I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
märkischen Schulstube von seinen Füßen geschüttelt und an den Gemälden der Dresdner Galerie mit trunkenen Blicken schwelgte, da sandte er noch, unbefangen wie ein großer Heide, seine Flüche der Heimath zu: "Ich gedenke mit Schaudern an dieses Land; auf ihm drückt der größte Des- potismus, der je gedacht ist. Besser ein beschnittener Türke werden als ein Preuße. In einem Lande wie Sparta (eine sehr ideale Bezeichnung des Regiments des Corporalstocks!) können die Künste nicht gedeihen und müssen gepflanzt ausarten." So weit strebten jene schöpferischen Kräfte noch auseinander, die in unbewußtem Bunde das neue Deutschland gebaut haben! Die kleinen Leute im Reiche verwünschten den König von Preußen wegen der Landplage seiner Werbungen. Wachse nicht, dich fangen die Werber! rief die schwäbische Mutter ängstlich ihrem Sohne zu; Jedermann am Rhein wußte hundert unheimliche Geschichten aus dem Wirthshause zu Frankfurt, wo die preußischen Werboffiziere ihr Standquartier hatten; keine Teufelei, die man den wilden Gesellen nicht zutraute.
Und all diese List und Gewalt, alle die ungeheuren Heereskosten, welche volle vier Fünftel der preußischen Staatseinnahmen verschlangen, dienten, so meinte man im Reiche, doch nur der zwecklosen Soldaten- spielerei eines närrischen Tyrannen. Ein Menschenalter war verflossen seit jenem Heldenkampfe von Cassano, da das Blut der märkischen Gre- nadiere die Wellen des Ritorto röthete und die dankbaren Lombarden die tapferen Prussiani zum ersten male mit den rauschenden Klängen des Dessauer Marsches begrüßten; wenn die wilde herausfordernde Weise jetzt auf friedlichen Exercirplätzen erklang, so lachten die Deutschen über den "preußischen Wind". Friedrich Wilhelms Regierung fiel in die armselig ideenlose Zeit des Utrechter Friedens; die kleinen Künste der Fleury, Alberoni, Walpole beherrschten die europäische Politik. Rathlos stand der gradsinnige Fürst in dem durchtriebenen Ränkespiel der Diplomatie. Er hielt in altdeutscher Treue zu seinem Kaiser, wollte seinen Kindern Säbel und Pistolen in die Wiege legen um die fremden Nationen vom Reichsboden zu schmeißen; wie oft hat er mit dem vater- ländischen Bierkrug in der Hand sein schallendes Vivat Germania teutscher Nation! gerufen. Nun mußte der Arglose erleben, wie die Wiener Hofburg mit seinen beiden ehrgeizigen Nachbarn Hannover und Sachsen insgeheim die Zerstückelung Preußens verabredete, wie sie dann den Albertinern zur polnischen Krone verhalf, Lothringen den Franzosen preisgab und in seinem eigenen Hause den Unfrieden schürte zwischen Vater und Sohn, wie sie ihm endlich sein gutes Erbrecht auf Berg und Ostfriesland treulos zu entwinden suchte. So ward er sein Leben lang hin und her gestoßen zwischen Gegnern und falschen Freunden; erst am Ende seiner Tage hat er Oesterreichs Arglist durchschaut und seinen Sohn ermahnt, den betrogenen Vater zu rächen. An den fremden Höfen aber ging
I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
märkiſchen Schulſtube von ſeinen Füßen geſchüttelt und an den Gemälden der Dresdner Galerie mit trunkenen Blicken ſchwelgte, da ſandte er noch, unbefangen wie ein großer Heide, ſeine Flüche der Heimath zu: „Ich gedenke mit Schaudern an dieſes Land; auf ihm drückt der größte Des- potismus, der je gedacht iſt. Beſſer ein beſchnittener Türke werden als ein Preuße. In einem Lande wie Sparta (eine ſehr ideale Bezeichnung des Regiments des Corporalſtocks!) können die Künſte nicht gedeihen und müſſen gepflanzt ausarten.“ So weit ſtrebten jene ſchöpferiſchen Kräfte noch auseinander, die in unbewußtem Bunde das neue Deutſchland gebaut haben! Die kleinen Leute im Reiche verwünſchten den König von Preußen wegen der Landplage ſeiner Werbungen. Wachſe nicht, dich fangen die Werber! rief die ſchwäbiſche Mutter ängſtlich ihrem Sohne zu; Jedermann am Rhein wußte hundert unheimliche Geſchichten aus dem Wirthshauſe zu Frankfurt, wo die preußiſchen Werboffiziere ihr Standquartier hatten; keine Teufelei, die man den wilden Geſellen nicht zutraute.
Und all dieſe Liſt und Gewalt, alle die ungeheuren Heereskoſten, welche volle vier Fünftel der preußiſchen Staatseinnahmen verſchlangen, dienten, ſo meinte man im Reiche, doch nur der zweckloſen Soldaten- ſpielerei eines närriſchen Tyrannen. Ein Menſchenalter war verfloſſen ſeit jenem Heldenkampfe von Caſſano, da das Blut der märkiſchen Gre- nadiere die Wellen des Ritorto röthete und die dankbaren Lombarden die tapferen Prussiani zum erſten male mit den rauſchenden Klängen des Deſſauer Marſches begrüßten; wenn die wilde herausfordernde Weiſe jetzt auf friedlichen Exercirplätzen erklang, ſo lachten die Deutſchen über den „preußiſchen Wind“. Friedrich Wilhelms Regierung fiel in die armſelig ideenloſe Zeit des Utrechter Friedens; die kleinen Künſte der Fleury, Alberoni, Walpole beherrſchten die europäiſche Politik. Rathlos ſtand der gradſinnige Fürſt in dem durchtriebenen Ränkeſpiel der Diplomatie. Er hielt in altdeutſcher Treue zu ſeinem Kaiſer, wollte ſeinen Kindern Säbel und Piſtolen in die Wiege legen um die fremden Nationen vom Reichsboden zu ſchmeißen; wie oft hat er mit dem vater- ländiſchen Bierkrug in der Hand ſein ſchallendes Vivat Germania teutſcher Nation! gerufen. Nun mußte der Argloſe erleben, wie die Wiener Hofburg mit ſeinen beiden ehrgeizigen Nachbarn Hannover und Sachſen insgeheim die Zerſtückelung Preußens verabredete, wie ſie dann den Albertinern zur polniſchen Krone verhalf, Lothringen den Franzoſen preisgab und in ſeinem eigenen Hauſe den Unfrieden ſchürte zwiſchen Vater und Sohn, wie ſie ihm endlich ſein gutes Erbrecht auf Berg und Oſtfriesland treulos zu entwinden ſuchte. So ward er ſein Leben lang hin und her geſtoßen zwiſchen Gegnern und falſchen Freunden; erſt am Ende ſeiner Tage hat er Oeſterreichs Argliſt durchſchaut und ſeinen Sohn ermahnt, den betrogenen Vater zu rächen. An den fremden Höfen aber ging
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0064"n="48"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">I.</hi> 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.</fw><lb/>
märkiſchen Schulſtube von ſeinen Füßen geſchüttelt und an den Gemälden<lb/>
der Dresdner Galerie mit trunkenen Blicken ſchwelgte, da ſandte er noch,<lb/>
unbefangen wie ein großer Heide, ſeine Flüche der Heimath zu: „Ich<lb/>
gedenke mit Schaudern an dieſes Land; auf ihm drückt der größte Des-<lb/>
potismus, der je gedacht iſt. Beſſer ein beſchnittener Türke werden als<lb/>
ein Preuße. In einem Lande wie Sparta (eine ſehr ideale Bezeichnung<lb/>
des Regiments des Corporalſtocks!) können die Künſte nicht gedeihen und<lb/>
müſſen gepflanzt ausarten.“ So weit ſtrebten jene ſchöpferiſchen Kräfte<lb/>
noch auseinander, die in unbewußtem Bunde das neue Deutſchland<lb/>
gebaut haben! Die kleinen Leute im Reiche verwünſchten den König<lb/>
von Preußen wegen der Landplage ſeiner Werbungen. Wachſe nicht,<lb/>
dich fangen die Werber! rief die ſchwäbiſche Mutter ängſtlich ihrem<lb/>
Sohne zu; Jedermann am Rhein wußte hundert unheimliche Geſchichten<lb/>
aus dem Wirthshauſe zu Frankfurt, wo die preußiſchen Werboffiziere ihr<lb/>
Standquartier hatten; keine Teufelei, die man den wilden Geſellen nicht<lb/>
zutraute.</p><lb/><p>Und all dieſe Liſt und Gewalt, alle die ungeheuren Heereskoſten,<lb/>
welche volle vier Fünftel der preußiſchen Staatseinnahmen verſchlangen,<lb/>
dienten, ſo meinte man im Reiche, doch nur der zweckloſen Soldaten-<lb/>ſpielerei eines närriſchen Tyrannen. Ein Menſchenalter war verfloſſen<lb/>ſeit jenem Heldenkampfe von Caſſano, da das Blut der märkiſchen Gre-<lb/>
nadiere die Wellen des Ritorto röthete und die dankbaren Lombarden<lb/>
die tapferen <hirendition="#aq">Prussiani</hi> zum erſten male mit den rauſchenden Klängen<lb/>
des Deſſauer Marſches begrüßten; wenn die wilde herausfordernde Weiſe<lb/>
jetzt auf friedlichen Exercirplätzen erklang, ſo lachten die Deutſchen über<lb/>
den „preußiſchen Wind“. Friedrich Wilhelms Regierung fiel in die<lb/>
armſelig ideenloſe Zeit des Utrechter Friedens; die kleinen Künſte der<lb/>
Fleury, Alberoni, Walpole beherrſchten die europäiſche Politik. Rathlos<lb/>ſtand der gradſinnige Fürſt in dem durchtriebenen Ränkeſpiel der<lb/>
Diplomatie. Er hielt in altdeutſcher Treue zu ſeinem Kaiſer, wollte<lb/>ſeinen Kindern Säbel und Piſtolen in die Wiege legen um die fremden<lb/>
Nationen vom Reichsboden zu ſchmeißen; wie oft hat er mit dem vater-<lb/>
ländiſchen Bierkrug in der Hand ſein ſchallendes Vivat Germania<lb/>
teutſcher Nation! gerufen. Nun mußte der Argloſe erleben, wie die<lb/>
Wiener Hofburg mit ſeinen beiden ehrgeizigen Nachbarn Hannover und<lb/>
Sachſen insgeheim die Zerſtückelung Preußens verabredete, wie ſie dann<lb/>
den Albertinern zur polniſchen Krone verhalf, Lothringen den Franzoſen<lb/>
preisgab und in ſeinem eigenen Hauſe den Unfrieden ſchürte zwiſchen<lb/>
Vater und Sohn, wie ſie ihm endlich ſein gutes Erbrecht auf Berg und<lb/>
Oſtfriesland treulos zu entwinden ſuchte. So ward er ſein Leben lang<lb/>
hin und her geſtoßen zwiſchen Gegnern und falſchen Freunden; erſt am<lb/>
Ende ſeiner Tage hat er Oeſterreichs Argliſt durchſchaut und ſeinen Sohn<lb/>
ermahnt, den betrogenen Vater zu rächen. An den fremden Höfen aber ging<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[48/0064]
I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
märkiſchen Schulſtube von ſeinen Füßen geſchüttelt und an den Gemälden
der Dresdner Galerie mit trunkenen Blicken ſchwelgte, da ſandte er noch,
unbefangen wie ein großer Heide, ſeine Flüche der Heimath zu: „Ich
gedenke mit Schaudern an dieſes Land; auf ihm drückt der größte Des-
potismus, der je gedacht iſt. Beſſer ein beſchnittener Türke werden als
ein Preuße. In einem Lande wie Sparta (eine ſehr ideale Bezeichnung
des Regiments des Corporalſtocks!) können die Künſte nicht gedeihen und
müſſen gepflanzt ausarten.“ So weit ſtrebten jene ſchöpferiſchen Kräfte
noch auseinander, die in unbewußtem Bunde das neue Deutſchland
gebaut haben! Die kleinen Leute im Reiche verwünſchten den König
von Preußen wegen der Landplage ſeiner Werbungen. Wachſe nicht,
dich fangen die Werber! rief die ſchwäbiſche Mutter ängſtlich ihrem
Sohne zu; Jedermann am Rhein wußte hundert unheimliche Geſchichten
aus dem Wirthshauſe zu Frankfurt, wo die preußiſchen Werboffiziere ihr
Standquartier hatten; keine Teufelei, die man den wilden Geſellen nicht
zutraute.
Und all dieſe Liſt und Gewalt, alle die ungeheuren Heereskoſten,
welche volle vier Fünftel der preußiſchen Staatseinnahmen verſchlangen,
dienten, ſo meinte man im Reiche, doch nur der zweckloſen Soldaten-
ſpielerei eines närriſchen Tyrannen. Ein Menſchenalter war verfloſſen
ſeit jenem Heldenkampfe von Caſſano, da das Blut der märkiſchen Gre-
nadiere die Wellen des Ritorto röthete und die dankbaren Lombarden
die tapferen Prussiani zum erſten male mit den rauſchenden Klängen
des Deſſauer Marſches begrüßten; wenn die wilde herausfordernde Weiſe
jetzt auf friedlichen Exercirplätzen erklang, ſo lachten die Deutſchen über
den „preußiſchen Wind“. Friedrich Wilhelms Regierung fiel in die
armſelig ideenloſe Zeit des Utrechter Friedens; die kleinen Künſte der
Fleury, Alberoni, Walpole beherrſchten die europäiſche Politik. Rathlos
ſtand der gradſinnige Fürſt in dem durchtriebenen Ränkeſpiel der
Diplomatie. Er hielt in altdeutſcher Treue zu ſeinem Kaiſer, wollte
ſeinen Kindern Säbel und Piſtolen in die Wiege legen um die fremden
Nationen vom Reichsboden zu ſchmeißen; wie oft hat er mit dem vater-
ländiſchen Bierkrug in der Hand ſein ſchallendes Vivat Germania
teutſcher Nation! gerufen. Nun mußte der Argloſe erleben, wie die
Wiener Hofburg mit ſeinen beiden ehrgeizigen Nachbarn Hannover und
Sachſen insgeheim die Zerſtückelung Preußens verabredete, wie ſie dann
den Albertinern zur polniſchen Krone verhalf, Lothringen den Franzoſen
preisgab und in ſeinem eigenen Hauſe den Unfrieden ſchürte zwiſchen
Vater und Sohn, wie ſie ihm endlich ſein gutes Erbrecht auf Berg und
Oſtfriesland treulos zu entwinden ſuchte. So ward er ſein Leben lang
hin und her geſtoßen zwiſchen Gegnern und falſchen Freunden; erſt am
Ende ſeiner Tage hat er Oeſterreichs Argliſt durchſchaut und ſeinen Sohn
ermahnt, den betrogenen Vater zu rächen. An den fremden Höfen aber ging
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/64>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.