das vollkommenste Einvernehmen treten". Zuletzt wird Metternich auf- gefordert, sofort der vorläufigen Occupation von Sachsen zuzustimmen. Dieselbe Bitte erging an Castlereagh. Hardenberg lebte mithin noch immer der Hoffnung, der österreichische Freund werde ihm ganz Sachsen und außerdem noch das polnische Land, wofür Sachsen als Ersatz dienen sollte, großmüthig gewähren!
Castlereagh antwortete bereits am 11. October, bewilligte die vor- läufige Occupation und erklärte: sein Hof werde auch der gänzlichen Ein- verleibung von Sachsen zustimmen; England wünsche eine vollkommene Wiederherstellung der preußischen Macht und eine Züchtigung der "politi- schen Unsittlichkeit" Friedrich Augusts. Aber, fuhr er in seinem gräßlichen Französisch fort, "wenn diese Einverleibung stattfinden soll als ein Mittel um den preußischen Staat zu entschädigen für die Verluste, welche er erleiden könnte durch beunruhigende und gefährliche Unternehmungen von Seiten Rußlands, und als ein Mittel um Preußen mit unvertheidigten Grenzen in offenbare Abhängigkeit von Rußland zu versetzen," dann kann ich die Zustimmung Englands nicht in Aussicht stellen. -- Was sollte dieser Wort- schwall sagen? Preußen erklärte: Erst verbürget uns den Besitz von Sachsen, nur dann können wir wagen unser Bündniß mit Rußland auf- zugeben und euere polnische Politik zu unterstützen. Castlereagh antwor- tete: Erst bewirket, daß Rußland seine Westgrenze nicht zu weit vorschiebt, dann werden wir der Einverleibung Sachsens zustimmen! Der Lord stellte also die preußische Forderung kurzweg auf den Kopf, knüpfte seine Zusage an ein unerfüllbares Verlangen. Da keine der drei Mächte in jenem Augenblicke einen Krieg gegen Rußland wollte, so lag es offenbar nicht in Preußens Hand allein, eine Ermäßigung der russischen Ansprüche durchzusetzen; und trotzdem sollte Preußens Vergrößerung von dieser sinnlosen Bedingung abhängen, während die Erwerbungen Oesterreichs in Italien die bedingungslose Zustimmung Englands gefunden hatten! Diese sonderbare Kunst sich im Kreise zu drehen macht einen so ent- schieden zweideutigen Eindruck, daß sich unwillkürlich die Vermuthung regt, Metternich oder Münster hätte dem edlen Lord die Feder geführt. Gleich- wohl war der unbeholfene englische Staatsmann selber unzweifelhaft in gutem Glauben; er erkannte ebenso wenig wie Hardenberg, daß Preußen nach Lage der Dinge nur zwischen Warschau und Sachsen wählen, doch nimmermehr Beides zugleich erlangen konnte.
Die österreichischen Staatsmänner brachte Hardenbergs offene Anfrage in peinliche Verlegenheit. Gentz wollte kurzerhand mit Preußen und Ruß- land brechen; leidenschaftlicher denn je schalt er wider die Habgier der preußischen Revolutionäre, wider Alexanders Lehrer Laharpe, der seine liberalen Grundsätze so keck zur Schau trage; immer traulicher ward sein Verkehr mit Talleyrand und Langenau. Metternich sah weiter. Er begriff, daß es noch nicht an der Zeit war die Maske fallen zu lassen, und wollte
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Hardenbergs drei Fragen an Metternich.
das vollkommenſte Einvernehmen treten“. Zuletzt wird Metternich auf- gefordert, ſofort der vorläufigen Occupation von Sachſen zuzuſtimmen. Dieſelbe Bitte erging an Caſtlereagh. Hardenberg lebte mithin noch immer der Hoffnung, der öſterreichiſche Freund werde ihm ganz Sachſen und außerdem noch das polniſche Land, wofür Sachſen als Erſatz dienen ſollte, großmüthig gewähren!
Caſtlereagh antwortete bereits am 11. October, bewilligte die vor- läufige Occupation und erklärte: ſein Hof werde auch der gänzlichen Ein- verleibung von Sachſen zuſtimmen; England wünſche eine vollkommene Wiederherſtellung der preußiſchen Macht und eine Züchtigung der „politi- ſchen Unſittlichkeit“ Friedrich Auguſts. Aber, fuhr er in ſeinem gräßlichen Franzöſiſch fort, „wenn dieſe Einverleibung ſtattfinden ſoll als ein Mittel um den preußiſchen Staat zu entſchädigen für die Verluſte, welche er erleiden könnte durch beunruhigende und gefährliche Unternehmungen von Seiten Rußlands, und als ein Mittel um Preußen mit unvertheidigten Grenzen in offenbare Abhängigkeit von Rußland zu verſetzen,“ dann kann ich die Zuſtimmung Englands nicht in Ausſicht ſtellen. — Was ſollte dieſer Wort- ſchwall ſagen? Preußen erklärte: Erſt verbürget uns den Beſitz von Sachſen, nur dann können wir wagen unſer Bündniß mit Rußland auf- zugeben und euere polniſche Politik zu unterſtützen. Caſtlereagh antwor- tete: Erſt bewirket, daß Rußland ſeine Weſtgrenze nicht zu weit vorſchiebt, dann werden wir der Einverleibung Sachſens zuſtimmen! Der Lord ſtellte alſo die preußiſche Forderung kurzweg auf den Kopf, knüpfte ſeine Zuſage an ein unerfüllbares Verlangen. Da keine der drei Mächte in jenem Augenblicke einen Krieg gegen Rußland wollte, ſo lag es offenbar nicht in Preußens Hand allein, eine Ermäßigung der ruſſiſchen Anſprüche durchzuſetzen; und trotzdem ſollte Preußens Vergrößerung von dieſer ſinnloſen Bedingung abhängen, während die Erwerbungen Oeſterreichs in Italien die bedingungsloſe Zuſtimmung Englands gefunden hatten! Dieſe ſonderbare Kunſt ſich im Kreiſe zu drehen macht einen ſo ent- ſchieden zweideutigen Eindruck, daß ſich unwillkürlich die Vermuthung regt, Metternich oder Münſter hätte dem edlen Lord die Feder geführt. Gleich- wohl war der unbeholfene engliſche Staatsmann ſelber unzweifelhaft in gutem Glauben; er erkannte ebenſo wenig wie Hardenberg, daß Preußen nach Lage der Dinge nur zwiſchen Warſchau und Sachſen wählen, doch nimmermehr Beides zugleich erlangen konnte.
Die öſterreichiſchen Staatsmänner brachte Hardenbergs offene Anfrage in peinliche Verlegenheit. Gentz wollte kurzerhand mit Preußen und Ruß- land brechen; leidenſchaftlicher denn je ſchalt er wider die Habgier der preußiſchen Revolutionäre, wider Alexanders Lehrer Laharpe, der ſeine liberalen Grundſätze ſo keck zur Schau trage; immer traulicher ward ſein Verkehr mit Talleyrand und Langenau. Metternich ſah weiter. Er begriff, daß es noch nicht an der Zeit war die Maske fallen zu laſſen, und wollte
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Hardenbergs drei Fragen an Metternich.
das vollkommenſte Einvernehmen treten“. Zuletzt wird Metternich auf-
gefordert, ſofort der vorläufigen Occupation von Sachſen zuzuſtimmen.
Dieſelbe Bitte erging an Caſtlereagh. Hardenberg lebte mithin noch immer
der Hoffnung, der öſterreichiſche Freund werde ihm ganz Sachſen und
außerdem noch das polniſche Land, wofür Sachſen als Erſatz dienen ſollte,
großmüthig gewähren!
Caſtlereagh antwortete bereits am 11. October, bewilligte die vor-
läufige Occupation und erklärte: ſein Hof werde auch der gänzlichen Ein-
verleibung von Sachſen zuſtimmen; England wünſche eine vollkommene
Wiederherſtellung der preußiſchen Macht und eine Züchtigung der „politi-
ſchen Unſittlichkeit“ Friedrich Auguſts. Aber, fuhr er in ſeinem gräßlichen
Franzöſiſch fort, „wenn dieſe Einverleibung ſtattfinden ſoll als ein Mittel
um den preußiſchen Staat zu entſchädigen für die Verluſte, welche er erleiden
könnte durch beunruhigende und gefährliche Unternehmungen von Seiten
Rußlands, und als ein Mittel um Preußen mit unvertheidigten Grenzen
in offenbare Abhängigkeit von Rußland zu verſetzen,“ dann kann ich die
Zuſtimmung Englands nicht in Ausſicht ſtellen. — Was ſollte dieſer Wort-
ſchwall ſagen? Preußen erklärte: Erſt verbürget uns den Beſitz von
Sachſen, nur dann können wir wagen unſer Bündniß mit Rußland auf-
zugeben und euere polniſche Politik zu unterſtützen. Caſtlereagh antwor-
tete: Erſt bewirket, daß Rußland ſeine Weſtgrenze nicht zu weit vorſchiebt,
dann werden wir der Einverleibung Sachſens zuſtimmen! Der Lord
ſtellte alſo die preußiſche Forderung kurzweg auf den Kopf, knüpfte ſeine
Zuſage an ein unerfüllbares Verlangen. Da keine der drei Mächte in
jenem Augenblicke einen Krieg gegen Rußland wollte, ſo lag es offenbar
nicht in Preußens Hand allein, eine Ermäßigung der ruſſiſchen Anſprüche
durchzuſetzen; und trotzdem ſollte Preußens Vergrößerung von dieſer
ſinnloſen Bedingung abhängen, während die Erwerbungen Oeſterreichs
in Italien die bedingungsloſe Zuſtimmung Englands gefunden hatten!
Dieſe ſonderbare Kunſt ſich im Kreiſe zu drehen macht einen ſo ent-
ſchieden zweideutigen Eindruck, daß ſich unwillkürlich die Vermuthung regt,
Metternich oder Münſter hätte dem edlen Lord die Feder geführt. Gleich-
wohl war der unbeholfene engliſche Staatsmann ſelber unzweifelhaft in
gutem Glauben; er erkannte ebenſo wenig wie Hardenberg, daß Preußen
nach Lage der Dinge nur zwiſchen Warſchau und Sachſen wählen, doch
nimmermehr Beides zugleich erlangen konnte.
Die öſterreichiſchen Staatsmänner brachte Hardenbergs offene Anfrage
in peinliche Verlegenheit. Gentz wollte kurzerhand mit Preußen und Ruß-
land brechen; leidenſchaftlicher denn je ſchalt er wider die Habgier der
preußiſchen Revolutionäre, wider Alexanders Lehrer Laharpe, der ſeine
liberalen Grundſätze ſo keck zur Schau trage; immer traulicher ward ſein
Verkehr mit Talleyrand und Langenau. Metternich ſah weiter. Er begriff,
daß es noch nicht an der Zeit war die Maske fallen zu laſſen, und wollte
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 627. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/643>, abgerufen am 09.11.2024.
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