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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Verschärfung der sächsischen Frage.
Bekämpfung dieses Planes waren Rußland und Preußen mit dem par-
ticularistischen Neide der Kleinfürsten einig. Hardenberg wollte den Schlüssel
der Rheinlande nicht treulosen Händen anvertrauen; die Kleinen aber be-
fürchteten, wie die württembergischen Bevollmächtigten sich ausdrückten *),
daß ein starker Staat im Besitze von Mainz "das Schicksal aller übrigen
deutschen Staaten von sich abhängig machen würde". So verfiel man
denn auf ein Auskunftsmittel, das, unnatürlich und abgeschmackt wie es
war, doch aus den chaotischen Zuständen des Deutschen Bundes sich mit
einer gewissen Nothwendigkeit ergab. Das goldene Mainz, dereinst der
Sitz des vornehmsten deutschen Fürsten, wurde der Landeshoheit des Darm-
städter Großherzogs unterworfen, weil dieser Machthaber seinen Nachbarn
niemals bedrohlich werden konnte; die Festung ward ein fester Platz des
Deutschen Bundes mit einer österreichisch-preußischen Garnison. Also be-
hielt Preußen hier doch einen Fuß im Bügel. Von dem unendlichen Streite,
welchen das Mitbesatzungsrecht Oesterreichs dereinst erregen sollte, ahnte
man noch nichts; man träumte noch den Traum des friedlichen Dualismus.
Ebenso künstlich war der russische Vorschlag, Thorn und Krakau zu freien
Städten zu erheben; eine Republik Krakau mußte unfehlbar der Heerd
einer namentlich für Oesterreich hochgefährlichen polnischen Propaganda
werden. Indeß die Gedanken der Hofburg erhoben sich nur bis zu dem
Wunsche, daß der beherrschende Platz des oberen Weichselthals den Russen
nicht als Grenzfestung dienen dürfe. Metternich fand gegen den Plan
wenig einzuwenden.

Die polnischen Händel boten nur noch geringe Schwierigkeiten, zumal
da Alexander jetzt die Vereinigung von Litthauen und Polen fallen ließ
und allein die warschauischen Lande für das neue Polenreich bestimmte.
Seinem klagenden Czartoryski sagte er freilich insgeheim zum Troste:
dies verstümmelte Königreich sei nur eine pierre d'attente. Gleichviel,
die sächsische Frage blieb fortan der einzige ernsthafte Streitpunkt zwi-
schen den Mächten. Immer heftiger ward der allgemeine Widerspruch
gegen die preußischen Pläne. In seiner Verlegenheit entschloß sich der
Staatskanzler zu einem der größten diplomatischen Mißgriffe seines Lebens.
Er schrieb an Metternich (3. Dec.) einen unbegreiflichen Brief, der das gute
Herz des österreichischen Freundes durch bewegliche Worte rühren sollte:
"theurer Fürst, retten Sie Preußen aus seinem gegenwärtigen Zustande;"
dazu einige schwülstige Verse aus dem Rheinischen Mercur, welche den
Doppeladler einluden, mit dem schwarzen Aar gefälligst auf derselben
Rieseneiche zu horsten!

Mit kaum verhehltem Hohne antwortete Metternich in einer vertrau-
lichen Note vom 10. December. Er nahm jetzt amtlich seine früheren Zusagen
zurück, bot dem preußischen Freunde nur noch ein Fünftel des sächsischen

*) Wintzingerode und Linden an Hardenberg, 8. December 1814.

Verſchärfung der ſächſiſchen Frage.
Bekämpfung dieſes Planes waren Rußland und Preußen mit dem par-
ticulariſtiſchen Neide der Kleinfürſten einig. Hardenberg wollte den Schlüſſel
der Rheinlande nicht treuloſen Händen anvertrauen; die Kleinen aber be-
fürchteten, wie die württembergiſchen Bevollmächtigten ſich ausdrückten *),
daß ein ſtarker Staat im Beſitze von Mainz „das Schickſal aller übrigen
deutſchen Staaten von ſich abhängig machen würde“. So verfiel man
denn auf ein Auskunftsmittel, das, unnatürlich und abgeſchmackt wie es
war, doch aus den chaotiſchen Zuſtänden des Deutſchen Bundes ſich mit
einer gewiſſen Nothwendigkeit ergab. Das goldene Mainz, dereinſt der
Sitz des vornehmſten deutſchen Fürſten, wurde der Landeshoheit des Darm-
ſtädter Großherzogs unterworfen, weil dieſer Machthaber ſeinen Nachbarn
niemals bedrohlich werden konnte; die Feſtung ward ein feſter Platz des
Deutſchen Bundes mit einer öſterreichiſch-preußiſchen Garniſon. Alſo be-
hielt Preußen hier doch einen Fuß im Bügel. Von dem unendlichen Streite,
welchen das Mitbeſatzungsrecht Oeſterreichs dereinſt erregen ſollte, ahnte
man noch nichts; man träumte noch den Traum des friedlichen Dualismus.
Ebenſo künſtlich war der ruſſiſche Vorſchlag, Thorn und Krakau zu freien
Städten zu erheben; eine Republik Krakau mußte unfehlbar der Heerd
einer namentlich für Oeſterreich hochgefährlichen polniſchen Propaganda
werden. Indeß die Gedanken der Hofburg erhoben ſich nur bis zu dem
Wunſche, daß der beherrſchende Platz des oberen Weichſelthals den Ruſſen
nicht als Grenzfeſtung dienen dürfe. Metternich fand gegen den Plan
wenig einzuwenden.

Die polniſchen Händel boten nur noch geringe Schwierigkeiten, zumal
da Alexander jetzt die Vereinigung von Litthauen und Polen fallen ließ
und allein die warſchauiſchen Lande für das neue Polenreich beſtimmte.
Seinem klagenden Czartoryski ſagte er freilich insgeheim zum Troſte:
dies verſtümmelte Königreich ſei nur eine pierre d’attente. Gleichviel,
die ſächſiſche Frage blieb fortan der einzige ernſthafte Streitpunkt zwi-
ſchen den Mächten. Immer heftiger ward der allgemeine Widerſpruch
gegen die preußiſchen Pläne. In ſeiner Verlegenheit entſchloß ſich der
Staatskanzler zu einem der größten diplomatiſchen Mißgriffe ſeines Lebens.
Er ſchrieb an Metternich (3. Dec.) einen unbegreiflichen Brief, der das gute
Herz des öſterreichiſchen Freundes durch bewegliche Worte rühren ſollte:
„theurer Fürſt, retten Sie Preußen aus ſeinem gegenwärtigen Zuſtande;“
dazu einige ſchwülſtige Verſe aus dem Rheiniſchen Mercur, welche den
Doppeladler einluden, mit dem ſchwarzen Aar gefälligſt auf derſelben
Rieſeneiche zu horſten!

Mit kaum verhehltem Hohne antwortete Metternich in einer vertrau-
lichen Note vom 10. December. Er nahm jetzt amtlich ſeine früheren Zuſagen
zurück, bot dem preußiſchen Freunde nur noch ein Fünftel des ſächſiſchen

*) Wintzingerode und Linden an Hardenberg, 8. December 1814.
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[647/0663] Verſchärfung der ſächſiſchen Frage. Bekämpfung dieſes Planes waren Rußland und Preußen mit dem par- ticulariſtiſchen Neide der Kleinfürſten einig. Hardenberg wollte den Schlüſſel der Rheinlande nicht treuloſen Händen anvertrauen; die Kleinen aber be- fürchteten, wie die württembergiſchen Bevollmächtigten ſich ausdrückten *), daß ein ſtarker Staat im Beſitze von Mainz „das Schickſal aller übrigen deutſchen Staaten von ſich abhängig machen würde“. So verfiel man denn auf ein Auskunftsmittel, das, unnatürlich und abgeſchmackt wie es war, doch aus den chaotiſchen Zuſtänden des Deutſchen Bundes ſich mit einer gewiſſen Nothwendigkeit ergab. Das goldene Mainz, dereinſt der Sitz des vornehmſten deutſchen Fürſten, wurde der Landeshoheit des Darm- ſtädter Großherzogs unterworfen, weil dieſer Machthaber ſeinen Nachbarn niemals bedrohlich werden konnte; die Feſtung ward ein feſter Platz des Deutſchen Bundes mit einer öſterreichiſch-preußiſchen Garniſon. Alſo be- hielt Preußen hier doch einen Fuß im Bügel. Von dem unendlichen Streite, welchen das Mitbeſatzungsrecht Oeſterreichs dereinſt erregen ſollte, ahnte man noch nichts; man träumte noch den Traum des friedlichen Dualismus. Ebenſo künſtlich war der ruſſiſche Vorſchlag, Thorn und Krakau zu freien Städten zu erheben; eine Republik Krakau mußte unfehlbar der Heerd einer namentlich für Oeſterreich hochgefährlichen polniſchen Propaganda werden. Indeß die Gedanken der Hofburg erhoben ſich nur bis zu dem Wunſche, daß der beherrſchende Platz des oberen Weichſelthals den Ruſſen nicht als Grenzfeſtung dienen dürfe. Metternich fand gegen den Plan wenig einzuwenden. Die polniſchen Händel boten nur noch geringe Schwierigkeiten, zumal da Alexander jetzt die Vereinigung von Litthauen und Polen fallen ließ und allein die warſchauiſchen Lande für das neue Polenreich beſtimmte. Seinem klagenden Czartoryski ſagte er freilich insgeheim zum Troſte: dies verſtümmelte Königreich ſei nur eine pierre d’attente. Gleichviel, die ſächſiſche Frage blieb fortan der einzige ernſthafte Streitpunkt zwi- ſchen den Mächten. Immer heftiger ward der allgemeine Widerſpruch gegen die preußiſchen Pläne. In ſeiner Verlegenheit entſchloß ſich der Staatskanzler zu einem der größten diplomatiſchen Mißgriffe ſeines Lebens. Er ſchrieb an Metternich (3. Dec.) einen unbegreiflichen Brief, der das gute Herz des öſterreichiſchen Freundes durch bewegliche Worte rühren ſollte: „theurer Fürſt, retten Sie Preußen aus ſeinem gegenwärtigen Zuſtande;“ dazu einige ſchwülſtige Verſe aus dem Rheiniſchen Mercur, welche den Doppeladler einluden, mit dem ſchwarzen Aar gefälligſt auf derſelben Rieſeneiche zu horſten! Mit kaum verhehltem Hohne antwortete Metternich in einer vertrau- lichen Note vom 10. December. Er nahm jetzt amtlich ſeine früheren Zuſagen zurück, bot dem preußiſchen Freunde nur noch ein Fünftel des ſächſiſchen *) Wintzingerode und Linden an Hardenberg, 8. December 1814.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 647. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/663>, abgerufen am 22.11.2024.