Ausstattung bedarf; darum unbeschränkte Souveränität für die deutschen Staaten, Achtung vor der individualite nationale der Sachsen, der Baiern und der anderen deutschen Völker; "dann wird eine freie und starke Confoederation die französischen Waffen auf immer von den Waffen Oesterreichs und Preußens trennen!"
Der Rheinische Mercur trat dem vollstimmigen Chor der Rhein- bündler tapfer entgegen und ward darum von den Journalisten Montgelas' der Thersites unter den deutschen Zeitschriften gescholten. Görres warnte in seiner bilderreichen Sprache vor den Basiliskeneiern des gallischen Hahnes. Doch ein sicheres Verständniß der großen Machtfrage war selbst in diesen Kreisen nicht vorhanden. Der Mercur öffnete seine Spalten nicht nur den Freunden, sondern auch den gemäßigten Gegnern der preu- ßischen Ansprüche: ein gefühlvoller Artikel bat die Söhne Germaniens um Schonung für Sachsen, "den geistigeren Bruder, der allein studirt hat" -- als ob dieser Bruder nicht auch unter preußischer Herrschaft ungestört hätte weiter studiren können! Die literarische Vertheidigung der preußischen Politik ward im Ganzen nur von solchen Männern geführt, welche der Regierung nahe standen. Auf Veranlassung des Staatskanzlers erschien eine Flugschrift von Varnhagen, oberflächlich wie Alles was dieser politische Dilettant in Staatssachen geschrieben hat, voll hohler Phrasen über "den Geist der Liberalität, der über Preußens Bestrebungen schwebt". Ernster und würdiger sprachen Arndt, Eichhorn und J. G. Hoffmann. Die Schrift des wackeren Statistikers "Preußen und Sachsen" giebt mit ihrer ruhig bescheidenen Haltung eine beredte Antwort auf die modischen An- klagen wider den preußischen Uebermuth. Niemals, sagt Hoffmann gelassen, sei Preußen so einstimmig von der deutschen Welt geschmäht worden wie in den Tagen der Stein-Hardenbergischen Gesetze; gleichwohl müsse das Gute in dem Staate doch wohl überwiegen, da die Nation für die Wie- deraufrichtung eines so verrufenen Gemeinwesens so unvergeßliche Opfer gebracht habe. Die kühle und sachliche Darstellung der Schuld des ge- fangenen Königs erregte in Friedrichsfelde solche Erbitterung, daß der sächsische Minister Graf Einsiedel sich erdreistete von der preußischen Re- gierung das Verbot der Hoffmann'schen Schrift zu verlangen; selbstver- ständlich ward ihm seine Note zurückgegeben.
Weitaus das bedeutendste Werk aus diesem Federkriege ist Barthold Niebuhrs Flugschrift "Preußens Recht wider den sächsischen Hof" -- wohl überhaupt die vornehmste Leistung der deutschen Publicistik aus jenem Zeit- raum, denn sie vereinigt Arndts edle Leidenschaft und rhetorischen Schwung mit dem Gedankenreichthum und der politischen Sachkenntniß von Fried- rich Gentz. Wie frei und kühn entwickelt der große Historiker zwei Kern- gedanken unserer nationalen Politik, welche noch niemals früher mit solcher Klarheit ausgesprochen, seitdem allen edleren Deutschen in Fleisch und Blut gedrungen sind. Er zeigt, daß ein großes seiner Einheit bewußtes
II. 1. Der Wiener Congreß.
Ausſtattung bedarf; darum unbeſchränkte Souveränität für die deutſchen Staaten, Achtung vor der individualité nationale der Sachſen, der Baiern und der anderen deutſchen Völker; „dann wird eine freie und ſtarke Confoederation die franzöſiſchen Waffen auf immer von den Waffen Oeſterreichs und Preußens trennen!“
Der Rheiniſche Mercur trat dem vollſtimmigen Chor der Rhein- bündler tapfer entgegen und ward darum von den Journaliſten Montgelas’ der Therſites unter den deutſchen Zeitſchriften geſcholten. Görres warnte in ſeiner bilderreichen Sprache vor den Baſiliskeneiern des galliſchen Hahnes. Doch ein ſicheres Verſtändniß der großen Machtfrage war ſelbſt in dieſen Kreiſen nicht vorhanden. Der Mercur öffnete ſeine Spalten nicht nur den Freunden, ſondern auch den gemäßigten Gegnern der preu- ßiſchen Anſprüche: ein gefühlvoller Artikel bat die Söhne Germaniens um Schonung für Sachſen, „den geiſtigeren Bruder, der allein ſtudirt hat“ — als ob dieſer Bruder nicht auch unter preußiſcher Herrſchaft ungeſtört hätte weiter ſtudiren können! Die literariſche Vertheidigung der preußiſchen Politik ward im Ganzen nur von ſolchen Männern geführt, welche der Regierung nahe ſtanden. Auf Veranlaſſung des Staatskanzlers erſchien eine Flugſchrift von Varnhagen, oberflächlich wie Alles was dieſer politiſche Dilettant in Staatsſachen geſchrieben hat, voll hohler Phraſen über „den Geiſt der Liberalität, der über Preußens Beſtrebungen ſchwebt“. Ernſter und würdiger ſprachen Arndt, Eichhorn und J. G. Hoffmann. Die Schrift des wackeren Statiſtikers „Preußen und Sachſen“ giebt mit ihrer ruhig beſcheidenen Haltung eine beredte Antwort auf die modiſchen An- klagen wider den preußiſchen Uebermuth. Niemals, ſagt Hoffmann gelaſſen, ſei Preußen ſo einſtimmig von der deutſchen Welt geſchmäht worden wie in den Tagen der Stein-Hardenbergiſchen Geſetze; gleichwohl müſſe das Gute in dem Staate doch wohl überwiegen, da die Nation für die Wie- deraufrichtung eines ſo verrufenen Gemeinweſens ſo unvergeßliche Opfer gebracht habe. Die kühle und ſachliche Darſtellung der Schuld des ge- fangenen Königs erregte in Friedrichsfelde ſolche Erbitterung, daß der ſächſiſche Miniſter Graf Einſiedel ſich erdreiſtete von der preußiſchen Re- gierung das Verbot der Hoffmann’ſchen Schrift zu verlangen; ſelbſtver- ſtändlich ward ihm ſeine Note zurückgegeben.
Weitaus das bedeutendſte Werk aus dieſem Federkriege iſt Barthold Niebuhrs Flugſchrift „Preußens Recht wider den ſächſiſchen Hof“ — wohl überhaupt die vornehmſte Leiſtung der deutſchen Publiciſtik aus jenem Zeit- raum, denn ſie vereinigt Arndts edle Leidenſchaft und rhetoriſchen Schwung mit dem Gedankenreichthum und der politiſchen Sachkenntniß von Fried- rich Gentz. Wie frei und kühn entwickelt der große Hiſtoriker zwei Kern- gedanken unſerer nationalen Politik, welche noch niemals früher mit ſolcher Klarheit ausgeſprochen, ſeitdem allen edleren Deutſchen in Fleiſch und Blut gedrungen ſind. Er zeigt, daß ein großes ſeiner Einheit bewußtes
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Ausſtattung bedarf; darum unbeſchränkte Souveränität für die deutſchen
Staaten, Achtung vor der individualité nationale der Sachſen, der
Baiern und der anderen deutſchen Völker; „dann wird eine freie und
ſtarke Confoederation die franzöſiſchen Waffen auf immer von den Waffen
Oeſterreichs und Preußens trennen!“
Der Rheiniſche Mercur trat dem vollſtimmigen Chor der Rhein-
bündler tapfer entgegen und ward darum von den Journaliſten Montgelas’
der Therſites unter den deutſchen Zeitſchriften geſcholten. Görres warnte
in ſeiner bilderreichen Sprache vor den Baſiliskeneiern des galliſchen
Hahnes. Doch ein ſicheres Verſtändniß der großen Machtfrage war ſelbſt
in dieſen Kreiſen nicht vorhanden. Der Mercur öffnete ſeine Spalten
nicht nur den Freunden, ſondern auch den gemäßigten Gegnern der preu-
ßiſchen Anſprüche: ein gefühlvoller Artikel bat die Söhne Germaniens um
Schonung für Sachſen, „den geiſtigeren Bruder, der allein ſtudirt hat“
— als ob dieſer Bruder nicht auch unter preußiſcher Herrſchaft ungeſtört
hätte weiter ſtudiren können! Die literariſche Vertheidigung der preußiſchen
Politik ward im Ganzen nur von ſolchen Männern geführt, welche der
Regierung nahe ſtanden. Auf Veranlaſſung des Staatskanzlers erſchien
eine Flugſchrift von Varnhagen, oberflächlich wie Alles was dieſer politiſche
Dilettant in Staatsſachen geſchrieben hat, voll hohler Phraſen über „den
Geiſt der Liberalität, der über Preußens Beſtrebungen ſchwebt“. Ernſter
und würdiger ſprachen Arndt, Eichhorn und J. G. Hoffmann. Die
Schrift des wackeren Statiſtikers „Preußen und Sachſen“ giebt mit ihrer
ruhig beſcheidenen Haltung eine beredte Antwort auf die modiſchen An-
klagen wider den preußiſchen Uebermuth. Niemals, ſagt Hoffmann gelaſſen,
ſei Preußen ſo einſtimmig von der deutſchen Welt geſchmäht worden wie
in den Tagen der Stein-Hardenbergiſchen Geſetze; gleichwohl müſſe das
Gute in dem Staate doch wohl überwiegen, da die Nation für die Wie-
deraufrichtung eines ſo verrufenen Gemeinweſens ſo unvergeßliche Opfer
gebracht habe. Die kühle und ſachliche Darſtellung der Schuld des ge-
fangenen Königs erregte in Friedrichsfelde ſolche Erbitterung, daß der
ſächſiſche Miniſter Graf Einſiedel ſich erdreiſtete von der preußiſchen Re-
gierung das Verbot der Hoffmann’ſchen Schrift zu verlangen; ſelbſtver-
ſtändlich ward ihm ſeine Note zurückgegeben.
Weitaus das bedeutendſte Werk aus dieſem Federkriege iſt Barthold
Niebuhrs Flugſchrift „Preußens Recht wider den ſächſiſchen Hof“ — wohl
überhaupt die vornehmſte Leiſtung der deutſchen Publiciſtik aus jenem Zeit-
raum, denn ſie vereinigt Arndts edle Leidenſchaft und rhetoriſchen Schwung
mit dem Gedankenreichthum und der politiſchen Sachkenntniß von Fried-
rich Gentz. Wie frei und kühn entwickelt der große Hiſtoriker zwei Kern-
gedanken unſerer nationalen Politik, welche noch niemals früher mit ſolcher
Klarheit ausgeſprochen, ſeitdem allen edleren Deutſchen in Fleiſch und
Blut gedrungen ſind. Er zeigt, daß ein großes ſeiner Einheit bewußtes
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 642. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/658>, abgerufen am 22.11.2024.
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