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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 5. Ende der Kriegszeit.
Imperator im Rücken zu bedrohen, wieder nach Süden ausgewichen.
Weitab von der offenen Siegesstraße, bis nach Sens im freundlichen Thale
der Yonne, standen seine Heersäulen zerstreut. Die Preußen grollten:
ob es denn wider die Natur eines österreichischen Generals sei, sein Ziel
auf dem kürzesten Wege zu erreichen? Nachher drängte der Zauderer
ein schwaches französisches Corps von der Seine zurück und getraute sich
wieder eine kleine Strecke nordwärts, bis zur Aube vorzugehen. Das
Elend dieses jämmerlichen Feldzugs wollte kein Ende nehmen.

Da wendete sich plötzlich die Politik des Wiener Hofes. Hatten vor
sechs Wochen die Unglücksfälle der schlesischen Armee den Gang des Con-
gresses von Chatillon durchkreuzt, so wirkte jetzt umgekehrt der Abbruch der
diplomatischen Verhandlungen stärkend und anfeuernd auf die Führung des
Krieges zurück. Vergeblich warteten die Bevollmächtigten der Alliirten seit
dem 17. Februar auf die Beantwortung ihres Ultimatums, vergeblich suchte
Kaiser Franz noch am 10. März durch einen mahnenden Brief den Starr-
sinn seines Schwiegersohnes zu brechen. Erst am 15. März gab Caulaincourt
eine bestimmte Erwiderung, und sie lautete in wesentlichen Punkten ab-
lehnend, ja sie war für Oesterreich noch weniger annehmbar als für die
anderen Mächte; denn während Napoleon die Abtretung der Rheinlande
endlich zugestand, die Auflösung des Rheinbundes zugab und nur Berg
und Sachsen ihren bisherigen Souveränen sichern wollte, behielt er an-
dererseits den italienischen Königsthron seinem Stiefsohne Eugen vor. So
stieß der Verblendete wie mit Absicht die einzige der verbündeten Mächte,
die ihm aufrichtig wohl wollte, zurück, und mit gutem Grunde sagte
Gneisenau: "Napoleon hat uns bessere Dienste geleistet als das ganze
Heer der Diplomatiker." Metternich mußte endlich erkennen, daß dem
Unseligen nicht mehr zu helfen, daß der Untergang des Kaiserreichs un-
vermeidlich war. Am 19. März erklärten die Verbündeten den Congreß
für beendigt, und sofort offenbarte sich der Umschwung der österreichischen
Politik in der gehobenen Stimmung des Hauptquartiers. Mit ungewohnter
Entschlossenheit zeigte sich Schwarzenberg am 20. März bei Arcis an
der Aube bereit eine Schlacht gegen den Imperator zu wagen. Die
Ausführung des glücklichen Gedankens war freilich schlaff wie immer;
nur die Truppen Wredes gelangten ins Gefecht. Immerhin wurde Na-
poleon genöthigt, am nächsten Tage nach schweren Verlusten das Schlacht-
feld zu verlassen, und was das Beste war, die große Armee fing doch
wieder an sich zu regen.

Der Geschlagene faßte nun einen tolldreisten, auf den Charakter des
Gegners berechneten Entschluß; er umging in weitem Bogen den rechten
Flügel der Sieger und zog ostwärts nach St. Dizier, um in den Rücken
der Verbündeten zu gelangen. Er hoffte, Schwarzenberg werde, besorgt
für seine Rückzugslinie, sofort den Abmarsch nach dem Rheine antreten.
Einige Wochen früher ausgeführt wäre der kecke Anschlag sicherlich ge-

I. 5. Ende der Kriegszeit.
Imperator im Rücken zu bedrohen, wieder nach Süden ausgewichen.
Weitab von der offenen Siegesſtraße, bis nach Sens im freundlichen Thale
der Yonne, ſtanden ſeine Heerſäulen zerſtreut. Die Preußen grollten:
ob es denn wider die Natur eines öſterreichiſchen Generals ſei, ſein Ziel
auf dem kürzeſten Wege zu erreichen? Nachher drängte der Zauderer
ein ſchwaches franzöſiſches Corps von der Seine zurück und getraute ſich
wieder eine kleine Strecke nordwärts, bis zur Aube vorzugehen. Das
Elend dieſes jämmerlichen Feldzugs wollte kein Ende nehmen.

Da wendete ſich plötzlich die Politik des Wiener Hofes. Hatten vor
ſechs Wochen die Unglücksfälle der ſchleſiſchen Armee den Gang des Con-
greſſes von Chatillon durchkreuzt, ſo wirkte jetzt umgekehrt der Abbruch der
diplomatiſchen Verhandlungen ſtärkend und anfeuernd auf die Führung des
Krieges zurück. Vergeblich warteten die Bevollmächtigten der Alliirten ſeit
dem 17. Februar auf die Beantwortung ihres Ultimatums, vergeblich ſuchte
Kaiſer Franz noch am 10. März durch einen mahnenden Brief den Starr-
ſinn ſeines Schwiegerſohnes zu brechen. Erſt am 15. März gab Caulaincourt
eine beſtimmte Erwiderung, und ſie lautete in weſentlichen Punkten ab-
lehnend, ja ſie war für Oeſterreich noch weniger annehmbar als für die
anderen Mächte; denn während Napoleon die Abtretung der Rheinlande
endlich zugeſtand, die Auflöſung des Rheinbundes zugab und nur Berg
und Sachſen ihren bisherigen Souveränen ſichern wollte, behielt er an-
dererſeits den italieniſchen Königsthron ſeinem Stiefſohne Eugen vor. So
ſtieß der Verblendete wie mit Abſicht die einzige der verbündeten Mächte,
die ihm aufrichtig wohl wollte, zurück, und mit gutem Grunde ſagte
Gneiſenau: „Napoleon hat uns beſſere Dienſte geleiſtet als das ganze
Heer der Diplomatiker.“ Metternich mußte endlich erkennen, daß dem
Unſeligen nicht mehr zu helfen, daß der Untergang des Kaiſerreichs un-
vermeidlich war. Am 19. März erklärten die Verbündeten den Congreß
für beendigt, und ſofort offenbarte ſich der Umſchwung der öſterreichiſchen
Politik in der gehobenen Stimmung des Hauptquartiers. Mit ungewohnter
Entſchloſſenheit zeigte ſich Schwarzenberg am 20. März bei Arcis an
der Aube bereit eine Schlacht gegen den Imperator zu wagen. Die
Ausführung des glücklichen Gedankens war freilich ſchlaff wie immer;
nur die Truppen Wredes gelangten ins Gefecht. Immerhin wurde Na-
poleon genöthigt, am nächſten Tage nach ſchweren Verluſten das Schlacht-
feld zu verlaſſen, und was das Beſte war, die große Armee fing doch
wieder an ſich zu regen.

Der Geſchlagene faßte nun einen tolldreiſten, auf den Charakter des
Gegners berechneten Entſchluß; er umging in weitem Bogen den rechten
Flügel der Sieger und zog oſtwärts nach St. Dizier, um in den Rücken
der Verbündeten zu gelangen. Er hoffte, Schwarzenberg werde, beſorgt
für ſeine Rückzugslinie, ſofort den Abmarſch nach dem Rheine antreten.
Einige Wochen früher ausgeführt wäre der kecke Anſchlag ſicherlich ge-

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[548/0564] I. 5. Ende der Kriegszeit. Imperator im Rücken zu bedrohen, wieder nach Süden ausgewichen. Weitab von der offenen Siegesſtraße, bis nach Sens im freundlichen Thale der Yonne, ſtanden ſeine Heerſäulen zerſtreut. Die Preußen grollten: ob es denn wider die Natur eines öſterreichiſchen Generals ſei, ſein Ziel auf dem kürzeſten Wege zu erreichen? Nachher drängte der Zauderer ein ſchwaches franzöſiſches Corps von der Seine zurück und getraute ſich wieder eine kleine Strecke nordwärts, bis zur Aube vorzugehen. Das Elend dieſes jämmerlichen Feldzugs wollte kein Ende nehmen. Da wendete ſich plötzlich die Politik des Wiener Hofes. Hatten vor ſechs Wochen die Unglücksfälle der ſchleſiſchen Armee den Gang des Con- greſſes von Chatillon durchkreuzt, ſo wirkte jetzt umgekehrt der Abbruch der diplomatiſchen Verhandlungen ſtärkend und anfeuernd auf die Führung des Krieges zurück. Vergeblich warteten die Bevollmächtigten der Alliirten ſeit dem 17. Februar auf die Beantwortung ihres Ultimatums, vergeblich ſuchte Kaiſer Franz noch am 10. März durch einen mahnenden Brief den Starr- ſinn ſeines Schwiegerſohnes zu brechen. Erſt am 15. März gab Caulaincourt eine beſtimmte Erwiderung, und ſie lautete in weſentlichen Punkten ab- lehnend, ja ſie war für Oeſterreich noch weniger annehmbar als für die anderen Mächte; denn während Napoleon die Abtretung der Rheinlande endlich zugeſtand, die Auflöſung des Rheinbundes zugab und nur Berg und Sachſen ihren bisherigen Souveränen ſichern wollte, behielt er an- dererſeits den italieniſchen Königsthron ſeinem Stiefſohne Eugen vor. So ſtieß der Verblendete wie mit Abſicht die einzige der verbündeten Mächte, die ihm aufrichtig wohl wollte, zurück, und mit gutem Grunde ſagte Gneiſenau: „Napoleon hat uns beſſere Dienſte geleiſtet als das ganze Heer der Diplomatiker.“ Metternich mußte endlich erkennen, daß dem Unſeligen nicht mehr zu helfen, daß der Untergang des Kaiſerreichs un- vermeidlich war. Am 19. März erklärten die Verbündeten den Congreß für beendigt, und ſofort offenbarte ſich der Umſchwung der öſterreichiſchen Politik in der gehobenen Stimmung des Hauptquartiers. Mit ungewohnter Entſchloſſenheit zeigte ſich Schwarzenberg am 20. März bei Arcis an der Aube bereit eine Schlacht gegen den Imperator zu wagen. Die Ausführung des glücklichen Gedankens war freilich ſchlaff wie immer; nur die Truppen Wredes gelangten ins Gefecht. Immerhin wurde Na- poleon genöthigt, am nächſten Tage nach ſchweren Verluſten das Schlacht- feld zu verlaſſen, und was das Beſte war, die große Armee fing doch wieder an ſich zu regen. Der Geſchlagene faßte nun einen tolldreiſten, auf den Charakter des Gegners berechneten Entſchluß; er umging in weitem Bogen den rechten Flügel der Sieger und zog oſtwärts nach St. Dizier, um in den Rücken der Verbündeten zu gelangen. Er hoffte, Schwarzenberg werde, beſorgt für ſeine Rückzugslinie, ſofort den Abmarſch nach dem Rheine antreten. Einige Wochen früher ausgeführt wäre der kecke Anſchlag ſicherlich ge-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/564>, abgerufen am 22.11.2024.