächten ungleich näher; zudem bedurften sie allesammt neuer Geldmittel für den Krieg, und der reiche Alliirte war bereit abermals 5 Mill. Pfd. St. Subsidien zu zahlen. Daher setzte England schon in der ersten Sitzung, am 5. Fe- bruar, durch, daß über die Angelegenheiten des Seerechts nicht verhandelt werden dürfe. Caulaincourt widersprach nicht; auch er hatte dringendere Sorgen. So ist es geschehen, daß der faulste Fleck des modernen Völ- kerrechts während der langen Friedensverhandlungen zu Chatillon, Paris und Wien gar nicht berührt wurde. Die öffentliche Meinung, blind be- geistert wie sie war für das glorreiche Albion, fand an Alledem kein Arg. Einmal im Zuge suchte Lord Castlereagh sogleich noch einen zweiten Unterdessen waren die ersten Nachrichten von Blüchers Unglücksfällen *) Hardenbergs Tagebuch 15. Februar 1814. Castlereaghs Denkschrift über die Niederlande, 28. Jan. 1815. **) Hardenbergs Tagebuch 14. Februar 1814.
Congreß von Chatillon. ſchwerlichen Seerechtes vertreten; ſie hofften jetzt dieſe Gedanken Friedrichsund Katharinas durch einen Beſchluß des geſammten Europas anerkannt zu ſehen. England aber fühlte ſich dadurch in den Grundfeſten ſeiner Macht bedroht. Lord Cathcart erklärte rund heraus: hätten wir je die Grundſätze der bewaffneten Neutralität anerkannt, ſo wäre der franzöſiſche Handel nicht zerſtört worden und Napoleon regierte noch heute über die Welt; niemals wird Großbritannien auf den Meeren ein anderes Geſetz an- erkennen als die allgemeinen Regeln des „Völkerrechts“. Wie die Dinge ſtanden, lagen andere Fragen für jetzt den drei Feſtlandsmächten ungleich näher; zudem bedurften ſie alleſammt neuer Geldmittel für den Krieg, und der reiche Alliirte war bereit abermals 5 Mill. Pfd. St. Subſidien zu zahlen. Daher ſetzte England ſchon in der erſten Sitzung, am 5. Fe- bruar, durch, daß über die Angelegenheiten des Seerechts nicht verhandelt werden dürfe. Caulaincourt widerſprach nicht; auch er hatte dringendere Sorgen. So iſt es geſchehen, daß der faulſte Fleck des modernen Völ- kerrechts während der langen Friedensverhandlungen zu Chatillon, Paris und Wien gar nicht berührt wurde. Die öffentliche Meinung, blind be- geiſtert wie ſie war für das glorreiche Albion, fand an Alledem kein Arg. Einmal im Zuge ſuchte Lord Caſtlereagh ſogleich noch einen zweiten Unterdeſſen waren die erſten Nachrichten von Blüchers Unglücksfällen *) Hardenbergs Tagebuch 15. Februar 1814. Caſtlereaghs Denkſchrift über die Niederlande, 28. Jan. 1815. **) Hardenbergs Tagebuch 14. Februar 1814.
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Congreß von Chatillon.
ſchwerlichen Seerechtes vertreten; ſie hofften jetzt dieſe Gedanken Friedrichs
und Katharinas durch einen Beſchluß des geſammten Europas anerkannt
zu ſehen. England aber fühlte ſich dadurch in den Grundfeſten ſeiner Macht
bedroht. Lord Cathcart erklärte rund heraus: hätten wir je die Grundſätze
der bewaffneten Neutralität anerkannt, ſo wäre der franzöſiſche Handel
nicht zerſtört worden und Napoleon regierte noch heute über die Welt;
niemals wird Großbritannien auf den Meeren ein anderes Geſetz an-
erkennen als die allgemeinen Regeln des „Völkerrechts“. Wie die Dinge
ſtanden, lagen andere Fragen für jetzt den drei Feſtlandsmächten ungleich
näher; zudem bedurften ſie alleſammt neuer Geldmittel für den Krieg,
und der reiche Alliirte war bereit abermals 5 Mill. Pfd. St. Subſidien
zu zahlen. Daher ſetzte England ſchon in der erſten Sitzung, am 5. Fe-
bruar, durch, daß über die Angelegenheiten des Seerechts nicht verhandelt
werden dürfe. Caulaincourt widerſprach nicht; auch er hatte dringendere
Sorgen. So iſt es geſchehen, daß der faulſte Fleck des modernen Völ-
kerrechts während der langen Friedensverhandlungen zu Chatillon, Paris
und Wien gar nicht berührt wurde. Die öffentliche Meinung, blind be-
geiſtert wie ſie war für das glorreiche Albion, fand an Alledem kein Arg.
Einmal im Zuge ſuchte Lord Caſtlereagh ſogleich noch einen zweiten
Lieblingsgedanken der britiſchen Politik zu verwirklichen und den Nieder-
landen eine genügende Abrundung zu ſichern. Niemand widerſprach, ob-
gleich man doch ſoeben erſt beſchloſſen hatte alle Entſchädigungsforderungen
bis zum Friedensſchluſſe zu vertagen; denn Niemand mochte es mit der
großen Geldmacht verderben, und über die europäiſche Nothwendigkeit des
niederländiſchen Geſammtſtaates waren Alle einig. Am 15. Februar kam
im Hauptquartiere zu Troyes ein Vertragsentwurf zu Stande, wonach
die alte holländiſche Republik unter die erbliche Herrſchaft des Hauſes
Oranien geſtellt und durch Belgien ſowie durch ein Stück des deutſchen
Rheinufers mit Köln und Aachen vergrößert werden ſollte. Auch Harden-
berg ſtimmte im Weſentlichen zu und machte nur einen Vorbehalt zu
Gunſten der deutſchen Nordweſtgrenze; ganz ſo tief in rein deutſches Land
wollte er die Holländer doch nicht hinübergreifen laſſen. *)
Unterdeſſen waren die erſten Nachrichten von Blüchers Unglücksfällen
im großen Hauptquartiere angelangt. Es fehlte nicht an ſpöttiſchen Be-
merkungen: ſo hatte ſich der Vorwitz der kleinen Köpfe des ſchleſiſchen
Heeres doch beſtraft; warum wollten ſie auch klüger ſein als die Weis-
heit der Duca und Langenau? Stärker als die Schadenfreude war doch
der Schrecken. In höchſter Angſt verlangte Metternich die ſchleunige Be-
endigung des unglückſeligen Krieges; es kam ſo weit, daß Oeſterreich
geradezu drohte ſich von der Coalition loszuſagen. **) Und im ſelben
*) Hardenbergs Tagebuch 15. Februar 1814. Caſtlereaghs Denkſchrift über die
Niederlande, 28. Jan. 1815.
**) Hardenbergs Tagebuch 14. Februar 1814.
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