liche Theilnahme für den großen Landsmann, der soeben wieder die Wun- derkraft des antico senno Italiens offenbart hatte, erwachte von Neuem. Kaiser Franz hielt für nöthig, seinen Bruder Johann in das neue lom- bardo-venetianische Königreich zu senden, denselben der vor sechs Jahren die Italiener zuerst zur Freiheit aufgerufen hatte. Der Erzherzog ließ es an Biederkeit und guten Worten nicht fehlen, doch machte er auf die menschenkundigen Südländer geringen Eindruck. Der Wiener Hof fühlte sich seines adriatischen Besitzes keineswegs sicher. Dazu die alte, auch von Knesebeck getheilte Vorliebe der k. k. Generale für gesuchte und weit- läuftige Bewegungen, endlich und vor Allem der dringende Wunsch die Gefahren des Krieges den Verbündeten zuzuschieben, damit Oesterreich bei dem schwierigen Friedensschlusse mit ungebrochener Kraft dastände.
Aus Alledem ergab sich ein ungeheuerlicher Kriegsplan, der selbst die Künsteleien von 1814 noch überbot: in den Niederlanden 210,000 Mann unter Blücher und Wellington, am Mittelrhein Barclay de Tolly mit 150,000 Russen, am Oberrhein und in der Schweiz 200,000 Oester- reicher, in Piemont endlich eine Armee von 60,000 Mann -- eine Trup- penmasse, die bis zu Ende Juli noch durch einen Nachschub von 170,000 Mann auf 800,000 Köpfe verstärkt wurde und dann dem Feinde um das Dreifache überlegen war. Als das nächste Ziel der Operationen dachte sich Schwarzenberg nicht Paris, sondern Lyon. Von Napoleon aber stand mit Sicherheit zu vermuthen, daß er sich auf den zunächst stehenden Feind, auf das niederländische oder das mittelrheinische Heer stürzen würde; die k. k. Truppen waren also vor der Faust des Gefürchteten sicher. Da nach dem österreichischen Plane die Russen sogleich in die erste Reihe der Kämpfer einrücken sollten, so verlangte Schwarzenberg die Vertagung des Ein- marschs bis zum 16., dann zum 27. Juni, endlich gar bis zum 1. Juli. Obgleich alle anderen Mächte es hochbedenklich fanden dem rastlosen Feinde ein volles Vierteljahr Frist zu schenken, so behält doch in einem Coalitions- kriege der Zaudernde immer Recht. Oesterreich behauptete hartnäckig, seine Rüstungen nicht eher beendigen zu können, und so mußte denn am 19. April der große Kriegsrath der Coalition zu Wien die Vorschläge der Hofburg im Wesentlichen annehmen, in die Verspätung der Operationen willigen. Die diplomatische Welt, und Hardenberg mit ihr, glaubte be- stimmt, die Entscheidung werde im Centrum der verbündeten Heere fallen. Der Armee in den Niederlanden dachte man, wie vor zwei Jahren der schlesischen, die bescheidene Rolle eines Hilfscorps zu, und wieder wie da- mals sollte der Gang der Ereignisse aller Voraussicht spotten.
Mit den Berathungen über den Kriegsplan verband sich ein lebhafter Streit über die Vertheilung der kleinen deutschen Contingente. Die Höfe der Mittelstaaten hielten es allesammt für ein Gebot kleinköniglicher Ehre, ihre Truppen lieber unter fremden als unter preußischen Oberbefehl zu stellen. Graf Münster meinte die Stunde gekommen um sein altes Ideal,
Kriegsplan der Coalition.
liche Theilnahme für den großen Landsmann, der ſoeben wieder die Wun- derkraft des antico senno Italiens offenbart hatte, erwachte von Neuem. Kaiſer Franz hielt für nöthig, ſeinen Bruder Johann in das neue lom- bardo-venetianiſche Königreich zu ſenden, denſelben der vor ſechs Jahren die Italiener zuerſt zur Freiheit aufgerufen hatte. Der Erzherzog ließ es an Biederkeit und guten Worten nicht fehlen, doch machte er auf die menſchenkundigen Südländer geringen Eindruck. Der Wiener Hof fühlte ſich ſeines adriatiſchen Beſitzes keineswegs ſicher. Dazu die alte, auch von Kneſebeck getheilte Vorliebe der k. k. Generale für geſuchte und weit- läuftige Bewegungen, endlich und vor Allem der dringende Wunſch die Gefahren des Krieges den Verbündeten zuzuſchieben, damit Oeſterreich bei dem ſchwierigen Friedensſchluſſe mit ungebrochener Kraft daſtände.
Aus Alledem ergab ſich ein ungeheuerlicher Kriegsplan, der ſelbſt die Künſteleien von 1814 noch überbot: in den Niederlanden 210,000 Mann unter Blücher und Wellington, am Mittelrhein Barclay de Tolly mit 150,000 Ruſſen, am Oberrhein und in der Schweiz 200,000 Oeſter- reicher, in Piemont endlich eine Armee von 60,000 Mann — eine Trup- penmaſſe, die bis zu Ende Juli noch durch einen Nachſchub von 170,000 Mann auf 800,000 Köpfe verſtärkt wurde und dann dem Feinde um das Dreifache überlegen war. Als das nächſte Ziel der Operationen dachte ſich Schwarzenberg nicht Paris, ſondern Lyon. Von Napoleon aber ſtand mit Sicherheit zu vermuthen, daß er ſich auf den zunächſt ſtehenden Feind, auf das niederländiſche oder das mittelrheiniſche Heer ſtürzen würde; die k. k. Truppen waren alſo vor der Fauſt des Gefürchteten ſicher. Da nach dem öſterreichiſchen Plane die Ruſſen ſogleich in die erſte Reihe der Kämpfer einrücken ſollten, ſo verlangte Schwarzenberg die Vertagung des Ein- marſchs bis zum 16., dann zum 27. Juni, endlich gar bis zum 1. Juli. Obgleich alle anderen Mächte es hochbedenklich fanden dem raſtloſen Feinde ein volles Vierteljahr Friſt zu ſchenken, ſo behält doch in einem Coalitions- kriege der Zaudernde immer Recht. Oeſterreich behauptete hartnäckig, ſeine Rüſtungen nicht eher beendigen zu können, und ſo mußte denn am 19. April der große Kriegsrath der Coalition zu Wien die Vorſchläge der Hofburg im Weſentlichen annehmen, in die Verſpätung der Operationen willigen. Die diplomatiſche Welt, und Hardenberg mit ihr, glaubte be- ſtimmt, die Entſcheidung werde im Centrum der verbündeten Heere fallen. Der Armee in den Niederlanden dachte man, wie vor zwei Jahren der ſchleſiſchen, die beſcheidene Rolle eines Hilfscorps zu, und wieder wie da- mals ſollte der Gang der Ereigniſſe aller Vorausſicht ſpotten.
Mit den Berathungen über den Kriegsplan verband ſich ein lebhafter Streit über die Vertheilung der kleinen deutſchen Contingente. Die Höfe der Mittelſtaaten hielten es alleſammt für ein Gebot kleinköniglicher Ehre, ihre Truppen lieber unter fremden als unter preußiſchen Oberbefehl zu ſtellen. Graf Münſter meinte die Stunde gekommen um ſein altes Ideal,
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Kriegsplan der Coalition.
liche Theilnahme für den großen Landsmann, der ſoeben wieder die Wun-
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Kaiſer Franz hielt für nöthig, ſeinen Bruder Johann in das neue lom-
bardo-venetianiſche Königreich zu ſenden, denſelben der vor ſechs Jahren
die Italiener zuerſt zur Freiheit aufgerufen hatte. Der Erzherzog ließ
es an Biederkeit und guten Worten nicht fehlen, doch machte er auf die
menſchenkundigen Südländer geringen Eindruck. Der Wiener Hof fühlte
ſich ſeines adriatiſchen Beſitzes keineswegs ſicher. Dazu die alte, auch
von Kneſebeck getheilte Vorliebe der k. k. Generale für geſuchte und weit-
läuftige Bewegungen, endlich und vor Allem der dringende Wunſch die
Gefahren des Krieges den Verbündeten zuzuſchieben, damit Oeſterreich
bei dem ſchwierigen Friedensſchluſſe mit ungebrochener Kraft daſtände.
Aus Alledem ergab ſich ein ungeheuerlicher Kriegsplan, der ſelbſt
die Künſteleien von 1814 noch überbot: in den Niederlanden 210,000
Mann unter Blücher und Wellington, am Mittelrhein Barclay de Tolly
mit 150,000 Ruſſen, am Oberrhein und in der Schweiz 200,000 Oeſter-
reicher, in Piemont endlich eine Armee von 60,000 Mann — eine Trup-
penmaſſe, die bis zu Ende Juli noch durch einen Nachſchub von 170,000
Mann auf 800,000 Köpfe verſtärkt wurde und dann dem Feinde um das
Dreifache überlegen war. Als das nächſte Ziel der Operationen dachte
ſich Schwarzenberg nicht Paris, ſondern Lyon. Von Napoleon aber ſtand
mit Sicherheit zu vermuthen, daß er ſich auf den zunächſt ſtehenden Feind,
auf das niederländiſche oder das mittelrheiniſche Heer ſtürzen würde; die k. k.
Truppen waren alſo vor der Fauſt des Gefürchteten ſicher. Da nach dem
öſterreichiſchen Plane die Ruſſen ſogleich in die erſte Reihe der Kämpfer
einrücken ſollten, ſo verlangte Schwarzenberg die Vertagung des Ein-
marſchs bis zum 16., dann zum 27. Juni, endlich gar bis zum 1. Juli.
Obgleich alle anderen Mächte es hochbedenklich fanden dem raſtloſen Feinde
ein volles Vierteljahr Friſt zu ſchenken, ſo behält doch in einem Coalitions-
kriege der Zaudernde immer Recht. Oeſterreich behauptete hartnäckig, ſeine
Rüſtungen nicht eher beendigen zu können, und ſo mußte denn am 19.
April der große Kriegsrath der Coalition zu Wien die Vorſchläge der
Hofburg im Weſentlichen annehmen, in die Verſpätung der Operationen
willigen. Die diplomatiſche Welt, und Hardenberg mit ihr, glaubte be-
ſtimmt, die Entſcheidung werde im Centrum der verbündeten Heere fallen.
Der Armee in den Niederlanden dachte man, wie vor zwei Jahren der
ſchleſiſchen, die beſcheidene Rolle eines Hilfscorps zu, und wieder wie da-
mals ſollte der Gang der Ereigniſſe aller Vorausſicht ſpotten.
Mit den Berathungen über den Kriegsplan verband ſich ein lebhafter
Streit über die Vertheilung der kleinen deutſchen Contingente. Die Höfe
der Mittelſtaaten hielten es alleſammt für ein Gebot kleinköniglicher Ehre,
ihre Truppen lieber unter fremden als unter preußiſchen Oberbefehl zu
ſtellen. Graf Münſter meinte die Stunde gekommen um ſein altes Ideal,
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 719. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/735>, abgerufen am 22.11.2024.
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