für ihr gesammtes Gebiet eine ewige Allianz mit Deutschland schließen. Dabei war als selbstverständlich vorausgesetzt, daß Oesterreich seine ober- rheinischen Provinzen doch noch wieder übernehmen würde. Auch die Schweiz und die Niederlande beabsichtigte man zu einem ewigen Bündniß einzuladen. Tragische Ironie des Schicksals! Unmittelbar nachdem die Märker, Pommern, Preußen und Schlesier den anderen Deutschen das Signal gegeben hatten für den Kampf der Befreiung, dachte unser erster Staatsmann alles Ernstes diese Kernlande des neuen Deutschlands vom Deutschen Bunde auszuschließen.
In dies Deutschland links der Elbe und des Böhmerwaldes wollte Stein die Kreisverfassung des alten Reichs wieder einführen, damit die unbrauchbaren Contingente der kleinsten Staaten zu leistungsfähigen Massen zusammengeballt würden. Daher sieben Kreise, und wo möglich noch die Niederlande als achter burgundischer Kreis. Oesterreich und Preußen übernehmen in je zwei Kreisen, Baiern, Hannover, Württem- berg in je einem das Amt des Kreisobersten, die militärische Führung und die Aufsicht über die Ausführung der Bundesgesetze; die vormaligen Kurfürsten von Baden und Hessen erhalten in je einem Kreise die Stelle des zweiten Kreisobersten. Hier aber erhob sich die peinliche Frage, ob man dem unsteten Ehrgeiz des Münchener und Stuttgarter Hofes eine verstärkte Macht gewähren dürfe. Alle kleinen Nachbarn zitterten vor der gewaltthätigen Ländergier des Königs Friedrich; die Hechinger Regie- rung beschwor die preußischen Staatsmänner beweglich*), doch ja dafür zu sorgen, daß ihr Ländchen nicht gänzlich von württembergischem Gebiete umschlossen würde, sondern durch badisches Land hindurch einen freien Zugang zum Bodensee erhielte. Deshalb schlug Stein vor, dem bairischen und schwäbischen Kreise ausschließlich die Gebiete von Baiern und Würt- temberg zuzuweisen; die sämmtlichen Kleinstaaten wurden der Führung der drei sogenannten deutschen Großmächte, Oesterreich, Preußen, Eng- land-Hannover untergeben. Diese sieben vormaligen Kurfürsten bilden zusammen den Rath der Kreisobersten, der die executive Gewalt, die aus- wärtige Politik und das Kriegswesen in seine Hand nimmt; kein Bundes- staat darf selbständig mit dem Auslande unterhandeln. Der Kurfürsten- rath des alten Reichs, der selbst in der Rheinbundsverfassung als Rath der Könige fortbestanden hatte, sollte also mit erhöhter Macht wieder auf- leben. Stein wollte, wie alle preußischen Staatsmänner, so weit noch möglich zurückkehren auf den Rechtsboden, welchen die Fürstenrevolution von 1803 geschaffen hatte. Das Directorium im Rathe der Kreisobersten erhalten Oesterreich und Preußen gemeinschaftlich, dergestalt daß Oester- reich wie vor Alters den Vorsitz führt, Preußen aber das eigentliche Direc-
*) In wiederholten Eingaben des Fürsten von Hohenzollern-Hechingen an den Staatskanzler.
II. 1. Der Wiener Congreß.
für ihr geſammtes Gebiet eine ewige Allianz mit Deutſchland ſchließen. Dabei war als ſelbſtverſtändlich vorausgeſetzt, daß Oeſterreich ſeine ober- rheiniſchen Provinzen doch noch wieder übernehmen würde. Auch die Schweiz und die Niederlande beabſichtigte man zu einem ewigen Bündniß einzuladen. Tragiſche Ironie des Schickſals! Unmittelbar nachdem die Märker, Pommern, Preußen und Schleſier den anderen Deutſchen das Signal gegeben hatten für den Kampf der Befreiung, dachte unſer erſter Staatsmann alles Ernſtes dieſe Kernlande des neuen Deutſchlands vom Deutſchen Bunde auszuſchließen.
In dies Deutſchland links der Elbe und des Böhmerwaldes wollte Stein die Kreisverfaſſung des alten Reichs wieder einführen, damit die unbrauchbaren Contingente der kleinſten Staaten zu leiſtungsfähigen Maſſen zuſammengeballt würden. Daher ſieben Kreiſe, und wo möglich noch die Niederlande als achter burgundiſcher Kreis. Oeſterreich und Preußen übernehmen in je zwei Kreiſen, Baiern, Hannover, Württem- berg in je einem das Amt des Kreisoberſten, die militäriſche Führung und die Aufſicht über die Ausführung der Bundesgeſetze; die vormaligen Kurfürſten von Baden und Heſſen erhalten in je einem Kreiſe die Stelle des zweiten Kreisoberſten. Hier aber erhob ſich die peinliche Frage, ob man dem unſteten Ehrgeiz des Münchener und Stuttgarter Hofes eine verſtärkte Macht gewähren dürfe. Alle kleinen Nachbarn zitterten vor der gewaltthätigen Ländergier des Königs Friedrich; die Hechinger Regie- rung beſchwor die preußiſchen Staatsmänner beweglich*), doch ja dafür zu ſorgen, daß ihr Ländchen nicht gänzlich von württembergiſchem Gebiete umſchloſſen würde, ſondern durch badiſches Land hindurch einen freien Zugang zum Bodenſee erhielte. Deshalb ſchlug Stein vor, dem bairiſchen und ſchwäbiſchen Kreiſe ausſchließlich die Gebiete von Baiern und Würt- temberg zuzuweiſen; die ſämmtlichen Kleinſtaaten wurden der Führung der drei ſogenannten deutſchen Großmächte, Oeſterreich, Preußen, Eng- land-Hannover untergeben. Dieſe ſieben vormaligen Kurfürſten bilden zuſammen den Rath der Kreisoberſten, der die executive Gewalt, die aus- wärtige Politik und das Kriegsweſen in ſeine Hand nimmt; kein Bundes- ſtaat darf ſelbſtändig mit dem Auslande unterhandeln. Der Kurfürſten- rath des alten Reichs, der ſelbſt in der Rheinbundsverfaſſung als Rath der Könige fortbeſtanden hatte, ſollte alſo mit erhöhter Macht wieder auf- leben. Stein wollte, wie alle preußiſchen Staatsmänner, ſo weit noch möglich zurückkehren auf den Rechtsboden, welchen die Fürſtenrevolution von 1803 geſchaffen hatte. Das Directorium im Rathe der Kreisoberſten erhalten Oeſterreich und Preußen gemeinſchaftlich, dergeſtalt daß Oeſter- reich wie vor Alters den Vorſitz führt, Preußen aber das eigentliche Direc-
*) In wiederholten Eingaben des Fürſten von Hohenzollern-Hechingen an den Staatskanzler.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0696"n="680"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">II.</hi> 1. Der Wiener Congreß.</fw><lb/>
für ihr geſammtes Gebiet eine ewige Allianz mit Deutſchland ſchließen.<lb/>
Dabei war als ſelbſtverſtändlich vorausgeſetzt, daß Oeſterreich ſeine ober-<lb/>
rheiniſchen Provinzen doch noch wieder übernehmen würde. Auch die<lb/>
Schweiz und die Niederlande beabſichtigte man zu einem ewigen Bündniß<lb/>
einzuladen. Tragiſche Ironie des Schickſals! Unmittelbar nachdem die<lb/>
Märker, Pommern, Preußen und Schleſier den anderen Deutſchen das<lb/>
Signal gegeben hatten für den Kampf der Befreiung, dachte unſer erſter<lb/>
Staatsmann alles Ernſtes dieſe Kernlande des neuen Deutſchlands vom<lb/>
Deutſchen Bunde auszuſchließen.</p><lb/><p>In dies Deutſchland links der Elbe und des Böhmerwaldes wollte<lb/>
Stein die Kreisverfaſſung des alten Reichs wieder einführen, damit die<lb/>
unbrauchbaren Contingente der kleinſten Staaten zu leiſtungsfähigen<lb/>
Maſſen zuſammengeballt würden. Daher ſieben Kreiſe, und wo möglich<lb/>
noch die Niederlande als achter burgundiſcher Kreis. Oeſterreich und<lb/>
Preußen übernehmen in je zwei Kreiſen, Baiern, Hannover, Württem-<lb/>
berg in je einem das Amt des Kreisoberſten, die militäriſche Führung<lb/>
und die Aufſicht über die Ausführung der Bundesgeſetze; die vormaligen<lb/>
Kurfürſten von Baden und Heſſen erhalten in je einem Kreiſe die Stelle<lb/>
des zweiten Kreisoberſten. Hier aber erhob ſich die peinliche Frage, ob<lb/>
man dem unſteten Ehrgeiz des Münchener und Stuttgarter Hofes eine<lb/>
verſtärkte Macht gewähren dürfe. Alle kleinen Nachbarn zitterten vor<lb/>
der gewaltthätigen Ländergier des Königs Friedrich; die Hechinger Regie-<lb/>
rung beſchwor die preußiſchen Staatsmänner beweglich<noteplace="foot"n="*)">In wiederholten Eingaben des Fürſten von Hohenzollern-Hechingen an den<lb/>
Staatskanzler.</note>, doch ja dafür zu<lb/>ſorgen, daß ihr Ländchen nicht gänzlich von württembergiſchem Gebiete<lb/>
umſchloſſen würde, ſondern durch badiſches Land hindurch einen freien<lb/>
Zugang zum Bodenſee erhielte. Deshalb ſchlug Stein vor, dem bairiſchen<lb/>
und ſchwäbiſchen Kreiſe ausſchließlich die Gebiete von Baiern und Würt-<lb/>
temberg zuzuweiſen; die ſämmtlichen Kleinſtaaten wurden der Führung<lb/>
der drei ſogenannten deutſchen Großmächte, Oeſterreich, Preußen, Eng-<lb/>
land-Hannover untergeben. Dieſe ſieben vormaligen Kurfürſten bilden<lb/>
zuſammen den Rath der Kreisoberſten, der die executive Gewalt, die aus-<lb/>
wärtige Politik und das Kriegsweſen in ſeine Hand nimmt; kein Bundes-<lb/>ſtaat darf ſelbſtändig mit dem Auslande unterhandeln. Der Kurfürſten-<lb/>
rath des alten Reichs, der ſelbſt in der Rheinbundsverfaſſung als Rath<lb/>
der Könige fortbeſtanden hatte, ſollte alſo mit erhöhter Macht wieder auf-<lb/>
leben. Stein wollte, wie alle preußiſchen Staatsmänner, ſo weit noch<lb/>
möglich zurückkehren auf den Rechtsboden, welchen die Fürſtenrevolution<lb/>
von 1803 geſchaffen hatte. Das Directorium im Rathe der Kreisoberſten<lb/>
erhalten Oeſterreich und Preußen gemeinſchaftlich, dergeſtalt daß Oeſter-<lb/>
reich wie vor Alters den Vorſitz führt, Preußen aber das eigentliche Direc-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[680/0696]
II. 1. Der Wiener Congreß.
für ihr geſammtes Gebiet eine ewige Allianz mit Deutſchland ſchließen.
Dabei war als ſelbſtverſtändlich vorausgeſetzt, daß Oeſterreich ſeine ober-
rheiniſchen Provinzen doch noch wieder übernehmen würde. Auch die
Schweiz und die Niederlande beabſichtigte man zu einem ewigen Bündniß
einzuladen. Tragiſche Ironie des Schickſals! Unmittelbar nachdem die
Märker, Pommern, Preußen und Schleſier den anderen Deutſchen das
Signal gegeben hatten für den Kampf der Befreiung, dachte unſer erſter
Staatsmann alles Ernſtes dieſe Kernlande des neuen Deutſchlands vom
Deutſchen Bunde auszuſchließen.
In dies Deutſchland links der Elbe und des Böhmerwaldes wollte
Stein die Kreisverfaſſung des alten Reichs wieder einführen, damit die
unbrauchbaren Contingente der kleinſten Staaten zu leiſtungsfähigen
Maſſen zuſammengeballt würden. Daher ſieben Kreiſe, und wo möglich
noch die Niederlande als achter burgundiſcher Kreis. Oeſterreich und
Preußen übernehmen in je zwei Kreiſen, Baiern, Hannover, Württem-
berg in je einem das Amt des Kreisoberſten, die militäriſche Führung
und die Aufſicht über die Ausführung der Bundesgeſetze; die vormaligen
Kurfürſten von Baden und Heſſen erhalten in je einem Kreiſe die Stelle
des zweiten Kreisoberſten. Hier aber erhob ſich die peinliche Frage, ob
man dem unſteten Ehrgeiz des Münchener und Stuttgarter Hofes eine
verſtärkte Macht gewähren dürfe. Alle kleinen Nachbarn zitterten vor
der gewaltthätigen Ländergier des Königs Friedrich; die Hechinger Regie-
rung beſchwor die preußiſchen Staatsmänner beweglich *), doch ja dafür zu
ſorgen, daß ihr Ländchen nicht gänzlich von württembergiſchem Gebiete
umſchloſſen würde, ſondern durch badiſches Land hindurch einen freien
Zugang zum Bodenſee erhielte. Deshalb ſchlug Stein vor, dem bairiſchen
und ſchwäbiſchen Kreiſe ausſchließlich die Gebiete von Baiern und Würt-
temberg zuzuweiſen; die ſämmtlichen Kleinſtaaten wurden der Führung
der drei ſogenannten deutſchen Großmächte, Oeſterreich, Preußen, Eng-
land-Hannover untergeben. Dieſe ſieben vormaligen Kurfürſten bilden
zuſammen den Rath der Kreisoberſten, der die executive Gewalt, die aus-
wärtige Politik und das Kriegsweſen in ſeine Hand nimmt; kein Bundes-
ſtaat darf ſelbſtändig mit dem Auslande unterhandeln. Der Kurfürſten-
rath des alten Reichs, der ſelbſt in der Rheinbundsverfaſſung als Rath
der Könige fortbeſtanden hatte, ſollte alſo mit erhöhter Macht wieder auf-
leben. Stein wollte, wie alle preußiſchen Staatsmänner, ſo weit noch
möglich zurückkehren auf den Rechtsboden, welchen die Fürſtenrevolution
von 1803 geſchaffen hatte. Das Directorium im Rathe der Kreisoberſten
erhalten Oeſterreich und Preußen gemeinſchaftlich, dergeſtalt daß Oeſter-
reich wie vor Alters den Vorſitz führt, Preußen aber das eigentliche Direc-
*) In wiederholten Eingaben des Fürſten von Hohenzollern-Hechingen an den
Staatskanzler.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 680. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/696>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.