Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.Der Federkrieg um Sachsen. jener geheimen Vereine, die zur Bekämpfung Napoleons so nützlich ge-wesen. Wilhelm Humboldt frohlockt in einem Briefe an Niebuhr, wie glorreich die Preußen dem Beispiele des von dem großen Historiker so herrlich geschilderten räuberischen Römervolkes zu folgen verständen: "nur Baiern mit seinem eisernen Ministerium steht uns noch im Wege!" Neben solchen Kraftleistungen des bajuvarischen Bonapartismus erscheinen die spärlichen Kundgebungen aus Sachsen selbst zahm und harmlos. Ein kummervoller Aufruf "an alle teutschen Nationen"; ein anonymes Flug- blatt, verlegt "bei St. Landgier"; ein paar Schriften von Beamten und Advocaten, worin unter wiederholten "je nun ja" versichert wird, der Ver- fasser schreibe nur "aus innerer Ueberzeugung" -- das ist Alles. Auch die wenigen der Einverleibung günstigen Flugschriften aus Sachsen zeigen denselben Charakter politischer Versumpfung; nirgends ein großer natio- aler Gesichtspunkt, immer nur kleinbürgerliche Klagen über die Mißbräuche der adlichen Vetterschaft und den bigotten Sinn des katholischen Hofes: wie anders in Preußen, wo die Prinzessin wie die Bürgersfrau den Luisenorden trägt und alle Religionsparteien der königlichen Gerechtigkeit genießen! Auch die ausländischen Zeitungen begannen in dem Streite Partei Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 41
Der Federkrieg um Sachſen. jener geheimen Vereine, die zur Bekämpfung Napoleons ſo nützlich ge-weſen. Wilhelm Humboldt frohlockt in einem Briefe an Niebuhr, wie glorreich die Preußen dem Beiſpiele des von dem großen Hiſtoriker ſo herrlich geſchilderten räuberiſchen Römervolkes zu folgen verſtänden: „nur Baiern mit ſeinem eiſernen Miniſterium ſteht uns noch im Wege!“ Neben ſolchen Kraftleiſtungen des bajuvariſchen Bonapartismus erſcheinen die ſpärlichen Kundgebungen aus Sachſen ſelbſt zahm und harmlos. Ein kummervoller Aufruf „an alle teutſchen Nationen“; ein anonymes Flug- blatt, verlegt „bei St. Landgier“; ein paar Schriften von Beamten und Advocaten, worin unter wiederholten „je nun ja“ verſichert wird, der Ver- faſſer ſchreibe nur „aus innerer Ueberzeugung“ — das iſt Alles. Auch die wenigen der Einverleibung günſtigen Flugſchriften aus Sachſen zeigen denſelben Charakter politiſcher Verſumpfung; nirgends ein großer natio- aler Geſichtspunkt, immer nur kleinbürgerliche Klagen über die Mißbräuche der adlichen Vetterſchaft und den bigotten Sinn des katholiſchen Hofes: wie anders in Preußen, wo die Prinzeſſin wie die Bürgersfrau den Luiſenorden trägt und alle Religionsparteien der königlichen Gerechtigkeit genießen! Auch die ausländiſchen Zeitungen begannen in dem Streite Partei Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 41
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Der Federkrieg um Sachſen.
jener geheimen Vereine, die zur Bekämpfung Napoleons ſo nützlich ge-
weſen. Wilhelm Humboldt frohlockt in einem Briefe an Niebuhr, wie
glorreich die Preußen dem Beiſpiele des von dem großen Hiſtoriker ſo
herrlich geſchilderten räuberiſchen Römervolkes zu folgen verſtänden: „nur
Baiern mit ſeinem eiſernen Miniſterium ſteht uns noch im Wege!“ Neben
ſolchen Kraftleiſtungen des bajuvariſchen Bonapartismus erſcheinen die
ſpärlichen Kundgebungen aus Sachſen ſelbſt zahm und harmlos. Ein
kummervoller Aufruf „an alle teutſchen Nationen“; ein anonymes Flug-
blatt, verlegt „bei St. Landgier“; ein paar Schriften von Beamten und
Advocaten, worin unter wiederholten „je nun ja“ verſichert wird, der Ver-
faſſer ſchreibe nur „aus innerer Ueberzeugung“ — das iſt Alles. Auch
die wenigen der Einverleibung günſtigen Flugſchriften aus Sachſen zeigen
denſelben Charakter politiſcher Verſumpfung; nirgends ein großer natio-
aler Geſichtspunkt, immer nur kleinbürgerliche Klagen über die Mißbräuche
der adlichen Vetterſchaft und den bigotten Sinn des katholiſchen Hofes:
wie anders in Preußen, wo die Prinzeſſin wie die Bürgersfrau den
Luiſenorden trägt und alle Religionsparteien der königlichen Gerechtigkeit
genießen!
Auch die ausländiſchen Zeitungen begannen in dem Streite Partei
zu ergreifen: durchgängig gegen Preußen. Da das Tory-Cabinet Anfangs
den preußiſchen Anſprüchen günſtig ſchien, ſo nahmen ſich die Whigs,
nach der alten Regel engliſcher Parteitaktik, im Parlamente wie in den
Zeitungen eifrig des gefangenen Königs an, und die öffentliche Meinung
ſtand hinter ihnen. Die engliſche Nation hat während der zwei jüngſten
Menſchenalter dem Erſtarken des deutſchen Nordens immer ebenſo feind-
ſelig, wenngleich minder lärmend widerſtrebt wie die Franzoſen. Damals
fand ſie vollends ihre theuerſten Handelsintereſſen durch Preußen gefährdet:
Leipzig, der große Stapelplatz der britiſchen Waaren, durfte nicht in die
Zollgemeinſchaft eines großen Staates eintreten. In heiligem Zorne ver-
fluchten die Redner der Whigs die argliſtigen Anſchläge der Despoten
wider „die ſächſiſche Nation“, und mit der gleichen erhabenen Begeiſterung
wurde die Vereinigung Genuas mit Piemont als der Tod der Freiheit
Italiens gebrandmarkt. Die franzöſiſche Preſſe hielt wie Ein Mann zu
dem treuen Alliirten Napoleons. Schon am 7. November, alſo bevor
man in Paris den entſcheidenden Schritt des Königs von Preußen kannte,
verkündete die halbamtliche Quotidienne unverhohlen das Programm des
bourboniſchen Rheinbundes: die Regierung des Allerchriſtlichſten Königs
iſt vielleicht die einzige in Europa, welche bei einer Volksabſtimmung auf
einſtimmige Anerkennung rechnen kann; „die ſchöne Rolle des Vertheidigers
der Unterdrückten, des Beſchützers der Schwachen, des bewaffneten Bürgen
für die Heiligkeit der Verträge, das iſt Frankreichs berechtigte Größe, hierin
liegt ſein legitimes und unverjährbares Uebergewicht;“ darum volle Selb-
ſtändigkeit für Polen, das als ein ſchon beſtehender Staat nur reicherer
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 41
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