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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 5. Ende der Kriegszeit.
begann, so wurde doch ein schöner Sieg erfochten. Es war ein froher
Tag für das königliche Haus, denn heute ritt Friedrich Wilhelms zweiter
Sohn, Prinz Wilhelm an der Seite des Vaters zum ersten male in die
Schlacht. Die Offiziere lächelten zufrieden, als der schöne siebzehnjährige
Jüngling im furchtbaren Kugelregen ganz unbefangen seinen Adjutanten-
dienst versah und nachher mit dem altberühmten russischen Regimente
Kaluga den beherrschenden Hügel von Malepin hinaufstürmte. Sie
meinten, aus dem könne noch einmal ein anderer Prinz Heinrich werden;
Unehrerbietige stellten auch schon Vergleichungen an zwischen diesem frischen
Heldensinne und der ästhetischen, ganz unsoldatischen Natur des geistreichen
Kronprinzen.

Der Sieg wurde, nach der Gewohnheit des großen Hauptquartiers,
nicht verfolgt; immerhin stellte er den Einmuth in der Coalition noth-
dürftig wieder her. Wie einst der Teplitzer Vertrag auf die Kulmer
Schlacht, so folgte auf die Schlacht von Bar der Vertrag von Chaumont.
Am 1. März wurde die große Allianz feierlich auf zwanzig Jahre er-
neuert. Spanien, Italien, die Schweiz und die verstärkten Niederlande
sollten beim Friedensschlusse ihre volle Unabhängigkeit erlangen, die deut-
schen souveränen Fürsten "vereinigt werden durch eine foederative Verbin-
dung welche die Unabhängigkeit Deutschlands sichert und verbürgt".

Indessen erreichte Blücher das Marnethal; aber da Napoleon, die
Gefährdung der Hauptstadt rasch erkennend, ihm folgte, so wichen die
Schlesier in Eilmärschen gen Norden aus und trafen bei Soissons mit
Bülows Heer zusammen. Der Eroberer von Holland entsetzte sich, als
er neben seinen vollzähligen, in den behäbigen flandrischen Winterquar-
tieren wohl genährten Schaaren die schwachen Bataillone Yorks, dies
schmutzige, verwilderte und verwahrloste Kriegsvolk erblickte. Unwillkür-
lich gedachten die Generale an jene Tage vor der Zorndorfer Schlacht,
da König Friedrich seine bissigen Grasteufel mit Dohnas frischen Truppen
vereinigte. Und welche Aussichten für die Zukunft! Das preußische Heer
hatte das Größte gethan und das Schwerste gelitten, die Blüthe der nord-
deutschen Jugend lag auf den Schlachtfeldern. Selbst Gneisenau verlor,
wenn er die gelichteten Schaaren musterte, zuweilen seinen königlichen
Frohmuth und fragte besorgt, wie dieser Staat mit erschöpftem Haushalt
und geschwächter Kriegsmacht den schweren Kampf um die Theilung der
Beute bestehen solle. Doch die Stunde drängte. Napoleon hatte die
Russen bei Craonne, allerdings unter furchtbaren Verlusten, zum Rück-
zuge genöthigt und schritt am nebligen Morgen des 9. März durch die
sumpfigen Niederungen der Lette zum Angriff vor gegen die Felsenstadt
Laon, den Stützpunkt des Blücher'schen Heeres. Der Schlachttag verlief
ohne Entscheidung. Am späten Abend erst warfen sich York und Kleist
auf Marmonts Corps, den rechten Flügel des Feindes, und hier, bei
Athis, entspann sich jenes schaurige Nachtgefecht, das den Preußen nach

I. 5. Ende der Kriegszeit.
begann, ſo wurde doch ein ſchöner Sieg erfochten. Es war ein froher
Tag für das königliche Haus, denn heute ritt Friedrich Wilhelms zweiter
Sohn, Prinz Wilhelm an der Seite des Vaters zum erſten male in die
Schlacht. Die Offiziere lächelten zufrieden, als der ſchöne ſiebzehnjährige
Jüngling im furchtbaren Kugelregen ganz unbefangen ſeinen Adjutanten-
dienſt verſah und nachher mit dem altberühmten ruſſiſchen Regimente
Kaluga den beherrſchenden Hügel von Malepin hinaufſtürmte. Sie
meinten, aus dem könne noch einmal ein anderer Prinz Heinrich werden;
Unehrerbietige ſtellten auch ſchon Vergleichungen an zwiſchen dieſem friſchen
Heldenſinne und der äſthetiſchen, ganz unſoldatiſchen Natur des geiſtreichen
Kronprinzen.

Der Sieg wurde, nach der Gewohnheit des großen Hauptquartiers,
nicht verfolgt; immerhin ſtellte er den Einmuth in der Coalition noth-
dürftig wieder her. Wie einſt der Teplitzer Vertrag auf die Kulmer
Schlacht, ſo folgte auf die Schlacht von Bar der Vertrag von Chaumont.
Am 1. März wurde die große Allianz feierlich auf zwanzig Jahre er-
neuert. Spanien, Italien, die Schweiz und die verſtärkten Niederlande
ſollten beim Friedensſchluſſe ihre volle Unabhängigkeit erlangen, die deut-
ſchen ſouveränen Fürſten „vereinigt werden durch eine foederative Verbin-
dung welche die Unabhängigkeit Deutſchlands ſichert und verbürgt“.

Indeſſen erreichte Blücher das Marnethal; aber da Napoleon, die
Gefährdung der Hauptſtadt raſch erkennend, ihm folgte, ſo wichen die
Schleſier in Eilmärſchen gen Norden aus und trafen bei Soiſſons mit
Bülows Heer zuſammen. Der Eroberer von Holland entſetzte ſich, als
er neben ſeinen vollzähligen, in den behäbigen flandriſchen Winterquar-
tieren wohl genährten Schaaren die ſchwachen Bataillone Yorks, dies
ſchmutzige, verwilderte und verwahrloſte Kriegsvolk erblickte. Unwillkür-
lich gedachten die Generale an jene Tage vor der Zorndorfer Schlacht,
da König Friedrich ſeine biſſigen Grasteufel mit Dohnas friſchen Truppen
vereinigte. Und welche Ausſichten für die Zukunft! Das preußiſche Heer
hatte das Größte gethan und das Schwerſte gelitten, die Blüthe der nord-
deutſchen Jugend lag auf den Schlachtfeldern. Selbſt Gneiſenau verlor,
wenn er die gelichteten Schaaren muſterte, zuweilen ſeinen königlichen
Frohmuth und fragte beſorgt, wie dieſer Staat mit erſchöpftem Haushalt
und geſchwächter Kriegsmacht den ſchweren Kampf um die Theilung der
Beute beſtehen ſolle. Doch die Stunde drängte. Napoleon hatte die
Ruſſen bei Craonne, allerdings unter furchtbaren Verluſten, zum Rück-
zuge genöthigt und ſchritt am nebligen Morgen des 9. März durch die
ſumpfigen Niederungen der Lette zum Angriff vor gegen die Felſenſtadt
Laon, den Stützpunkt des Blücher’ſchen Heeres. Der Schlachttag verlief
ohne Entſcheidung. Am ſpäten Abend erſt warfen ſich York und Kleiſt
auf Marmonts Corps, den rechten Flügel des Feindes, und hier, bei
Athis, entſpann ſich jenes ſchaurige Nachtgefecht, das den Preußen nach

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[546/0562] I. 5. Ende der Kriegszeit. begann, ſo wurde doch ein ſchöner Sieg erfochten. Es war ein froher Tag für das königliche Haus, denn heute ritt Friedrich Wilhelms zweiter Sohn, Prinz Wilhelm an der Seite des Vaters zum erſten male in die Schlacht. Die Offiziere lächelten zufrieden, als der ſchöne ſiebzehnjährige Jüngling im furchtbaren Kugelregen ganz unbefangen ſeinen Adjutanten- dienſt verſah und nachher mit dem altberühmten ruſſiſchen Regimente Kaluga den beherrſchenden Hügel von Malepin hinaufſtürmte. Sie meinten, aus dem könne noch einmal ein anderer Prinz Heinrich werden; Unehrerbietige ſtellten auch ſchon Vergleichungen an zwiſchen dieſem friſchen Heldenſinne und der äſthetiſchen, ganz unſoldatiſchen Natur des geiſtreichen Kronprinzen. Der Sieg wurde, nach der Gewohnheit des großen Hauptquartiers, nicht verfolgt; immerhin ſtellte er den Einmuth in der Coalition noth- dürftig wieder her. Wie einſt der Teplitzer Vertrag auf die Kulmer Schlacht, ſo folgte auf die Schlacht von Bar der Vertrag von Chaumont. Am 1. März wurde die große Allianz feierlich auf zwanzig Jahre er- neuert. Spanien, Italien, die Schweiz und die verſtärkten Niederlande ſollten beim Friedensſchluſſe ihre volle Unabhängigkeit erlangen, die deut- ſchen ſouveränen Fürſten „vereinigt werden durch eine foederative Verbin- dung welche die Unabhängigkeit Deutſchlands ſichert und verbürgt“. Indeſſen erreichte Blücher das Marnethal; aber da Napoleon, die Gefährdung der Hauptſtadt raſch erkennend, ihm folgte, ſo wichen die Schleſier in Eilmärſchen gen Norden aus und trafen bei Soiſſons mit Bülows Heer zuſammen. Der Eroberer von Holland entſetzte ſich, als er neben ſeinen vollzähligen, in den behäbigen flandriſchen Winterquar- tieren wohl genährten Schaaren die ſchwachen Bataillone Yorks, dies ſchmutzige, verwilderte und verwahrloſte Kriegsvolk erblickte. Unwillkür- lich gedachten die Generale an jene Tage vor der Zorndorfer Schlacht, da König Friedrich ſeine biſſigen Grasteufel mit Dohnas friſchen Truppen vereinigte. Und welche Ausſichten für die Zukunft! Das preußiſche Heer hatte das Größte gethan und das Schwerſte gelitten, die Blüthe der nord- deutſchen Jugend lag auf den Schlachtfeldern. Selbſt Gneiſenau verlor, wenn er die gelichteten Schaaren muſterte, zuweilen ſeinen königlichen Frohmuth und fragte beſorgt, wie dieſer Staat mit erſchöpftem Haushalt und geſchwächter Kriegsmacht den ſchweren Kampf um die Theilung der Beute beſtehen ſolle. Doch die Stunde drängte. Napoleon hatte die Ruſſen bei Craonne, allerdings unter furchtbaren Verluſten, zum Rück- zuge genöthigt und ſchritt am nebligen Morgen des 9. März durch die ſumpfigen Niederungen der Lette zum Angriff vor gegen die Felſenſtadt Laon, den Stützpunkt des Blücher’ſchen Heeres. Der Schlachttag verlief ohne Entſcheidung. Am ſpäten Abend erſt warfen ſich York und Kleiſt auf Marmonts Corps, den rechten Flügel des Feindes, und hier, bei Athis, entſpann ſich jenes ſchaurige Nachtgefecht, das den Preußen nach

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 546. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/562>, abgerufen am 22.11.2024.