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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Die hundert Tage.
Prunk der Kammerverhandlungen, an der lauten Kritik der freien Presse.
Die constitutionelle Doctrin fand wieder ehrliche, überzeugte Bekenner.
Tausende glaubten treuherzig, es sei die Bestimmung dieses Volkes der
Freiheit, die englische Parlamentsherrschaft mit dem unantastbaren napo-
leonischen Verwaltungsdespotismus zu verquicken und also den constitutio-
nellen Musterstaat zu begründen; die Verwirklichung dieser Ideale schien
aber leichter möglich unter der schwachen Krone der Bourbonen als unter
der eisernen Herrschaft des Soldatenkaisers. So geschah es, daß die
Gebildeten und Besitzenden sich dem Imperator argwöhnisch fern hielten;
der Curs der Rente sank in wenigen Tagen bis auf 53. Anhänglichkeit
an das königliche Haus zeigten freilich nur einzelne Striche des Südens
und Westens; selbst der legitimistische Aufstand, der in der Vendee aus-
brach, war ungefährlich, da er mehr von dem Adel als von den Bauern
ausging. Die Rückkehr Napoleons erfolgte zu früh; einige Jahre später,
da die Erinnerung an die Schrecken der Kriegszeit schon mehr verblaßt
und der Groll gegen die Emigranten noch mächtiger angewachsen war,
hätte sie vielleicht Erfolg haben können. Wie jetzt die Dinge lagen ver-
hielt sich die Mehrheit der Nation skeptisch, ängstlich, verlegen. Nur die
Bauern in den allezeit kriegerischen Ostprovinzen und die Arbeitermassen
einiger großer Städte hießen den gekrönten Plebejer willkommen. In den
Vorstädten von Paris that sich eine Foederation zusammen, aber die
jacobinischen Erinnerungen, die hier wieder auflebten, hatten mit dem
Caesarencultus des Heeres wenig gemein.

Napoleon bemerkte schnell, wie sehr das Land sich verwandelt hatte;
die Bourbonen, sagte er ingrimmig, haben mir Frankreich sehr verdor-
ben. Um die Mittelklassen zu gewinnen mußte er mit den liberalen
Ideen liebäugeln: "das Genie hat gegen das Jahrhundert gekämpft, das
Jahrhundert hat gesiegt!" In geschickten Manifesten stellte er sich als den
Erwählten des Volkes dar und hob den popularen Charakter des Kaiser-
reichs hervor, das die Demokratie disciplinirt, die Gleichheit vollendet und
die Freiheit vorbereitet habe. Doch Verheißungen genügten längst nicht
mehr. Er sah sich genöthigt ein Cabinet aus Männern der Revolution zu
bilden und die Verfassung des Kaiserreichs durch eine Zusatzacte zu ergän-
zen, welche der Nation eine gewählte Volksvertretung, die Preßfreiheit, das
Petitionsrecht, ja sogar eine Beschränkung der militärischen Gerichtsbarkeit
gewährte. So mußte er sich selber die Hände binden, in einem Augen-
blicke, da nur eine schrankenlose Dictatur die friedenslustige Nation zu
starker kriegerischer Anstrengung zwingen konnte. In Tricots und antikem
Mantel zog er dann auf das Maifeld hinaus um die Schaulust der
Pariser durch ein großes volksthümlich-militärisches Spektakelstück zu be-
friedigen und öffentlich sein demokratisches Glaubensbekenntniß abzulegen:
"als Kaiser, als Consul, als Soldat verdanke ich Alles dem Volke!"
Seine Lieblingstochter Hortensia und ihr kleiner Sohn Ludwig wohnten

Die hundert Tage.
Prunk der Kammerverhandlungen, an der lauten Kritik der freien Preſſe.
Die conſtitutionelle Doctrin fand wieder ehrliche, überzeugte Bekenner.
Tauſende glaubten treuherzig, es ſei die Beſtimmung dieſes Volkes der
Freiheit, die engliſche Parlamentsherrſchaft mit dem unantaſtbaren napo-
leoniſchen Verwaltungsdespotismus zu verquicken und alſo den conſtitutio-
nellen Muſterſtaat zu begründen; die Verwirklichung dieſer Ideale ſchien
aber leichter möglich unter der ſchwachen Krone der Bourbonen als unter
der eiſernen Herrſchaft des Soldatenkaiſers. So geſchah es, daß die
Gebildeten und Beſitzenden ſich dem Imperator argwöhniſch fern hielten;
der Curs der Rente ſank in wenigen Tagen bis auf 53. Anhänglichkeit
an das königliche Haus zeigten freilich nur einzelne Striche des Südens
und Weſtens; ſelbſt der legitimiſtiſche Aufſtand, der in der Vendee aus-
brach, war ungefährlich, da er mehr von dem Adel als von den Bauern
ausging. Die Rückkehr Napoleons erfolgte zu früh; einige Jahre ſpäter,
da die Erinnerung an die Schrecken der Kriegszeit ſchon mehr verblaßt
und der Groll gegen die Emigranten noch mächtiger angewachſen war,
hätte ſie vielleicht Erfolg haben können. Wie jetzt die Dinge lagen ver-
hielt ſich die Mehrheit der Nation ſkeptiſch, ängſtlich, verlegen. Nur die
Bauern in den allezeit kriegeriſchen Oſtprovinzen und die Arbeitermaſſen
einiger großer Städte hießen den gekrönten Plebejer willkommen. In den
Vorſtädten von Paris that ſich eine Foederation zuſammen, aber die
jacobiniſchen Erinnerungen, die hier wieder auflebten, hatten mit dem
Caeſarencultus des Heeres wenig gemein.

Napoleon bemerkte ſchnell, wie ſehr das Land ſich verwandelt hatte;
die Bourbonen, ſagte er ingrimmig, haben mir Frankreich ſehr verdor-
ben. Um die Mittelklaſſen zu gewinnen mußte er mit den liberalen
Ideen liebäugeln: „das Genie hat gegen das Jahrhundert gekämpft, das
Jahrhundert hat geſiegt!“ In geſchickten Manifeſten ſtellte er ſich als den
Erwählten des Volkes dar und hob den popularen Charakter des Kaiſer-
reichs hervor, das die Demokratie disciplinirt, die Gleichheit vollendet und
die Freiheit vorbereitet habe. Doch Verheißungen genügten längſt nicht
mehr. Er ſah ſich genöthigt ein Cabinet aus Männern der Revolution zu
bilden und die Verfaſſung des Kaiſerreichs durch eine Zuſatzacte zu ergän-
zen, welche der Nation eine gewählte Volksvertretung, die Preßfreiheit, das
Petitionsrecht, ja ſogar eine Beſchränkung der militäriſchen Gerichtsbarkeit
gewährte. So mußte er ſich ſelber die Hände binden, in einem Augen-
blicke, da nur eine ſchrankenloſe Dictatur die friedensluſtige Nation zu
ſtarker kriegeriſcher Anſtrengung zwingen konnte. In Tricots und antikem
Mantel zog er dann auf das Maifeld hinaus um die Schauluſt der
Pariſer durch ein großes volksthümlich-militäriſches Spektakelſtück zu be-
friedigen und öffentlich ſein demokratiſches Glaubensbekenntniß abzulegen:
„als Kaiſer, als Conſul, als Soldat verdanke ich Alles dem Volke!“
Seine Lieblingstochter Hortenſia und ihr kleiner Sohn Ludwig wohnten

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[711/0727] Die hundert Tage. Prunk der Kammerverhandlungen, an der lauten Kritik der freien Preſſe. Die conſtitutionelle Doctrin fand wieder ehrliche, überzeugte Bekenner. Tauſende glaubten treuherzig, es ſei die Beſtimmung dieſes Volkes der Freiheit, die engliſche Parlamentsherrſchaft mit dem unantaſtbaren napo- leoniſchen Verwaltungsdespotismus zu verquicken und alſo den conſtitutio- nellen Muſterſtaat zu begründen; die Verwirklichung dieſer Ideale ſchien aber leichter möglich unter der ſchwachen Krone der Bourbonen als unter der eiſernen Herrſchaft des Soldatenkaiſers. So geſchah es, daß die Gebildeten und Beſitzenden ſich dem Imperator argwöhniſch fern hielten; der Curs der Rente ſank in wenigen Tagen bis auf 53. Anhänglichkeit an das königliche Haus zeigten freilich nur einzelne Striche des Südens und Weſtens; ſelbſt der legitimiſtiſche Aufſtand, der in der Vendee aus- brach, war ungefährlich, da er mehr von dem Adel als von den Bauern ausging. Die Rückkehr Napoleons erfolgte zu früh; einige Jahre ſpäter, da die Erinnerung an die Schrecken der Kriegszeit ſchon mehr verblaßt und der Groll gegen die Emigranten noch mächtiger angewachſen war, hätte ſie vielleicht Erfolg haben können. Wie jetzt die Dinge lagen ver- hielt ſich die Mehrheit der Nation ſkeptiſch, ängſtlich, verlegen. Nur die Bauern in den allezeit kriegeriſchen Oſtprovinzen und die Arbeitermaſſen einiger großer Städte hießen den gekrönten Plebejer willkommen. In den Vorſtädten von Paris that ſich eine Foederation zuſammen, aber die jacobiniſchen Erinnerungen, die hier wieder auflebten, hatten mit dem Caeſarencultus des Heeres wenig gemein. Napoleon bemerkte ſchnell, wie ſehr das Land ſich verwandelt hatte; die Bourbonen, ſagte er ingrimmig, haben mir Frankreich ſehr verdor- ben. Um die Mittelklaſſen zu gewinnen mußte er mit den liberalen Ideen liebäugeln: „das Genie hat gegen das Jahrhundert gekämpft, das Jahrhundert hat geſiegt!“ In geſchickten Manifeſten ſtellte er ſich als den Erwählten des Volkes dar und hob den popularen Charakter des Kaiſer- reichs hervor, das die Demokratie disciplinirt, die Gleichheit vollendet und die Freiheit vorbereitet habe. Doch Verheißungen genügten längſt nicht mehr. Er ſah ſich genöthigt ein Cabinet aus Männern der Revolution zu bilden und die Verfaſſung des Kaiſerreichs durch eine Zuſatzacte zu ergän- zen, welche der Nation eine gewählte Volksvertretung, die Preßfreiheit, das Petitionsrecht, ja ſogar eine Beſchränkung der militäriſchen Gerichtsbarkeit gewährte. So mußte er ſich ſelber die Hände binden, in einem Augen- blicke, da nur eine ſchrankenloſe Dictatur die friedensluſtige Nation zu ſtarker kriegeriſcher Anſtrengung zwingen konnte. In Tricots und antikem Mantel zog er dann auf das Maifeld hinaus um die Schauluſt der Pariſer durch ein großes volksthümlich-militäriſches Spektakelſtück zu be- friedigen und öffentlich ſein demokratiſches Glaubensbekenntniß abzulegen: „als Kaiſer, als Conſul, als Soldat verdanke ich Alles dem Volke!“ Seine Lieblingstochter Hortenſia und ihr kleiner Sohn Ludwig wohnten

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 711. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/727>, abgerufen am 22.11.2024.