und mit deren Hilfe eine reiche Entschädigung für Salzburg und das Innviertel zu gewinnen. Ein grober politischer Fehler, selbst vom Ge- sichtspunkte der rein dynastischen Politik betrachtet! England hat sich um die süddeutschen Gebietsfragen niemals viel gekümmert, Frankreich verlor gegen das Ende des Congresses jeden Einfluß, und Oesterreich erwies sich bald als ein treuloser Freund.
Die großen Mächte schlossen ihren Frieden in der sächsischen Sache, und Wrede trug von seiner anmaßenden Zudringlichkeit nur den allge- meinen Haß davon; selbst in den Kreisen der rheinbündischen Diplomaten hießen die Baiern les Prussiens du Midi. Der Czar vor Allen war tief erbittert und hörte willig auf den Freiherrn vom Stein, der nicht müde ward ihm vorzustellen, wie gefährlich es sei den Kernstaat des Rhein- bundes zu vergrößern. König Friedrich Wilhelm vernahm mit Befremden durch seinen Gesandten Küster, daß die Münchener Patriotenkreise alltäg- lich über den Krieg gegen Preußen "wie über die natürlichste und leichteste Sache von der Welt" redeten.*) Durfte man diesem Staate gestatten, ganz Süddeutschland zu umklammern? Die Vereinigung der badischen Pfalz mit Baiern mußte dem Staatskanzler jetzt in ganz anderem Lichte erscheinen, da die gewünschte Niederlassung Oesterreichs am Oberrheine nicht erfolgt war. Und war denn Preußen irgend gebunden an jene leichtfertigen Versprechungen, welche Metternich eigenmächtig und insgeheim den Baiern gegeben hatte? Wenn Preußen den feierlich verheißenen un- unterbrochenen Zusammenhang seines Gebietes nicht hatte erreichen können, warum sollte nicht Baiern die gleiche Entsagung üben? Warum mußten Baden und die beiden Hessen, die für Deutschland nie ernstlich gefährlich werden konnten, eine schwere Beraubung ertragen um den mächtigsten Staat des Rheinbundes ganz unbillig zu vergrößern?
Solche einfache Gründe der Politik und des Rechtes brachten den König und den Staatskanzler allmählich zu dem Entschlusse, dem Münche- ner Hofe nur die volle Entschädigung für die an Oesterreich abgetretenen Provinzen, doch nichts weiter zu gestatten. Zwar gelang es den bairischen Unterhändlern, nachdem sie den ganzen Winter über mit einer Commission der Großmächte gefeilscht und gemarktet, am 23. April 1815 einen vor- läufigen Vertrag mit den Mächten der Coalition abzuschließen, wonach Baiern für Salzburg und das Innviertel einen unverhältnißmäßigen Er- satz erhalten sollte: die Hauptmasse der linksrheinischen Pfalz, Hanau und ein großer Theil des östlichen Odenwalds wurden den Wittelsbachern versprochen, dazu "der Heimfall der badischen Pfalz" sobald die regierende Linie des badischen Hauses ausstürbe. Diese reversibilite du Palatinat hat sich seitdem wie ein rother Faden durch alle Wandlungen der neueren
*) Küster in seinem Berichte vom 17. Mai 1815; ähnlich in vielen anderen Depeschen.
Baierns Anſprüche.
und mit deren Hilfe eine reiche Entſchädigung für Salzburg und das Innviertel zu gewinnen. Ein grober politiſcher Fehler, ſelbſt vom Ge- ſichtspunkte der rein dynaſtiſchen Politik betrachtet! England hat ſich um die ſüddeutſchen Gebietsfragen niemals viel gekümmert, Frankreich verlor gegen das Ende des Congreſſes jeden Einfluß, und Oeſterreich erwies ſich bald als ein treuloſer Freund.
Die großen Mächte ſchloſſen ihren Frieden in der ſächſiſchen Sache, und Wrede trug von ſeiner anmaßenden Zudringlichkeit nur den allge- meinen Haß davon; ſelbſt in den Kreiſen der rheinbündiſchen Diplomaten hießen die Baiern les Prussiens du Midi. Der Czar vor Allen war tief erbittert und hörte willig auf den Freiherrn vom Stein, der nicht müde ward ihm vorzuſtellen, wie gefährlich es ſei den Kernſtaat des Rhein- bundes zu vergrößern. König Friedrich Wilhelm vernahm mit Befremden durch ſeinen Geſandten Küſter, daß die Münchener Patriotenkreiſe alltäg- lich über den Krieg gegen Preußen „wie über die natürlichſte und leichteſte Sache von der Welt“ redeten.*) Durfte man dieſem Staate geſtatten, ganz Süddeutſchland zu umklammern? Die Vereinigung der badiſchen Pfalz mit Baiern mußte dem Staatskanzler jetzt in ganz anderem Lichte erſcheinen, da die gewünſchte Niederlaſſung Oeſterreichs am Oberrheine nicht erfolgt war. Und war denn Preußen irgend gebunden an jene leichtfertigen Verſprechungen, welche Metternich eigenmächtig und insgeheim den Baiern gegeben hatte? Wenn Preußen den feierlich verheißenen un- unterbrochenen Zuſammenhang ſeines Gebietes nicht hatte erreichen können, warum ſollte nicht Baiern die gleiche Entſagung üben? Warum mußten Baden und die beiden Heſſen, die für Deutſchland nie ernſtlich gefährlich werden konnten, eine ſchwere Beraubung ertragen um den mächtigſten Staat des Rheinbundes ganz unbillig zu vergrößern?
Solche einfache Gründe der Politik und des Rechtes brachten den König und den Staatskanzler allmählich zu dem Entſchluſſe, dem Münche- ner Hofe nur die volle Entſchädigung für die an Oeſterreich abgetretenen Provinzen, doch nichts weiter zu geſtatten. Zwar gelang es den bairiſchen Unterhändlern, nachdem ſie den ganzen Winter über mit einer Commiſſion der Großmächte gefeilſcht und gemarktet, am 23. April 1815 einen vor- läufigen Vertrag mit den Mächten der Coalition abzuſchließen, wonach Baiern für Salzburg und das Innviertel einen unverhältnißmäßigen Er- ſatz erhalten ſollte: die Hauptmaſſe der linksrheiniſchen Pfalz, Hanau und ein großer Theil des öſtlichen Odenwalds wurden den Wittelsbachern verſprochen, dazu „der Heimfall der badiſchen Pfalz“ ſobald die regierende Linie des badiſchen Hauſes ausſtürbe. Dieſe réversibilité du Palatinat hat ſich ſeitdem wie ein rother Faden durch alle Wandlungen der neueren
*) Küſter in ſeinem Berichte vom 17. Mai 1815; ähnlich in vielen anderen Depeſchen.
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Baierns Anſprüche.
und mit deren Hilfe eine reiche Entſchädigung für Salzburg und das
Innviertel zu gewinnen. Ein grober politiſcher Fehler, ſelbſt vom Ge-
ſichtspunkte der rein dynaſtiſchen Politik betrachtet! England hat ſich um
die ſüddeutſchen Gebietsfragen niemals viel gekümmert, Frankreich verlor
gegen das Ende des Congreſſes jeden Einfluß, und Oeſterreich erwies ſich
bald als ein treuloſer Freund.
Die großen Mächte ſchloſſen ihren Frieden in der ſächſiſchen Sache,
und Wrede trug von ſeiner anmaßenden Zudringlichkeit nur den allge-
meinen Haß davon; ſelbſt in den Kreiſen der rheinbündiſchen Diplomaten
hießen die Baiern les Prussiens du Midi. Der Czar vor Allen war
tief erbittert und hörte willig auf den Freiherrn vom Stein, der nicht
müde ward ihm vorzuſtellen, wie gefährlich es ſei den Kernſtaat des Rhein-
bundes zu vergrößern. König Friedrich Wilhelm vernahm mit Befremden
durch ſeinen Geſandten Küſter, daß die Münchener Patriotenkreiſe alltäg-
lich über den Krieg gegen Preußen „wie über die natürlichſte und leichteſte
Sache von der Welt“ redeten. *) Durfte man dieſem Staate geſtatten,
ganz Süddeutſchland zu umklammern? Die Vereinigung der badiſchen
Pfalz mit Baiern mußte dem Staatskanzler jetzt in ganz anderem Lichte
erſcheinen, da die gewünſchte Niederlaſſung Oeſterreichs am Oberrheine
nicht erfolgt war. Und war denn Preußen irgend gebunden an jene
leichtfertigen Verſprechungen, welche Metternich eigenmächtig und insgeheim
den Baiern gegeben hatte? Wenn Preußen den feierlich verheißenen un-
unterbrochenen Zuſammenhang ſeines Gebietes nicht hatte erreichen können,
warum ſollte nicht Baiern die gleiche Entſagung üben? Warum mußten
Baden und die beiden Heſſen, die für Deutſchland nie ernſtlich gefährlich
werden konnten, eine ſchwere Beraubung ertragen um den mächtigſten
Staat des Rheinbundes ganz unbillig zu vergrößern?
Solche einfache Gründe der Politik und des Rechtes brachten den
König und den Staatskanzler allmählich zu dem Entſchluſſe, dem Münche-
ner Hofe nur die volle Entſchädigung für die an Oeſterreich abgetretenen
Provinzen, doch nichts weiter zu geſtatten. Zwar gelang es den bairiſchen
Unterhändlern, nachdem ſie den ganzen Winter über mit einer Commiſſion
der Großmächte gefeilſcht und gemarktet, am 23. April 1815 einen vor-
läufigen Vertrag mit den Mächten der Coalition abzuſchließen, wonach
Baiern für Salzburg und das Innviertel einen unverhältnißmäßigen Er-
ſatz erhalten ſollte: die Hauptmaſſe der linksrheiniſchen Pfalz, Hanau und
ein großer Theil des öſtlichen Odenwalds wurden den Wittelsbachern
verſprochen, dazu „der Heimfall der badiſchen Pfalz“ ſobald die regierende
Linie des badiſchen Hauſes ausſtürbe. Dieſe réversibilité du Palatinat
hat ſich ſeitdem wie ein rother Faden durch alle Wandlungen der neueren
*) Küſter in ſeinem Berichte vom 17. Mai 1815; ähnlich in vielen anderen
Depeſchen.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 669. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/685>, abgerufen am 22.11.2024.
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