Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.II. 1. Der Wiener Congreß. über; sie hofften, jedes für sich, durch ein Concordat mit Rom Landesbis-thümer zu gründen und den Deutschen Bund hier wie überall ganz aus dem Spiele zu lassen. Die Preußen endlich zeigten sich auch in dieser Frage, wie durchweg in den Wiener Bundesverhandlungen, gerecht, freisinnig, national; sie forderten, daß der Bund der katholischen Kirche eine für ganz Deutsch- land gemeinsame Verfassung gebe, aber auch den evangelischen Landeskirchen ihre alten Rechte gewährleiste. So wogten die Ansichten durch einander. Nur in Einem stimmten Alle ohne Ausnahme überein: in der Meinung nämlich, daß Oesterreich sich selbst überlassen, außerhalb der neuen Ord- nung unseres kirchlichen Lebens bleiben müsse. Sobald man an irgend eine praktische Frage herantrat, ergab sich immer wieder, daß Oesterreich nicht zu uns gehörte. Daher konnte denn der von der liberalen Welt gefeierte Heinrich Wessenberg in Wien bei seinem Bruder, dem k. k. Ge- heimen Rath wohnen und sich sogar in den Kreisen der Hofburg einiger Gunst erfreuen: was er erstrebte galt ja nur für die Länder draußen im Reich, ließ die kaiserlichen Erblande unberührt. Zahllose Conferenzen waren schon wegen dieser Kirchensachen gehalten worden, zu hohen Thür- men hatte sich das Schreibwerk der Petitionen und Entwürfe aufgestapelt; da gelang es doch endlich, vermuthlich durch Wessenbergs älteren Bruder, in den letzten österreichischen Bundesentwurf einen Artikel einzuschalten, welcher der katholischen Kirche eine gemeinsame Verfassung, den Evange- lischen die Aufrechterhaltung ihrer alten Rechte verhieß. Die Mehrheit stimmte zu. Aber Baiern widersprach, und mit solchem Eifer, daß Hein- rich Wessenberg alle Hoffnung aufgab. Am 3. Juni schrieb er dem Staatskanzler*): da "die Kirchensachen in Deutschland noch immer in einem beispiellosen Zustande von Verlassenheit sich befänden" und der Congreß sich mit den Einzelheiten nicht habe beschäftigen können, so er- laube er sich vorzuschlagen, daß die betheiligten Souveräne, die Fürsten mit katholischen Unterthanen, binnen zwei Monaten Abgeordnete nach Frankfurt senden möchten. Dort in Frankfurt, auf freien Conferenzen, welche dem bairischen Dünkel doch unmöglich gefährlich erscheinen konnten, dachte der Unermüdliche seine Nationalkirche doch noch durchzusetzen. Mittlerweile war selbst Oesterreich zu der Einsicht gelangt, daß man *) Wessenbergs Denkschrift an Hardenberg, 3. Juni 1815.
II. 1. Der Wiener Congreß. über; ſie hofften, jedes für ſich, durch ein Concordat mit Rom Landesbis-thümer zu gründen und den Deutſchen Bund hier wie überall ganz aus dem Spiele zu laſſen. Die Preußen endlich zeigten ſich auch in dieſer Frage, wie durchweg in den Wiener Bundesverhandlungen, gerecht, freiſinnig, national; ſie forderten, daß der Bund der katholiſchen Kirche eine für ganz Deutſch- land gemeinſame Verfaſſung gebe, aber auch den evangeliſchen Landeskirchen ihre alten Rechte gewährleiſte. So wogten die Anſichten durch einander. Nur in Einem ſtimmten Alle ohne Ausnahme überein: in der Meinung nämlich, daß Oeſterreich ſich ſelbſt überlaſſen, außerhalb der neuen Ord- nung unſeres kirchlichen Lebens bleiben müſſe. Sobald man an irgend eine praktiſche Frage herantrat, ergab ſich immer wieder, daß Oeſterreich nicht zu uns gehörte. Daher konnte denn der von der liberalen Welt gefeierte Heinrich Weſſenberg in Wien bei ſeinem Bruder, dem k. k. Ge- heimen Rath wohnen und ſich ſogar in den Kreiſen der Hofburg einiger Gunſt erfreuen: was er erſtrebte galt ja nur für die Länder draußen im Reich, ließ die kaiſerlichen Erblande unberührt. Zahlloſe Conferenzen waren ſchon wegen dieſer Kirchenſachen gehalten worden, zu hohen Thür- men hatte ſich das Schreibwerk der Petitionen und Entwürfe aufgeſtapelt; da gelang es doch endlich, vermuthlich durch Weſſenbergs älteren Bruder, in den letzten öſterreichiſchen Bundesentwurf einen Artikel einzuſchalten, welcher der katholiſchen Kirche eine gemeinſame Verfaſſung, den Evange- liſchen die Aufrechterhaltung ihrer alten Rechte verhieß. Die Mehrheit ſtimmte zu. Aber Baiern widerſprach, und mit ſolchem Eifer, daß Hein- rich Weſſenberg alle Hoffnung aufgab. Am 3. Juni ſchrieb er dem Staatskanzler*): da „die Kirchenſachen in Deutſchland noch immer in einem beiſpielloſen Zuſtande von Verlaſſenheit ſich befänden“ und der Congreß ſich mit den Einzelheiten nicht habe beſchäftigen können, ſo er- laube er ſich vorzuſchlagen, daß die betheiligten Souveräne, die Fürſten mit katholiſchen Unterthanen, binnen zwei Monaten Abgeordnete nach Frankfurt ſenden möchten. Dort in Frankfurt, auf freien Conferenzen, welche dem bairiſchen Dünkel doch unmöglich gefährlich erſcheinen konnten, dachte der Unermüdliche ſeine Nationalkirche doch noch durchzuſetzen. Mittlerweile war ſelbſt Oeſterreich zu der Einſicht gelangt, daß man *) Weſſenbergs Denkſchrift an Hardenberg, 3. Juni 1815.
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II. 1. Der Wiener Congreß.
über; ſie hofften, jedes für ſich, durch ein Concordat mit Rom Landesbis-
thümer zu gründen und den Deutſchen Bund hier wie überall ganz aus dem
Spiele zu laſſen. Die Preußen endlich zeigten ſich auch in dieſer Frage, wie
durchweg in den Wiener Bundesverhandlungen, gerecht, freiſinnig, national;
ſie forderten, daß der Bund der katholiſchen Kirche eine für ganz Deutſch-
land gemeinſame Verfaſſung gebe, aber auch den evangeliſchen Landeskirchen
ihre alten Rechte gewährleiſte. So wogten die Anſichten durch einander.
Nur in Einem ſtimmten Alle ohne Ausnahme überein: in der Meinung
nämlich, daß Oeſterreich ſich ſelbſt überlaſſen, außerhalb der neuen Ord-
nung unſeres kirchlichen Lebens bleiben müſſe. Sobald man an irgend
eine praktiſche Frage herantrat, ergab ſich immer wieder, daß Oeſterreich
nicht zu uns gehörte. Daher konnte denn der von der liberalen Welt
gefeierte Heinrich Weſſenberg in Wien bei ſeinem Bruder, dem k. k. Ge-
heimen Rath wohnen und ſich ſogar in den Kreiſen der Hofburg einiger
Gunſt erfreuen: was er erſtrebte galt ja nur für die Länder draußen im
Reich, ließ die kaiſerlichen Erblande unberührt. Zahlloſe Conferenzen
waren ſchon wegen dieſer Kirchenſachen gehalten worden, zu hohen Thür-
men hatte ſich das Schreibwerk der Petitionen und Entwürfe aufgeſtapelt;
da gelang es doch endlich, vermuthlich durch Weſſenbergs älteren Bruder,
in den letzten öſterreichiſchen Bundesentwurf einen Artikel einzuſchalten,
welcher der katholiſchen Kirche eine gemeinſame Verfaſſung, den Evange-
liſchen die Aufrechterhaltung ihrer alten Rechte verhieß. Die Mehrheit
ſtimmte zu. Aber Baiern widerſprach, und mit ſolchem Eifer, daß Hein-
rich Weſſenberg alle Hoffnung aufgab. Am 3. Juni ſchrieb er dem
Staatskanzler *): da „die Kirchenſachen in Deutſchland noch immer in
einem beiſpielloſen Zuſtande von Verlaſſenheit ſich befänden“ und der
Congreß ſich mit den Einzelheiten nicht habe beſchäftigen können, ſo er-
laube er ſich vorzuſchlagen, daß die betheiligten Souveräne, die Fürſten
mit katholiſchen Unterthanen, binnen zwei Monaten Abgeordnete nach
Frankfurt ſenden möchten. Dort in Frankfurt, auf freien Conferenzen,
welche dem bairiſchen Dünkel doch unmöglich gefährlich erſcheinen konnten,
dachte der Unermüdliche ſeine Nationalkirche doch noch durchzuſetzen.
Mittlerweile war ſelbſt Oeſterreich zu der Einſicht gelangt, daß man
ein Ende machen mußte. Gingen die Verhandlungen ſo weiter, ſo konnte
zuletzt ſogar von dem öſterreichiſchen Entwurfe nichts mehr übrig bleiben.
Metternich eröffnete alſo der Conferenz am 5. Juni — was er ſchon
mehrmals angekündigt, aber aus Rückſicht auf die Gefühle der Rhein-
bundshöfe noch nicht ausgeführt hatte —: die Bundesacte habe nunmehr
eine Faſſung erhalten, welche der Anſicht der meiſten Höfe zu entſprechen
ſcheine; er erkläre hiermit Oeſterreichs Beitritt zum Deutſchen Bunde,
auf Grund der beſchloſſenen Verfaſſungs-Grundzüge, und bitte die anderen
*) Weſſenbergs Denkſchrift an Hardenberg, 3. Juni 1815.
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