Linie der Verbündeten im siegreichen Vorgehen; Prinz Wilhelm der Aeltere hatte bereits die Barrieren der Stadt erreicht, nahebei erstürmten Kleists Truppen mit gefälltem Bajonett den Hügel mit den fünf Windmühlen neben dem Montmartre, und auf der Linken der Franzosen drangen Langerons Russen an den steilen Abhängen der Steinbrüche des Mont- martre empor bis hinauf zu den staffelförmig aufgestellten Batterien. Da sprengten Adjutanten heran, weiße Tücher in den Händen; die Schlacht war beendet, Paris hatte capitulirt.
Lange hielten die Generale neben den Mühlen auf der Höhe und be- trachteten schweigend die bezwungene Stadt; die stumpfen Thürme von Notre Dame und die Kuppel des Pantheon glänzten im Abendlichte. Auch Oberst Below trabte herauf mit seinen Litthauern; er mußte doch halten was er in Tilsit versprochen und seinen Jungen die Hauptstadt des Feindes zeigen. Neuntehalb Jahrhunderte waren vergangen, seit unser Kaiser Otto II. auf diesen Hügeln seine Adlerfahnen aufpflanzte und die Stadt da drunten durch die Hallelujahrufe seiner Streiter schreckte; seitdem waren Engländer und Spanier und auch einzelne Reiterhaufen deutscher Lands- knechte bis in das Herz der französischen Macht eingedrungen, doch nie- mals wieder ein deutsches Heer. Wie furchtbar war dann das unglück- liche Deutschland durch die Uebermacht und den Uebermuth dieses bösesten aller Nachbarn mißhandelt worden, also daß schon der große Kurfürst zu der Einsicht kam, nur ein Zug nach Paris könne dem Welttheil die Staatenfreiheit, das dauernde Gleichgewicht der Mächte wiedergewinnen. Nun lag das neue Rom gebändigt, eine unabsehbare Zukunft voll fried- lichen Völkerglücks schien sich aufzuthun vor den entzückten Blicken der kampfesmüden Welt. Die Deutschen glaubten das Unrecht zweier Jahr- hunderte gesühnt, als am nächsten Tage der Czar, der König und Schwar- zenberg an der Spitze der verbündeten Heere ihren Einritt hielten durch das Martinsthor, das noch an König Ludwigs deutsche Eroberungsfahrten erinnerte; darauf ging der Zug unter dem rasenden Jubel der dichtge- drängten Volksmassen die breiten Boulevards entlang nach dem Platze Ludwigs XV., wo einst die Guillotine ihre Blutarbeit gethan, dann auf die Elysäischen Felder zur prunkenden Heerschau. Wer hätte sich auch nur träumen lassen, daß dieselben preußischen Fahnen noch zweimal binnen zweier Menschenalter desselben Weges ziehen würden? Glück- licher war doch Niemand als jene beiden großen Deutschen, die nun glorreich erfüllt sahen, was sie sich einst auf dem Leipziger Markte in die Hand versprochen hatten. Gneisenau schrieb: "Was Patrioten träumten und Egoisten belächelten ist geschehen;" Stein aber sagte in seiner wuch- tigen Weise: "Der Mensch ist am Boden!"
In der alten Heimath der gallischen Unbeständigkeit, in der Stadt Paris war die Erbitterung gegen das Kaiserreich früher und lebhafter er-
Schlacht von Paris.
Linie der Verbündeten im ſiegreichen Vorgehen; Prinz Wilhelm der Aeltere hatte bereits die Barrieren der Stadt erreicht, nahebei erſtürmten Kleiſts Truppen mit gefälltem Bajonett den Hügel mit den fünf Windmühlen neben dem Montmartre, und auf der Linken der Franzoſen drangen Langerons Ruſſen an den ſteilen Abhängen der Steinbrüche des Mont- martre empor bis hinauf zu den ſtaffelförmig aufgeſtellten Batterien. Da ſprengten Adjutanten heran, weiße Tücher in den Händen; die Schlacht war beendet, Paris hatte capitulirt.
Lange hielten die Generale neben den Mühlen auf der Höhe und be- trachteten ſchweigend die bezwungene Stadt; die ſtumpfen Thürme von Notre Dame und die Kuppel des Pantheon glänzten im Abendlichte. Auch Oberſt Below trabte herauf mit ſeinen Litthauern; er mußte doch halten was er in Tilſit verſprochen und ſeinen Jungen die Hauptſtadt des Feindes zeigen. Neuntehalb Jahrhunderte waren vergangen, ſeit unſer Kaiſer Otto II. auf dieſen Hügeln ſeine Adlerfahnen aufpflanzte und die Stadt da drunten durch die Hallelujahrufe ſeiner Streiter ſchreckte; ſeitdem waren Engländer und Spanier und auch einzelne Reiterhaufen deutſcher Lands- knechte bis in das Herz der franzöſiſchen Macht eingedrungen, doch nie- mals wieder ein deutſches Heer. Wie furchtbar war dann das unglück- liche Deutſchland durch die Uebermacht und den Uebermuth dieſes böſeſten aller Nachbarn mißhandelt worden, alſo daß ſchon der große Kurfürſt zu der Einſicht kam, nur ein Zug nach Paris könne dem Welttheil die Staatenfreiheit, das dauernde Gleichgewicht der Mächte wiedergewinnen. Nun lag das neue Rom gebändigt, eine unabſehbare Zukunft voll fried- lichen Völkerglücks ſchien ſich aufzuthun vor den entzückten Blicken der kampfesmüden Welt. Die Deutſchen glaubten das Unrecht zweier Jahr- hunderte geſühnt, als am nächſten Tage der Czar, der König und Schwar- zenberg an der Spitze der verbündeten Heere ihren Einritt hielten durch das Martinsthor, das noch an König Ludwigs deutſche Eroberungsfahrten erinnerte; darauf ging der Zug unter dem raſenden Jubel der dichtge- drängten Volksmaſſen die breiten Boulevards entlang nach dem Platze Ludwigs XV., wo einſt die Guillotine ihre Blutarbeit gethan, dann auf die Elyſäiſchen Felder zur prunkenden Heerſchau. Wer hätte ſich auch nur träumen laſſen, daß dieſelben preußiſchen Fahnen noch zweimal binnen zweier Menſchenalter deſſelben Weges ziehen würden? Glück- licher war doch Niemand als jene beiden großen Deutſchen, die nun glorreich erfüllt ſahen, was ſie ſich einſt auf dem Leipziger Markte in die Hand verſprochen hatten. Gneiſenau ſchrieb: „Was Patrioten träumten und Egoiſten belächelten iſt geſchehen;“ Stein aber ſagte in ſeiner wuch- tigen Weiſe: „Der Menſch iſt am Boden!“
In der alten Heimath der galliſchen Unbeſtändigkeit, in der Stadt Paris war die Erbitterung gegen das Kaiſerreich früher und lebhafter er-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0567"n="551"/><fwplace="top"type="header">Schlacht von Paris.</fw><lb/>
Linie der Verbündeten im ſiegreichen Vorgehen; Prinz Wilhelm der Aeltere<lb/>
hatte bereits die Barrieren der Stadt erreicht, nahebei erſtürmten Kleiſts<lb/>
Truppen mit gefälltem Bajonett den Hügel mit den fünf Windmühlen<lb/>
neben dem Montmartre, und auf der Linken der Franzoſen drangen<lb/>
Langerons Ruſſen an den ſteilen Abhängen der Steinbrüche des Mont-<lb/>
martre empor bis hinauf zu den ſtaffelförmig aufgeſtellten Batterien. Da<lb/>ſprengten Adjutanten heran, weiße Tücher in den Händen; die Schlacht<lb/>
war beendet, Paris hatte capitulirt.</p><lb/><p>Lange hielten die Generale neben den Mühlen auf der Höhe und be-<lb/>
trachteten ſchweigend die bezwungene Stadt; die ſtumpfen Thürme von Notre<lb/>
Dame und die Kuppel des Pantheon glänzten im Abendlichte. Auch Oberſt<lb/>
Below trabte herauf mit ſeinen Litthauern; er mußte doch halten was<lb/>
er in Tilſit verſprochen und ſeinen Jungen die Hauptſtadt des Feindes<lb/>
zeigen. Neuntehalb Jahrhunderte waren vergangen, ſeit unſer Kaiſer<lb/>
Otto <hirendition="#aq">II.</hi> auf dieſen Hügeln ſeine Adlerfahnen aufpflanzte und die Stadt<lb/>
da drunten durch die Hallelujahrufe ſeiner Streiter ſchreckte; ſeitdem waren<lb/>
Engländer und Spanier und auch einzelne Reiterhaufen deutſcher Lands-<lb/>
knechte bis in das Herz der franzöſiſchen Macht eingedrungen, doch nie-<lb/>
mals wieder ein deutſches Heer. Wie furchtbar war dann das unglück-<lb/>
liche Deutſchland durch die Uebermacht und den Uebermuth dieſes böſeſten<lb/>
aller Nachbarn mißhandelt worden, alſo daß ſchon der große Kurfürſt<lb/>
zu der Einſicht kam, nur ein Zug nach Paris könne dem Welttheil die<lb/>
Staatenfreiheit, das dauernde Gleichgewicht der Mächte wiedergewinnen.<lb/>
Nun lag das neue Rom gebändigt, eine unabſehbare Zukunft voll fried-<lb/>
lichen Völkerglücks ſchien ſich aufzuthun vor den entzückten Blicken der<lb/>
kampfesmüden Welt. Die Deutſchen glaubten das Unrecht zweier Jahr-<lb/>
hunderte geſühnt, als am nächſten Tage der Czar, der König und Schwar-<lb/>
zenberg an der Spitze der verbündeten Heere ihren Einritt hielten durch<lb/>
das Martinsthor, das noch an König Ludwigs deutſche Eroberungsfahrten<lb/>
erinnerte; darauf ging der Zug unter dem raſenden Jubel der dichtge-<lb/>
drängten Volksmaſſen die breiten Boulevards entlang nach dem Platze<lb/>
Ludwigs <hirendition="#aq">XV.</hi>, wo einſt die Guillotine ihre Blutarbeit gethan, dann auf<lb/>
die Elyſäiſchen Felder zur prunkenden Heerſchau. Wer hätte ſich auch<lb/>
nur träumen laſſen, daß dieſelben preußiſchen Fahnen noch zweimal<lb/>
binnen zweier Menſchenalter deſſelben Weges ziehen würden? Glück-<lb/>
licher war doch Niemand als jene beiden großen Deutſchen, die nun<lb/>
glorreich erfüllt ſahen, was ſie ſich einſt auf dem Leipziger Markte in<lb/>
die Hand verſprochen hatten. Gneiſenau ſchrieb: „Was Patrioten träumten<lb/>
und Egoiſten belächelten iſt geſchehen;“ Stein aber ſagte in ſeiner wuch-<lb/>
tigen Weiſe: „Der Menſch iſt am Boden!“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>In der alten Heimath der galliſchen Unbeſtändigkeit, in der Stadt<lb/>
Paris war die Erbitterung gegen das Kaiſerreich früher und lebhafter er-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[551/0567]
Schlacht von Paris.
Linie der Verbündeten im ſiegreichen Vorgehen; Prinz Wilhelm der Aeltere
hatte bereits die Barrieren der Stadt erreicht, nahebei erſtürmten Kleiſts
Truppen mit gefälltem Bajonett den Hügel mit den fünf Windmühlen
neben dem Montmartre, und auf der Linken der Franzoſen drangen
Langerons Ruſſen an den ſteilen Abhängen der Steinbrüche des Mont-
martre empor bis hinauf zu den ſtaffelförmig aufgeſtellten Batterien. Da
ſprengten Adjutanten heran, weiße Tücher in den Händen; die Schlacht
war beendet, Paris hatte capitulirt.
Lange hielten die Generale neben den Mühlen auf der Höhe und be-
trachteten ſchweigend die bezwungene Stadt; die ſtumpfen Thürme von Notre
Dame und die Kuppel des Pantheon glänzten im Abendlichte. Auch Oberſt
Below trabte herauf mit ſeinen Litthauern; er mußte doch halten was
er in Tilſit verſprochen und ſeinen Jungen die Hauptſtadt des Feindes
zeigen. Neuntehalb Jahrhunderte waren vergangen, ſeit unſer Kaiſer
Otto II. auf dieſen Hügeln ſeine Adlerfahnen aufpflanzte und die Stadt
da drunten durch die Hallelujahrufe ſeiner Streiter ſchreckte; ſeitdem waren
Engländer und Spanier und auch einzelne Reiterhaufen deutſcher Lands-
knechte bis in das Herz der franzöſiſchen Macht eingedrungen, doch nie-
mals wieder ein deutſches Heer. Wie furchtbar war dann das unglück-
liche Deutſchland durch die Uebermacht und den Uebermuth dieſes böſeſten
aller Nachbarn mißhandelt worden, alſo daß ſchon der große Kurfürſt
zu der Einſicht kam, nur ein Zug nach Paris könne dem Welttheil die
Staatenfreiheit, das dauernde Gleichgewicht der Mächte wiedergewinnen.
Nun lag das neue Rom gebändigt, eine unabſehbare Zukunft voll fried-
lichen Völkerglücks ſchien ſich aufzuthun vor den entzückten Blicken der
kampfesmüden Welt. Die Deutſchen glaubten das Unrecht zweier Jahr-
hunderte geſühnt, als am nächſten Tage der Czar, der König und Schwar-
zenberg an der Spitze der verbündeten Heere ihren Einritt hielten durch
das Martinsthor, das noch an König Ludwigs deutſche Eroberungsfahrten
erinnerte; darauf ging der Zug unter dem raſenden Jubel der dichtge-
drängten Volksmaſſen die breiten Boulevards entlang nach dem Platze
Ludwigs XV., wo einſt die Guillotine ihre Blutarbeit gethan, dann auf
die Elyſäiſchen Felder zur prunkenden Heerſchau. Wer hätte ſich auch
nur träumen laſſen, daß dieſelben preußiſchen Fahnen noch zweimal
binnen zweier Menſchenalter deſſelben Weges ziehen würden? Glück-
licher war doch Niemand als jene beiden großen Deutſchen, die nun
glorreich erfüllt ſahen, was ſie ſich einſt auf dem Leipziger Markte in
die Hand verſprochen hatten. Gneiſenau ſchrieb: „Was Patrioten träumten
und Egoiſten belächelten iſt geſchehen;“ Stein aber ſagte in ſeiner wuch-
tigen Weiſe: „Der Menſch iſt am Boden!“
In der alten Heimath der galliſchen Unbeſtändigkeit, in der Stadt
Paris war die Erbitterung gegen das Kaiſerreich früher und lebhafter er-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 551. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/567>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.