I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
reichte noch nicht aus, den tapferen Widerstand der Königin von Ungarn gänzlich zu brechen. Der zweite schlesische Krieg endete trotz der Triumphe von Hohenfriedberg und Kesselsdorf mit der Wiederherstellung des öster- reichischen Kaiserthums. Das Reich verblieb in seiner verfassungslosen Zerrüttung, Franz von Lothringen bestieg den Kaiserthron nach dem Tode Karls VII., und von Neuem schloß sich der alte Bund zwischen Oesterreich und der katholischen Reichstagsmehrheit.
Die Lösung des deutschen Dualismus war mißlungen; schroffer, feindseliger denn je zuvor gingen die Parteien im Reiche auseinander. Gleichwohl blieb dem Könige ein dauernder Gewinn gesichert: die Groß- machtstellung Preußens. Er hatte Baiern vom Untergange gerettet, die Macht seines eigenen Landes um mehr als ein Drittel verstärkt, die lange Kette habsburgisch-wettinischer Gebiete, welche den preußischen Staat im Süden und Osten umschloß, mit einem kühnen Stoße zersprengt, das stolze Kaiserhaus zum ersten male vor einem Reichsfürsten tief gedemüthigt. Er dankte alle seine Siege allein der eigenen Kraft und trat den alten Mächten mit so festem Stolze entgegen, daß selbst Horatio Walpole gestehen mußte, dieser Preußenkönig halte jetzt die Wage des europäischen Gleichgewichts in seinen Händen. Sachsen, Baiern, Hannover, alle die Mittelstaaten, welche soeben noch mit der Krone Preußen gewetteifert, wurden durch die schlesischen Kriege für immer in die zweite Reihe zurückgeworfen, und hoch über den zahllosen kleinen Gegensätzen, die das Reich zerklüfteten, erhob sich die eine Frage: Preußen oder Oesterreich? Die Frage der deutschen Zukunft war gestellt. Der König blickte jetzt aus freier Höhe auf das Gewimmel der deutschen Reichsstände hernieder, gab auf beleidigende Zumuthungen gern die spöttische Antwort, ob man ihn etwa für einen Herzog von Gotha oder für einen rheinischen Fürsten halte; er spielte bereits, den kleinen Nachbarn gegenüber, die Rolle des wohlmeinenden Gönners und Beschützers, die er in seinem Anti-Machiavell als die schöne Pflicht des Starken bezeichnet hatte, und schon sammelte sich am Reichstage eine kleine preußische Partei, die norddeutschen Höfe begannen ihre Prinzen im Heere des Königs dienen zu lassen.
Unterdessen verwuchs die neue Erwerbung überraschend schnell mit der Monarchie; der Staat erprobte zum ersten male auf einem weiten Gebiete jene starke Anziehungs- und Anbildungskraft, die er seitdem in deutschen und halbdeutschen Landen überall bewährt hat. Die frischen Kräfte der modernen Welt hielten ihren Einzug in die verwahrloste, unter ständischem und geistlichem Drucke darniedergehaltene Provinz; das monarchische Beamtenthum verdrängte die Adelsherrschaft, das strenge Recht den Nepotismus, die Glaubensfreiheit den Gewissenszwang, das deutsche Schulwesen den tiefen Seelenschlaf pfäffischer Bildung; der träge knechtische Bauer lernte wieder auf ein Morgen zu hoffen, und sein König erbot ihm dem Beamten knieend den Rock zu küssen.
I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
reichte noch nicht aus, den tapferen Widerſtand der Königin von Ungarn gänzlich zu brechen. Der zweite ſchleſiſche Krieg endete trotz der Triumphe von Hohenfriedberg und Keſſelsdorf mit der Wiederherſtellung des öſter- reichiſchen Kaiſerthums. Das Reich verblieb in ſeiner verfaſſungsloſen Zerrüttung, Franz von Lothringen beſtieg den Kaiſerthron nach dem Tode Karls VII., und von Neuem ſchloß ſich der alte Bund zwiſchen Oeſterreich und der katholiſchen Reichstagsmehrheit.
Die Löſung des deutſchen Dualismus war mißlungen; ſchroffer, feindſeliger denn je zuvor gingen die Parteien im Reiche auseinander. Gleichwohl blieb dem Könige ein dauernder Gewinn geſichert: die Groß- machtſtellung Preußens. Er hatte Baiern vom Untergange gerettet, die Macht ſeines eigenen Landes um mehr als ein Drittel verſtärkt, die lange Kette habsburgiſch-wettiniſcher Gebiete, welche den preußiſchen Staat im Süden und Oſten umſchloß, mit einem kühnen Stoße zerſprengt, das ſtolze Kaiſerhaus zum erſten male vor einem Reichsfürſten tief gedemüthigt. Er dankte alle ſeine Siege allein der eigenen Kraft und trat den alten Mächten mit ſo feſtem Stolze entgegen, daß ſelbſt Horatio Walpole geſtehen mußte, dieſer Preußenkönig halte jetzt die Wage des europäiſchen Gleichgewichts in ſeinen Händen. Sachſen, Baiern, Hannover, alle die Mittelſtaaten, welche ſoeben noch mit der Krone Preußen gewetteifert, wurden durch die ſchleſiſchen Kriege für immer in die zweite Reihe zurückgeworfen, und hoch über den zahlloſen kleinen Gegenſätzen, die das Reich zerklüfteten, erhob ſich die eine Frage: Preußen oder Oeſterreich? Die Frage der deutſchen Zukunft war geſtellt. Der König blickte jetzt aus freier Höhe auf das Gewimmel der deutſchen Reichsſtände hernieder, gab auf beleidigende Zumuthungen gern die ſpöttiſche Antwort, ob man ihn etwa für einen Herzog von Gotha oder für einen rheiniſchen Fürſten halte; er ſpielte bereits, den kleinen Nachbarn gegenüber, die Rolle des wohlmeinenden Gönners und Beſchützers, die er in ſeinem Anti-Machiavell als die ſchöne Pflicht des Starken bezeichnet hatte, und ſchon ſammelte ſich am Reichstage eine kleine preußiſche Partei, die norddeutſchen Höfe begannen ihre Prinzen im Heere des Königs dienen zu laſſen.
Unterdeſſen verwuchs die neue Erwerbung überraſchend ſchnell mit der Monarchie; der Staat erprobte zum erſten male auf einem weiten Gebiete jene ſtarke Anziehungs- und Anbildungskraft, die er ſeitdem in deutſchen und halbdeutſchen Landen überall bewährt hat. Die friſchen Kräfte der modernen Welt hielten ihren Einzug in die verwahrloſte, unter ſtändiſchem und geiſtlichem Drucke darniedergehaltene Provinz; das monarchiſche Beamtenthum verdrängte die Adelsherrſchaft, das ſtrenge Recht den Nepotismus, die Glaubensfreiheit den Gewiſſenszwang, das deutſche Schulweſen den tiefen Seelenſchlaf pfäffiſcher Bildung; der träge knechtiſche Bauer lernte wieder auf ein Morgen zu hoffen, und ſein König erbot ihm dem Beamten knieend den Rock zu küſſen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0072"n="56"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">I.</hi> 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.</fw><lb/>
reichte noch nicht aus, den tapferen Widerſtand der Königin von Ungarn<lb/>
gänzlich zu brechen. Der zweite ſchleſiſche Krieg endete trotz der Triumphe<lb/>
von Hohenfriedberg und Keſſelsdorf mit der Wiederherſtellung des öſter-<lb/>
reichiſchen Kaiſerthums. Das Reich verblieb in ſeiner verfaſſungsloſen<lb/>
Zerrüttung, Franz von Lothringen beſtieg den Kaiſerthron nach dem Tode<lb/>
Karls <hirendition="#aq">VII.</hi>, und von Neuem ſchloß ſich der alte Bund zwiſchen Oeſterreich<lb/>
und der katholiſchen Reichstagsmehrheit.</p><lb/><p>Die Löſung des deutſchen Dualismus war mißlungen; ſchroffer,<lb/>
feindſeliger denn je zuvor gingen die Parteien im Reiche auseinander.<lb/>
Gleichwohl blieb dem Könige ein dauernder Gewinn geſichert: die Groß-<lb/>
machtſtellung Preußens. Er hatte Baiern vom Untergange gerettet, die<lb/>
Macht ſeines eigenen Landes um mehr als ein Drittel verſtärkt, die lange<lb/>
Kette habsburgiſch-wettiniſcher Gebiete, welche den preußiſchen Staat im<lb/>
Süden und Oſten umſchloß, mit einem kühnen Stoße zerſprengt, das ſtolze<lb/>
Kaiſerhaus zum erſten male vor einem Reichsfürſten tief gedemüthigt. Er<lb/>
dankte alle ſeine Siege allein der eigenen Kraft und trat den alten Mächten<lb/>
mit ſo feſtem Stolze entgegen, daß ſelbſt Horatio Walpole geſtehen mußte,<lb/>
dieſer Preußenkönig halte jetzt die Wage des europäiſchen Gleichgewichts<lb/>
in ſeinen Händen. Sachſen, Baiern, Hannover, alle die Mittelſtaaten,<lb/>
welche ſoeben noch mit der Krone Preußen gewetteifert, wurden durch die<lb/>ſchleſiſchen Kriege für immer in die zweite Reihe zurückgeworfen, und<lb/>
hoch über den zahlloſen kleinen Gegenſätzen, die das Reich zerklüfteten,<lb/>
erhob ſich die eine Frage: Preußen oder Oeſterreich? Die Frage der<lb/>
deutſchen Zukunft war geſtellt. Der König blickte jetzt aus freier Höhe auf<lb/>
das Gewimmel der deutſchen Reichsſtände hernieder, gab auf beleidigende<lb/>
Zumuthungen gern die ſpöttiſche Antwort, ob man ihn etwa für einen<lb/>
Herzog von Gotha oder für einen rheiniſchen Fürſten halte; er ſpielte<lb/>
bereits, den kleinen Nachbarn gegenüber, die Rolle des wohlmeinenden<lb/>
Gönners und Beſchützers, die er in ſeinem Anti-Machiavell als die<lb/>ſchöne Pflicht des Starken bezeichnet hatte, und ſchon ſammelte ſich am<lb/>
Reichstage eine kleine preußiſche Partei, die norddeutſchen Höfe begannen<lb/>
ihre Prinzen im Heere des Königs dienen zu laſſen.</p><lb/><p>Unterdeſſen verwuchs die neue Erwerbung überraſchend ſchnell mit<lb/>
der Monarchie; der Staat erprobte zum erſten male auf einem weiten<lb/>
Gebiete jene ſtarke Anziehungs- und Anbildungskraft, die er ſeitdem in<lb/>
deutſchen und halbdeutſchen Landen überall bewährt hat. Die friſchen<lb/>
Kräfte der modernen Welt hielten ihren Einzug in die verwahrloſte,<lb/>
unter ſtändiſchem und geiſtlichem Drucke darniedergehaltene Provinz; das<lb/>
monarchiſche Beamtenthum verdrängte die Adelsherrſchaft, das ſtrenge<lb/>
Recht den Nepotismus, die Glaubensfreiheit den Gewiſſenszwang, das<lb/>
deutſche Schulweſen den tiefen Seelenſchlaf pfäffiſcher Bildung; der träge<lb/>
knechtiſche Bauer lernte wieder auf ein Morgen zu hoffen, und ſein König<lb/>
erbot ihm dem Beamten knieend den Rock zu küſſen.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[56/0072]
I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
reichte noch nicht aus, den tapferen Widerſtand der Königin von Ungarn
gänzlich zu brechen. Der zweite ſchleſiſche Krieg endete trotz der Triumphe
von Hohenfriedberg und Keſſelsdorf mit der Wiederherſtellung des öſter-
reichiſchen Kaiſerthums. Das Reich verblieb in ſeiner verfaſſungsloſen
Zerrüttung, Franz von Lothringen beſtieg den Kaiſerthron nach dem Tode
Karls VII., und von Neuem ſchloß ſich der alte Bund zwiſchen Oeſterreich
und der katholiſchen Reichstagsmehrheit.
Die Löſung des deutſchen Dualismus war mißlungen; ſchroffer,
feindſeliger denn je zuvor gingen die Parteien im Reiche auseinander.
Gleichwohl blieb dem Könige ein dauernder Gewinn geſichert: die Groß-
machtſtellung Preußens. Er hatte Baiern vom Untergange gerettet, die
Macht ſeines eigenen Landes um mehr als ein Drittel verſtärkt, die lange
Kette habsburgiſch-wettiniſcher Gebiete, welche den preußiſchen Staat im
Süden und Oſten umſchloß, mit einem kühnen Stoße zerſprengt, das ſtolze
Kaiſerhaus zum erſten male vor einem Reichsfürſten tief gedemüthigt. Er
dankte alle ſeine Siege allein der eigenen Kraft und trat den alten Mächten
mit ſo feſtem Stolze entgegen, daß ſelbſt Horatio Walpole geſtehen mußte,
dieſer Preußenkönig halte jetzt die Wage des europäiſchen Gleichgewichts
in ſeinen Händen. Sachſen, Baiern, Hannover, alle die Mittelſtaaten,
welche ſoeben noch mit der Krone Preußen gewetteifert, wurden durch die
ſchleſiſchen Kriege für immer in die zweite Reihe zurückgeworfen, und
hoch über den zahlloſen kleinen Gegenſätzen, die das Reich zerklüfteten,
erhob ſich die eine Frage: Preußen oder Oeſterreich? Die Frage der
deutſchen Zukunft war geſtellt. Der König blickte jetzt aus freier Höhe auf
das Gewimmel der deutſchen Reichsſtände hernieder, gab auf beleidigende
Zumuthungen gern die ſpöttiſche Antwort, ob man ihn etwa für einen
Herzog von Gotha oder für einen rheiniſchen Fürſten halte; er ſpielte
bereits, den kleinen Nachbarn gegenüber, die Rolle des wohlmeinenden
Gönners und Beſchützers, die er in ſeinem Anti-Machiavell als die
ſchöne Pflicht des Starken bezeichnet hatte, und ſchon ſammelte ſich am
Reichstage eine kleine preußiſche Partei, die norddeutſchen Höfe begannen
ihre Prinzen im Heere des Königs dienen zu laſſen.
Unterdeſſen verwuchs die neue Erwerbung überraſchend ſchnell mit
der Monarchie; der Staat erprobte zum erſten male auf einem weiten
Gebiete jene ſtarke Anziehungs- und Anbildungskraft, die er ſeitdem in
deutſchen und halbdeutſchen Landen überall bewährt hat. Die friſchen
Kräfte der modernen Welt hielten ihren Einzug in die verwahrloſte,
unter ſtändiſchem und geiſtlichem Drucke darniedergehaltene Provinz; das
monarchiſche Beamtenthum verdrängte die Adelsherrſchaft, das ſtrenge
Recht den Nepotismus, die Glaubensfreiheit den Gewiſſenszwang, das
deutſche Schulweſen den tiefen Seelenſchlaf pfäffiſcher Bildung; der träge
knechtiſche Bauer lernte wieder auf ein Morgen zu hoffen, und ſein König
erbot ihm dem Beamten knieend den Rock zu küſſen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/72>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.