Treue fort; wie lange noch haben die ostfriesischen Studenten in Göttingen die schwarzweiße Kokarde an der Mütze getragen, und wenn sie beim Lan- desvater das "Friedrich Wilhelm lebe hoch" sangen, dann liefen den ehr- lichen Jungen die hellen Thränen über die Backen. Bis zum Tode des Königs hat Ostfriesland "seinen alten herrlichen Festtag" gefeiert; noch am 3. August 1839 sahen die Badegäste auf Norderney mit Erstaunen, wie auf jedem Fischerhause der Insel eine preußische Flagge wehte.
Hatte der Staatskanzler in diesen Verhandlungen, freilich nur durch ein schweres Opfer, das Interesse des Staates klug gewahrt, so mußte er dagegen bei den Unterhandlungen mit den Niederlanden die Folgen seiner früheren Uebereilungen tragen. Alle jene verschwenderischen Zusagen, die man während des Winterfeldzuges dem Schooßkinde der englischen Politik gegeben, ließen sich nicht mehr zurücknehmen; auch gelangte Hardenberg selbst in Wien noch nicht zu der Einsicht, daß dies durch Preußens Waf- fen wieder eingesetzte Oranische Haus eine entschieden feindselige Gesin- nung gegen Deutschland hegte. Er betrachtete die Niederlande noch immer als eine feste Vormauer Deutschlands und begrüßte es mit Freuden, daß mindestens Luxemburg dem Deutschen Bunde beitrat. War doch dies Ländchen damals noch kriegerisch und entschieden franzosenfeindlich gesinnt; die Erinnerung an die k. k. Latour-Dragoner und die Jäger von Le Loup lebte noch im Volke. Die preußischen Diplomaten trugen dem oranischen Unterhändler seinen in den sächsischen Händeln bewährten legitimistischen Feuereifer nicht nach, sondern bewiesen, zu Gagerns eigenem Erstaunen, eine "ungemeine Nachgiebigkeit".
Von Jülich und anderen Pariser Verheißungen war freilich nicht mehr die Rede; jedoch Preußen erklärte sich bereit, einen Theil von Geldern mit dem festen Venloo abzutreten, und erprobte dabei nochmals die gehässige Gesinnung der englischen Staatsmänner. Gagern verlangte "la lisiere de la Meuse": preußisch Geldern sollte von seinem natürlichen Wasser- wege, der Maas, abgesperrt, die Grenze überall mindestens eine Stunde östlich von dem Flusse gezogen werden. Er berief sich auf den Herzog von Wellington, der, noch ganz befangen in den altväterischen Gleichge- wichtslehren des alten Jahrhunderts und voll Mißtrauens gegen den unruhigen preußischen Ehrgeiz, in einem militärischen Gutachten die un- geheuerliche Behauptung aufgestellt hatte, ohne diese Lisiere würden die Niederlande durch Preußen erdrückt werden. In der gutmüthigen Hoffnung an den Oraniern für alle Zukunft dankbare Bundesgenossen zu haben, war Hardenberg schwach genug auf diese unverschämte Zumuthung einzugehen; so erhielt Deutschland jene Nordwestgrenze, die auf der Karte Europas ihres Gleichen nicht findet.
Schon in den nächsten Monaten sollte Preußen die Dankbarkeit der holländischen Kaufmannspolitik kennen lernen. Die Oranier zeigten sich unter allen Nachbarn Preußens am gehässigsten und händelsüchtigsten.
Abſchluß mit den Niederlanden.
Treue fort; wie lange noch haben die oſtfrieſiſchen Studenten in Göttingen die ſchwarzweiße Kokarde an der Mütze getragen, und wenn ſie beim Lan- desvater das „Friedrich Wilhelm lebe hoch“ ſangen, dann liefen den ehr- lichen Jungen die hellen Thränen über die Backen. Bis zum Tode des Königs hat Oſtfriesland „ſeinen alten herrlichen Feſttag“ gefeiert; noch am 3. Auguſt 1839 ſahen die Badegäſte auf Norderney mit Erſtaunen, wie auf jedem Fiſcherhauſe der Inſel eine preußiſche Flagge wehte.
Hatte der Staatskanzler in dieſen Verhandlungen, freilich nur durch ein ſchweres Opfer, das Intereſſe des Staates klug gewahrt, ſo mußte er dagegen bei den Unterhandlungen mit den Niederlanden die Folgen ſeiner früheren Uebereilungen tragen. Alle jene verſchwenderiſchen Zuſagen, die man während des Winterfeldzuges dem Schooßkinde der engliſchen Politik gegeben, ließen ſich nicht mehr zurücknehmen; auch gelangte Hardenberg ſelbſt in Wien noch nicht zu der Einſicht, daß dies durch Preußens Waf- fen wieder eingeſetzte Oraniſche Haus eine entſchieden feindſelige Geſin- nung gegen Deutſchland hegte. Er betrachtete die Niederlande noch immer als eine feſte Vormauer Deutſchlands und begrüßte es mit Freuden, daß mindeſtens Luxemburg dem Deutſchen Bunde beitrat. War doch dies Ländchen damals noch kriegeriſch und entſchieden franzoſenfeindlich geſinnt; die Erinnerung an die k. k. Latour-Dragoner und die Jäger von Le Loup lebte noch im Volke. Die preußiſchen Diplomaten trugen dem oraniſchen Unterhändler ſeinen in den ſächſiſchen Händeln bewährten legitimiſtiſchen Feuereifer nicht nach, ſondern bewieſen, zu Gagerns eigenem Erſtaunen, eine „ungemeine Nachgiebigkeit“.
Von Jülich und anderen Pariſer Verheißungen war freilich nicht mehr die Rede; jedoch Preußen erklärte ſich bereit, einen Theil von Geldern mit dem feſten Venloo abzutreten, und erprobte dabei nochmals die gehäſſige Geſinnung der engliſchen Staatsmänner. Gagern verlangte „la lisière de la Meuse“: preußiſch Geldern ſollte von ſeinem natürlichen Waſſer- wege, der Maas, abgeſperrt, die Grenze überall mindeſtens eine Stunde öſtlich von dem Fluſſe gezogen werden. Er berief ſich auf den Herzog von Wellington, der, noch ganz befangen in den altväteriſchen Gleichge- wichtslehren des alten Jahrhunderts und voll Mißtrauens gegen den unruhigen preußiſchen Ehrgeiz, in einem militäriſchen Gutachten die un- geheuerliche Behauptung aufgeſtellt hatte, ohne dieſe Liſière würden die Niederlande durch Preußen erdrückt werden. In der gutmüthigen Hoffnung an den Oraniern für alle Zukunft dankbare Bundesgenoſſen zu haben, war Hardenberg ſchwach genug auf dieſe unverſchämte Zumuthung einzugehen; ſo erhielt Deutſchland jene Nordweſtgrenze, die auf der Karte Europas ihres Gleichen nicht findet.
Schon in den nächſten Monaten ſollte Preußen die Dankbarkeit der holländiſchen Kaufmannspolitik kennen lernen. Die Oranier zeigten ſich unter allen Nachbarn Preußens am gehäſſigſten und händelſüchtigſten.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0683"n="667"/><fwplace="top"type="header">Abſchluß mit den Niederlanden.</fw><lb/>
Treue fort; wie lange noch haben die oſtfrieſiſchen Studenten in Göttingen<lb/>
die ſchwarzweiße Kokarde an der Mütze getragen, und wenn ſie beim Lan-<lb/>
desvater das „Friedrich Wilhelm lebe hoch“ſangen, dann liefen den ehr-<lb/>
lichen Jungen die hellen Thränen über die Backen. Bis zum Tode des<lb/>
Königs hat Oſtfriesland „ſeinen alten herrlichen Feſttag“ gefeiert; noch<lb/>
am 3. Auguſt 1839 ſahen die Badegäſte auf Norderney mit Erſtaunen,<lb/>
wie auf jedem Fiſcherhauſe der Inſel eine preußiſche Flagge wehte.</p><lb/><p>Hatte der Staatskanzler in dieſen Verhandlungen, freilich nur durch<lb/>
ein ſchweres Opfer, das Intereſſe des Staates klug gewahrt, ſo mußte er<lb/>
dagegen bei den Unterhandlungen mit den Niederlanden die Folgen ſeiner<lb/>
früheren Uebereilungen tragen. Alle jene verſchwenderiſchen Zuſagen, die<lb/>
man während des Winterfeldzuges dem Schooßkinde der engliſchen Politik<lb/>
gegeben, ließen ſich nicht mehr zurücknehmen; auch gelangte Hardenberg<lb/>ſelbſt in Wien noch nicht zu der Einſicht, daß dies durch Preußens Waf-<lb/>
fen wieder eingeſetzte Oraniſche Haus eine entſchieden feindſelige Geſin-<lb/>
nung gegen Deutſchland hegte. Er betrachtete die Niederlande noch immer<lb/>
als eine feſte Vormauer Deutſchlands und begrüßte es mit Freuden, daß<lb/>
mindeſtens Luxemburg dem Deutſchen Bunde beitrat. War doch dies<lb/>
Ländchen damals noch kriegeriſch und entſchieden franzoſenfeindlich geſinnt;<lb/>
die Erinnerung an die k. k. Latour-Dragoner und die Jäger von Le Loup<lb/>
lebte noch im Volke. Die preußiſchen Diplomaten trugen dem oraniſchen<lb/>
Unterhändler ſeinen in den ſächſiſchen Händeln bewährten legitimiſtiſchen<lb/>
Feuereifer nicht nach, ſondern bewieſen, zu Gagerns eigenem Erſtaunen,<lb/>
eine „ungemeine Nachgiebigkeit“.</p><lb/><p>Von Jülich und anderen Pariſer Verheißungen war freilich nicht mehr<lb/>
die Rede; jedoch Preußen erklärte ſich bereit, einen Theil von Geldern mit<lb/>
dem feſten Venloo abzutreten, und erprobte dabei nochmals die gehäſſige<lb/>
Geſinnung der engliſchen Staatsmänner. Gagern verlangte <hirendition="#aq">„la lisière<lb/>
de la Meuse“:</hi> preußiſch Geldern ſollte von ſeinem natürlichen Waſſer-<lb/>
wege, der Maas, abgeſperrt, die Grenze überall mindeſtens eine Stunde<lb/>
öſtlich von dem Fluſſe gezogen werden. Er berief ſich auf den Herzog<lb/>
von Wellington, der, noch ganz befangen in den altväteriſchen Gleichge-<lb/>
wichtslehren des alten Jahrhunderts und voll Mißtrauens gegen den<lb/>
unruhigen preußiſchen Ehrgeiz, in einem militäriſchen Gutachten die un-<lb/>
geheuerliche Behauptung aufgeſtellt hatte, ohne dieſe Liſi<hirendition="#aq">è</hi>re würden die<lb/>
Niederlande durch Preußen erdrückt werden. In der gutmüthigen Hoffnung<lb/>
an den Oraniern für alle Zukunft dankbare Bundesgenoſſen zu haben, war<lb/>
Hardenberg ſchwach genug auf dieſe unverſchämte Zumuthung einzugehen;<lb/>ſo erhielt Deutſchland jene Nordweſtgrenze, die auf der Karte Europas<lb/>
ihres Gleichen nicht findet.</p><lb/><p>Schon in den nächſten Monaten ſollte Preußen die Dankbarkeit der<lb/>
holländiſchen Kaufmannspolitik kennen lernen. Die Oranier zeigten ſich<lb/>
unter allen Nachbarn Preußens am gehäſſigſten und händelſüchtigſten.<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[667/0683]
Abſchluß mit den Niederlanden.
Treue fort; wie lange noch haben die oſtfrieſiſchen Studenten in Göttingen
die ſchwarzweiße Kokarde an der Mütze getragen, und wenn ſie beim Lan-
desvater das „Friedrich Wilhelm lebe hoch“ ſangen, dann liefen den ehr-
lichen Jungen die hellen Thränen über die Backen. Bis zum Tode des
Königs hat Oſtfriesland „ſeinen alten herrlichen Feſttag“ gefeiert; noch
am 3. Auguſt 1839 ſahen die Badegäſte auf Norderney mit Erſtaunen,
wie auf jedem Fiſcherhauſe der Inſel eine preußiſche Flagge wehte.
Hatte der Staatskanzler in dieſen Verhandlungen, freilich nur durch
ein ſchweres Opfer, das Intereſſe des Staates klug gewahrt, ſo mußte er
dagegen bei den Unterhandlungen mit den Niederlanden die Folgen ſeiner
früheren Uebereilungen tragen. Alle jene verſchwenderiſchen Zuſagen, die
man während des Winterfeldzuges dem Schooßkinde der engliſchen Politik
gegeben, ließen ſich nicht mehr zurücknehmen; auch gelangte Hardenberg
ſelbſt in Wien noch nicht zu der Einſicht, daß dies durch Preußens Waf-
fen wieder eingeſetzte Oraniſche Haus eine entſchieden feindſelige Geſin-
nung gegen Deutſchland hegte. Er betrachtete die Niederlande noch immer
als eine feſte Vormauer Deutſchlands und begrüßte es mit Freuden, daß
mindeſtens Luxemburg dem Deutſchen Bunde beitrat. War doch dies
Ländchen damals noch kriegeriſch und entſchieden franzoſenfeindlich geſinnt;
die Erinnerung an die k. k. Latour-Dragoner und die Jäger von Le Loup
lebte noch im Volke. Die preußiſchen Diplomaten trugen dem oraniſchen
Unterhändler ſeinen in den ſächſiſchen Händeln bewährten legitimiſtiſchen
Feuereifer nicht nach, ſondern bewieſen, zu Gagerns eigenem Erſtaunen,
eine „ungemeine Nachgiebigkeit“.
Von Jülich und anderen Pariſer Verheißungen war freilich nicht mehr
die Rede; jedoch Preußen erklärte ſich bereit, einen Theil von Geldern mit
dem feſten Venloo abzutreten, und erprobte dabei nochmals die gehäſſige
Geſinnung der engliſchen Staatsmänner. Gagern verlangte „la lisière
de la Meuse“: preußiſch Geldern ſollte von ſeinem natürlichen Waſſer-
wege, der Maas, abgeſperrt, die Grenze überall mindeſtens eine Stunde
öſtlich von dem Fluſſe gezogen werden. Er berief ſich auf den Herzog
von Wellington, der, noch ganz befangen in den altväteriſchen Gleichge-
wichtslehren des alten Jahrhunderts und voll Mißtrauens gegen den
unruhigen preußiſchen Ehrgeiz, in einem militäriſchen Gutachten die un-
geheuerliche Behauptung aufgeſtellt hatte, ohne dieſe Liſière würden die
Niederlande durch Preußen erdrückt werden. In der gutmüthigen Hoffnung
an den Oraniern für alle Zukunft dankbare Bundesgenoſſen zu haben, war
Hardenberg ſchwach genug auf dieſe unverſchämte Zumuthung einzugehen;
ſo erhielt Deutſchland jene Nordweſtgrenze, die auf der Karte Europas
ihres Gleichen nicht findet.
Schon in den nächſten Monaten ſollte Preußen die Dankbarkeit der
holländiſchen Kaufmannspolitik kennen lernen. Die Oranier zeigten ſich
unter allen Nachbarn Preußens am gehäſſigſten und händelſüchtigſten.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 667. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/683>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.