Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.Oesterreich und die Albertiner. sprochen, so war er auch in der polnischen Sache mit dem arglosenStaatskanzler keineswegs einverstanden, sondern fand Hardenbergs For- derungen viel zu niedrig und wollte Rußland noch weiter in den Osten drängen. Die Hofburg täuschte sich weder über den untrennbaren Zu- sammenhang der sächsischen und der polnischen Frage noch über die na- türliche Interessengemeinschaft der preußischen und der russischen Politik. Im Juni sagte Kaiser Franz zu einem Bevollmächtigten des gefangenen Königs, General Zeschau: er finde die Entthronung Friedrich Augusts unbillig und unmoralisch, "denn wir haben ja jetzt den Krieg geführt um Alles wieder auf den alten Fuß herzustellen. Aber es handelt sich darum, daß Rußland nichts von Polen hergeben will, und dafür mag Preußen sich in Sachsen entschädigen." Er habe darum, fuhr er fort, seinem Minister befohlen alle Verhandlungen über diese Fragen auf den Congreß zu verschieben, "weil ich hoffe, daß man hier der Sache eine bessere Richtung geben kann." Der General möge das seinem Könige erzählen; "schreiben kann ich's nicht."*) Schon im Laufe des Winters war ein sächsischer Agent Freiherr von Uechtritz durch die Kosaken des sächsischen Generalgouvernements aufgefangen worden. Aus seinen Papie- ren ergab sich, daß der entlassene sächsische Minister Graf Senfft von König Friedrich August bevollmächtigt werden sollte mit den Mächten ins- geheim wegen der Wiedereinsetzung des albertinischen Hauses zu verhan- deln; der Verkehr zwischen Senfft und seinem gefangenen Herrn sollte durch die Hände des Grafen Zichy, des k. k. Gesandten in Berlin gehen! Während des Sommers versuchte Kaiser Franz abermals vergeblich den König von Preußen zu bewegen, daß er seinen Gefangenen an Oesterreich ausliefere. Man erfuhr, daß Prinz Anton von Sachsen, eingeladen von seinem kaiserlichen Schwager, schon im Juli sich nach Wien begab, um auf dem Congresse für seinen Bruder zu wirken. Einige Wochen nachher erklärte Metternich selbst einem anderen sächsischen Agenten, dem Grafen Schulenburg: die Interessen Preußens und Oesterreichs laufen in der sächsischen Frage einander schnurstracks zuwider; am Besten, wenn Schu- lenburg selbst als sächsischer Gesandter "mit ruhender Vollmacht" auf dem Congresse erscheint und statt aller Instructionen den einfachen Auf- trag mitbringt, in Allem und Jedem den Weisungen Oesterreichs zu folgen. Friedrich August beeilte sich den Rathschlag wörtlich zu befolgen. Das Bündniß zwischen den Lothringern und den Albertinern war unerschüt- terlich fest begründet. Das englische Cabinet stand dem sächsischen Streite vorderhand sehr *) Nach Zeschaus Aufzeichnungen (Erinnerungen an General H. W. v. Zeschau.
Dresden 1866. S. 69. Oeſterreich und die Albertiner. ſprochen, ſo war er auch in der polniſchen Sache mit dem argloſenStaatskanzler keineswegs einverſtanden, ſondern fand Hardenbergs For- derungen viel zu niedrig und wollte Rußland noch weiter in den Oſten drängen. Die Hofburg täuſchte ſich weder über den untrennbaren Zu- ſammenhang der ſächſiſchen und der polniſchen Frage noch über die na- türliche Intereſſengemeinſchaft der preußiſchen und der ruſſiſchen Politik. Im Juni ſagte Kaiſer Franz zu einem Bevollmächtigten des gefangenen Königs, General Zeſchau: er finde die Entthronung Friedrich Auguſts unbillig und unmoraliſch, „denn wir haben ja jetzt den Krieg geführt um Alles wieder auf den alten Fuß herzuſtellen. Aber es handelt ſich darum, daß Rußland nichts von Polen hergeben will, und dafür mag Preußen ſich in Sachſen entſchädigen.“ Er habe darum, fuhr er fort, ſeinem Miniſter befohlen alle Verhandlungen über dieſe Fragen auf den Congreß zu verſchieben, „weil ich hoffe, daß man hier der Sache eine beſſere Richtung geben kann.“ Der General möge das ſeinem Könige erzählen; „ſchreiben kann ich’s nicht.“*) Schon im Laufe des Winters war ein ſächſiſcher Agent Freiherr von Uechtritz durch die Koſaken des ſächſiſchen Generalgouvernements aufgefangen worden. Aus ſeinen Papie- ren ergab ſich, daß der entlaſſene ſächſiſche Miniſter Graf Senfft von König Friedrich Auguſt bevollmächtigt werden ſollte mit den Mächten ins- geheim wegen der Wiedereinſetzung des albertiniſchen Hauſes zu verhan- deln; der Verkehr zwiſchen Senfft und ſeinem gefangenen Herrn ſollte durch die Hände des Grafen Zichy, des k. k. Geſandten in Berlin gehen! Während des Sommers verſuchte Kaiſer Franz abermals vergeblich den König von Preußen zu bewegen, daß er ſeinen Gefangenen an Oeſterreich ausliefere. Man erfuhr, daß Prinz Anton von Sachſen, eingeladen von ſeinem kaiſerlichen Schwager, ſchon im Juli ſich nach Wien begab, um auf dem Congreſſe für ſeinen Bruder zu wirken. Einige Wochen nachher erklärte Metternich ſelbſt einem anderen ſächſiſchen Agenten, dem Grafen Schulenburg: die Intereſſen Preußens und Oeſterreichs laufen in der ſächſiſchen Frage einander ſchnurſtracks zuwider; am Beſten, wenn Schu- lenburg ſelbſt als ſächſiſcher Geſandter „mit ruhender Vollmacht“ auf dem Congreſſe erſcheint und ſtatt aller Inſtructionen den einfachen Auf- trag mitbringt, in Allem und Jedem den Weiſungen Oeſterreichs zu folgen. Friedrich Auguſt beeilte ſich den Rathſchlag wörtlich zu befolgen. Das Bündniß zwiſchen den Lothringern und den Albertinern war unerſchüt- terlich feſt begründet. Das engliſche Cabinet ſtand dem ſächſiſchen Streite vorderhand ſehr *) Nach Zeſchaus Aufzeichnungen (Erinnerungen an General H. W. v. Zeſchau.
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Oeſterreich und die Albertiner.
ſprochen, ſo war er auch in der polniſchen Sache mit dem argloſen
Staatskanzler keineswegs einverſtanden, ſondern fand Hardenbergs For-
derungen viel zu niedrig und wollte Rußland noch weiter in den Oſten
drängen. Die Hofburg täuſchte ſich weder über den untrennbaren Zu-
ſammenhang der ſächſiſchen und der polniſchen Frage noch über die na-
türliche Intereſſengemeinſchaft der preußiſchen und der ruſſiſchen Politik.
Im Juni ſagte Kaiſer Franz zu einem Bevollmächtigten des gefangenen
Königs, General Zeſchau: er finde die Entthronung Friedrich Auguſts
unbillig und unmoraliſch, „denn wir haben ja jetzt den Krieg geführt
um Alles wieder auf den alten Fuß herzuſtellen. Aber es handelt ſich
darum, daß Rußland nichts von Polen hergeben will, und dafür mag
Preußen ſich in Sachſen entſchädigen.“ Er habe darum, fuhr er fort,
ſeinem Miniſter befohlen alle Verhandlungen über dieſe Fragen auf den
Congreß zu verſchieben, „weil ich hoffe, daß man hier der Sache eine
beſſere Richtung geben kann.“ Der General möge das ſeinem Könige
erzählen; „ſchreiben kann ich’s nicht.“ *) Schon im Laufe des Winters
war ein ſächſiſcher Agent Freiherr von Uechtritz durch die Koſaken des
ſächſiſchen Generalgouvernements aufgefangen worden. Aus ſeinen Papie-
ren ergab ſich, daß der entlaſſene ſächſiſche Miniſter Graf Senfft von
König Friedrich Auguſt bevollmächtigt werden ſollte mit den Mächten ins-
geheim wegen der Wiedereinſetzung des albertiniſchen Hauſes zu verhan-
deln; der Verkehr zwiſchen Senfft und ſeinem gefangenen Herrn ſollte
durch die Hände des Grafen Zichy, des k. k. Geſandten in Berlin gehen!
Während des Sommers verſuchte Kaiſer Franz abermals vergeblich den
König von Preußen zu bewegen, daß er ſeinen Gefangenen an Oeſterreich
ausliefere. Man erfuhr, daß Prinz Anton von Sachſen, eingeladen von
ſeinem kaiſerlichen Schwager, ſchon im Juli ſich nach Wien begab, um
auf dem Congreſſe für ſeinen Bruder zu wirken. Einige Wochen nachher
erklärte Metternich ſelbſt einem anderen ſächſiſchen Agenten, dem Grafen
Schulenburg: die Intereſſen Preußens und Oeſterreichs laufen in der
ſächſiſchen Frage einander ſchnurſtracks zuwider; am Beſten, wenn Schu-
lenburg ſelbſt als ſächſiſcher Geſandter „mit ruhender Vollmacht“ auf
dem Congreſſe erſcheint und ſtatt aller Inſtructionen den einfachen Auf-
trag mitbringt, in Allem und Jedem den Weiſungen Oeſterreichs zu folgen.
Friedrich Auguſt beeilte ſich den Rathſchlag wörtlich zu befolgen. Das
Bündniß zwiſchen den Lothringern und den Albertinern war unerſchüt-
terlich feſt begründet.
Das engliſche Cabinet ſtand dem ſächſiſchen Streite vorderhand ſehr
gleichgiltig und völlig unwiſſend gegenüber. Nach Caſtlereaghs Briefen
ließ ſich die Frage wohl aufwerfen: ob der edle Lord genau wußte, wo
*) Nach Zeſchaus Aufzeichnungen (Erinnerungen an General H. W. v. Zeſchau.
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