Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.Der österreichische Hof. durch sie der Bewegung des Völkerlebens ein- für allemal eine festeSchranke zu setzen. Gleich seinem Kaiser sah er ein, daß sein Oester- reich nur noch eine conservative Politik verfolgen konnte, und wollte wie jener die revolutionären Ideen der Völker durch eine scharfe polizeiliche Aufsicht bändigen, den Ehrgeiz der beiden aufstrebenden jungen Ostmächte unter dem Scheine zärtlicher Freundschaft zügeln. Daher das feste Bünd- niß mit den gleichgesinnten englisch-hannoverschen Torys und das bereits vorbereitete gute Einvernehmen mit dem bourbonischen Hofe. Der natio- nalen Politik Preußens hatten die Verträge mit den Rheinbundsstaaten schon einen Riegel vorgeschoben; jetzt galt es zunächst durch die Erret- tung Sachsens die kleinen Kronen noch fester an das Haus Oesterreich anzuschließen und sodann die Türkei vor Rußlands Uebergriffen sicher zu stellen. Durch die Bekämpfung der Osmanen war Oesterreich einst emporgekommen und in Wahrheit erst zu einem Staate geworden; der gedankenlosen Ruheseligkeit dieser neuen Staatsweisheit erschien umgekehrt die Erhaltung der letzten Trümmer der Osmanenherrschaft als eine heilige Aufgabe. Für den himmelschreienden Jammer der serbischen und grie- chischen Rajah hatte man in der Hofburg nur ein frivoles Lächeln. Ein Gefühl innerer Wahlverwandtschaft verband dies neue Oesterreich, das sich in seinen italienischen Provinzen nur durch das Schwert aufrecht erhalten konnte, mit der hohen Pforte. Schon seit Anfang 1813 hatte Gentz mit dem Hospodaren der Walachei, Janko Karadja, einen regel- mäßigen vertrauten Briefwechsel eröffnet, der den Divan, "unseren treue- sten Alliirten," über die Lage der Welt und die Absichten des Wiener Hofes genau unterrichten sollte. Vergeblich war Metternich seit dem Herbst des nämlichen Jahres bemüht gewesen, den Czaren dahin zu überreden, daß der Sultan mit in die europäische Fürstenfamilie aufge- nommen, sein Besitzstand durch alle Mächte insgesammt feierlich verbürgt werden sollte. Diese Lücke in dem großen Systeme der Stabilitätspolitik sollte jetzt Der öſterreichiſche Hof. durch ſie der Bewegung des Völkerlebens ein- für allemal eine feſteSchranke zu ſetzen. Gleich ſeinem Kaiſer ſah er ein, daß ſein Oeſter- reich nur noch eine conſervative Politik verfolgen konnte, und wollte wie jener die revolutionären Ideen der Völker durch eine ſcharfe polizeiliche Aufſicht bändigen, den Ehrgeiz der beiden aufſtrebenden jungen Oſtmächte unter dem Scheine zärtlicher Freundſchaft zügeln. Daher das feſte Bünd- niß mit den gleichgeſinnten engliſch-hannoverſchen Torys und das bereits vorbereitete gute Einvernehmen mit dem bourboniſchen Hofe. Der natio- nalen Politik Preußens hatten die Verträge mit den Rheinbundsſtaaten ſchon einen Riegel vorgeſchoben; jetzt galt es zunächſt durch die Erret- tung Sachſens die kleinen Kronen noch feſter an das Haus Oeſterreich anzuſchließen und ſodann die Türkei vor Rußlands Uebergriffen ſicher zu ſtellen. Durch die Bekämpfung der Osmanen war Oeſterreich einſt emporgekommen und in Wahrheit erſt zu einem Staate geworden; der gedankenloſen Ruheſeligkeit dieſer neuen Staatsweisheit erſchien umgekehrt die Erhaltung der letzten Trümmer der Osmanenherrſchaft als eine heilige Aufgabe. Für den himmelſchreienden Jammer der ſerbiſchen und grie- chiſchen Rajah hatte man in der Hofburg nur ein frivoles Lächeln. Ein Gefühl innerer Wahlverwandtſchaft verband dies neue Oeſterreich, das ſich in ſeinen italieniſchen Provinzen nur durch das Schwert aufrecht erhalten konnte, mit der hohen Pforte. Schon ſeit Anfang 1813 hatte Gentz mit dem Hospodaren der Walachei, Janko Karadja, einen regel- mäßigen vertrauten Briefwechſel eröffnet, der den Divan, „unſeren treue- ſten Alliirten,“ über die Lage der Welt und die Abſichten des Wiener Hofes genau unterrichten ſollte. Vergeblich war Metternich ſeit dem Herbſt des nämlichen Jahres bemüht geweſen, den Czaren dahin zu überreden, daß der Sultan mit in die europäiſche Fürſtenfamilie aufge- nommen, ſein Beſitzſtand durch alle Mächte insgeſammt feierlich verbürgt werden ſollte. Dieſe Lücke in dem großen Syſteme der Stabilitätspolitik ſollte jetzt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0619" n="603"/><fw place="top" type="header">Der öſterreichiſche Hof.</fw><lb/> durch ſie der Bewegung des Völkerlebens ein- für allemal eine feſte<lb/> Schranke zu ſetzen. Gleich ſeinem Kaiſer ſah er ein, daß ſein Oeſter-<lb/> reich nur noch eine conſervative Politik verfolgen konnte, und wollte wie<lb/> jener die revolutionären Ideen der Völker durch eine ſcharfe polizeiliche<lb/> Aufſicht bändigen, den Ehrgeiz der beiden aufſtrebenden jungen Oſtmächte<lb/> unter dem Scheine zärtlicher Freundſchaft zügeln. 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Der öſterreichiſche Hof.
durch ſie der Bewegung des Völkerlebens ein- für allemal eine feſte
Schranke zu ſetzen. Gleich ſeinem Kaiſer ſah er ein, daß ſein Oeſter-
reich nur noch eine conſervative Politik verfolgen konnte, und wollte wie
jener die revolutionären Ideen der Völker durch eine ſcharfe polizeiliche
Aufſicht bändigen, den Ehrgeiz der beiden aufſtrebenden jungen Oſtmächte
unter dem Scheine zärtlicher Freundſchaft zügeln. Daher das feſte Bünd-
niß mit den gleichgeſinnten engliſch-hannoverſchen Torys und das bereits
vorbereitete gute Einvernehmen mit dem bourboniſchen Hofe. Der natio-
nalen Politik Preußens hatten die Verträge mit den Rheinbundsſtaaten
ſchon einen Riegel vorgeſchoben; jetzt galt es zunächſt durch die Erret-
tung Sachſens die kleinen Kronen noch feſter an das Haus Oeſterreich
anzuſchließen und ſodann die Türkei vor Rußlands Uebergriffen ſicher
zu ſtellen. Durch die Bekämpfung der Osmanen war Oeſterreich einſt
emporgekommen und in Wahrheit erſt zu einem Staate geworden; der
gedankenloſen Ruheſeligkeit dieſer neuen Staatsweisheit erſchien umgekehrt
die Erhaltung der letzten Trümmer der Osmanenherrſchaft als eine heilige
Aufgabe. Für den himmelſchreienden Jammer der ſerbiſchen und grie-
chiſchen Rajah hatte man in der Hofburg nur ein frivoles Lächeln. Ein
Gefühl innerer Wahlverwandtſchaft verband dies neue Oeſterreich, das
ſich in ſeinen italieniſchen Provinzen nur durch das Schwert aufrecht
erhalten konnte, mit der hohen Pforte. Schon ſeit Anfang 1813 hatte
Gentz mit dem Hospodaren der Walachei, Janko Karadja, einen regel-
mäßigen vertrauten Briefwechſel eröffnet, der den Divan, „unſeren treue-
ſten Alliirten,“ über die Lage der Welt und die Abſichten des Wiener
Hofes genau unterrichten ſollte. Vergeblich war Metternich ſeit dem
Herbſt des nämlichen Jahres bemüht geweſen, den Czaren dahin zu
überreden, daß der Sultan mit in die europäiſche Fürſtenfamilie aufge-
nommen, ſein Beſitzſtand durch alle Mächte insgeſammt feierlich verbürgt
werden ſollte.
Dieſe Lücke in dem großen Syſteme der Stabilitätspolitik ſollte jetzt
noch ausgefüllt werden. Gelang dies und wurden auch die polniſchen
Pläne Alexanders vereitelt, ſo war nach Metternichs Meinung das Werk
des Congreſſes auf unabſehbare Zeiten hinaus ſichergeſtellt. So ſpiegelte
ſich in dieſem Kopfe die Welt. Genuß und Ruhe war ihm das höchſte
Ziel der Politik, und nur die Furcht vor einer Ruheſtörung vermochte ihm
einen tapferen Entſchluß zu entreißen. Ewige Zerſplitterung Deutſchlands,
alſo daß die ſouveränen Kleinkönige freiwillig bei Oeſterreich Schutz ſuchten
gegen Preußen und „den höchſtgefährlichen Gedanken der deutſchen Einheit“;
ewige Ohnmacht Italiens, das, wie Lord Caſtlereagh den klagenden Pie-
monteſen trocken erwiderte, um der Ruhe Europas willen immer getheilt
bleiben mußte und in den Augen der Hofburg nur ein geographiſcher
Name war; Frankreich bewacht durch eine Reihe friedfertiger Mittelſtaaten,
die vom Texel bis zum liguriſchen Meere hin den gefährlichen Staat um-
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