Wiener Länderbörse wenigstens einige tausend Seelen zu gewinnen. Die Gesinnung des deutschen Kleinfürstenthums fand einen getreuen Ausdruck in den zahlreichen Denkschriften des Landgrafen von Hessen-Homburg, welche den einleuchtenden Satz ausführten: "da alle Nachbarmächte sich vergrößert haben," so muß Homburg, um nicht von seiner historischen Machtstellung herabzusinken, nothwendig die Dörfer Ober-Ursel und Ober-Roßbach seinem Reiche einverleiben! Der darmstädtische Gesandte von Türkheim begründete sogar, inmitten dieser hoch-legitimistischen Gesellschaft, die Entschädigungs- ansprüche seines durchlauchtigen Herrn durch eine feierliche Berufung auf die unveräußerlichen droits de l'homme.*) Wenn aber Talleyrands Pläne gelangen, wenn Preußen weder am Rhein noch in Sachsen entschädigt wurde, so blieb mehr Land frei für die Herzenswünsche der Kleinen; darum standen sie alle ohne Ausnahme auf Frankreichs Seite, und der besiegte Feind erschien ihnen wieder als der großmächtige Protector Deutschlands.
Das wüste Gezänk um Sachsen brachte alle anderen Arbeiten des Congresses ins Stocken. Der deutsche Verfassungsausschuß war schon längst unverrichteter Dinge auseinandergegangen. Dazwischen hinein spielten erbärmliche persönliche Ränke. Metternich versuchte den preußi- schen Staatskanzler bei Alexander zu verdächtigen, legte dem Czaren die antirussischen Noten vor, welche Hardenberg zu Beginn des Congresses geschrieben hatte -- und was der Jämmerlichkeiten mehr ist. Trotz aller solcher Proben der österreichischen Freundschaft ließ sich der Staatskanzler von Metternich bereden, noch einmal zwischen Rußland und England- Oesterreich zu vermitteln. Er stellte am 23. November nochmals die alten Forderungen auf: die Warthelinie für Preußen, Krakau und Zamosz für Oesterreich -- obgleich er durch den Befehl des Königs verpflichtet war sich nicht von Rußland zu trennen. Zum Glück kam ihm der Freiherr vom Stein zu Hilfe. Der große Mann hatte inzwischen eingesehen, daß er bisher allzu einseitig den polnischen Plänen des Czaren entgegengetreten war; nach seiner herrlichen unbefangenen Weise beschloß er sofort den begangenen Fehler zu sühnen und bot fortan seine ganze Kraft auf, um Sachsen für Preußen zu retten. Ihm war es zu verdanken, daß Alexanders Antwort ziemlich günstig ausfiel. Der Czar versicherte (27. Nov.), daß er niemals den preußischen Bundesgenossen, der ihn so "kraftvoll, edel und ausdauernd unterstützt" habe, verlassen werde, und forderte ganz Sachsen für Preußen, Mainz für den Deutschen Bund; von seinen polnischen Ansprüchen gab er Thorn und Krakau auf, beide sollten als neutrale freie Städte anerkannt werden.
Durch diese Erklärung war die Mainzer Frage erledigt. Metternich verzichtete auf die Absicht, die Festung an Baiern zu geben, denn in der
*) Eingaben des Erbprinzen von Homburg an Humboldt, Türkheims an Harden- berg (Jan. Febr. 1814).
II. 1. Der Wiener Congreß.
Wiener Länderbörſe wenigſtens einige tauſend Seelen zu gewinnen. Die Geſinnung des deutſchen Kleinfürſtenthums fand einen getreuen Ausdruck in den zahlreichen Denkſchriften des Landgrafen von Heſſen-Homburg, welche den einleuchtenden Satz ausführten: „da alle Nachbarmächte ſich vergrößert haben,“ ſo muß Homburg, um nicht von ſeiner hiſtoriſchen Machtſtellung herabzuſinken, nothwendig die Dörfer Ober-Urſel und Ober-Roßbach ſeinem Reiche einverleiben! Der darmſtädtiſche Geſandte von Türkheim begründete ſogar, inmitten dieſer hoch-legitimiſtiſchen Geſellſchaft, die Entſchädigungs- anſprüche ſeines durchlauchtigen Herrn durch eine feierliche Berufung auf die unveräußerlichen droits de l’homme.*) Wenn aber Talleyrands Pläne gelangen, wenn Preußen weder am Rhein noch in Sachſen entſchädigt wurde, ſo blieb mehr Land frei für die Herzenswünſche der Kleinen; darum ſtanden ſie alle ohne Ausnahme auf Frankreichs Seite, und der beſiegte Feind erſchien ihnen wieder als der großmächtige Protector Deutſchlands.
Das wüſte Gezänk um Sachſen brachte alle anderen Arbeiten des Congreſſes ins Stocken. Der deutſche Verfaſſungsausſchuß war ſchon längſt unverrichteter Dinge auseinandergegangen. Dazwiſchen hinein ſpielten erbärmliche perſönliche Ränke. Metternich verſuchte den preußi- ſchen Staatskanzler bei Alexander zu verdächtigen, legte dem Czaren die antiruſſiſchen Noten vor, welche Hardenberg zu Beginn des Congreſſes geſchrieben hatte — und was der Jämmerlichkeiten mehr iſt. Trotz aller ſolcher Proben der öſterreichiſchen Freundſchaft ließ ſich der Staatskanzler von Metternich bereden, noch einmal zwiſchen Rußland und England- Oeſterreich zu vermitteln. Er ſtellte am 23. November nochmals die alten Forderungen auf: die Warthelinie für Preußen, Krakau und Zamosz für Oeſterreich — obgleich er durch den Befehl des Königs verpflichtet war ſich nicht von Rußland zu trennen. Zum Glück kam ihm der Freiherr vom Stein zu Hilfe. Der große Mann hatte inzwiſchen eingeſehen, daß er bisher allzu einſeitig den polniſchen Plänen des Czaren entgegengetreten war; nach ſeiner herrlichen unbefangenen Weiſe beſchloß er ſofort den begangenen Fehler zu ſühnen und bot fortan ſeine ganze Kraft auf, um Sachſen für Preußen zu retten. Ihm war es zu verdanken, daß Alexanders Antwort ziemlich günſtig ausfiel. Der Czar verſicherte (27. Nov.), daß er niemals den preußiſchen Bundesgenoſſen, der ihn ſo „kraftvoll, edel und ausdauernd unterſtützt“ habe, verlaſſen werde, und forderte ganz Sachſen für Preußen, Mainz für den Deutſchen Bund; von ſeinen polniſchen Anſprüchen gab er Thorn und Krakau auf, beide ſollten als neutrale freie Städte anerkannt werden.
Durch dieſe Erklärung war die Mainzer Frage erledigt. Metternich verzichtete auf die Abſicht, die Feſtung an Baiern zu geben, denn in der
*) Eingaben des Erbprinzen von Homburg an Humboldt, Türkheims an Harden- berg (Jan. Febr. 1814).
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Wiener Länderbörſe wenigſtens einige tauſend Seelen zu gewinnen. Die
Geſinnung des deutſchen Kleinfürſtenthums fand einen getreuen Ausdruck in
den zahlreichen Denkſchriften des Landgrafen von Heſſen-Homburg, welche
den einleuchtenden Satz ausführten: „da alle Nachbarmächte ſich vergrößert
haben,“ ſo muß Homburg, um nicht von ſeiner hiſtoriſchen Machtſtellung
herabzuſinken, nothwendig die Dörfer Ober-Urſel und Ober-Roßbach ſeinem
Reiche einverleiben! Der darmſtädtiſche Geſandte von Türkheim begründete
ſogar, inmitten dieſer hoch-legitimiſtiſchen Geſellſchaft, die Entſchädigungs-
anſprüche ſeines durchlauchtigen Herrn durch eine feierliche Berufung auf
die unveräußerlichen droits de l’homme. *) Wenn aber Talleyrands Pläne
gelangen, wenn Preußen weder am Rhein noch in Sachſen entſchädigt
wurde, ſo blieb mehr Land frei für die Herzenswünſche der Kleinen; darum
ſtanden ſie alle ohne Ausnahme auf Frankreichs Seite, und der beſiegte
Feind erſchien ihnen wieder als der großmächtige Protector Deutſchlands.
Das wüſte Gezänk um Sachſen brachte alle anderen Arbeiten des
Congreſſes ins Stocken. Der deutſche Verfaſſungsausſchuß war ſchon
längſt unverrichteter Dinge auseinandergegangen. Dazwiſchen hinein
ſpielten erbärmliche perſönliche Ränke. Metternich verſuchte den preußi-
ſchen Staatskanzler bei Alexander zu verdächtigen, legte dem Czaren die
antiruſſiſchen Noten vor, welche Hardenberg zu Beginn des Congreſſes
geſchrieben hatte — und was der Jämmerlichkeiten mehr iſt. Trotz aller
ſolcher Proben der öſterreichiſchen Freundſchaft ließ ſich der Staatskanzler
von Metternich bereden, noch einmal zwiſchen Rußland und England-
Oeſterreich zu vermitteln. Er ſtellte am 23. November nochmals die alten
Forderungen auf: die Warthelinie für Preußen, Krakau und Zamosz für
Oeſterreich — obgleich er durch den Befehl des Königs verpflichtet war
ſich nicht von Rußland zu trennen. Zum Glück kam ihm der Freiherr
vom Stein zu Hilfe. Der große Mann hatte inzwiſchen eingeſehen, daß
er bisher allzu einſeitig den polniſchen Plänen des Czaren entgegengetreten
war; nach ſeiner herrlichen unbefangenen Weiſe beſchloß er ſofort den
begangenen Fehler zu ſühnen und bot fortan ſeine ganze Kraft auf, um
Sachſen für Preußen zu retten. Ihm war es zu verdanken, daß Alexanders
Antwort ziemlich günſtig ausfiel. Der Czar verſicherte (27. Nov.), daß
er niemals den preußiſchen Bundesgenoſſen, der ihn ſo „kraftvoll, edel
und ausdauernd unterſtützt“ habe, verlaſſen werde, und forderte ganz
Sachſen für Preußen, Mainz für den Deutſchen Bund; von ſeinen polniſchen
Anſprüchen gab er Thorn und Krakau auf, beide ſollten als neutrale freie
Städte anerkannt werden.
Durch dieſe Erklärung war die Mainzer Frage erledigt. Metternich
verzichtete auf die Abſicht, die Feſtung an Baiern zu geben, denn in der
*) Eingaben des Erbprinzen von Homburg an Humboldt, Türkheims an Harden-
berg (Jan. Febr. 1814).
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 646. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/662>, abgerufen am 22.11.2024.
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