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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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II. 1. Der Wiener Congreß.
auch jetzt kam man darüber nicht ins Klare; die Frage ward erst vier
Jahre später, auf dem Papiere mindestens, entschieden. Sicher war nur,
daß mit dem Eintritt der Hauptmasse Cisleithaniens jede ernsthafte
Bundesverfassung unmöglich wurde, und eben dahin ging Metternichs
Absicht.

Endlich stellte der österreichische Minister seinem preußischen Freunde
eindringlich vor, wie schwerfällig das zweiköpfige Directorium sei; wie viel
einfacher, wenn Oesterreich, das doch nicht auf alle seine alten Kaiserrechte
verzichten könne, allein den Vorsitz übernähme; alle deutschen Geschäfte
würden ja doch im Voraus vertraulich zwischen den beiden führenden
Großmächten vereinbart werden; auch sei unter dem Präsidium "blos
eine formelle Leitung der Geschäfte zu verstehen". Hardenberg gab nach.
Ebenso blind wie er einst in den Anfängen seiner diplomatischen Lauf-
bahn an Frankreichs Freundschaft geglaubt hatte vertraute er jetzt auf
Oesterreich; er wollte die Möglichkeit eines Streites zwischen den beiden
Mächten nicht mehr zugeben und bemerkte nicht, welchen Vortheil in
solchem Falle das Recht des Vorsitzes bot.*) Nunmehr wurde der Ent-
wurf nach Oesterreichs Wünschen abgeschwächt und verkürzt, bis seine
41 Artikel zu zwölf zusammengeschrumpft waren. Diese zwölf Artikel
legten die beiden führenden Staaten am 14. October dem Fünfer-Aus-
schusse vor, der nach dem Beschlusse der europäischen Mächte über die
deutsche Verfassung berathen sollte. Das Schicksal des Deutschen Bundes
ward also allein in die Hände von Oesterreich, Preußen, England-Hanno-
ver, Baiern und Württemberg gegeben; den übrigen Staaten blieb nur
die nachträgliche Zustimmung vorbehalten.

Offenbar war dieser Versuch der Bildung einer deutschen Pentarchie
nur ein willkürlicher Nothbehelf der Verlegenheit; denn wollte man sich
an das historische Recht, an die alten Prärogativen des Kurfürstenrathes
halten, so durfte man die Kurhäuser Baden und Hessen nicht ausschließen.
Um die Willkür zu beschönigen berief sich Metternich auf jene Clausel der
Accessionsverträge, welche die Kleinstaaten von Baden abwärts verpflichtete
sich den Anforderungen der künftigen Bundesverfassung zu fügen; aber
durch diese Zusage war das Recht der Mitberathung keineswegs aus-
geschlossen. Der wirkliche Beweggrund für das eigenmächtige Vorgehen

*) Man hat oft behauptet, Metternich habe dem Staatskanzler mündlich die Thei-
lung des Präsidiums für die Zukunft versprochen. Aber nicht nur ist für diese sonder-
bare Vermuthung niemals irgend ein Beweis erbracht worden, sondern es liegen auch
Actenstücke vor, welche zu dem entgegengesetzten Schlusse zwingen. Im Jahre 1816
nämlich, unmittelbar vor Eröffnung des Bundestages, machte der Bundesgesandte von
Hänlein auf eigene Hand den vergeblichen Versuch, nachträglich noch für Preußen einen
Antheil am Präsidium zu erlangen. Es entspann sich darüber zwischen ihm und Har-
denberg ein langer Briefwechsel, und in diesen sämmtlichen vertrauten Briefen, worin
alle die Forderung Hänleins unterstützenden Gründe ausführlich erörtert werden, ge-
schieht einer österreichischen Zusage nirgends Erwähnung.

II. 1. Der Wiener Congreß.
auch jetzt kam man darüber nicht ins Klare; die Frage ward erſt vier
Jahre ſpäter, auf dem Papiere mindeſtens, entſchieden. Sicher war nur,
daß mit dem Eintritt der Hauptmaſſe Cisleithaniens jede ernſthafte
Bundesverfaſſung unmöglich wurde, und eben dahin ging Metternichs
Abſicht.

Endlich ſtellte der öſterreichiſche Miniſter ſeinem preußiſchen Freunde
eindringlich vor, wie ſchwerfällig das zweiköpfige Directorium ſei; wie viel
einfacher, wenn Oeſterreich, das doch nicht auf alle ſeine alten Kaiſerrechte
verzichten könne, allein den Vorſitz übernähme; alle deutſchen Geſchäfte
würden ja doch im Voraus vertraulich zwiſchen den beiden führenden
Großmächten vereinbart werden; auch ſei unter dem Präſidium „blos
eine formelle Leitung der Geſchäfte zu verſtehen“. Hardenberg gab nach.
Ebenſo blind wie er einſt in den Anfängen ſeiner diplomatiſchen Lauf-
bahn an Frankreichs Freundſchaft geglaubt hatte vertraute er jetzt auf
Oeſterreich; er wollte die Möglichkeit eines Streites zwiſchen den beiden
Mächten nicht mehr zugeben und bemerkte nicht, welchen Vortheil in
ſolchem Falle das Recht des Vorſitzes bot.*) Nunmehr wurde der Ent-
wurf nach Oeſterreichs Wünſchen abgeſchwächt und verkürzt, bis ſeine
41 Artikel zu zwölf zuſammengeſchrumpft waren. Dieſe zwölf Artikel
legten die beiden führenden Staaten am 14. October dem Fünfer-Aus-
ſchuſſe vor, der nach dem Beſchluſſe der europäiſchen Mächte über die
deutſche Verfaſſung berathen ſollte. Das Schickſal des Deutſchen Bundes
ward alſo allein in die Hände von Oeſterreich, Preußen, England-Hanno-
ver, Baiern und Württemberg gegeben; den übrigen Staaten blieb nur
die nachträgliche Zuſtimmung vorbehalten.

Offenbar war dieſer Verſuch der Bildung einer deutſchen Pentarchie
nur ein willkürlicher Nothbehelf der Verlegenheit; denn wollte man ſich
an das hiſtoriſche Recht, an die alten Prärogativen des Kurfürſtenrathes
halten, ſo durfte man die Kurhäuſer Baden und Heſſen nicht ausſchließen.
Um die Willkür zu beſchönigen berief ſich Metternich auf jene Clauſel der
Acceſſionsverträge, welche die Kleinſtaaten von Baden abwärts verpflichtete
ſich den Anforderungen der künftigen Bundesverfaſſung zu fügen; aber
durch dieſe Zuſage war das Recht der Mitberathung keineswegs aus-
geſchloſſen. Der wirkliche Beweggrund für das eigenmächtige Vorgehen

*) Man hat oft behauptet, Metternich habe dem Staatskanzler mündlich die Thei-
lung des Präſidiums für die Zukunft verſprochen. Aber nicht nur iſt für dieſe ſonder-
bare Vermuthung niemals irgend ein Beweis erbracht worden, ſondern es liegen auch
Actenſtücke vor, welche zu dem entgegengeſetzten Schluſſe zwingen. Im Jahre 1816
nämlich, unmittelbar vor Eröffnung des Bundestages, machte der Bundesgeſandte von
Hänlein auf eigene Hand den vergeblichen Verſuch, nachträglich noch für Preußen einen
Antheil am Präſidium zu erlangen. Es entſpann ſich darüber zwiſchen ihm und Har-
denberg ein langer Briefwechſel, und in dieſen ſämmtlichen vertrauten Briefen, worin
alle die Forderung Hänleins unterſtützenden Gründe ausführlich erörtert werden, ge-
ſchieht einer öſterreichiſchen Zuſage nirgends Erwähnung.
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[682/0698] II. 1. Der Wiener Congreß. auch jetzt kam man darüber nicht ins Klare; die Frage ward erſt vier Jahre ſpäter, auf dem Papiere mindeſtens, entſchieden. Sicher war nur, daß mit dem Eintritt der Hauptmaſſe Cisleithaniens jede ernſthafte Bundesverfaſſung unmöglich wurde, und eben dahin ging Metternichs Abſicht. Endlich ſtellte der öſterreichiſche Miniſter ſeinem preußiſchen Freunde eindringlich vor, wie ſchwerfällig das zweiköpfige Directorium ſei; wie viel einfacher, wenn Oeſterreich, das doch nicht auf alle ſeine alten Kaiſerrechte verzichten könne, allein den Vorſitz übernähme; alle deutſchen Geſchäfte würden ja doch im Voraus vertraulich zwiſchen den beiden führenden Großmächten vereinbart werden; auch ſei unter dem Präſidium „blos eine formelle Leitung der Geſchäfte zu verſtehen“. Hardenberg gab nach. Ebenſo blind wie er einſt in den Anfängen ſeiner diplomatiſchen Lauf- bahn an Frankreichs Freundſchaft geglaubt hatte vertraute er jetzt auf Oeſterreich; er wollte die Möglichkeit eines Streites zwiſchen den beiden Mächten nicht mehr zugeben und bemerkte nicht, welchen Vortheil in ſolchem Falle das Recht des Vorſitzes bot. *) Nunmehr wurde der Ent- wurf nach Oeſterreichs Wünſchen abgeſchwächt und verkürzt, bis ſeine 41 Artikel zu zwölf zuſammengeſchrumpft waren. Dieſe zwölf Artikel legten die beiden führenden Staaten am 14. October dem Fünfer-Aus- ſchuſſe vor, der nach dem Beſchluſſe der europäiſchen Mächte über die deutſche Verfaſſung berathen ſollte. Das Schickſal des Deutſchen Bundes ward alſo allein in die Hände von Oeſterreich, Preußen, England-Hanno- ver, Baiern und Württemberg gegeben; den übrigen Staaten blieb nur die nachträgliche Zuſtimmung vorbehalten. Offenbar war dieſer Verſuch der Bildung einer deutſchen Pentarchie nur ein willkürlicher Nothbehelf der Verlegenheit; denn wollte man ſich an das hiſtoriſche Recht, an die alten Prärogativen des Kurfürſtenrathes halten, ſo durfte man die Kurhäuſer Baden und Heſſen nicht ausſchließen. Um die Willkür zu beſchönigen berief ſich Metternich auf jene Clauſel der Acceſſionsverträge, welche die Kleinſtaaten von Baden abwärts verpflichtete ſich den Anforderungen der künftigen Bundesverfaſſung zu fügen; aber durch dieſe Zuſage war das Recht der Mitberathung keineswegs aus- geſchloſſen. Der wirkliche Beweggrund für das eigenmächtige Vorgehen *) Man hat oft behauptet, Metternich habe dem Staatskanzler mündlich die Thei- lung des Präſidiums für die Zukunft verſprochen. Aber nicht nur iſt für dieſe ſonder- bare Vermuthung niemals irgend ein Beweis erbracht worden, ſondern es liegen auch Actenſtücke vor, welche zu dem entgegengeſetzten Schluſſe zwingen. Im Jahre 1816 nämlich, unmittelbar vor Eröffnung des Bundestages, machte der Bundesgeſandte von Hänlein auf eigene Hand den vergeblichen Verſuch, nachträglich noch für Preußen einen Antheil am Präſidium zu erlangen. Es entſpann ſich darüber zwiſchen ihm und Har- denberg ein langer Briefwechſel, und in dieſen ſämmtlichen vertrauten Briefen, worin alle die Forderung Hänleins unterſtützenden Gründe ausführlich erörtert werden, ge- ſchieht einer öſterreichiſchen Zuſage nirgends Erwähnung.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 682. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/698>, abgerufen am 09.11.2024.