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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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II. 2. Belle Alliance.
hohen Jahren zu sprechen, so lachte der Alte hell auf: was das für dummes
Zeug ist!

Damit war Alles abgethan: wer hätte den Helden der Nation von
der Stelle, die ihm gebührte, verdrängen dürfen? Während der thaten-
armen Monate letzthin war er wirklich nur ein gebrechlicher alter Mann
gewesen, und eben jetzt traf den zärtlichen Vater noch ein grausamer
Schlag: sein Lieblingssohn Franz, ein hochbegabter, verwegener Reiter-
offizier, war im Kriege schwer am Kopfe verwundet worden und verfiel
in unheilbare Geisteskrankheit. Aber sobald der Krieg entschieden war,
raffte sich der herrliche Greis wieder auf, wie ein edles Schlachtroß beim
Schmettern der Trompete; er fühlte die Last der Jahre und des Kummers
nicht mehr. Wieder einmal hatte er Alles voraus gewußt: warum wollten
ihm die verfluchten Diplomatiker nicht glauben, als er ihnen vor'm Jahre
vorhersagte, der Bösewicht werde ganz gewiß aus seinem Käfig ausbrechen?
Ueberall auf der Reise drängten sich die Massen um den volksthümlichen
Helden. Frisch und jugendlich, leuchtend von Zuversicht trat er unter
seine jubelnden Truppen. Wie that es ihm wohl, das neue ostfriesische
Regiment, die Landsleute seiner herzlieben Frau mit unter seinen Be-
fehlen zu sehen. Den erbitterten sächsischen Offizieren hielt er aus der
Fülle seines deutschen Herzens heraus eine mächtige Rede: hier kenne er
nicht Preußen noch Sachsen, hier seien nur Deutsche, die für ihr großes
Vaterland siegen wollten und müßten. Mit diesem Heere getraute er
sich Tunis, Tripolis und Algier zu erobern, wenn nur das Meer nicht
dazwischen wäre. Die Stunde des Kampfes konnte er kaum erwarten
und schrieb siegesgewiß an seinen getreuen Heinen, der ihm daheim seine
Güter verwaltete: "Die Franzosen habe ich vor mich, den Ruhm hinter
mich, balde wird es knallen!"*)

Er fand die Armeeverwaltung in peinlicher Verlegenheit. Denn der
König der Niederlande, der so dringend um schleunigen Einmarsch der
Preußen gebeten hatte, that jetzt, da er sich in Sicherheit wußte, gar
nichts für die Verpflegung der verbündeten Heere in dem reichen Lande;
er kannte die Verachtung, welche die preußischen Offiziere seit dem thürin-
gischen Feldzug gegen ihn hegten, erwiderte sie durch unverhohlene Ab-
neigung und zeigte so üblen Willen, daß ihn Gneisenau, sicher mit Unrecht,
französischer Sympathien beschuldigte. Baares Geld, woran Wellington
Ueberfluß hatte, fehlte den Preußen gänzlich; schon seit anderthalb Mo-
naten war der Armee kein Sold bezahlt worden. Der treffliche General-
intendant Ribbentrop wußte keinen Rath mehr. Blücher schrieb dem
Staatskanzler zornig: "der niederländische König ist der ungefälligste,
heimlichste, interessirteste Mensch."**) Um der dringendsten Noth abzuhelfen,

*) Blücher an Heinen, Lüttich 6. Mai 1815.
**) Blücher an Hardenberg, Namur 27. Mai 1815.

II. 2. Belle Alliance.
hohen Jahren zu ſprechen, ſo lachte der Alte hell auf: was das für dummes
Zeug iſt!

Damit war Alles abgethan: wer hätte den Helden der Nation von
der Stelle, die ihm gebührte, verdrängen dürfen? Während der thaten-
armen Monate letzthin war er wirklich nur ein gebrechlicher alter Mann
geweſen, und eben jetzt traf den zärtlichen Vater noch ein grauſamer
Schlag: ſein Lieblingsſohn Franz, ein hochbegabter, verwegener Reiter-
offizier, war im Kriege ſchwer am Kopfe verwundet worden und verfiel
in unheilbare Geiſteskrankheit. Aber ſobald der Krieg entſchieden war,
raffte ſich der herrliche Greis wieder auf, wie ein edles Schlachtroß beim
Schmettern der Trompete; er fühlte die Laſt der Jahre und des Kummers
nicht mehr. Wieder einmal hatte er Alles voraus gewußt: warum wollten
ihm die verfluchten Diplomatiker nicht glauben, als er ihnen vor’m Jahre
vorherſagte, der Böſewicht werde ganz gewiß aus ſeinem Käfig ausbrechen?
Ueberall auf der Reiſe drängten ſich die Maſſen um den volksthümlichen
Helden. Friſch und jugendlich, leuchtend von Zuverſicht trat er unter
ſeine jubelnden Truppen. Wie that es ihm wohl, das neue oſtfrieſiſche
Regiment, die Landsleute ſeiner herzlieben Frau mit unter ſeinen Be-
fehlen zu ſehen. Den erbitterten ſächſiſchen Offizieren hielt er aus der
Fülle ſeines deutſchen Herzens heraus eine mächtige Rede: hier kenne er
nicht Preußen noch Sachſen, hier ſeien nur Deutſche, die für ihr großes
Vaterland ſiegen wollten und müßten. Mit dieſem Heere getraute er
ſich Tunis, Tripolis und Algier zu erobern, wenn nur das Meer nicht
dazwiſchen wäre. Die Stunde des Kampfes konnte er kaum erwarten
und ſchrieb ſiegesgewiß an ſeinen getreuen Heinen, der ihm daheim ſeine
Güter verwaltete: „Die Franzoſen habe ich vor mich, den Ruhm hinter
mich, balde wird es knallen!“*)

Er fand die Armeeverwaltung in peinlicher Verlegenheit. Denn der
König der Niederlande, der ſo dringend um ſchleunigen Einmarſch der
Preußen gebeten hatte, that jetzt, da er ſich in Sicherheit wußte, gar
nichts für die Verpflegung der verbündeten Heere in dem reichen Lande;
er kannte die Verachtung, welche die preußiſchen Offiziere ſeit dem thürin-
giſchen Feldzug gegen ihn hegten, erwiderte ſie durch unverhohlene Ab-
neigung und zeigte ſo üblen Willen, daß ihn Gneiſenau, ſicher mit Unrecht,
franzöſiſcher Sympathien beſchuldigte. Baares Geld, woran Wellington
Ueberfluß hatte, fehlte den Preußen gänzlich; ſchon ſeit anderthalb Mo-
naten war der Armee kein Sold bezahlt worden. Der treffliche General-
intendant Ribbentrop wußte keinen Rath mehr. Blücher ſchrieb dem
Staatskanzler zornig: „der niederländiſche König iſt der ungefälligſte,
heimlichſte, intereſſirteſte Menſch.“**) Um der dringendſten Noth abzuhelfen,

*) Blücher an Heinen, Lüttich 6. Mai 1815.
**) Blücher an Hardenberg, Namur 27. Mai 1815.
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[722/0738] II. 2. Belle Alliance. hohen Jahren zu ſprechen, ſo lachte der Alte hell auf: was das für dummes Zeug iſt! Damit war Alles abgethan: wer hätte den Helden der Nation von der Stelle, die ihm gebührte, verdrängen dürfen? Während der thaten- armen Monate letzthin war er wirklich nur ein gebrechlicher alter Mann geweſen, und eben jetzt traf den zärtlichen Vater noch ein grauſamer Schlag: ſein Lieblingsſohn Franz, ein hochbegabter, verwegener Reiter- offizier, war im Kriege ſchwer am Kopfe verwundet worden und verfiel in unheilbare Geiſteskrankheit. Aber ſobald der Krieg entſchieden war, raffte ſich der herrliche Greis wieder auf, wie ein edles Schlachtroß beim Schmettern der Trompete; er fühlte die Laſt der Jahre und des Kummers nicht mehr. Wieder einmal hatte er Alles voraus gewußt: warum wollten ihm die verfluchten Diplomatiker nicht glauben, als er ihnen vor’m Jahre vorherſagte, der Böſewicht werde ganz gewiß aus ſeinem Käfig ausbrechen? Ueberall auf der Reiſe drängten ſich die Maſſen um den volksthümlichen Helden. Friſch und jugendlich, leuchtend von Zuverſicht trat er unter ſeine jubelnden Truppen. Wie that es ihm wohl, das neue oſtfrieſiſche Regiment, die Landsleute ſeiner herzlieben Frau mit unter ſeinen Be- fehlen zu ſehen. Den erbitterten ſächſiſchen Offizieren hielt er aus der Fülle ſeines deutſchen Herzens heraus eine mächtige Rede: hier kenne er nicht Preußen noch Sachſen, hier ſeien nur Deutſche, die für ihr großes Vaterland ſiegen wollten und müßten. Mit dieſem Heere getraute er ſich Tunis, Tripolis und Algier zu erobern, wenn nur das Meer nicht dazwiſchen wäre. Die Stunde des Kampfes konnte er kaum erwarten und ſchrieb ſiegesgewiß an ſeinen getreuen Heinen, der ihm daheim ſeine Güter verwaltete: „Die Franzoſen habe ich vor mich, den Ruhm hinter mich, balde wird es knallen!“ *) Er fand die Armeeverwaltung in peinlicher Verlegenheit. Denn der König der Niederlande, der ſo dringend um ſchleunigen Einmarſch der Preußen gebeten hatte, that jetzt, da er ſich in Sicherheit wußte, gar nichts für die Verpflegung der verbündeten Heere in dem reichen Lande; er kannte die Verachtung, welche die preußiſchen Offiziere ſeit dem thürin- giſchen Feldzug gegen ihn hegten, erwiderte ſie durch unverhohlene Ab- neigung und zeigte ſo üblen Willen, daß ihn Gneiſenau, ſicher mit Unrecht, franzöſiſcher Sympathien beſchuldigte. Baares Geld, woran Wellington Ueberfluß hatte, fehlte den Preußen gänzlich; ſchon ſeit anderthalb Mo- naten war der Armee kein Sold bezahlt worden. Der treffliche General- intendant Ribbentrop wußte keinen Rath mehr. Blücher ſchrieb dem Staatskanzler zornig: „der niederländiſche König iſt der ungefälligſte, heimlichſte, intereſſirteſte Menſch.“ **) Um der dringendſten Noth abzuhelfen, *) Blücher an Heinen, Lüttich 6. Mai 1815. **) Blücher an Hardenberg, Namur 27. Mai 1815.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 722. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/738>, abgerufen am 24.11.2024.