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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Sachsen und das liberum veto.
Redensart abgefertigt waren, wendete sich der Uebermuth der napoleoni-
schen Könige gegen die Mediatisirten. Vergeblich versuchte Preußen den
Entthronten einige Curiatstimmen zu sichern; die Mittelstaaten setzten
durch, daß diese Frage an den Bundestag verwiesen wurde, und nach
Allem was man hier vor Augen sah wußte bereits Jedermann was eine
solche Vertröstung bedeutete. Noch schlimmer erging es den Juden. Der
ursprüngliche Entwurf hatte ihnen "die denselben in den einzelnen Bun-
desstaaten bereits eingeräumten Rechte" zugesichert. An die Stelle dieses
bedeutungsvollen "in" setzte man ein "von". Durch diese drei Buchstaben
erhielten Hannover und Kurhessen freie Hand die Gesetze des Königreichs
Westphalen aufzuheben und den Juden-Leibzoll wieder einzuführen; die
Frankfurter Juden gingen der Emancipation verlustig, welche sie sich so-
eben erst mit schwerem Gelde von dem Fürsten-Primas Dalberg erkauft
hatten.

Auch die Hoffnung auf eine nationale Neugestaltung der katholischen
Kirche Deutschlands schwand mehr und mehr. Wie war doch die deutsche
Hierarchie zugerichtet worden durch die Secularisationen und die zahllosen
anderen Gewaltthaten des napoleonischen Zeitalters. Und wie tief war
ihre politische Machtstellung gesunken: statt jener Wolke geistlicher Fürsten
saßen jetzt im hohen Rathe des Deutschen Bundes nur noch sechs katho-
lische Souveräne, Oesterreich, Baiern, Sachsen, zwei Hohenzollern und
Lichtenstein. Beide Parteien des deutschen Clerus bestürmten die Staats-
männer mit ihren Eingaben. Cardinal Consalvi und die Oratoren for-
derten Herstellung des alten Besitzes und wo möglich auch der alten
politischen Macht der Kirche, jedenfalls Theilnahme kirchlicher Vertreter
an den Verhandlungen über den Bund und Wiederbesetzung der ver-
waisten Bisthümer durch den Papst. Heinrich Wessenberg andererseits
führte den Plan einer deutschen Nationalkirche unter der Leitung eines
Fürsten-Primas wiederholt in wortreichen Denkschriften aus und blieb doch
dabei, nach Priesterart, den Protestanten gegenüber ultramontan; eine
Anerkennung der Rechte der Evangelischen von Bundeswegen schien ihm
wenig wünschenswerth. Beide Parteien bekämpften einander leidenschaft-
lich. Wessenberg war den Oratoren kaum mehr als ein Ketzer. Graf
Spiegel aber, auch ein vornehmer feingebildeter Kirchenfürst der alten
Zeit, warnte die preußischen Staatsmänner dringend vor den Denkschriften
der Oratoren: "es weht darin ein rein ultramontanischer Geist, eine
Größe ganz im Gegensatze mit dem auf immer ehrwürdigen Wahrheits-
sinne, der die Väter auf den Concilien zu Constanz und Basel beseelte."
Er wünschte zwar Herstellung der katholischen Kirche, aber auch ihre
Weiterbildung "durch liberale Regierungen".*)

Baiern und Württemberg standen beiden Theilen gleich feindlich gegen-

*) Spiegel an Humboldt, 2. Decbr. 1814.

Sachſen und das liberum veto.
Redensart abgefertigt waren, wendete ſich der Uebermuth der napoleoni-
ſchen Könige gegen die Mediatiſirten. Vergeblich verſuchte Preußen den
Entthronten einige Curiatſtimmen zu ſichern; die Mittelſtaaten ſetzten
durch, daß dieſe Frage an den Bundestag verwieſen wurde, und nach
Allem was man hier vor Augen ſah wußte bereits Jedermann was eine
ſolche Vertröſtung bedeutete. Noch ſchlimmer erging es den Juden. Der
urſprüngliche Entwurf hatte ihnen „die denſelben in den einzelnen Bun-
desſtaaten bereits eingeräumten Rechte“ zugeſichert. An die Stelle dieſes
bedeutungsvollen „in“ ſetzte man ein „von“. Durch dieſe drei Buchſtaben
erhielten Hannover und Kurheſſen freie Hand die Geſetze des Königreichs
Weſtphalen aufzuheben und den Juden-Leibzoll wieder einzuführen; die
Frankfurter Juden gingen der Emancipation verluſtig, welche ſie ſich ſo-
eben erſt mit ſchwerem Gelde von dem Fürſten-Primas Dalberg erkauft
hatten.

Auch die Hoffnung auf eine nationale Neugeſtaltung der katholiſchen
Kirche Deutſchlands ſchwand mehr und mehr. Wie war doch die deutſche
Hierarchie zugerichtet worden durch die Seculariſationen und die zahlloſen
anderen Gewaltthaten des napoleoniſchen Zeitalters. Und wie tief war
ihre politiſche Machtſtellung geſunken: ſtatt jener Wolke geiſtlicher Fürſten
ſaßen jetzt im hohen Rathe des Deutſchen Bundes nur noch ſechs katho-
liſche Souveräne, Oeſterreich, Baiern, Sachſen, zwei Hohenzollern und
Lichtenſtein. Beide Parteien des deutſchen Clerus beſtürmten die Staats-
männer mit ihren Eingaben. Cardinal Conſalvi und die Oratoren for-
derten Herſtellung des alten Beſitzes und wo möglich auch der alten
politiſchen Macht der Kirche, jedenfalls Theilnahme kirchlicher Vertreter
an den Verhandlungen über den Bund und Wiederbeſetzung der ver-
waiſten Bisthümer durch den Papſt. Heinrich Weſſenberg andererſeits
führte den Plan einer deutſchen Nationalkirche unter der Leitung eines
Fürſten-Primas wiederholt in wortreichen Denkſchriften aus und blieb doch
dabei, nach Prieſterart, den Proteſtanten gegenüber ultramontan; eine
Anerkennung der Rechte der Evangeliſchen von Bundeswegen ſchien ihm
wenig wünſchenswerth. Beide Parteien bekämpften einander leidenſchaft-
lich. Weſſenberg war den Oratoren kaum mehr als ein Ketzer. Graf
Spiegel aber, auch ein vornehmer feingebildeter Kirchenfürſt der alten
Zeit, warnte die preußiſchen Staatsmänner dringend vor den Denkſchriften
der Oratoren: „es weht darin ein rein ultramontaniſcher Geiſt, eine
Größe ganz im Gegenſatze mit dem auf immer ehrwürdigen Wahrheits-
ſinne, der die Väter auf den Concilien zu Conſtanz und Baſel beſeelte.“
Er wünſchte zwar Herſtellung der katholiſchen Kirche, aber auch ihre
Weiterbildung „durch liberale Regierungen“.*)

Baiern und Württemberg ſtanden beiden Theilen gleich feindlich gegen-

*) Spiegel an Humboldt, 2. Decbr. 1814.
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[701/0717] Sachſen und das liberum veto. Redensart abgefertigt waren, wendete ſich der Uebermuth der napoleoni- ſchen Könige gegen die Mediatiſirten. Vergeblich verſuchte Preußen den Entthronten einige Curiatſtimmen zu ſichern; die Mittelſtaaten ſetzten durch, daß dieſe Frage an den Bundestag verwieſen wurde, und nach Allem was man hier vor Augen ſah wußte bereits Jedermann was eine ſolche Vertröſtung bedeutete. Noch ſchlimmer erging es den Juden. Der urſprüngliche Entwurf hatte ihnen „die denſelben in den einzelnen Bun- desſtaaten bereits eingeräumten Rechte“ zugeſichert. An die Stelle dieſes bedeutungsvollen „in“ ſetzte man ein „von“. Durch dieſe drei Buchſtaben erhielten Hannover und Kurheſſen freie Hand die Geſetze des Königreichs Weſtphalen aufzuheben und den Juden-Leibzoll wieder einzuführen; die Frankfurter Juden gingen der Emancipation verluſtig, welche ſie ſich ſo- eben erſt mit ſchwerem Gelde von dem Fürſten-Primas Dalberg erkauft hatten. Auch die Hoffnung auf eine nationale Neugeſtaltung der katholiſchen Kirche Deutſchlands ſchwand mehr und mehr. Wie war doch die deutſche Hierarchie zugerichtet worden durch die Seculariſationen und die zahlloſen anderen Gewaltthaten des napoleoniſchen Zeitalters. Und wie tief war ihre politiſche Machtſtellung geſunken: ſtatt jener Wolke geiſtlicher Fürſten ſaßen jetzt im hohen Rathe des Deutſchen Bundes nur noch ſechs katho- liſche Souveräne, Oeſterreich, Baiern, Sachſen, zwei Hohenzollern und Lichtenſtein. Beide Parteien des deutſchen Clerus beſtürmten die Staats- männer mit ihren Eingaben. Cardinal Conſalvi und die Oratoren for- derten Herſtellung des alten Beſitzes und wo möglich auch der alten politiſchen Macht der Kirche, jedenfalls Theilnahme kirchlicher Vertreter an den Verhandlungen über den Bund und Wiederbeſetzung der ver- waiſten Bisthümer durch den Papſt. Heinrich Weſſenberg andererſeits führte den Plan einer deutſchen Nationalkirche unter der Leitung eines Fürſten-Primas wiederholt in wortreichen Denkſchriften aus und blieb doch dabei, nach Prieſterart, den Proteſtanten gegenüber ultramontan; eine Anerkennung der Rechte der Evangeliſchen von Bundeswegen ſchien ihm wenig wünſchenswerth. Beide Parteien bekämpften einander leidenſchaft- lich. Weſſenberg war den Oratoren kaum mehr als ein Ketzer. Graf Spiegel aber, auch ein vornehmer feingebildeter Kirchenfürſt der alten Zeit, warnte die preußiſchen Staatsmänner dringend vor den Denkſchriften der Oratoren: „es weht darin ein rein ultramontaniſcher Geiſt, eine Größe ganz im Gegenſatze mit dem auf immer ehrwürdigen Wahrheits- ſinne, der die Väter auf den Concilien zu Conſtanz und Baſel beſeelte.“ Er wünſchte zwar Herſtellung der katholiſchen Kirche, aber auch ihre Weiterbildung „durch liberale Regierungen“. *) Baiern und Württemberg ſtanden beiden Theilen gleich feindlich gegen- *) Spiegel an Humboldt, 2. Decbr. 1814.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 701. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/717>, abgerufen am 22.11.2024.