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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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der die glorreiche Tricolore und die weltbezwingenden Adler zurückbrachte,
den verhaßten neuen Offizieren aus dem Emigrantenadel den Laufpaß
gab? Hingerissen von einem Taumel der Begeisterung, überwältigt von
der Macht wundervoller Erinnerungen folgte ein Regiment nach dem
anderen dem lockenden Beispiele: die Zeit sollte wiederkehren, da der
Prätorianer Alles war, der Bürger nichts. Die alte Garde umwand
ihre Adler mit Flor und gelobte sie nicht eher zu enthüllen, als bis die
Ehre des Kaiserreichs durch glänzende Siege an den Prussiens und den
anderen Fremdlingen gerächt sei. Aber das Heer war nicht mehr Frank-
reich, wie einst in den Tagen des achtzehnten Brumaire. Wenn sogar
ein Theil der Offiziere, darunter einige der tüchtigsten Marschälle wie
Oudinot und Macdonald, an dem großen Eidbruch theilzunehmen ver-
schmähte, so sahen vollends die friedlichen Mittelklassen mit rathloser Be-
stürzung dem Wiederaufsteigen dieser demokratischen Tyrannis zu, deren
sonderbar zweiseitiges Wesen ihnen zugleich willkommen und bedrohlich
schien. Die Restauration hatte an der napoleonischen Verfassung nichts
Wesentliches geändert; sie zehrte, wie die Bonapartisten sagten, von "dem
Capitale von Autorität", das der erste Consul allen seinen Nachfolgern
hinterlassen. Die schlagfertige Maschine der Präfectenverwaltung arbeitete
stetig weiter. Der wohlmeinende König aber, dem die Gunst der Torys
die Kurbel in die Hand gegeben, blieb den Personen, den Gefühlen und
Gewohnheiten der neuen demokratischen Gesellschaft völlig fremd; und um
ihn drängten sich die Artois und Blacas, die begehrliche Meute der
Emigranten, die den Augenblick der Wiederaufrichtung des alten Adels-
regimentes kaum erwarten konnten. Nicht allein die Mißgriffe der Krone,
sondern mehr noch die unheimlichen Absichten, welche man ihren An-
hängern zutraute und zutrauen mußte, erweckten den Haß des Volkes gegen
die Bourbonen.

Neben jenen Pilgern des Grabes, die sich um das Lilienbanner
schaarten, erschien der rückkehrende Napoleon selbst den bürgerlichen Klas-
sen als ein nationaler Held, ein Vertreter der vergötterten Ideen von 89.
Aber sein Name bedeutete zugleich: Krieg. Der Instinkt der Geschäfts-
welt fühlte alsbald heraus, daß weder dieser Mann jemals Frieden hal-
ten, noch die Nachbarmächte ihn ruhig gewähren lassen konnten. Sofort
nach seiner Rückkehr ging die vortheilhafte Stellung, welche Talleyrands
Schlauheit der bourbonischen Krone in der Staatengesellschaft verschafft
hatte, wieder verloren; Frankreich stand völlig vereinsamt, und vor den
Augen der friedensbedürftigen Gesellschaft eröffnete sich die düstere Aus-
sicht auf neue unabsehbare kriegerische Stürme. Zudem hatten die par-
lamentarischen Institutionen der Charte rasch Boden gewonnen. Kaum
war das Zeitalter des militärischen Ruhmes abgelaufen, so warf sich die
Nation mit bewunderungswürdiger Lebenskraft wieder in die politischen
und literarischen Parteikämpfe. Das Land freute sich an dem rednerischen

II. 2. Belle Alliance.
der die glorreiche Tricolore und die weltbezwingenden Adler zurückbrachte,
den verhaßten neuen Offizieren aus dem Emigrantenadel den Laufpaß
gab? Hingeriſſen von einem Taumel der Begeiſterung, überwältigt von
der Macht wundervoller Erinnerungen folgte ein Regiment nach dem
anderen dem lockenden Beiſpiele: die Zeit ſollte wiederkehren, da der
Prätorianer Alles war, der Bürger nichts. Die alte Garde umwand
ihre Adler mit Flor und gelobte ſie nicht eher zu enthüllen, als bis die
Ehre des Kaiſerreichs durch glänzende Siege an den Pruſſiens und den
anderen Fremdlingen gerächt ſei. Aber das Heer war nicht mehr Frank-
reich, wie einſt in den Tagen des achtzehnten Brumaire. Wenn ſogar
ein Theil der Offiziere, darunter einige der tüchtigſten Marſchälle wie
Oudinot und Macdonald, an dem großen Eidbruch theilzunehmen ver-
ſchmähte, ſo ſahen vollends die friedlichen Mittelklaſſen mit rathloſer Be-
ſtürzung dem Wiederaufſteigen dieſer demokratiſchen Tyrannis zu, deren
ſonderbar zweiſeitiges Weſen ihnen zugleich willkommen und bedrohlich
ſchien. Die Reſtauration hatte an der napoleoniſchen Verfaſſung nichts
Weſentliches geändert; ſie zehrte, wie die Bonapartiſten ſagten, von „dem
Capitale von Autorität“, das der erſte Conſul allen ſeinen Nachfolgern
hinterlaſſen. Die ſchlagfertige Maſchine der Präfectenverwaltung arbeitete
ſtetig weiter. Der wohlmeinende König aber, dem die Gunſt der Torys
die Kurbel in die Hand gegeben, blieb den Perſonen, den Gefühlen und
Gewohnheiten der neuen demokratiſchen Geſellſchaft völlig fremd; und um
ihn drängten ſich die Artois und Blacas, die begehrliche Meute der
Emigranten, die den Augenblick der Wiederaufrichtung des alten Adels-
regimentes kaum erwarten konnten. Nicht allein die Mißgriffe der Krone,
ſondern mehr noch die unheimlichen Abſichten, welche man ihren An-
hängern zutraute und zutrauen mußte, erweckten den Haß des Volkes gegen
die Bourbonen.

Neben jenen Pilgern des Grabes, die ſich um das Lilienbanner
ſchaarten, erſchien der rückkehrende Napoleon ſelbſt den bürgerlichen Klaſ-
ſen als ein nationaler Held, ein Vertreter der vergötterten Ideen von 89.
Aber ſein Name bedeutete zugleich: Krieg. Der Inſtinkt der Geſchäfts-
welt fühlte alsbald heraus, daß weder dieſer Mann jemals Frieden hal-
ten, noch die Nachbarmächte ihn ruhig gewähren laſſen konnten. Sofort
nach ſeiner Rückkehr ging die vortheilhafte Stellung, welche Talleyrands
Schlauheit der bourboniſchen Krone in der Staatengeſellſchaft verſchafft
hatte, wieder verloren; Frankreich ſtand völlig vereinſamt, und vor den
Augen der friedensbedürftigen Geſellſchaft eröffnete ſich die düſtere Aus-
ſicht auf neue unabſehbare kriegeriſche Stürme. Zudem hatten die par-
lamentariſchen Inſtitutionen der Charte raſch Boden gewonnen. Kaum
war das Zeitalter des militäriſchen Ruhmes abgelaufen, ſo warf ſich die
Nation mit bewunderungswürdiger Lebenskraft wieder in die politiſchen
und literariſchen Parteikämpfe. Das Land freute ſich an dem redneriſchen

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[710/0726] II. 2. Belle Alliance. der die glorreiche Tricolore und die weltbezwingenden Adler zurückbrachte, den verhaßten neuen Offizieren aus dem Emigrantenadel den Laufpaß gab? Hingeriſſen von einem Taumel der Begeiſterung, überwältigt von der Macht wundervoller Erinnerungen folgte ein Regiment nach dem anderen dem lockenden Beiſpiele: die Zeit ſollte wiederkehren, da der Prätorianer Alles war, der Bürger nichts. Die alte Garde umwand ihre Adler mit Flor und gelobte ſie nicht eher zu enthüllen, als bis die Ehre des Kaiſerreichs durch glänzende Siege an den Pruſſiens und den anderen Fremdlingen gerächt ſei. Aber das Heer war nicht mehr Frank- reich, wie einſt in den Tagen des achtzehnten Brumaire. Wenn ſogar ein Theil der Offiziere, darunter einige der tüchtigſten Marſchälle wie Oudinot und Macdonald, an dem großen Eidbruch theilzunehmen ver- ſchmähte, ſo ſahen vollends die friedlichen Mittelklaſſen mit rathloſer Be- ſtürzung dem Wiederaufſteigen dieſer demokratiſchen Tyrannis zu, deren ſonderbar zweiſeitiges Weſen ihnen zugleich willkommen und bedrohlich ſchien. Die Reſtauration hatte an der napoleoniſchen Verfaſſung nichts Weſentliches geändert; ſie zehrte, wie die Bonapartiſten ſagten, von „dem Capitale von Autorität“, das der erſte Conſul allen ſeinen Nachfolgern hinterlaſſen. Die ſchlagfertige Maſchine der Präfectenverwaltung arbeitete ſtetig weiter. Der wohlmeinende König aber, dem die Gunſt der Torys die Kurbel in die Hand gegeben, blieb den Perſonen, den Gefühlen und Gewohnheiten der neuen demokratiſchen Geſellſchaft völlig fremd; und um ihn drängten ſich die Artois und Blacas, die begehrliche Meute der Emigranten, die den Augenblick der Wiederaufrichtung des alten Adels- regimentes kaum erwarten konnten. Nicht allein die Mißgriffe der Krone, ſondern mehr noch die unheimlichen Abſichten, welche man ihren An- hängern zutraute und zutrauen mußte, erweckten den Haß des Volkes gegen die Bourbonen. Neben jenen Pilgern des Grabes, die ſich um das Lilienbanner ſchaarten, erſchien der rückkehrende Napoleon ſelbſt den bürgerlichen Klaſ- ſen als ein nationaler Held, ein Vertreter der vergötterten Ideen von 89. Aber ſein Name bedeutete zugleich: Krieg. Der Inſtinkt der Geſchäfts- welt fühlte alsbald heraus, daß weder dieſer Mann jemals Frieden hal- ten, noch die Nachbarmächte ihn ruhig gewähren laſſen konnten. Sofort nach ſeiner Rückkehr ging die vortheilhafte Stellung, welche Talleyrands Schlauheit der bourboniſchen Krone in der Staatengeſellſchaft verſchafft hatte, wieder verloren; Frankreich ſtand völlig vereinſamt, und vor den Augen der friedensbedürftigen Geſellſchaft eröffnete ſich die düſtere Aus- ſicht auf neue unabſehbare kriegeriſche Stürme. Zudem hatten die par- lamentariſchen Inſtitutionen der Charte raſch Boden gewonnen. Kaum war das Zeitalter des militäriſchen Ruhmes abgelaufen, ſo warf ſich die Nation mit bewunderungswürdiger Lebenskraft wieder in die politiſchen und literariſchen Parteikämpfe. Das Land freute ſich an dem redneriſchen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 710. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/726>, abgerufen am 22.11.2024.