Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.II. 1. Der Wiener Congreß. Gegen Sinn und Wortlaut der Wiener Verträge wurden sofort jeneschändlichen Rheinzölle wieder eingerichtet, wodurch die niederländische Republik einst ihre deutschen Hinterlande mißhandelt hatte. Da die stati- stischen Hilfsmittel jener Zeit sehr mangelhaft waren und Hasselts geo- graphisches Handbuch den Diplomaten als letzte Weisheitsquelle diente, so liefen bei allen Gebietsverträgen des Congresses einzelne kleine Irrthümer mit unter, die bei einigem Anstandsgefühle der betheiligten Staaten nach- träglich leicht berichtigt werden konnten. Durch ein solches Versehen geschah es auch, daß die beiden preußischen Straßen von Aachen nach Eupen und Geilenkirchen auf zwei kurzen Strecken niederländisches Gebiet berührten; augenblicklich errichteten die Oranier dort ihre Douanen, unterwarfen den preußischen Binnenhandel ihren Zöllen. Als endlich eine gemischte Com- mission zusammentrat um die Grenze endgiltig festzustellen, da stritten die Holländer um jede Seele, jeden Baum und jeden Zoll Landes.*) Ueber die Galmeigruben von Altenberg konnte man sich schlechterdings nicht einigen; dies berüchtigte "neutrale Gebiet" an der belgisch-preußi- schen Grenze erinnert noch heutigen Tags an die freundnachbarliche Gesinnung der Niederländer. Solche gehäufte Proben oranischer Dank- barkeit und vornehmlich die empörende Bedrückung der Rheinschifffahrt ließen das Wohlwollen des Berliner Cabinets für den Haager Hof bald erkalten. Ein anderer der kleinen Gegner Preußens, Baiern, hatte seine thörichte *) So Sack in seinem Generalberichte vom 31. März 1816.
II. 1. Der Wiener Congreß. Gegen Sinn und Wortlaut der Wiener Verträge wurden ſofort jeneſchändlichen Rheinzölle wieder eingerichtet, wodurch die niederländiſche Republik einſt ihre deutſchen Hinterlande mißhandelt hatte. Da die ſtati- ſtiſchen Hilfsmittel jener Zeit ſehr mangelhaft waren und Haſſelts geo- graphiſches Handbuch den Diplomaten als letzte Weisheitsquelle diente, ſo liefen bei allen Gebietsverträgen des Congreſſes einzelne kleine Irrthümer mit unter, die bei einigem Anſtandsgefühle der betheiligten Staaten nach- träglich leicht berichtigt werden konnten. Durch ein ſolches Verſehen geſchah es auch, daß die beiden preußiſchen Straßen von Aachen nach Eupen und Geilenkirchen auf zwei kurzen Strecken niederländiſches Gebiet berührten; augenblicklich errichteten die Oranier dort ihre Douanen, unterwarfen den preußiſchen Binnenhandel ihren Zöllen. Als endlich eine gemiſchte Com- miſſion zuſammentrat um die Grenze endgiltig feſtzuſtellen, da ſtritten die Holländer um jede Seele, jeden Baum und jeden Zoll Landes.*) Ueber die Galmeigruben von Altenberg konnte man ſich ſchlechterdings nicht einigen; dies berüchtigte „neutrale Gebiet“ an der belgiſch-preußi- ſchen Grenze erinnert noch heutigen Tags an die freundnachbarliche Geſinnung der Niederländer. Solche gehäufte Proben oraniſcher Dank- barkeit und vornehmlich die empörende Bedrückung der Rheinſchifffahrt ließen das Wohlwollen des Berliner Cabinets für den Haager Hof bald erkalten. Ein anderer der kleinen Gegner Preußens, Baiern, hatte ſeine thörichte *) So Sack in ſeinem Generalberichte vom 31. März 1816.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0684" n="668"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 1. Der Wiener Congreß.</fw><lb/> Gegen Sinn und Wortlaut der Wiener Verträge wurden ſofort jene<lb/> ſchändlichen Rheinzölle wieder eingerichtet, wodurch die niederländiſche<lb/> Republik einſt ihre deutſchen Hinterlande mißhandelt hatte. Da die ſtati-<lb/> ſtiſchen Hilfsmittel jener Zeit ſehr mangelhaft waren und Haſſelts geo-<lb/> graphiſches Handbuch den Diplomaten als letzte Weisheitsquelle diente, ſo<lb/> liefen bei allen Gebietsverträgen des Congreſſes einzelne kleine Irrthümer<lb/> mit unter, die bei einigem Anſtandsgefühle der betheiligten Staaten nach-<lb/> träglich leicht berichtigt werden konnten. Durch ein ſolches Verſehen geſchah<lb/> es auch, daß die beiden preußiſchen Straßen von Aachen nach Eupen und<lb/> Geilenkirchen auf zwei kurzen Strecken niederländiſches Gebiet berührten;<lb/> augenblicklich errichteten die Oranier dort ihre Douanen, unterwarfen den<lb/> preußiſchen Binnenhandel ihren Zöllen. Als endlich eine gemiſchte Com-<lb/> miſſion zuſammentrat um die Grenze endgiltig feſtzuſtellen, da ſtritten<lb/> die Holländer um jede Seele, jeden Baum und jeden Zoll Landes.<note place="foot" n="*)">So Sack in ſeinem Generalberichte vom 31. März 1816.</note><lb/> Ueber die Galmeigruben von Altenberg konnte man ſich ſchlechterdings<lb/> nicht einigen; dies berüchtigte „neutrale Gebiet“ an der belgiſch-preußi-<lb/> ſchen Grenze erinnert noch heutigen Tags an die freundnachbarliche<lb/> Geſinnung der Niederländer. Solche gehäufte Proben oraniſcher Dank-<lb/> barkeit und vornehmlich die empörende Bedrückung der Rheinſchifffahrt<lb/> ließen das Wohlwollen des Berliner Cabinets für den Haager Hof bald<lb/> erkalten.</p><lb/> <p>Ein anderer der kleinen Gegner Preußens, Baiern, hatte ſeine thörichte<lb/> Feindſeligkeit bitter zu bereuen. Wenn irgend ein deutſches Fürſtenhaus<lb/> durch ſein dynaſtiſches Intereſſe auf Preußens Freundſchaft angewieſen<lb/> war, ſo doch ſicherlich das durch die Hohenzollern ſo oft gerettete Haus<lb/> Wittelsbach. Preußens Staatsmänner waren auch im Jahre 1814, ob-<lb/> gleich ſie ein wohlbegründetes Mißtrauen gegen Montgelas hegten, dem<lb/> bairiſchen Staate keineswegs feindſelig geſinnt. Das feſte Mainz wollten<lb/> ſie freilich dieſen unzuverläſſigen Händen nicht anvertrauen; doch war<lb/> Hardenberg in Paris geneigt, die badiſche und die linksrheiniſche Pfalz<lb/> an Baiern zu geben, und noch in Wien rieth Humboldt, die Baiern<lb/> durch Entgegenkommen zu gewinnen, wenn ſie nur irgend guten Willen<lb/> für den Deutſchen Bund zeigten. Die ſchamlos undeutſche Geſinnung,<lb/> welche von Montgelas’ Genoſſen zur Schau getragen wurde, die prahle-<lb/> riſche Feindſeligkeit Wredes und die unfläthigen Schimpfreden der „lite-<lb/> rariſchen Mordbrenner“ des Münchener Hofes zwangen die Staatskanzlei<lb/> zu einer veränderten Haltung. Montgelas war nicht nur durch alte<lb/> Neigung und Gewohnheit an Frankreich gebunden und mit den Führern<lb/> der norddeutſchen Patrioten, namentlich mit Stein und Görres, perſönlich<lb/> verfeindet; er hoffte auch, durch ſeinen lärmenden Eifer für Friedrich Auguſt<lb/> ſich die Dankbarkeit Oeſterreichs, Englands und Frankreichs zu ſichern<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [668/0684]
II. 1. Der Wiener Congreß.
Gegen Sinn und Wortlaut der Wiener Verträge wurden ſofort jene
ſchändlichen Rheinzölle wieder eingerichtet, wodurch die niederländiſche
Republik einſt ihre deutſchen Hinterlande mißhandelt hatte. Da die ſtati-
ſtiſchen Hilfsmittel jener Zeit ſehr mangelhaft waren und Haſſelts geo-
graphiſches Handbuch den Diplomaten als letzte Weisheitsquelle diente, ſo
liefen bei allen Gebietsverträgen des Congreſſes einzelne kleine Irrthümer
mit unter, die bei einigem Anſtandsgefühle der betheiligten Staaten nach-
träglich leicht berichtigt werden konnten. Durch ein ſolches Verſehen geſchah
es auch, daß die beiden preußiſchen Straßen von Aachen nach Eupen und
Geilenkirchen auf zwei kurzen Strecken niederländiſches Gebiet berührten;
augenblicklich errichteten die Oranier dort ihre Douanen, unterwarfen den
preußiſchen Binnenhandel ihren Zöllen. Als endlich eine gemiſchte Com-
miſſion zuſammentrat um die Grenze endgiltig feſtzuſtellen, da ſtritten
die Holländer um jede Seele, jeden Baum und jeden Zoll Landes. *)
Ueber die Galmeigruben von Altenberg konnte man ſich ſchlechterdings
nicht einigen; dies berüchtigte „neutrale Gebiet“ an der belgiſch-preußi-
ſchen Grenze erinnert noch heutigen Tags an die freundnachbarliche
Geſinnung der Niederländer. Solche gehäufte Proben oraniſcher Dank-
barkeit und vornehmlich die empörende Bedrückung der Rheinſchifffahrt
ließen das Wohlwollen des Berliner Cabinets für den Haager Hof bald
erkalten.
Ein anderer der kleinen Gegner Preußens, Baiern, hatte ſeine thörichte
Feindſeligkeit bitter zu bereuen. Wenn irgend ein deutſches Fürſtenhaus
durch ſein dynaſtiſches Intereſſe auf Preußens Freundſchaft angewieſen
war, ſo doch ſicherlich das durch die Hohenzollern ſo oft gerettete Haus
Wittelsbach. Preußens Staatsmänner waren auch im Jahre 1814, ob-
gleich ſie ein wohlbegründetes Mißtrauen gegen Montgelas hegten, dem
bairiſchen Staate keineswegs feindſelig geſinnt. Das feſte Mainz wollten
ſie freilich dieſen unzuverläſſigen Händen nicht anvertrauen; doch war
Hardenberg in Paris geneigt, die badiſche und die linksrheiniſche Pfalz
an Baiern zu geben, und noch in Wien rieth Humboldt, die Baiern
durch Entgegenkommen zu gewinnen, wenn ſie nur irgend guten Willen
für den Deutſchen Bund zeigten. Die ſchamlos undeutſche Geſinnung,
welche von Montgelas’ Genoſſen zur Schau getragen wurde, die prahle-
riſche Feindſeligkeit Wredes und die unfläthigen Schimpfreden der „lite-
rariſchen Mordbrenner“ des Münchener Hofes zwangen die Staatskanzlei
zu einer veränderten Haltung. Montgelas war nicht nur durch alte
Neigung und Gewohnheit an Frankreich gebunden und mit den Führern
der norddeutſchen Patrioten, namentlich mit Stein und Görres, perſönlich
verfeindet; er hoffte auch, durch ſeinen lärmenden Eifer für Friedrich Auguſt
ſich die Dankbarkeit Oeſterreichs, Englands und Frankreichs zu ſichern
*) So Sack in ſeinem Generalberichte vom 31. März 1816.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |