unentbehrlich sei. Fürst Metternich irrt, so fährt Hardenberg fort, wenn er Baiern durch Gefälligkeit zu gewinnen hofft. "Er wird diesen Staat nie zufrieden stellen. Diese werdende, unablässig ländergierige Macht ist, ganz wie Württemberg, ein drohendes und schädliches Element in dem System unserer deutschen Politik geworden. In diesem Systeme kann es nach Lage der Umstände nur noch ein Ziel geben, wornach Oesterreich und Preußen im eigenen und allgemeinen Interesse trachten müssen: die Macht und den entscheidenden Einfluß zwischen den beiden Großmächten zu theilen und diesen Einfluß gemeinsam, in vollkommenster Eintracht auszuüben." Darum müssen auch die Länder des linken Rheinufers an Oesterreich und Preußen kommen. "Dies ist unzweifelhaft das einzige Mittel um die deutschen Staaten zweiten und dritten Ranges von unserem Systeme abhängig zu machen und dasselbe zu sichern. Kleine Staaten auf dem linken Ufer werden immer unter dem Einfluß Frankreichs stehen, immer Ränke schmieden, unablässig das Gleichgewicht, das wir aufrichten wollen, zu untergraben drohen."
Kein Wort in diesen Zeilen, das nicht den Plänen Metternichs ins Gesicht schlug, und doch wähnte Hardenberg mit dem Oesterreicher wesentlich eines Sinnes zu sein. Völlig verblendet warf er sich dem falschen Freunde in die Arme, führte den Staat einer beschämenden Niederlage entgegen. Der König dachte anders, er verhehlte nicht, daß er den Czaren noch immer als den besten Bundesgenossen Preußens an- sehe, wofür ihn Hardenberg in seinen Tagebüchern mit gewohnter Un- fehlbarkeit der pusillanimite beschuldigte. Nach seiner allzu schonenden Weise ließ Friedrich Wilhelm den Staatskanzler vorläufig schalten, doch er nahm sich vor den Bruch mit Rußland auf keinen Fall zu dulden, und durch diesen rettenden Entschluß sollte er bald nachher den Staat wieder in die Bahnen der nationalen Politik zurückführen. --
Währenddem schritt man rüstig an die Neuordnung der Verwaltung, noch bevor die Grenzen des Staatsgebietes irgend fest standen. Der Staatskanzler fühlte die Abnahme seiner Kräfte und hatte daher schon im November 1813 das Finanzministerium seinem Neffen, dem Grafen Bülow, übergeben. Am 3. Juni 1814 folgte eine umfassende Umgestal- tung des Ministeriums. Hardenberg übernahm neben dem Staatskanzler- amte die unmittelbare Leitung der auswärtigen Angelegenheiten; sein alter Mitarbeiter von Franken her, Freiherr von Schuckmann, wurde Minister des Innern; das neu gebildete Polizeiministerium ward dem Grafen Witt- genstein übergeben, während der Minister von Kircheisen nach wie vor das Justizdepartement behielt. An die Spitze der Kriegsverwaltung endlich trat Generalmajor von Boyen, bisher Bülows unzertrennlicher Waffen- gefährte. Unter ihm leitete Generalmajor von Grolmann den General- stab und gab, rasch durchgreifend wie er war, dieser Behörde sogleich die Verfassung, die ihr im Wesentlichen bis zum heutigen Tage geblieben ist.
I. 5. Ende der Kriegszeit.
unentbehrlich ſei. Fürſt Metternich irrt, ſo fährt Hardenberg fort, wenn er Baiern durch Gefälligkeit zu gewinnen hofft. „Er wird dieſen Staat nie zufrieden ſtellen. Dieſe werdende, unabläſſig ländergierige Macht iſt, ganz wie Württemberg, ein drohendes und ſchädliches Element in dem Syſtem unſerer deutſchen Politik geworden. In dieſem Syſteme kann es nach Lage der Umſtände nur noch ein Ziel geben, wornach Oeſterreich und Preußen im eigenen und allgemeinen Intereſſe trachten müſſen: die Macht und den entſcheidenden Einfluß zwiſchen den beiden Großmächten zu theilen und dieſen Einfluß gemeinſam, in vollkommenſter Eintracht auszuüben.“ Darum müſſen auch die Länder des linken Rheinufers an Oeſterreich und Preußen kommen. „Dies iſt unzweifelhaft das einzige Mittel um die deutſchen Staaten zweiten und dritten Ranges von unſerem Syſteme abhängig zu machen und daſſelbe zu ſichern. Kleine Staaten auf dem linken Ufer werden immer unter dem Einfluß Frankreichs ſtehen, immer Ränke ſchmieden, unabläſſig das Gleichgewicht, das wir aufrichten wollen, zu untergraben drohen.“
Kein Wort in dieſen Zeilen, das nicht den Plänen Metternichs ins Geſicht ſchlug, und doch wähnte Hardenberg mit dem Oeſterreicher weſentlich eines Sinnes zu ſein. Völlig verblendet warf er ſich dem falſchen Freunde in die Arme, führte den Staat einer beſchämenden Niederlage entgegen. Der König dachte anders, er verhehlte nicht, daß er den Czaren noch immer als den beſten Bundesgenoſſen Preußens an- ſehe, wofür ihn Hardenberg in ſeinen Tagebüchern mit gewohnter Un- fehlbarkeit der pusillanimité beſchuldigte. Nach ſeiner allzu ſchonenden Weiſe ließ Friedrich Wilhelm den Staatskanzler vorläufig ſchalten, doch er nahm ſich vor den Bruch mit Rußland auf keinen Fall zu dulden, und durch dieſen rettenden Entſchluß ſollte er bald nachher den Staat wieder in die Bahnen der nationalen Politik zurückführen. —
Währenddem ſchritt man rüſtig an die Neuordnung der Verwaltung, noch bevor die Grenzen des Staatsgebietes irgend feſt ſtanden. Der Staatskanzler fühlte die Abnahme ſeiner Kräfte und hatte daher ſchon im November 1813 das Finanzminiſterium ſeinem Neffen, dem Grafen Bülow, übergeben. Am 3. Juni 1814 folgte eine umfaſſende Umgeſtal- tung des Miniſteriums. Hardenberg übernahm neben dem Staatskanzler- amte die unmittelbare Leitung der auswärtigen Angelegenheiten; ſein alter Mitarbeiter von Franken her, Freiherr von Schuckmann, wurde Miniſter des Innern; das neu gebildete Polizeiminiſterium ward dem Grafen Witt- genſtein übergeben, während der Miniſter von Kircheiſen nach wie vor das Juſtizdepartement behielt. An die Spitze der Kriegsverwaltung endlich trat Generalmajor von Boyen, bisher Bülows unzertrennlicher Waffen- gefährte. Unter ihm leitete Generalmajor von Grolmann den General- ſtab und gab, raſch durchgreifend wie er war, dieſer Behörde ſogleich die Verfaſſung, die ihr im Weſentlichen bis zum heutigen Tage geblieben iſt.
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er Baiern durch Gefälligkeit zu gewinnen hofft. „Er wird dieſen Staat
nie zufrieden ſtellen. Dieſe werdende, unabläſſig ländergierige Macht iſt,
ganz wie Württemberg, ein drohendes und ſchädliches Element in dem
Syſtem unſerer deutſchen Politik geworden. In dieſem Syſteme kann es
nach Lage der Umſtände nur noch ein Ziel geben, wornach Oeſterreich
und Preußen im eigenen und allgemeinen Intereſſe trachten müſſen: die
Macht und den entſcheidenden Einfluß zwiſchen den beiden Großmächten
zu theilen und dieſen Einfluß gemeinſam, in vollkommenſter Eintracht
auszuüben.“ Darum müſſen auch die Länder des linken Rheinufers an
Oeſterreich und Preußen kommen. „Dies iſt unzweifelhaft das einzige
Mittel um die deutſchen Staaten zweiten und dritten Ranges von unſerem
Syſteme abhängig zu machen und daſſelbe zu ſichern. Kleine Staaten
auf dem linken Ufer werden immer unter dem Einfluß Frankreichs ſtehen,
immer Ränke ſchmieden, unabläſſig das Gleichgewicht, das wir aufrichten
wollen, zu untergraben drohen.“
Kein Wort in dieſen Zeilen, das nicht den Plänen Metternichs
ins Geſicht ſchlug, und doch wähnte Hardenberg mit dem Oeſterreicher
weſentlich eines Sinnes zu ſein. Völlig verblendet warf er ſich dem
falſchen Freunde in die Arme, führte den Staat einer beſchämenden
Niederlage entgegen. Der König dachte anders, er verhehlte nicht, daß
er den Czaren noch immer als den beſten Bundesgenoſſen Preußens an-
ſehe, wofür ihn Hardenberg in ſeinen Tagebüchern mit gewohnter Un-
fehlbarkeit der pusillanimité beſchuldigte. Nach ſeiner allzu ſchonenden
Weiſe ließ Friedrich Wilhelm den Staatskanzler vorläufig ſchalten, doch
er nahm ſich vor den Bruch mit Rußland auf keinen Fall zu dulden,
und durch dieſen rettenden Entſchluß ſollte er bald nachher den Staat
wieder in die Bahnen der nationalen Politik zurückführen. —
Währenddem ſchritt man rüſtig an die Neuordnung der Verwaltung,
noch bevor die Grenzen des Staatsgebietes irgend feſt ſtanden. Der
Staatskanzler fühlte die Abnahme ſeiner Kräfte und hatte daher ſchon
im November 1813 das Finanzminiſterium ſeinem Neffen, dem Grafen
Bülow, übergeben. Am 3. Juni 1814 folgte eine umfaſſende Umgeſtal-
tung des Miniſteriums. Hardenberg übernahm neben dem Staatskanzler-
amte die unmittelbare Leitung der auswärtigen Angelegenheiten; ſein alter
Mitarbeiter von Franken her, Freiherr von Schuckmann, wurde Miniſter
des Innern; das neu gebildete Polizeiminiſterium ward dem Grafen Witt-
genſtein übergeben, während der Miniſter von Kircheiſen nach wie vor
das Juſtizdepartement behielt. An die Spitze der Kriegsverwaltung endlich
trat Generalmajor von Boyen, bisher Bülows unzertrennlicher Waffen-
gefährte. Unter ihm leitete Generalmajor von Grolmann den General-
ſtab und gab, raſch durchgreifend wie er war, dieſer Behörde ſogleich die
Verfaſſung, die ihr im Weſentlichen bis zum heutigen Tage geblieben iſt.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/600>, abgerufen am 22.11.2024.
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