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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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II. 1. Der Wiener Congreß.
sehr schlaffen Verwaltung, nur einen jährlichen Ueberschuß von 224,000
Thalern brachte. Kaufmännisch betrachtet war das Geschäft sicherlich un-
vortheilhaft, Schweden allein gewann bei dem verwickelten Handel; die
deutsche Nation aber hatte guten Grund dem Staatskanzler für diese
schwierige Arbeit zu danken.

Es war die höchste Zeit, Vorpommern von dem skandinavischen Leben
zu trennen. Das Land war in fast zwei Jahrhunderten gänzlich für die
drei Kronen des Nordens gewonnen; wie spät hatte doch selbst E. M. Arndt,
fast vierzig Jahre alt, das Bewußtsein seines deutschen Volksthums ge-
wonnen! Wie viel hundert mal haben die Rügener ihre Feste angetanzt
unter den Klängen des alten Schwedensanges: Gustavs skal! Zu Anfang
des Jahrhunderts sangen die Stralsunder Kaufherren bei festlichen Ge-
lagen nach feierlicher Melodie das Nationallied:

Laßt die Politici nur machen!
Ob Frankreich oder England siegt --
Man kapert uns kein Schiff, kein Boot:
Was hat es denn mit uns für Noth?

Nachher, da die blaugelbe Flagge die Schiffe der Stralsunder Rheder
nicht mehr zu decken vermochte, begann diese Gemüthlichkeit allerdings
einem männlicheren Gefühle zu weichen; indeß sahen der Landadel und
das städtische Patriciat, von der schwedischen Krone mit kostbaren Privi-
legien überschüttet, der Rechtsgleichheit der preußischen Verwaltung mit
sehr gemischten Empfindungen entgegen. Wunderbar schnell hat sich dann
die Gesinnung des Landes verwandelt. Die Krone Schweden selber em-
pfand, daß durch den Einzug der Preußen nur die natürliche Ordnung
hergestellt wurde; König Karl XIII. sprach zum Abschied seinen getreuen
Pommern aus, Schweden sei durch die Erwerbung Norwegens in eine
"insularische Lage" gekommen und weniger denn je im Stande die ent-
legene deutsche Provinz zu vertheidigen. Und dies wackere deutsche Land
sollte schon nach wenigen Jahren bewähren, was der Sprecher der Ritter-
schaft, Graf Bohlen, bei der Huldigungsfeier versprach: "wir werden be-
weisen, daß wir auch unter einer auswärtigen Regierung nicht verlernt
haben Deutsche zu sein."

In Ostfriesland aber herrschte tiefe Trauer. Lange wollte man die
Unheilsbotschaft nicht glauben; die königlichen Behörden versicherten wie-
derholt, daß sie von der Abtretung amtlich nichts wüßten. Das tapfere
Landwehrregiment der Provinz focht noch bei Ligny und Belle-Alliance
unter preußischen Fahnen; noch im Juli 1815 ging eine Deputation der
Stände nach Paris, ihre Mitglieder im Verein mit den Landwehrmän-
nern beschworen den König die Provinz nicht zu verstoßen. Der Wider-
wille gegen das adliche Hannoverland war so allgemein in diesem Lande
des Handels und der Bauernfreiheit, daß man die Abtretung erst zu
Ende des Jahres 1815 zu vollziehen wagte. Auch dann währte die alte

II. 1. Der Wiener Congreß.
ſehr ſchlaffen Verwaltung, nur einen jährlichen Ueberſchuß von 224,000
Thalern brachte. Kaufmänniſch betrachtet war das Geſchäft ſicherlich un-
vortheilhaft, Schweden allein gewann bei dem verwickelten Handel; die
deutſche Nation aber hatte guten Grund dem Staatskanzler für dieſe
ſchwierige Arbeit zu danken.

Es war die höchſte Zeit, Vorpommern von dem ſkandinaviſchen Leben
zu trennen. Das Land war in faſt zwei Jahrhunderten gänzlich für die
drei Kronen des Nordens gewonnen; wie ſpät hatte doch ſelbſt E. M. Arndt,
faſt vierzig Jahre alt, das Bewußtſein ſeines deutſchen Volksthums ge-
wonnen! Wie viel hundert mal haben die Rügener ihre Feſte angetanzt
unter den Klängen des alten Schwedenſanges: Gustavs skål! Zu Anfang
des Jahrhunderts ſangen die Stralſunder Kaufherren bei feſtlichen Ge-
lagen nach feierlicher Melodie das Nationallied:

Laßt die Politici nur machen!
Ob Frankreich oder England ſiegt —
Man kapert uns kein Schiff, kein Boot:
Was hat es denn mit uns für Noth?

Nachher, da die blaugelbe Flagge die Schiffe der Stralſunder Rheder
nicht mehr zu decken vermochte, begann dieſe Gemüthlichkeit allerdings
einem männlicheren Gefühle zu weichen; indeß ſahen der Landadel und
das ſtädtiſche Patriciat, von der ſchwediſchen Krone mit koſtbaren Privi-
legien überſchüttet, der Rechtsgleichheit der preußiſchen Verwaltung mit
ſehr gemiſchten Empfindungen entgegen. Wunderbar ſchnell hat ſich dann
die Geſinnung des Landes verwandelt. Die Krone Schweden ſelber em-
pfand, daß durch den Einzug der Preußen nur die natürliche Ordnung
hergeſtellt wurde; König Karl XIII. ſprach zum Abſchied ſeinen getreuen
Pommern aus, Schweden ſei durch die Erwerbung Norwegens in eine
„inſulariſche Lage“ gekommen und weniger denn je im Stande die ent-
legene deutſche Provinz zu vertheidigen. Und dies wackere deutſche Land
ſollte ſchon nach wenigen Jahren bewähren, was der Sprecher der Ritter-
ſchaft, Graf Bohlen, bei der Huldigungsfeier verſprach: „wir werden be-
weiſen, daß wir auch unter einer auswärtigen Regierung nicht verlernt
haben Deutſche zu ſein.“

In Oſtfriesland aber herrſchte tiefe Trauer. Lange wollte man die
Unheilsbotſchaft nicht glauben; die königlichen Behörden verſicherten wie-
derholt, daß ſie von der Abtretung amtlich nichts wüßten. Das tapfere
Landwehrregiment der Provinz focht noch bei Ligny und Belle-Alliance
unter preußiſchen Fahnen; noch im Juli 1815 ging eine Deputation der
Stände nach Paris, ihre Mitglieder im Verein mit den Landwehrmän-
nern beſchworen den König die Provinz nicht zu verſtoßen. Der Wider-
wille gegen das adliche Hannoverland war ſo allgemein in dieſem Lande
des Handels und der Bauernfreiheit, daß man die Abtretung erſt zu
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[666/0682] II. 1. Der Wiener Congreß. ſehr ſchlaffen Verwaltung, nur einen jährlichen Ueberſchuß von 224,000 Thalern brachte. Kaufmänniſch betrachtet war das Geſchäft ſicherlich un- vortheilhaft, Schweden allein gewann bei dem verwickelten Handel; die deutſche Nation aber hatte guten Grund dem Staatskanzler für dieſe ſchwierige Arbeit zu danken. Es war die höchſte Zeit, Vorpommern von dem ſkandinaviſchen Leben zu trennen. Das Land war in faſt zwei Jahrhunderten gänzlich für die drei Kronen des Nordens gewonnen; wie ſpät hatte doch ſelbſt E. M. Arndt, faſt vierzig Jahre alt, das Bewußtſein ſeines deutſchen Volksthums ge- wonnen! Wie viel hundert mal haben die Rügener ihre Feſte angetanzt unter den Klängen des alten Schwedenſanges: Gustavs skål! Zu Anfang des Jahrhunderts ſangen die Stralſunder Kaufherren bei feſtlichen Ge- lagen nach feierlicher Melodie das Nationallied: Laßt die Politici nur machen! Ob Frankreich oder England ſiegt — Man kapert uns kein Schiff, kein Boot: Was hat es denn mit uns für Noth? Nachher, da die blaugelbe Flagge die Schiffe der Stralſunder Rheder nicht mehr zu decken vermochte, begann dieſe Gemüthlichkeit allerdings einem männlicheren Gefühle zu weichen; indeß ſahen der Landadel und das ſtädtiſche Patriciat, von der ſchwediſchen Krone mit koſtbaren Privi- legien überſchüttet, der Rechtsgleichheit der preußiſchen Verwaltung mit ſehr gemiſchten Empfindungen entgegen. Wunderbar ſchnell hat ſich dann die Geſinnung des Landes verwandelt. Die Krone Schweden ſelber em- pfand, daß durch den Einzug der Preußen nur die natürliche Ordnung hergeſtellt wurde; König Karl XIII. ſprach zum Abſchied ſeinen getreuen Pommern aus, Schweden ſei durch die Erwerbung Norwegens in eine „inſulariſche Lage“ gekommen und weniger denn je im Stande die ent- legene deutſche Provinz zu vertheidigen. Und dies wackere deutſche Land ſollte ſchon nach wenigen Jahren bewähren, was der Sprecher der Ritter- ſchaft, Graf Bohlen, bei der Huldigungsfeier verſprach: „wir werden be- weiſen, daß wir auch unter einer auswärtigen Regierung nicht verlernt haben Deutſche zu ſein.“ In Oſtfriesland aber herrſchte tiefe Trauer. Lange wollte man die Unheilsbotſchaft nicht glauben; die königlichen Behörden verſicherten wie- derholt, daß ſie von der Abtretung amtlich nichts wüßten. Das tapfere Landwehrregiment der Provinz focht noch bei Ligny und Belle-Alliance unter preußiſchen Fahnen; noch im Juli 1815 ging eine Deputation der Stände nach Paris, ihre Mitglieder im Verein mit den Landwehrmän- nern beſchworen den König die Provinz nicht zu verſtoßen. Der Wider- wille gegen das adliche Hannoverland war ſo allgemein in dieſem Lande des Handels und der Bauernfreiheit, daß man die Abtretung erſt zu Ende des Jahres 1815 zu vollziehen wagte. Auch dann währte die alte

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 666. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/682>, abgerufen am 22.11.2024.