Der Generalstab sollte nicht, wie in vielen anderen Heeren, eine selbständige Waffengattung bilden, deren Mitglieder ihr für immer angehörten, sondern mit der praktischen Arbeit der Linientruppen in lebendiger Be- rührung bleiben; seine Offiziere traten nach einigen Jahren in die Linie ein um je nach ihren Leistungen späterhin wieder zurückzukehren. Zu- gleich berief der König eine Commission um die Grundlagen der gesammten Heeresverfassung festzustellen; außer dem Kriegsminister gehörten ihr auch Hardenberg, Gneisenau und Grolmann an.
Darüber bestand unter den Generalen kaum ein Streit, daß jene Cabinetsordre vom 27. Mai, welche die Exemtionen von der Wehrpflicht wieder eingeführt hatte, nur ein Nothbehelf für den Augenblick gewesen war, bestimmt den schreienden Mißständen der Volkswirthschaft zu be- gegnen. Die Dienstpflicht Aller hatte sich glänzend bewährt; was die Noth des Augenblicks geboren sollte jetzt zu einer dauernden Institution des Staates werden. In solchem Sinne brachte Blücher an der Tafel des Königs einen Trinkspruch auf Hardenberg aus: der Staatskanzler habe den neuen Geist in der Monarchie geweckt, also daß man heute in Preußen nicht mehr wisse wo der Bürgerstand aufhöre und wo der Krieger- stand. Noch stolzer forderte Gneisenau für sein Preußen das beste und volksthümlichste Heerwesen der Welt, dazu die Freiheit gründlicher wissen- schaftlicher Bildung und eine verständige, die Nation zu einem lebendigen Ganzen vereinende Staatsverfassung: "der dreifache Primat der Waffen, der Constitution, der Wissenschaft ist es allein, der uns zwischen den mächtigeren Nachbarn aufrechterhalten kann."
Nirgends aber fand der kühne politische Idealismus der Soldaten des Befreiungskrieges einen edleren Ausdruck als in dem Buche des Obersten Rühle von Lilienstern "Vom Kriege". Die geistvolle Schrift, die uns Rückschauenden heute wie das wissenschaftliche Programm der modernen deutschen Heeresverfassung erscheint, widerlegte Kants Lehre vom ewigen Frieden und namentlich die ihr zu Grunde liegende Fiction des Naturzustandes durch die Beweisgründe der historischen Staats- und Rechtslehre, deren Anschauungen bereits anfingen zu einem Gemeingute der bestgebildeten Deutschen zu werden. Sie erwies siegreich die unzer- störbare, segensreiche Nothwendigkeit des Krieges, der die Völker für den Frieden erziehe, und stellte dem neuen Jahrhundert die Aufgabe, "die Heere zu nationalisiren und die Völker zu militarisiren." Jeder Tropfen Blutes in einem freien Staate müsse mit dem Eisen des Krieges versetzt sein; das Heer dürfe nicht als die Waffe des Staates begriffen werden, als ein todtes Werkzeug, das man zur Zeit der Noth aus dem Winkel hervorhole, sondern als der bewaffnete Arm des Staates, als ein mit seinem eigenen Leben eng verbundenes lebendiges Glied des Gemeinwesens. Alle Institutionen des Staates, alle Wissenschaft und Gesinnung soll kriegerisch und friedlich zugleich sein; nur dann bleiben die erhaltenden
Rühle von Lilienſtern, vom Kriege.
Der Generalſtab ſollte nicht, wie in vielen anderen Heeren, eine ſelbſtändige Waffengattung bilden, deren Mitglieder ihr für immer angehörten, ſondern mit der praktiſchen Arbeit der Linientruppen in lebendiger Be- rührung bleiben; ſeine Offiziere traten nach einigen Jahren in die Linie ein um je nach ihren Leiſtungen ſpäterhin wieder zurückzukehren. Zu- gleich berief der König eine Commiſſion um die Grundlagen der geſammten Heeresverfaſſung feſtzuſtellen; außer dem Kriegsminiſter gehörten ihr auch Hardenberg, Gneiſenau und Grolmann an.
Darüber beſtand unter den Generalen kaum ein Streit, daß jene Cabinetsordre vom 27. Mai, welche die Exemtionen von der Wehrpflicht wieder eingeführt hatte, nur ein Nothbehelf für den Augenblick geweſen war, beſtimmt den ſchreienden Mißſtänden der Volkswirthſchaft zu be- gegnen. Die Dienſtpflicht Aller hatte ſich glänzend bewährt; was die Noth des Augenblicks geboren ſollte jetzt zu einer dauernden Inſtitution des Staates werden. In ſolchem Sinne brachte Blücher an der Tafel des Königs einen Trinkſpruch auf Hardenberg aus: der Staatskanzler habe den neuen Geiſt in der Monarchie geweckt, alſo daß man heute in Preußen nicht mehr wiſſe wo der Bürgerſtand aufhöre und wo der Krieger- ſtand. Noch ſtolzer forderte Gneiſenau für ſein Preußen das beſte und volksthümlichſte Heerweſen der Welt, dazu die Freiheit gründlicher wiſſen- ſchaftlicher Bildung und eine verſtändige, die Nation zu einem lebendigen Ganzen vereinende Staatsverfaſſung: „der dreifache Primat der Waffen, der Conſtitution, der Wiſſenſchaft iſt es allein, der uns zwiſchen den mächtigeren Nachbarn aufrechterhalten kann.“
Nirgends aber fand der kühne politiſche Idealismus der Soldaten des Befreiungskrieges einen edleren Ausdruck als in dem Buche des Oberſten Rühle von Lilienſtern „Vom Kriege“. Die geiſtvolle Schrift, die uns Rückſchauenden heute wie das wiſſenſchaftliche Programm der modernen deutſchen Heeresverfaſſung erſcheint, widerlegte Kants Lehre vom ewigen Frieden und namentlich die ihr zu Grunde liegende Fiction des Naturzuſtandes durch die Beweisgründe der hiſtoriſchen Staats- und Rechtslehre, deren Anſchauungen bereits anfingen zu einem Gemeingute der beſtgebildeten Deutſchen zu werden. Sie erwies ſiegreich die unzer- ſtörbare, ſegensreiche Nothwendigkeit des Krieges, der die Völker für den Frieden erziehe, und ſtellte dem neuen Jahrhundert die Aufgabe, „die Heere zu nationaliſiren und die Völker zu militariſiren.“ Jeder Tropfen Blutes in einem freien Staate müſſe mit dem Eiſen des Krieges verſetzt ſein; das Heer dürfe nicht als die Waffe des Staates begriffen werden, als ein todtes Werkzeug, das man zur Zeit der Noth aus dem Winkel hervorhole, ſondern als der bewaffnete Arm des Staates, als ein mit ſeinem eigenen Leben eng verbundenes lebendiges Glied des Gemeinweſens. Alle Inſtitutionen des Staates, alle Wiſſenſchaft und Geſinnung ſoll kriegeriſch und friedlich zugleich ſein; nur dann bleiben die erhaltenden
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[585/0601]
Rühle von Lilienſtern, vom Kriege.
Der Generalſtab ſollte nicht, wie in vielen anderen Heeren, eine ſelbſtändige
Waffengattung bilden, deren Mitglieder ihr für immer angehörten,
ſondern mit der praktiſchen Arbeit der Linientruppen in lebendiger Be-
rührung bleiben; ſeine Offiziere traten nach einigen Jahren in die Linie
ein um je nach ihren Leiſtungen ſpäterhin wieder zurückzukehren. Zu-
gleich berief der König eine Commiſſion um die Grundlagen der geſammten
Heeresverfaſſung feſtzuſtellen; außer dem Kriegsminiſter gehörten ihr auch
Hardenberg, Gneiſenau und Grolmann an.
Darüber beſtand unter den Generalen kaum ein Streit, daß jene
Cabinetsordre vom 27. Mai, welche die Exemtionen von der Wehrpflicht
wieder eingeführt hatte, nur ein Nothbehelf für den Augenblick geweſen
war, beſtimmt den ſchreienden Mißſtänden der Volkswirthſchaft zu be-
gegnen. Die Dienſtpflicht Aller hatte ſich glänzend bewährt; was die
Noth des Augenblicks geboren ſollte jetzt zu einer dauernden Inſtitution
des Staates werden. In ſolchem Sinne brachte Blücher an der Tafel
des Königs einen Trinkſpruch auf Hardenberg aus: der Staatskanzler
habe den neuen Geiſt in der Monarchie geweckt, alſo daß man heute in
Preußen nicht mehr wiſſe wo der Bürgerſtand aufhöre und wo der Krieger-
ſtand. Noch ſtolzer forderte Gneiſenau für ſein Preußen das beſte und
volksthümlichſte Heerweſen der Welt, dazu die Freiheit gründlicher wiſſen-
ſchaftlicher Bildung und eine verſtändige, die Nation zu einem lebendigen
Ganzen vereinende Staatsverfaſſung: „der dreifache Primat der Waffen,
der Conſtitution, der Wiſſenſchaft iſt es allein, der uns zwiſchen den
mächtigeren Nachbarn aufrechterhalten kann.“
Nirgends aber fand der kühne politiſche Idealismus der Soldaten
des Befreiungskrieges einen edleren Ausdruck als in dem Buche des
Oberſten Rühle von Lilienſtern „Vom Kriege“. Die geiſtvolle Schrift,
die uns Rückſchauenden heute wie das wiſſenſchaftliche Programm der
modernen deutſchen Heeresverfaſſung erſcheint, widerlegte Kants Lehre
vom ewigen Frieden und namentlich die ihr zu Grunde liegende Fiction
des Naturzuſtandes durch die Beweisgründe der hiſtoriſchen Staats- und
Rechtslehre, deren Anſchauungen bereits anfingen zu einem Gemeingute
der beſtgebildeten Deutſchen zu werden. Sie erwies ſiegreich die unzer-
ſtörbare, ſegensreiche Nothwendigkeit des Krieges, der die Völker für den
Frieden erziehe, und ſtellte dem neuen Jahrhundert die Aufgabe, „die
Heere zu nationaliſiren und die Völker zu militariſiren.“ Jeder Tropfen
Blutes in einem freien Staate müſſe mit dem Eiſen des Krieges verſetzt
ſein; das Heer dürfe nicht als die Waffe des Staates begriffen werden,
als ein todtes Werkzeug, das man zur Zeit der Noth aus dem Winkel
hervorhole, ſondern als der bewaffnete Arm des Staates, als ein mit
ſeinem eigenen Leben eng verbundenes lebendiges Glied des Gemeinweſens.
Alle Inſtitutionen des Staates, alle Wiſſenſchaft und Geſinnung ſoll
kriegeriſch und friedlich zugleich ſein; nur dann bleiben die erhaltenden
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 585. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/601>, abgerufen am 22.11.2024.
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