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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Vorverhandlungen zwischen Oesterreich und Preußen.
torium, die Geschäftsleitung übernimmt, wie einst Kurmainz "Mund und
Feder" des Regensburger Reichstags war. Die gesetzgebende Gewalt steht,
gemeinsam mit den Kreisobersten, dem Rathe der Fürsten und Stände
zu, der alle mindermächtigen Fürsten, die freien Städte und die Media-
tisirten umfaßt: jeder Stand, der ein Gebiet von mehr als 50,000 Köpfen
besitzt, erhält eine Stimme, gleichviel ob er noch Souverän heißt oder
nicht, die übrigen zusammen haben sechs Curiatstimmen.

Auf solche Weise wollte der Reichsritter den unglücklichen Opfern
des Staatsstreichs von 1806 gerecht werden ohne ihnen doch die Landes-
hoheit zurückzugeben. Er machte seine preußischen Freunde wiederholt darauf
aufmerksam, daß man die in ihrer Macht so ungleichen Mediatisirten
nicht alle auf gleichen Fuß behandeln dürfe*); da sei das Gesammthaus
Hohenlohe mit 106,000 Seelen, Fürstenberg mit 83,000 und so abwärts
bis zu den Aspremonts, die ein Völkergewimmel von 195 Köpfen be-
herrschten. Den besten Theil des Entwurfs bildeten die Abschnitte über
die Rechte der Nation: in jedem Bundesstaate sollen Landstände bestehen
mit dem Rechte der Steuerbewilligung, der Vertretung der Landesrechte,
der Mitwirkung bei der Gesetzgebung; jedem Deutschen wird die Sicher-
heit des Eigenthums gewährleistet, desgleichen Preßfreiheit, das Recht der
Beschwerde, das Recht in andere deutsche Staaten auszuwandern und sich
auf jeder deutschen Lehranstalt zu bilden.

Als Hardenberg am 13. September in Baden bei Wien diesen Plan
mit Metternich besprach, zeigte sich sogleich, daß Oesterreich einen so aus-
führlichen Entwurf nicht wünschte. Die Hofburg war, wie Gentz seinem
Karadja gestand, von vornherein gesonnen in Wien nur die allgemeinen
Grundzüge der Bundesverfassung festzustellen, alles Weitere dem Frank-
furter Bundestage zu überlassen; mehr als das schlechthin Unerläßliche
wollte sie den Souveränen nicht zumuthen. Sodann verlangte Metter-
nich, daß Oesterreich und Preußen mit allen ihren vormals "teutschen
Ländern" dem Bunde beiträten; nur die Wacht am Oberrhein wollte
Oesterreich durchaus nicht wieder übernehmen Hardenberg gab um so
leichter nach, da durch Oesterreichs Vorschlag der Rechtsboden von 1803
wiederhergestellt wurde. Mit Behagen erzählten die k. k. Diplomaten
ihren Vertrauten, daß nunmehr der Kaiserstaat in allen Kriegsfällen,
etwa die italienischen Händel ausgenommen, auf die Heeresfolge Deutsch-
lands rechnen könne; lägen doch irgendwo in Galizien zwei alte schlesische
Lehen, die sogenannten Herzogthümer Zator und Auschwitz, folglich sei
der Deutsche Bund auch zur Vertheidigung des österreichischen Polens
verpflichtet! Welche Provinzen der beiden Großmächte als teutsche Länder
zu betrachten seien, das hatte freilich in jener confusio divinitus ordi-
nata,
die sich römisches Reich nannte, Niemand zu sagen gewußt, und

*) Stein an Humboldt, 29. December 1814.

Vorverhandlungen zwiſchen Oeſterreich und Preußen.
torium, die Geſchäftsleitung übernimmt, wie einſt Kurmainz „Mund und
Feder“ des Regensburger Reichstags war. Die geſetzgebende Gewalt ſteht,
gemeinſam mit den Kreisoberſten, dem Rathe der Fürſten und Stände
zu, der alle mindermächtigen Fürſten, die freien Städte und die Media-
tiſirten umfaßt: jeder Stand, der ein Gebiet von mehr als 50,000 Köpfen
beſitzt, erhält eine Stimme, gleichviel ob er noch Souverän heißt oder
nicht, die übrigen zuſammen haben ſechs Curiatſtimmen.

Auf ſolche Weiſe wollte der Reichsritter den unglücklichen Opfern
des Staatsſtreichs von 1806 gerecht werden ohne ihnen doch die Landes-
hoheit zurückzugeben. Er machte ſeine preußiſchen Freunde wiederholt darauf
aufmerkſam, daß man die in ihrer Macht ſo ungleichen Mediatiſirten
nicht alle auf gleichen Fuß behandeln dürfe*); da ſei das Geſammthaus
Hohenlohe mit 106,000 Seelen, Fürſtenberg mit 83,000 und ſo abwärts
bis zu den Aspremonts, die ein Völkergewimmel von 195 Köpfen be-
herrſchten. Den beſten Theil des Entwurfs bildeten die Abſchnitte über
die Rechte der Nation: in jedem Bundesſtaate ſollen Landſtände beſtehen
mit dem Rechte der Steuerbewilligung, der Vertretung der Landesrechte,
der Mitwirkung bei der Geſetzgebung; jedem Deutſchen wird die Sicher-
heit des Eigenthums gewährleiſtet, desgleichen Preßfreiheit, das Recht der
Beſchwerde, das Recht in andere deutſche Staaten auszuwandern und ſich
auf jeder deutſchen Lehranſtalt zu bilden.

Als Hardenberg am 13. September in Baden bei Wien dieſen Plan
mit Metternich beſprach, zeigte ſich ſogleich, daß Oeſterreich einen ſo aus-
führlichen Entwurf nicht wünſchte. Die Hofburg war, wie Gentz ſeinem
Karadja geſtand, von vornherein geſonnen in Wien nur die allgemeinen
Grundzüge der Bundesverfaſſung feſtzuſtellen, alles Weitere dem Frank-
furter Bundestage zu überlaſſen; mehr als das ſchlechthin Unerläßliche
wollte ſie den Souveränen nicht zumuthen. Sodann verlangte Metter-
nich, daß Oeſterreich und Preußen mit allen ihren vormals „teutſchen
Ländern“ dem Bunde beiträten; nur die Wacht am Oberrhein wollte
Oeſterreich durchaus nicht wieder übernehmen Hardenberg gab um ſo
leichter nach, da durch Oeſterreichs Vorſchlag der Rechtsboden von 1803
wiederhergeſtellt wurde. Mit Behagen erzählten die k. k. Diplomaten
ihren Vertrauten, daß nunmehr der Kaiſerſtaat in allen Kriegsfällen,
etwa die italieniſchen Händel ausgenommen, auf die Heeresfolge Deutſch-
lands rechnen könne; lägen doch irgendwo in Galizien zwei alte ſchleſiſche
Lehen, die ſogenannten Herzogthümer Zator und Auſchwitz, folglich ſei
der Deutſche Bund auch zur Vertheidigung des öſterreichiſchen Polens
verpflichtet! Welche Provinzen der beiden Großmächte als teutſche Länder
zu betrachten ſeien, das hatte freilich in jener confusio divinitus ordi-
nata,
die ſich römiſches Reich nannte, Niemand zu ſagen gewußt, und

*) Stein an Humboldt, 29. December 1814.
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[681/0697] Vorverhandlungen zwiſchen Oeſterreich und Preußen. torium, die Geſchäftsleitung übernimmt, wie einſt Kurmainz „Mund und Feder“ des Regensburger Reichstags war. Die geſetzgebende Gewalt ſteht, gemeinſam mit den Kreisoberſten, dem Rathe der Fürſten und Stände zu, der alle mindermächtigen Fürſten, die freien Städte und die Media- tiſirten umfaßt: jeder Stand, der ein Gebiet von mehr als 50,000 Köpfen beſitzt, erhält eine Stimme, gleichviel ob er noch Souverän heißt oder nicht, die übrigen zuſammen haben ſechs Curiatſtimmen. Auf ſolche Weiſe wollte der Reichsritter den unglücklichen Opfern des Staatsſtreichs von 1806 gerecht werden ohne ihnen doch die Landes- hoheit zurückzugeben. Er machte ſeine preußiſchen Freunde wiederholt darauf aufmerkſam, daß man die in ihrer Macht ſo ungleichen Mediatiſirten nicht alle auf gleichen Fuß behandeln dürfe *); da ſei das Geſammthaus Hohenlohe mit 106,000 Seelen, Fürſtenberg mit 83,000 und ſo abwärts bis zu den Aspremonts, die ein Völkergewimmel von 195 Köpfen be- herrſchten. Den beſten Theil des Entwurfs bildeten die Abſchnitte über die Rechte der Nation: in jedem Bundesſtaate ſollen Landſtände beſtehen mit dem Rechte der Steuerbewilligung, der Vertretung der Landesrechte, der Mitwirkung bei der Geſetzgebung; jedem Deutſchen wird die Sicher- heit des Eigenthums gewährleiſtet, desgleichen Preßfreiheit, das Recht der Beſchwerde, das Recht in andere deutſche Staaten auszuwandern und ſich auf jeder deutſchen Lehranſtalt zu bilden. Als Hardenberg am 13. September in Baden bei Wien dieſen Plan mit Metternich beſprach, zeigte ſich ſogleich, daß Oeſterreich einen ſo aus- führlichen Entwurf nicht wünſchte. Die Hofburg war, wie Gentz ſeinem Karadja geſtand, von vornherein geſonnen in Wien nur die allgemeinen Grundzüge der Bundesverfaſſung feſtzuſtellen, alles Weitere dem Frank- furter Bundestage zu überlaſſen; mehr als das ſchlechthin Unerläßliche wollte ſie den Souveränen nicht zumuthen. Sodann verlangte Metter- nich, daß Oeſterreich und Preußen mit allen ihren vormals „teutſchen Ländern“ dem Bunde beiträten; nur die Wacht am Oberrhein wollte Oeſterreich durchaus nicht wieder übernehmen Hardenberg gab um ſo leichter nach, da durch Oeſterreichs Vorſchlag der Rechtsboden von 1803 wiederhergeſtellt wurde. Mit Behagen erzählten die k. k. Diplomaten ihren Vertrauten, daß nunmehr der Kaiſerſtaat in allen Kriegsfällen, etwa die italieniſchen Händel ausgenommen, auf die Heeresfolge Deutſch- lands rechnen könne; lägen doch irgendwo in Galizien zwei alte ſchleſiſche Lehen, die ſogenannten Herzogthümer Zator und Auſchwitz, folglich ſei der Deutſche Bund auch zur Vertheidigung des öſterreichiſchen Polens verpflichtet! Welche Provinzen der beiden Großmächte als teutſche Länder zu betrachten ſeien, das hatte freilich in jener confusio divinitus ordi- nata, die ſich römiſches Reich nannte, Niemand zu ſagen gewußt, und *) Stein an Humboldt, 29. December 1814.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 681. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/697>, abgerufen am 22.11.2024.